Titel:
Einstweilige Anordnung der Herausgabe eines Kindes
Normenketten:
BGB § 1632 Abs. 1
FamFG § 49 Abs. 1, § 80, § 91
Leitsatz:
Ist ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren mit dem hohen Risiko des Eintritts erheblicher Nachteile verbunden, weil weder der aktuelle Gesundheitszustand der Mutter noch der des Kindes bekannt ist, sondern die Kindsmutter seit Geburt des Kindes dem Kindsvater jede Information und das Kind vorenthält, ist gem. § 49 Abs. 1 FamFG eine Regelung im Wege einstweiliger Anordnung zu treffen, weil ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einstweilige Anordnung, Herausgabe des Kindes, dringendes Bedürfnis, fehlende Information, Geheimhaltung
Rechtsmittelinstanzen:
AG Augsburg, Beschluss vom 09.11.2022 – 402 F 2758/22
OLG München, Beschluss vom 08.12.2022 – 4 UF 1228/22
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 26.12.2022 – 1 BvR 2333/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41329
Tenor
1. Die Antragsgegnerin M. hat das Kind M. nebst den zum persönlichen Gebrauch des Kindes bestimmten Sachen unverzüglich an den Antragsteller M. herauszugeben.
Die zur Herausgabe berechtigte Person darf sich bei der Erwirkung der Herausgabe der Hilfe des zuständigen Gerichtsvollziehers bedienen. Dieser ist ausdrücklich beauftragt und ermächtigt, bei der Vollstreckung unmittelbaren Zwang gegenüber der zur Herausgabe verpflichteten Person auszuüben. Er ist in diesem Fall befugt, zu seiner Unterstützung Polizeibeamte hinzuzuziehen. Eine Vollstreckung darf nur durchgeführt werden, wenn die zur Herausgabe berechtigte Person mit der Vollstreckung auch nach Ort und Zeitpunkt einverstanden ist und sie ein herauszugebendes Kind an Ort und Stelle übernimmt.
Der Gerichtsvollzieher ist bei der Vollstreckung der Herausgabeverpflichtung beauftragt und ermächtigt, die Wohnung der zur Herausgabe verpflichteten Person auch gegen deren Willen zum Zwecke der Kindesauffindung zu durchsuchen. Er darf dazu verschlossene Haustüren, Zimmertüren und Behältnisse gewaltsam öffnen.
Es wird darauf hingewiesen, dass für jeden Fall der zu vertretenden Zuwiderhandlung gegen die Anordnung der Kindesherausgabe das Gericht gegenüber der verpflichteten Person Ordnungsgeld in Höhe von jeweils bis zu 25.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft für eine Dauer von bis zu 6 Monaten anordnen kann. Verspricht die Anordnung von Ordnungsgeld keinen Erfolg, so kann das Gericht Ordnungshaft für eine Dauer von bis zu 6 Monaten anordnen.
Die zur Herausgabe verpflichtete Person wird darauf hingewiesen, dass sie bei Nichtauffinden eines herauszugebenden Kindes vom Gericht zwecks Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über den Verbleib des Kindes geladen oder vorgeführt werden kann.
Die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung vor Zustellung an die zur Herausgabe verpflichtete Person ist zulässig. Die Anordnung wird mit Erlass wirksam.
2. Von einer Erhebung der Gerichtskosten wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden nicht erstattet.
3. Der Wert des einstweiligen Anordnungsverfahrens wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Das Kind befindet sich derzeit bei der Antragsgegnerin M.. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht steht dem Antragsteller zu.
2
Der Antragsteller hat von der Antragsgegnerin M. erfolglos die Herausgabe des Kindes verlangt. Der Antragsteller hat beim hiesigen Gericht beantragt, die Herausgabe anzuordnen.
3
Die Herausgabeverpflichtung beruht auf § 1632 Abs. 1 BGB.
4
Es war gemäß § 49 Abs. 1 FamFG eine Regelung im Wege einstweiliger Anordnung zu treffen, weil ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren wäre mit dem hohen Risiko des Eintritts erheblicher Nachteile verbunden. Weder ist der aktuelle Gesundheitszustand der Mutter noch der des Kindes bekannt. Die Kindsmutter hält seit Geburt des Kindes dem Kindsvater jede Information und das Kind vor.
5
Wegen der absoluten Eilbedürftigkeit der Entscheidung konnte den Beteiligten bisher keine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben werden. Aus demselben Grund konnte das zuständige Jugendamt nicht vorher angehört werden.
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Die Anordnung des unmittelbaren Zwangs beruht auf § 90 FamFG. Die Anordnung war zu treffen, weil eine alsbaldige Vollstreckung der Entscheidung unbedingt geboten ist und die Festsetzung von Ordnungsmitteln keinen ausreichenden Erfolg verspricht.
7
Die Durchsuchungsanordnung hat ihre Grundlage in § 91 FamFG. Sie erscheint notwendig, um durch das Auffinden die Vollstreckung zu ermöglichen.
8
Der Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung von Ordnungsmitteln folgt aus § 89 Abs. 2 FamFG.
9
Die Möglichkeit der Anordnung der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ergibt sich aus § 94 FamFG.
10
Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Vollstreckung der einstweiligen Anordnung vor Zustellung an die verpflichtete Person beruht auf § 53 Abs. 2 FamFG.
11
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 Abs. 4, 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG. Für die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gelten die allgemeinen Vorschriften.
12
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 41, 45 FamGKG.