Titel:
Aufforderung zur Vorlage eines aktualisierten Abstandsflächenplans
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 64 Abs. 2 S. 1, Art. 65 Abs. 2 S. 1, S. 2
BayVwVfG Art. 35 S. 1
BauVorlV § 3 Nr. 3
Leitsätze:
1. Die behördliche Aufforderung zur Nachbesserung des Bauantrags bzw. der Bauvorlagen stellt einen mit der Anfechtungsklage angreifbaren Verwaltungsakt iSv Art. 35 S. 1 BayVwVfG dar. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wesentliche Grundvoraussetzung für das Nachforderungsverlangen der Bauaufsichtsbehörde ist ein unvollständiger oder erheblich mangelhafter Bauantrag. Der Bauantrag ist grundsätzlich vollständig, wenn er einschließlich der Bauvorlagen den formellen Anforderungen des Art. 64 Abs. 2 BayBO iVm der BauVorlV entspricht. Der Bauantrag weist sonstige erhebliche Mängel auf, wenn die vorgelegten Unterlagen des Bauantrags bzw. die vorgelegten Bauvorlagen inhaltliche Mängel aufweisen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Bauaufsichtsbehörde muss einen Mangel im Nachforderungsverlangen genau bezeichnen, um den Bauherrn in die Lage zu versetzen, die Berechtigung der geforderten Nachbesserung des Bauantrags zu überprüfen und Mängel abzustellen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anfechtungsklage gegen Nachforderungsverlangen, Statthaftigkeit der Klage, Unvollständigkeit oder sonstiger erheblicher Mangel des Bauantrags, Nachforderung eines Abstandsflächenplans, Bestimmtheit des Nachforderungsverlangens, Rücknahmefiktion, Rechtsänderung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41312
Tenor
I. Der Bescheid des Landratsamts W. vom 26. August 2021 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich gegen die Einstellung ihres Bauantrags.
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1. Mit Schreiben vom 27. Februar 2015, bei der Gemeinde U. eingegangen am 15. April 2015, stellten die Kläger einen Bauantrag für den Umbau eines Mehrfamilienwohnhauses, die Nutzungsänderung eines Nebengebäudes und den Neubau eines Wohngebäudes auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung U., S. …, … U. Bei dem Bauvorhaben gehe es um die Sanierung des Bestandsgebäudes mit Einbau von zwei Dachgauben im Dachgeschoss. Für das Nebengebäude ist in Erd- und Obergeschoss eine Nutzungsänderung zu Wohnzwecken geplant. Ferner ist eine Neubebauung im Anschluss an das Nebengebäude vorgesehen. Neben den bestehenden drei Wohnungen sollen insgesamt drei zusätzliche Wohneinheiten geschaffen werden. Für die Abstandsflächen des Bestandsgebäudes auf der Nordseite wurde eine isolierte Abweichung beantragt.
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Aufgrund geäußerter Bedenken des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Fachbereichs Immissionsschutz fanden zwischen den Klägern und dem Landratsamt am 3. August 2015 und am 29. Oktober 2015 Gespräche über eine Umplanung statt. Mit Schreiben der Kläger vom 23. Oktober 2016 erklärten die Kläger, die gewünschten Änderungen entsprechend den Vorgaben der Fachbehörden und des Bauamts vorgenommen zu haben. Mit Schreiben vom 14. November 2016 erwiderte das Landratsamt W., die beantragte Maßnahme sei aus planungsrechtlicher und abstandsflächenrechtlicher Sicht abzulehnen. Nach einem weiteren Gesprächstermin teilte das Landratsamt W. unter dem 20. Dezember 2016 den Klägern erneut Änderungserfordernisse für die Planunterlagen im Hinblick auf den Immissionsschutz und die Abstandsflächen mit.
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Mit Schreiben vom 9. Oktober 2017 legten die Kläger ergänzende Planunterlagen vor (Abstandsflächenplan). Die mit Bescheid des Landratsamts W. vom 10. Oktober 2017 erfolgte Einstellung des Baugenehmigungsverfahrens wurde mit Schreiben des Landratsamts vom 13. November 2017 zurückgenommen. Mit Schreiben vom 7. und vom 26. Dezember 2017 erklärten die Kläger, sie strebten eine einvernehmliche Lösung mit der Nachbarschaft an.
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Mit Schreiben vom 29. Juni 2020 bat das Landratsamt um Mitteilung, ob eine Einigung mit dem Nachbarn erzielt werden konnte und ob an der Durchführung des Vorhabens weiterhin Absicht bestehe. Die Kläger erwiderten mit E-Mail vom 29. Juli 2020, dass mit dem Nachbarn keine Einigung habe erzielt werden könne und dass keine Rücknahme des Bauantrags erfolge.
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Mit Schreiben vom 25. Januar 2021 wies das Landratsamt W. die Kläger erneut darauf hin, dass das Vorhaben nicht genehmigungsfähig sei. Die Zustimmung der Nachbarschaft liege nicht vor und es existierten noch weitere Genehmigungshindernisse (Stellungnahme des Amts für Landwirtschaft und Forsten, fehlendes Einvernehmen der Gemeinde). Zudem wurde auf die Änderung der Bayerischen Bauordnung zum 1. Februar 2021 hingewiesen, welche weitreichende Auswirkungen auf das Bauvorhaben haben dürfte. Es werde empfohlen, den Bauantrag zurückzuziehen und einen Bauantrag mit der aktuellsten Planung zu gegebener Zeit neu zu stellen. Ausweislich der Gesprächsnotiz vom 24. Februar 2021 teilte der Kläger zu 1) dem Landratsamt mit, dass das Bauvorhaben weiterhin umgesetzt werden solle. Ein Tekturplan liege vermutlich bis zum 30. Juni 2021 vor. Zudem wies das Landratsamt nochmals auf die Änderung des Abstandsflächenrechts zum 1. Februar 2021 hin.
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2. Mit Schreiben vom 26. August 2021, dem keine Rechtsbehelfsbelehrungbeigefügt war, forderte das Landratsamt W. die Kläger auf, einen aktualisierten Abstandsflächenplan bis zum 24. September 2021 vorzulegen. Um die Einhaltung der Abstandsflächen beurteilen zu können, benötige das Landratsamt einen Abstandsflächenplan nach aktueller Rechtslage. Sei der Abstandsflächenplan nach aktueller Rechtslage bis dahin nicht im Landratsamt eingegangen, gelte der unvollständige und damit nicht prüffähige Bauantrag gemäß Art. 65 Abs. 2 BayBO als zurückgenommen.
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3. Mit Schreiben vom 23. September 2021, beim Landratsamt W. ausweislich des Eingangsstempels eingegangen am 28. September 2021, teilten die Kläger mit, sie hätten das Schreiben des Landratsamts vom 26. August 2021 wegen urlaubsbedingter Abwesenheit erst am 11. September 2021 erhalten. Der Aufforderung zur Vorlage eines Abstandsflächenplans habe in der Kürze der Zeit nicht Rechnung getragen werden können. Die Anwendung des Art. 65 Abs. 2 BayBO werde als unangemessen zurückgewiesen. Zudem sei ihr Architekt der Auffassung, es habe keines gesonderten Abstandsflächenplans bedurft, da sich die Abstandsflächen aus dem Eingabeplan ergäben. Mit den Fachstellen Immissionsschutz und Amt für Landwirtschaft und Forsten sei eine Übereinkunft hinsichtlich textlicher Beauflagungen im Genehmigungsbescheid erzielt worden. Im Übrigen habe der Nachbar keine Genehmigung bezüglich der Lagerung von Gemüse mit Geruchsbelästigungen (Zwiebeln etc.) erhalten und müsse ebenfalls Rücksicht nehmen. Insoweit könne das Landratsamt abschließend über den Bauantrag entscheiden.
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Mit „Bescheid“ vom 13. Dezember 2021, der mit einer Rechtsbehelfsbelehrungversehen war und den Klägern am 14. Dezember 2021 zugestellt wurde, stellte das Landratsamt W. das Verfahren ein. Da die Mängel (Abstandsflächenplan nach aktueller Rechtslage) von den Bauherren nicht innerhalb der gesetzten, angemessenen Frist von einem Monat behoben worden seien, gelte der Bauantrag gem. Art. 65 Abs. 2 BayBO als zurückgenommen. Die Kläger seien auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden. Es sei nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde, die Abstandsflächen nach aktueller Rechtslage zu berechnen und zeichnerisch darzustellen. Ob die Bauherren das Schreiben erst zu einem späteren Zeitpunkt gelesen hätten, sei irrelevant. Der Bauantrag sei nicht prüffähig und damit unvollständig.
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4. Mit Schreiben vom 13. Januar 2022 erhoben die Kläger Klage mit dem Antrag,
den „Bescheid“ vom 13. Dezember 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Bearbeitung fortzuführen und die Kläger über das Ergebnis der rechtlichen Prüfung zu informieren.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Eine Erklärung, dass die fehlende Zustimmung der Nachbarschaft eingeholt werden solle, sei zu keiner Zeit abgegeben worden. Das Landratsamt hätte aktuelle Stellungnahmen der Fachbehörden einholen können. Das fehlende Einvernehmen der Gemeinde sei kein Genehmigungshindernis. Der eingereichte Abstandsflächenplan sei - wie der Bauantrag im Ganzen - nicht unvollständig und prüffähig. Die Entscheidung sei wegen der Erleichterungen der Abstandsflächenrechtsänderungen sogar einfacher gewesen. Eines neuen Abstandsflächenplans habe es nicht bedurft.
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5. Das Landratsamt W. beantragte für den Beklagten,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Es sei fraglich, ob die Klage zulässig sei. Der Einstellungsbescheid vom 13. Dezember 2021 habe nur deklaratorische Wirkung. Hiergegen sei kein Rechtsmittel statthaft. Das Rechtsschutzziel der Kläger hätten sie im Wege der Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung in Form der Untätigkeitsklage verfolgen müssen. Die Klage sei jedenfalls unbegründet, weil die Rücknahmefiktion des Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO eingetreten sei. Für die Entscheidung über Bauanträge sei die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ausschlaggebend. Um die Übereinstimmung des beantragten Vorhabens mit den Vorschriften des Art. 6 BayBO prüfen zu können, müsse ein Abstandsflächenplan nach der aktuellen Rechtslage vorgelegt werden. Dies sei nach Aufforderung nicht geschehen. Durch die Novellierung der BayBO im Februar 2021 habe sich nicht nur die Tiefe der Abstandsfläche auf i.d.R. 0,4 H geändert, sondern auch die Berechnung des Maßes der Tiefe. Es könne damit auch zu größeren Abstandsflächen als vor der Novellierung kommen. Die Abstandsflächen in den vorliegenden Planunterlagen seien jedoch nach dem alten Abstandsflächenrecht ermittelt worden. Zwar dürften sich vorliegend die Abstandsflächen wie im Regelfall verringern. Jedoch seien die Abstandsflächen nach Norden (ehem. Nebengebäude - zu Fl.Nr. ...2) bisher überhaupt nicht in den Planunterlagen dargestellt worden. Hier sei die abstandsflächenrechtliche Situation aber neu zu bewerten, da ein Nebengebäude zu Wohnraum umgenutzt und teilweise abgebrochen sowie eine geänderte Dachform errichtet werden solle. Diese Abstandsfläche komme vollständig auf dem Nachbargrundstück zu liegen. Außerdem solle die Grenzbebauung an dieser nördlichen Grenze zur Fl.Nr. ...2 um 1,57 m verlängert werden, wodurch zusätzliche Abstandsflächen anfielen. Ein diesbezüglicher Abweichungsantrag mit substantieller Begründung und korrekter Darstellung der Abstandsflächen sei bisher beim Landratsamt nicht eingegangen. Daneben seien nach wie vor neben der Vorlage von S. 4 der Baubeschreibung insbesondere noch die Einarbeitung von Anforderungen des Fachbereichs Immissionsschutz (vgl. Bl. 53 ff., 78 der Behördenakte) nicht erledigt. Der Beklagte sei selbstverständlich bereit, bei entsprechender Mitwirkung der Kläger und Nachreichung der fehlenden Unterlagen einen dann vollständigen Bauantrag zu prüfen und zu verbescheiden.
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6. Mit Erklärungen vom 3. Juni 2022 (Beklagtenseite) und vom 30. November 2022 (Klägerseite) teilten die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung mit.
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7. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die einschlägigen Behördenvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.
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1. Die Klage ist als Anfechtungsklage gegen die im Schreiben des Landratsamts W. an die Kläger vom 26. August 2021 enthaltene Aufforderung zur Vorlage eines aktualisierten Abstandsflächenplans zulässig.
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1.1. Statthafte Klageart ist allein eine Anfechtungsklage i.S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gegen das Schreiben des Landratsamts W. vom 26. August 2021 mit der darin enthaltenen Aufforderung zur Vorlage eines aktualisierten Abstandsflächenplans. Zwar wird im Falle der Rücknahmefiktion teilweise vertreten, dass der Bauherr nur die Möglichkeit habe, sich die Baugenehmigung mit der Verpflichtungsklage zu erstreiten. Teilweise wird auch vertreten, dass der Bauherr eine allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf die Fortführung des Baugenehmigungsverfahrens, erheben müsse oder den (Nicht-)Eintritt der Fiktion zum Gegenstand einer Feststellungsklage machen könne (vgl. zum Sach- und Streitstand Weinmann in BeckOK, Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, 23. Ed., Stand: 1.9.2022, Art. 65 Rn. 67 m.w.N.). All dem schließt sich die Kammer jedoch nicht an. Vielmehr stellt die behördliche Aufforderung zur Nachbesserung des Bauantrags bzw. der Bauvorlagen einen mit der Anfechtungsklage angreifbaren Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG dar; demgegenüber fehlt dem „Bescheid“ des Landratsamts W. vom 13. Dezember 2021 die für einen Verwaltungsakt erforderliche Regelungswirkung, weil der Bauantrag unmittelbar aufgrund der gesetzlichen Regelung des Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO als zurückgenommen gilt, weshalb die nachträglich erfolgte behördliche Verfahrenseinstellung - wie die Beklagtenseite in der Klageerwiderung zutreffend ausgeführt hat - rein deklaratorischer Natur ist und nicht als Verwaltungsakt mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann. Im Weiteren ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der daher allein maßgeblichen Aufforderung zur Mängelbehebung i.S.v. Art. 65 Abs. 2 BayBO zwar um eine Verfahrenshandlung handelt, gegen die gemäß § 44a VwGO grundsätzlich nur mit der Klage gegen die Sachentscheidung vorgegangen werden kann. Allerdings ist eine isolierte Anfechtbarkeit dann möglich, wenn die Verfahrenshandlung - wie hier - selbst unmittelbare Rechtswirkungen zu Lasten des Bauherrn über das Genehmigungsverfahren hinaus, innerhalb dessen sie vorgenommen wird, entfaltet, indem sie zur Rücknahmefiktion führt. Davon unabhängig besteht für den Bauherrn freilich die weiterreichende Möglichkeit, eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung in Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) zu erheben, etwa mit der Begründung, dass der Bauantrag vollständig sei bzw. keine erheblichen Mängel aufweise (vgl. zum Ganzen: Shirvani in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 147. EL August 2022, Art. 65 Rn. 201 ff.; Weinmann in BeckOK, Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, 23. Ed., Stand: 1.9.2022, Art. 65 Rn. 67 f. m.w.N.).
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Dies zugrunde gelegt, richtet sich vorliegend das Begehren der nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägerseite erkennbar auf die isolierte Anfechtung des einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG darstellenden Schreibens des Landratsamts W. vom 26. August 2021. In diesem Sinne lassen sich die in der Klageschrift vom 13. Januar 2022 und weiterhin in der Klagebegründung vom 5. April 2022 enthaltenen Klageanträge - wenngleich sie sich (auch) auf die Aufhebung „des Bescheids“ vom 13. Dezember 2021 beziehen - laiengünstig auslegen, da das Gericht an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist (§ 88 VwGO). Für eine weiterreichende Verpflichtungsklage - gerichtet auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung - ist hingegen kein Raum. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass die Klägerseite die abschließende Erteilung der Baugenehmigung überhaupt begehrt hätte; ihr war vielmehr allein daran gelegen, „die Bearbeitung [des Bauantrags] fortzuführen und die Kläger über das Ergebnis der rechtlichen Prüfung zu informieren“ (vgl. Ziffer 2 des Klageantrags im Schriftsatz vom 5.4.2022), was nicht zwingend im Wege der Verbescheidung des Bauantrags zu erfolgen hat. Im Übrigen wäre eine entsprechende Verpflichtungsklage vorliegend nicht zielführend, weil der Bauantrag schon deswegen als unvollständig anzusehen ist, weil der eingereichten Baubeschreibung zum Bauantrag (vgl. Bl. 8 ff. der Behördenakte) die Seite 4 einschließlich der erforderlichen Unterschriften fehlt (vgl. hierzu auch nachstehende Ausführungen unter Ziffer 2.2. der Entscheidungsgründe). Dementsprechend verbleibt es dabei, dass allein die statthafte Anfechtungsklage gegen das Schreiben des Landratsamts W. vom 26. August 2021 dem erkennbar gewordenen Rechtsschutzbegehren der Klägerseite entspricht.
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1.2. Die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist gewahrt. Da das angegriffene Schreiben des Landratsamts W. vom 26. August 2021 keine Rechtsbehelfsbelehrungenthielt, gilt anstelle der Monatsfrist die Jahresfrist (§ 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO), welche im vorliegenden Fall mit der Klageerhebung am 14. Januar 2022 unproblematisch gewahrt wurde.
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1.3. Nachdem keine weiteren Bedenken an der Zulässigkeit bestehen, erweist sich die Klage als zulässig.
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2. Die Klage ist auch begründet.
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Das im Schreiben des Landratsamts W. vom 26. August 2021 enthaltene Nachforderungsverlangen ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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2.1. Nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBO fordert die Bauaufsichtsbehörde den Bauherrn zur Behebung der Mängel innerhalb einer angemessenen Frist auf, wenn der Bauantrag unvollständig ist oder sonstige erhebliche Mängel aufweist. Die Regelung trägt dem Grundgedanken der verstärkten Eigenverantwortung des Bauherrn Rechnung. Gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO sind mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen. Die Bauaufsichtsbehörde soll sich nicht mit der Prüfung mangelhafter Bauanträge beschäftigen müssen; sie soll daher mit der Neuregelung von unnötiger Arbeit entlastet werden. Für den Fall unvollständiger oder sonst erheblich mangelhafter Bauanträge hat die Bauaufsichtsbehörde den Bauherrn zwingend zur Mängelbeseitigung binnen angemessener Frist aufzufordern (Shirvani in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 147. EL August 2022, Art. 65 Rn. 195; Weinmann in BeckOK, Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, 23. Ed., Stand: 1.9.2022, Art. 65 Rn. 51).
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Wesentliche Grundvoraussetzung für das Nachforderungsverlangen der Bauaufsichtsbehörde ist damit ein unvollständiger oder erheblich mangelhafter Bauantrag. Der Bauantrag ist grundsätzlich vollständig, wenn er einschließlich der Bauvorlagen den formellen Anforderungen des Art. 64 Abs. 2 BayBO i.V.m. BauVorlV entspricht. Er erweist sich deshalb u.a. dann als unvollständig, wenn er selbst die an ihn zu stellenden formellen und inhaltlichen Vorgaben nicht beachtet. Der Bauantrag weist sonstige erhebliche Mängel auf, wenn die vorgelegten Unterlagen des Bauantrags bzw. die vorgelegten Bauvorlagen inhaltliche Mängel aufweisen. Solche inhaltlichen Mängel - nicht zu verwechseln mit materiellen Mängeln - liegen beispielsweise vor, wenn das beantragte Vorhaben nicht hinreichend genau oder nicht so bezeichnet wurde, dass seine Vereinbarkeit mit den maßgeblichen Vorschriften geprüft werden kann. Die Aufforderung zur Nachbesserung der Bauaufsichtsbehörde hat zudem den Mangel genau zu bezeichnen und eine angemessene Frist zur Nachbesserung zu enthalten (Shirvani in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 147. EL Aug. 2022, Art. 65 Rn. 195 ff.; Weinmann in BeckO, Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, 23. Ed., Stand: 1.9.2022, Art. 65 Rn. 60).
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2.2. Den vorstehend geschilderten Anforderungen wird das streitgegenständliche im Schreiben des Landratsamts W. vom 26. August 2021 enthaltene Nachforderungsverlangen nicht gerecht.
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Es ist insbesondere nicht zu ersehen, dass der Bauantrag mit Blick auf die Abstandsflächenplanung der Klägerseite unvollständig oder mit einem sonstigen erheblichen Mangel behaftet wäre. Nach § 7 Abs. 3 BauVorlV muss der Lageplan, soweit dies zur Beurteilung des Bauvorhabens erforderlich ist, die Abstände der geplanten baulichen Anlage zu anderen baulichen Anlagen auf dem Baugrundstück und auf den benachbarten Grundstücken, zu den Nachbargrenzen sowie die Abstandsflächen der geplanten baulichen Anlagen und der bestehenden Anlagen auf dem Baugrundstück und den Nachbargrundstücken enthalten. Dem hat die Klägerseite durch Vorlage der Planunterlagen vom 17. Februar 2015 in ausreichender Weise Rechnung getragen. Aus dem in den Planunterlagen enthaltenen Lageplan und den Grundrisszeichnungen sind die zur Beurteilung des Bauvorhabens erforderlichen, klar gekennzeichnet Abstände und Abstandsflächen in nachvollziehbarer Weise ablesbar (vgl. Bl. 126 der Behördenakte). Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite erweist sich der Bauantrag nicht deshalb als unvollständig bzw. mit einem erheblichen Mangel behaftet, weil der in den Bauunterlagen enthaltene Abstandsflächenplan noch auf Grundlage der früheren, bis zum 1. Februar 2021 geltenden Rechtslage erstellt und nicht nachträglich an die zum maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung geltenden, neuen Rechtslage angepasst wurde. Die das Abstandsflächenrecht betreffende Rechtsänderung hat nämlich - was von der Beklagtenseite auch nicht in Abrede gestellt wird - im Wesentlichen eine Verkürzung der Abstandsflächen zur Folge (vgl. Art. 6 Abs. 5 BayBO n.F.), so dass die in den Planunterlagen eingezeichneten Flächen allenfalls zu tief sind. In einer sich daraus ergebenden inhaltlichen Unrichtigkeit der eingezeichneten Abstandsflächentiefe ist aber kein Verstoß gegen die formellen Anforderungen der BauVorlV und daher auch keine Unvollständigkeit des Bauantrags zu erkennen. Ein erheblicher sonstiger Mangel läge nur vor, wenn der Antrag infolge der eingetretenen Rechtsänderung nicht mehr prüffähig wäre. Es ist hier weder durch die Beklagtenseite aufgezeigt worden noch anderweitig ersichtlich, dass die Prüffähigkeit der Abstandsflächen im vorliegenden Einzelfall wesentlich eingeschränkt oder gar ausgeschlossen sein könnte; vielmehr hält die Kammer die Prüfung der Einhaltung von Abstandsflächen ungeachtet der eingetretenen Rechtsänderung für möglich, weil die Einhaltung der sich nach neuer Rechtslage ergebenden Abstandsflächen anhand der in der Bauakte enthaltenen Bauunterlagen und der sich daraus ergebenden Abstände (vgl. Bl. 126 der Behördenakte) zweifelsfrei ohne zusätzliche Angaben der Bauherrenseite bestimmt werden kann.
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Soweit die Beklagtenseite im Rahmen der Klageerwiderung weiterhin hervorgehoben hat, dass die Abstandsfläche vom Bestandsgebäude nach Norden hin fehlerhaft nicht eingezeichnet worden sei, insbesondere, wenn man von einer abstandsflächenrechtlichen Neubetrachtung des Bestandsgebäudes und von dem Erfordernis einer Abweichung ausginge, vermag auch dies das Nachforderungsverlangen nicht zu rechtfertigen. Dabei kann offenbleiben, ob unter diesem Gesichtspunkt überhaupt ein Verstoß gegen die formellen Anforderungen der BauVorlV vorliegen kann oder ob hinter der Nichteinzeichnung der besagten Abstandsfläche allein die materiell-rechtliche Auffassung der Klägerseite steht, dass entweder keine abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung erforderlich oder dass das Abstandsflächenrecht insoweit mit Blick auf eine eventuelle faktische, halboffene Bauweise überhaupt nicht anwendbar sei (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO). Denn unabhängig davon fehlt es insoweit jedenfalls an der weiteren Voraussetzung, dass die Bauaufsichtsbehörde den Mangel im Nachforderungsverlagen genau bezeichnen muss, um den Bauherrn in die Lage zu versetzen, die Berechtigung der geforderten Nachbesserung zu überprüfen und die Mängel abzustellen (Shirvani in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 147. EL Aug. 2022, Art. 65 Rn. 196). Das Landratsamt W. hat im Schreiben vom 26. August 2021 auf diesen speziellen Umstand nämlich nicht explizit hingewiesen, weshalb für die Kläger auch nicht die Möglichkeit bestanden hat, das Nachforderungsverlangen unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfen, geschweige denn, den beanstandeten Mangel innerhalb der gesetzten Frist zu beheben.
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Soweit die Beklagtenseite schließlich auf die teils fehlende und nicht unterschriebene Baubeschreibung zum Bauantrag hinweist, ist zwar zuzugestehen, dass darin zwar eine Unvollständigkeit des Bauantrags zu erkennen ist, da die Baubeschreibung nach Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. §§ 3 Nr. 3, 9 BauVorlV vorzulegen und gemäß Art. 64 Abs. 4 Satz 1 BayBO zu unterschreiben ist. Auch insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Landratsamt W. im Schreiben vom 26. August 2021 auf diesen Umstand nicht - wie erforderlich - eigens hingewiesen und damit den Mangel nicht hinreichend genau bezeichnet hat.
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2.3. Somit erweist sich die behördliche Nachforderung im Schreiben vom 26. August 2021 als rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Infolgedessen ist die gesetzliche Rücknahmefiktion nach Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO nicht eingetreten und das Verwaltungsverfahren zu dem bis dahin eingetretenen Stand fortzuführen.
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3. Nach alledem war der Anfechtungsklage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.