Titel:
Begründeter Anspruch auf Erteilung des Titels "Fachanwalt für Arbeitsrecht"
Normenketten:
BRAO § 43c Abs. 1, Abs. 2
FAO § 5 Abs. 1 lit. c, Abs. 4, § 7, § 10, § 24 Abs. 4 S. 4
GG Art. 12 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Nach § 5 Abs. 4 FAO können Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle zu einer höheren oder niedrigeren Gewichtung führen. Wie diese Regelung zeigt, gehen die Vorgaben von Fällen aus, die gemessen an ihrer Bedeutung, ihrem Umfang und ihrem Schwierigkeitsgrad von durchschnittlichem Gewicht sind. Ein Bewerber muss daher, etwa durch einen hinreichend aussagekräftigen Fallbeschrieb, belegen, dass den bearbeiteten Fällen insgesamt betrachtet mindestens das gleiche Gesamtgewicht zukommt wie der vorgegebenen Anzahl durchschnittlicher Mandate. (Rn. 54 – 59) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer Fachanwaltsbezeichnung handelt es sich nicht um eine Berufsbezeichnung mit Ausschließlichkeitsanspruch. Die zugehörigen Regelungen über die Voraussetzungen und das Anerkennungsverfahren betreffen nicht die Freiheit der Berufswahl, sondern lediglich die Ausübung des Berufs eines Rechtsanwalts und sind daher an Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG zu messen. (Rn. 66 – 68) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch in einem gerichtlichen Verfahren zur Fachanwaltszulassung können grundsätzlich noch Fälle, die bearbeitet wurden, nachgemeldet werden. Zu beachten ist lediglich, dass jedoch nur solche Fälle berücksichtigt werden, die innerhalb des für den Antrag maßgeblichen dreijährigen Referenzzeitraums bearbeitet wurden. (Rn. 82 – 87) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fachanwaltsbezeichnung, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Verleihungsurkunde, Versorgungszusagefälle, Belehrungspflicht, Fachausschuss, Fachgespräch
Fundstellen:
BRAK-Mitt 2023, 42
BeckRS 2022, 41274
NJOZ 2023, 439
LSK 2022, 41274
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 17.06.2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Fachanwaltsbezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu verleihen und ihm die Verleihungsurkunde auszuhändigen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
V. Der Streitwert wird auf 12.500,- EURO festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger begehrt gegenüber der Beklagten die Erteilung der Befugnis, die Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu führen gemäß § 43c Abs. 1 BRAO.
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1. Ein entsprechender Antrag des Klägers vom 31.01.2019 ging bei der Beklagten am 01.02.2019 ein. Ihm waren u.a. zwei Falllisten beigefügt, von denen eine außergerichtliche Verfahren und eine gerichts- und rechtsförmliche Verfahren enthielt.
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a) Mit Schreiben vom 07.02.2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, bei der Überprüfung des Antrags sei aufgefallen, dass die in den Listen enthaltenen Fälle hinsichtlich Gegenstand sowie Art und Umfang der Tätigkeit kaum unterscheidbar seien. Es werde dahingehend um Überarbeitung gebeten.
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b) Hierauf übermittelte der Kläger mit Schreiben vom 04.03.2019, bei der Beklagten eingegangen am 06.03.2019, auf den 01.02.2019 als Tag des Antragseingangs neu datierte und von ihm als "geschärft" bezeichnete Falllisten. Zu diesen teilte der Kläger mit, dass vielen der in der Liste der gerichts- und rechtsförmlichen Verfahren beschriebenen Fällen ein ähnlicher, aber nicht gleicher Lebenssachverhalt aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung zugrunde liege. Ausnahmslos alle diese Fälle unterschieden sich zumindest über ein verschiedenes gerichtliches Aktenzeichen. Es handele sich um Arbeitnehmermandate, wobei unter jedem gerichtlichen Aktenzeichen ein personenverschiedener Mandant (Arbeitnehmer) geführt worden sei. Arbeitgeber seien verschiedene Großbetriebe gewesen. Zudem habe es sich jeweils um verschiedene zu beurteilende Tatsachen gehandelt. In jedem Fall habe die individuelle Situation jedes Mandanten in Bezug auf die jeweilige individuelle Überführung seiner Anwartschaft aus betrieblicher Altersversorgung in eine Unterstützungskasse geprüft und bewertet werden müssen, hätten eigene versicherungsmathematische Berechnungen mit in jedem einzelnen Fall verschiedenen Zahlen vorgelegen und habe mit jedem Mandanten gerade auch zu seiner jeweiligen individuellen Situation korrespondiert werden müssen. In jedem Einzelfall seien jeweils diverse Rechtsfragen unter Berücksichtigung jedes individuellen Einzelfalls bzw. Mandanten zu beurteilen gewesen, insbesondere bezüglich betrieblicher Altersversorgung (insbesondere Betriebsrentengesetz), Vertragsrecht, AGBrechtlicher Problematik, Anfechtungstatbeständen (häufig inklusive arglistiger Täuschung) sowie Schadensersatzansprüchen.
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Mit Blick auf eine etwaige Gewichtung der Fälle aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung gemäß § 5 Abs. 4 FAO nach Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle vertrat der Kläger im Schreiben die Auffassung, dass es sich in jedem einzelnen Fall um eine tatsächlich und rechtlich äußerst komplexe Angelegenheit von hoher Schwierigkeit gehandelt habe. Auch in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal "Bedeutung" sei eine deutlich überdurchschnittliche Bewertung veranlasst. So hätten die versicherungsmathematischen Berechnungen in jedem Einzelfall in aller Regel Vermögenswerte im sechsstelligen Euro-Bereich ergeben. Der "Umfang" sei überdurchschnittlich auch im Hinblick darauf, dass sich eine erhebliche Anzahl der Fälle über mehrere Instanzen bis zum Bundesarbeitsgericht erstreckt habe. Eine etwaige Gewichtung sei daher mit einem Faktor von deutlich mehr als "1" vorzunehmen, zumindest mit "2".
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Der Kläger trug weiter vor, dass er den Fällen aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung über einen Zeitraum von mehreren Jahren ca. seit März 2013 bis zu ihrem Abschluss, der in vielen Fällen erst wenige Monate zurückliege, ca. 80 Prozent seiner Arbeitsleistung in Vollzeit gewidmet und ausschließlich wegen dieser Mandate eine Rechtsanwaltsgesellschaft ("Herbert Koller Rechtsanwaltsgesellschaft mbH") gegründet habe. Im Hinblick auf Art. 12 GG müsse daher berücksichtigt werden, dass er über all diese Jahre wegen Erschöpfung seiner Arbeitskraft praktisch überhaupt keine Möglichkeiten gehabt habe, weitere Mandate zu akquirieren bzw. zu bearbeiten. Eine Versagung der Fachanwaltsverleihung aufgrund einer zu großen Abwertung dieser Fälle verstoße daher gegen Art. 12 GG.
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Mit Blick auf die Möglichkeit einer Nachmeldung gemäß § 24 Abs. 4 Satz 1 FAO wies der Kläger ferner darauf hin, dass er eine erhebliche Anzahl von Fällen aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung mit dem dargestellten ähnlichen Lebenssachverhalt nicht in die Falllisten aufgenommen habe, um diese nicht unnötig aufzublähen.
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c) Die Beklagte befasste sodann ihren zuständigen Fachausschuss, der den Antrag in einer Sitzung am 24.06.2019 behandelte. Der Berichterstatter des Ausschusses unterrichtete darauf mit Schreiben vom 27.06.2019 den Kläger davon, dass nach der vorläufigen, nicht abschließenden Meinung des Fachausschusses eine deutliche Mindergewichtung der Fälle angezeigt sei. Der vorgelegten Liste seien im Wesentlichen zwei Fälle zu entnehmen. Der eine sei beschrieben als "Klage auf variable Vergütung für diverse Geschäftsjahre auf Grundlage Arbeitsvertrag und kollektivrechtlicher Regelungen/Dienstvereinbarungen zur variablen Vergütung", der andere als "Klage gegen Arbeitgeber auf Abschluss einer vertraglichen Versorgungszusage nach Überführung von Anwartschaft in Unterstützungskasse, Berufungs- und Revisionsverfahren". Nachdem die verfolgten Ansprüche in beiden Fallgruppen laut den zugehörigen Ausführungen auf kollektivrechtlichen Regelungen beruhten, könne es sich jeweils um die identische Anwendung der immer gleichen kollektivrechtlichen Regelung gehandelt haben, auch wenn Arbeitnehmer vertreten wurden. Der Ausschuss gewähre Gelegenheit zur Überarbeitung der Listen bis zum 31.08.2019. Hierzu könnten entweder Fälle nachgemeldet werden, sofern sich dadurch der Drei-Jahres-Zeitraum nicht verschiebe, oder die Liste überarbeitet und deutlich gemacht werden, wodurch sich die Fälle unterscheiden und warum sie die Bereiche gemäß § 5 Abs. 1c FAO in der oben beschriebenen Art und Weise abdecken.
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d) In seinem Antwortschreiben vom 08.08.2019 verwies der Kläger u.a. darauf, dass sich aus dem Schreiben vom 27.06.2019 nicht ergäbe, wie der Fachausschuss eine Gewichtung der Fälle konkret vornehmen wollen würde. Der Regelung des § 24 Abs. 4 FAO sei für eine etwaige Nachmeldung von Fällen zu entnehmen, dass ggf. in einem ersten Schritt der Fachausschuss dem Antragsteller die konkrete Mindergewichtung und die Gründe dafür mitteilen und der Antragsteller dann in einem zweiten Schritt die Möglichkeit zur Nachmeldung von Fällen erhalten solle. Auf die Einhaltung dieser Reihenfolge werde nicht verzichtet. Zu einer Nachmeldung von Fällen werde daher derzeit keine Möglichkeit gesehen.
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Zur Bedeutung kollektivrechtlicher Regelungen teilte der Kläger zur Fallgruppe der Klagen auf Abschluss einer vertraglichen Versorgungszusage mit, dass Anspruchsgrundlage jeweils der individuelle Arbeitsvertrag in Verbindung mit betrieblicher Übung gewesen sei, mithin gerade keine kollektivrechtliche Regelung. Zudem seien in jedem Einzelfall mögliche individualrechtliche Zusagen zu prüfen gewesen. Lediglich das Schicksal der überführten Anwartschaften aus betrieblicher Altersversorgung habe sich nach kollektivrechtlichen Regelungen beurteilt.
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e) Nachdem der Antrag daraufhin durch den Fachausschuss der Beklagten in einer Sitzung am 16.10.2019 erneut erörtert worden war, teilte der Vorsitzende des Fachausschusses dem Kläger mit Schreiben vom 17.10.2019 mit, dass nach wie vor Zweifel am Erreichen der erforderlichen Mindestfallzahl von 50 gerichtlichen bzw. rechtsförmlichen Verfahren bestünden. Die Fälle Nr. 2, 4 bis 45 und 51 bis 111 beträfen allesamt die wortlautidentisch beschriebenen Klagen von Arbeitnehmern gegen den Arbeitgeber auf Abschluss einer vertraglichen Versorgungszusage. Der Fachausschuss neige (unter Bezugnahme auf den Beschluss des BGH vom 25.09.2013, AnwZ (Brfg) 52/12, BeckRS 2013, 18832) dazu, diese Fälle als einen Fall zu bewerten. Selbst unter Zugrundelegung einer abweichenden Mindergewichtung sei nach derzeitiger Auffassung des Fachausschusses allenfalls eine Gewichtung des ersten Falles mit "1" und aller weiteren Falle mit "0,2" angezeigt. Eine ähnliche Fragestellung ergebe sich aufgrund der ebenfalls nahezu identischen Fallbeschreibung für die Fälle Nr. 3, 46-50 ("Klagen auf variable Vergütung"). Der Fachausschuss gebe Gelegenheit, die Versorgungszusagefälle ausführlich zu beschreiben, und zwar dahingehend, inwieweit diesen Fällen jeweils ein unterschiedlicher Lebenssachverhalt zugrunde lag und inwieweit sich die maßgeblichen Rechtsfragen der einzelnen Fälle voneinander unterschieden haben. Dem Antragsteller stehe es frei, hierzu aussagekräftige Arbeitsproben vorzulegen. Hierzu werde eine Ausschlussfrist bis 13.12.2019 gesetzt.
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f) Der Kläger reagierte hierauf mit Schreiben vom 12.12.2019: Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Ausschuss nunmehr dazu neige, die Gruppe der Versorgungszusagefälle als einen Fall zu bewerten, während im Schreiben vom 27.06.2019 noch mitgeteilt worden sei, dass der Ausschuss jeden einzelnen der insgesamt 131 Fälle der beiden Falllisten als einen Fall werten wolle und in Bezug auf die zwei Fallgruppen lediglich über eine deutliche Mindergewichtung nachdenke. Er, der Kläger, habe in seinen früheren Schreiben bereits ausführlich dargelegt, worin sich die Einzelfälle aus der Gruppe der Versorgungszusagefälle unterschieden. Der im Schreiben vom 17.10.2019 einzig zu entnehmenden Auflage, ausführlich zu beschreiben, inwieweit diesen Fällen jeweils ein unterschiedlicher Lebenssachverhalt zugrunde lag und inwieweit sich die maßgeblichen Rechtsfragen der einzelnen Fälle voneinander unterschieden haben, sei längst umfassend nachgekommen worden.
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g) Durch den Vorsitzenden des Fachausschusses wurde der Kläger sodann mit Schreiben vom 18.12.2019 um Klarstellung gebeten, ob das Schreiben vom 12.12.2019 als abschließende Stellungnahme aufzufassen sei und demnach keine weiteren Erklärungen mehr zum Schreiben vom 17.10.2019 abgegeben werden sollen. In diesem Fall werde der Fachausschuss nach Aktenlage entscheiden und das Votum mit der Akte der Rechtsanwaltskammer vorlegen. Mit Schreiben vom 23.12.2019 teilte der Kläger dem Vorsitzenden des Fachausschusses hierauf mit, dass er sich derzeit nicht in der Lage sehe, weiter Stellung zu nehmen. In seiner Sitzung vom 12.02.2020 gab der Fachausschuss gegenüber dem Vorstand der Beklagten die Empfehlung ab, den Antrag des Klägers abzulehnen. In seiner Sitzung vom 26.03.2020 beschloss der Vorstand der Beklagten, den Antrag des Klägers abzulehnen. Ein entsprechender Bescheid an den Kläger erging zunächst nicht.
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2. Der Kläger erhob unter dem 24.04.2020 Untätigkeitsklage gegen die Beklagte hinsichtlich seines Antrags auf Erteilung der Fachanwaltsbezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht". Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 17.06.2020, die Klage abzuweisen. Zur Begründung verwies sie auf einen unter dem gleichen Datum ergangenen Bescheid, mit welchem die Beklagte den Antrag des Klägers vom 01.02.2019 ablehnte. Mit Schriftsatz vom 14.10.2020, beim Anwaltsgerichtshof eingegangen am 15.10.2020, hat der Kläger daraufhin seine Anträge an den Verfahrensstand angepasst und neu begründet.
- 1.
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Der Bescheid der Beklagten vom 17.06.2020 wird aufgehoben.
- 2.
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Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Fachanwaltsbezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu verleihen und ihm die Verleihungsurkunde auszuhändigen.
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Mit Schriftsatz vom 08.12.2020, beim Anwaltsgerichtshof eingegangen am selben Tag, hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie weiterhin beantragt, die Klage abzuweisen.
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3. Zur Begründung des Ablehnungsbescheids vom 17.06.2020 hat sich die Beklagte auf §§ 2 Abs. 1 und 2, 5 Satz 1 lit. c i.V.m. 10, 6 Abs. 3, 22 FAO berufen und ausgeführt, dass es dem Antragsteller nicht gelungen sei, die erforderlichen besonderen praktischen Erfahrungen nachzuweisen. § 5 Satz 1 lit. c FAO setze für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung für Arbeitsrecht den Nachweis von 100 Fällen aus den in § 10 Nr. 1 und 2 FAO bestimmten Bereichen voraus, davon mindestens die Hälfte gerichts- oder rechtsförmliche Verfahren. Der Antragsteller habe jedoch keine 50 gerichts- oder rechtsförmliche Verfahren nachgewiesen. Von den 112 eingereichten gerichts- bzw. rechtsförmlichen Verfahren könnten vielmehr nur 29,6 Fälle als gerichtliche Fälle anerkannt werden.
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Anerkannt würden die Fälle Nr. 1 und 112 der eingereichten gerichtlichen/rechtsförmlichen Fälle als zwei Fälle. Weiterhin anerkannt werde Fall Nr. 2, der im Hinblick auf die beschriebene besondere Schwierigkeit der Fragestellungen und der Bewältigung in mehreren Instanzen mit dem Faktor "2"bewertet werde. Die Fälle Nr. 4 bis 45 und 51 bis 111, die von den Fallbeschreibungen ausgehend eine vollständige Überschneidung von Sachverhalten und Rechtsfragen mit Fall Nr. 2 aufwiesen, würden mit dem Faktor "0,2" minder gewichtet. Von den Fällen Nr. 2, 4 bis 45 und 51 bis 111 könnten somit insgesamt 22,6 Fälle (2 + 8,4 + 12,2) anerkannt werden.
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Grundlage für die Bewertung der genannten Fälle mit dem Faktor "0,2" seien die Fallbeschreibung in den vorgelegten Falllisten als auch die Ausführungen in den Schreiben des Antragstellers. Die genannten Fälle seien inhaltlich wortlautidentisch beschrieben worden. Das Anlagedatum sei in einer Vielzahl der Fälle am gleichen Tag erfolgt. Auch das Beendigungsdatum sei in zahlreichen Fällen identisch. Selbst wenn aufgrund der Tatsache verschiedener Kläger individualrechtliche Besonderheiten zu berücksichtigen gewesen seien, so ändere dies nichts daran, dass aufgrund der erheblichen Überschneidungen das Gewicht jedes einzelnen Falles erheblich reduziert sei hinsichtlich Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der Sache. Dafür spreche auch, dass die Fälle beim Bundesarbeitsgericht einer "führenden" Sache (Aktenzeichen 3 AZR 582/15 vom 15.11.2016) mit Parallelentscheidungen zugeordnet worden seien. Allein der Umstand, dass in den Verfahren keine Personenidentität geherrscht habe und verschiedene gerichtliche Aktenzeichen vergeben worden seien, rechtfertige nicht die Bewertung der Fälle mit dem Faktor "1". Es komme entscheidend darauf an, ob bei verständiger Würdigung aller Umstände von einem einheitlichen Lebenssachverhalt auszugehen sei. Nach den vorgelegten Unterlagen und Ausführungen handele es sich um sog. Serienfälle, die zwar im Grundsatz als eigenständiger Fall anzusehen seien, aber minder gewichtet werden könnten, wenn die Sachverhalte und die zu beurteilenden Grundlagen immer wiederkehren.
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Trotz mehrfacher Aufforderungen, die Unterschiede der einzelnen Fälle herauszustellen, habe der Antragsteller seine Ausführungen auf rechtlich-theoretische Ausführungen zu der Gewichtung von Fällen beschränkt und im Übrigen allgemein vorgetragen, dass die Fälle jeweils verschiedene zu beurteilende Tatsachen oder diverse Rechtsfragen betroffen hätten. Zudem seien die Ausführungen nicht widerspruchsfrei: Bei der in den Ausführungen beschriebenen kollektivrechtlichen Grundlage sei ein wesentlicher Kernbestandteil in jedem einzelnen Fall identisch. Worin die individualrechtlichen Unterschiede lagen, werde aus den Ausführungen nicht deutlich. Die Nachweispflicht für die erforderlichen praktischen Erfahrungen treffe den Antragsteller, der Zweifel an der Aussagekraft der Angaben in der Fallliste zum Beispiel durch Vorlage von Arbeitsproben zu beseitigen habe. Der entsprechenden Aufforderung des Fachausschusses sei der Antragsteller nicht nachgekommen.
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Anerkannt würden ferner die Fälle Nr. 3, 49 und 50, bei denen in der Fallliste jeweils "Vergleichsverhandlungen" bei Art und Umfang der Tätigkeit genannt seien. Im Rahmen von Vergleichsverhandlungen seien in der Regel individuelle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, weshalb eine hinreichende Unterscheidbarkeit der Fälle unterstellt werde. Der Fall Nr. 46 werde ebenfalls anerkannt. Die Fälle Nr. 47 und 48 würden hingegen aufgrund der wortlautidentischen Beschreibung der Fälle zu Fall Nr. 46 mit dem Faktor "0,5" mindergewichtet. Ein individuelles Merkmal oder eine individuelle Unterscheidbarkeit wie aufgrund der genannten "Vergleichsverhandlungen" sei dort aus den Fallbeschreibungen nicht ersichtlich.
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4. In seiner Klagebegründung vom 14.10.2020 hat der Kläger ausgeführt, dass der Bescheid der Beklagten vom 17.06.2020 rechtswidrig sei, sowohl weil das vom Gesetz vorgesehene Verfahren nicht eingehalten worden sei, als auch aus materiellen Gründen. Dem Kläger sei der geforderte Fachanwaltstitel zu verleihen, weil alle gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt seien.
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Zum Verfahren hat der Kläger insbesondere vorgetragen, dass er unter den gesetzlichen Voraussetzungen der FAO bereit sei, Fälle nachzumelden. Zu dem durch § 5 Abs. 4 und § 24 Abs. 4 Satz 1 FAO vorgegebenen Verfahren gehöre jedoch, dass die Gründe für die vorgenommene Gewichtung mitgeteilt werden und der Antragsteller schon im Antragsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme erhält. Die Beklagte sei aber offenbar der Meinung, dass dem Kläger eine Nachmeldung von Fällen nach § 24 Abs. 4 FAO schon zuzumuten sei, bevor die Beklagte dem Kläger im Einzelnen mitgeteilt habe, wie sie gemäß § 5 Abs. 4 FAO eine Gewichtung nach "Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle" vorgenommen habe. Bereits im Antragsverfahren habe er der Beklagten mitgeteilt, dass er auf die Einhaltung der umgekehrten Reihenfolge nicht verzichten wolle.
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Eine substantiierte Auseinandersetzung der Beklagten mit den Kriterien des § 5 Abs. 4 FAO sei weder im Verfahren noch im Bescheid ersichtlich. Die Beklagte zitiere lediglich abstrakt die Kriterien nach § 5 Abs. 4 FAO (Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit), ohne eine Subsumtion unter diese drei Tatbestandsmerkmale detailliert vorzunehmen.
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Zudem habe die Beklagte vom Kläger zunächst etwa gemäß Schreiben vom 17.10.2019 erwartet, dass er sich mit einer Auflage zum Thema "Lebenssachverhalt" auseinandersetze bzw. mit der Frage, ob überhaupt verschiedene Fälle vorliegen oder nicht. Im angefochtenen Bescheid habe die Beklagte jedoch einen völlig anderen Weg beschritten, nämlich verschiedene Fälle angenommen, diese aber abgewichtet. Das Thema Gewichtung habe die Beklagte im Schreiben vom 17.10.2019 nur in einem lapidaren Halbsatz angesprochen; den Faktor "0,2" bzw. "0,5" habe sie dort ohne jede Argumentation in den Raum gestellt. Aus diesem Grund habe sich der Kläger in seinem letzten Antwortschreiben vom 12.12.2019 überhaupt nicht veranlasst sehen können, noch weiter zu Fragen der Gewichtung auszuführen.
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Soweit im Bescheid ausgeführt werde, der Kläger sei einer Aufforderung des Fachausschusses zur Vorlage von Arbeitsproben nicht nachgekommen, sei dies falsch. Im Schreiben des Vorsitzenden des Fachausschusses vom 17.10.2019 heiße es lediglich: "Es steht Ihnen frei, hierzu aussagekräftige Arbeitsproben vorzulegen."
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In materieller Hinsicht hat der Kläger u.a. insbesondere auf folgende Gesichtspunkte hingewiesen:
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Bzgl. des Falls Nr. 2 gehe die Beklagte offensichtlich davon aus, dass es sich um einen der Versorgungsrechtsfälle mit ähnlichem Lebenssachverhalt handele. Dies sei offen-sichtlich falsch. Nur rein zufällig liege mit dem auch tangierten Rechtsgebiet der betrieblichen Altersversorgung eine geringfügige Überschneidung vor. Betriebsvereinbarungen könne es grundsätzlich nur bei Arbeitgebern in privatrechtrechtlicher Rechtsform geben, Dienstvereinbarungen nur bei Arbeitgebern im öffentlich-rechtlichen Bereich. Auch ein verschiedener Inhalt der Betriebsvereinbarungen im Vergleich zu den Dienstvereinbarungen ergebe sich deutlich aus der Fallliste.
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Die durch die Beklagte erstmals im Bescheid eingeführten Argumente seien nicht geeignet, die vorgenommene Gewichtung zu tragen. So stelle sie darauf ab, dass die Fälle inhaltlich wortlautidentisch beschrieben worden seien, sowie auf das "Anlagedatum" und das "Beendigungsdatum". Das Anlagedatum und das Beendigungsdatum seien jedoch ersichtlich keine Kriterien nach § 5 Abs. 4 FAO.
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Der Bescheid enthalte ferner einen Wertungswiderspruch insofern, als die Fälle Nr. 3, 49 und 50, bei denen in der Fallliste bei Art und Umfang der Tätigkeit jeweils "Vergleichsverhandlungen" genannt seien, jeweils anerkannt, d.h. mit dem Faktor 1,0 bewertet worden seien. Bei den 102 Fällen aus der Gruppe der Versorgungsrechtsfälle seien ebenfalls solche "Vergleichsverhandlungen auf Basis kollektivrechtlicher Regelungen/Dienstvereinbarungen" genannt. In mehr als ca. 20 dieser Fälle seien sogar Vergleiche abgeschlossen worden; deren Nachmeldung behalte er sich vor. Aus diesem Grund sei jeder einzelne der 102 Fälle ebenfalls mit dem Faktor 1,0 zu bewerten.
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Der Kläger hat weiter vorgetragen, dass er, wie er im Verfahren bereits mitgeteilt habe, zur Nachmeldung einer gewissen Anzahl von Fällen bereit sei; er bitte um entsprechenden gerichtlichen Hinweis.
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5. In Ihrer Erwiderung vom 08.12.2020 hat die Beklagte ihr Verfahren als ordnungsgemäß bezeichnet. Hierzu hat sie u.a. vorgetragen, dass der Fachausschuss dem Kläger mehrmals die Möglichkeit gegeben habe, die Fallbeschreibungen zu konkretisieren und die Unterschiede zwischen den einzelnen vom Kläger vorgelegten Fällen darzulegen. Die Möglichkeit einer Nachmeldung von Fällen gemäß § 24 Abs. 4 Satz 1 FAO sei dem Kläger bereits durch den Berichterstatter des Fachausschusses mit Schreiben vom 27.06.2019 ausdrücklich aufgezeigt worden. Die Nachforderungen des Fachausschusses seien konkret und nachvollziehbar gewesen.
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Materiell-rechtlich gelinge es dem Kläger nicht, einen Nachweis über die von der FAO geforderten besonderen praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts zu erbringen. Die Beschreibungen der Versorgungszusagefälle erweckten den Anschein, dass es sich um gleichförmige Fälle gehandelt habe, die eine Mindergewichtung rechtfertigen.
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Im Bescheid sei auch ausführlich erläutert worden, weshalb Fall Nr. 2 der vorgelegten gerichts- oder rechtsförmlichen Verfahren mit dem Faktor "2" höher bewertet wurde. Die mit dem Faktor 0,2 bewerteten Fälle wiesen ausgehend von den Fallbeschreibungen eine vollständige Überschneidung von Sachverhalten und Rechtsfragen mit Fall Nr. 2 auf. Die vom Kläger ins Feld geführte Tatsache, dass bei Fall Nr. 2 Betriebsvereinbarungen relevant waren, bei den Fällen Nr. 4 bis 45 und 51 bis 111 hingegen Dienstvereinbarungen, stehe dem nicht entgegen.
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Die im Sinne des § 5 Abs. 4 FAO vorgenommene Gewichtung der Fälle sei hinreichend begründet worden. Der Kläger verkenne, dass er durch seine Fallbeschreibungen die Grundlage für die Gewichtung lege. Wenn er nur pauschale Fallbeschreibungen ohne hinreichenden Bezug auf den Einzelfall vorlege, mache er selbst es dem Fachausschuss unmöglich, eine Bewertung des einzelnen Falles vorzunehmen.
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Die Behauptung eines Wertungswiderspruchs im Bescheid betreffend die Anerkennung der Fälle Nr. 3, 49 und 50 hat die Beklagte zurückgewiesen: Diese habe man anerkannt, da wegen der bei Art und Umfang der Tätigkeit jeweils genannten "Vergleichsverhandlungen" eine hinreichende Unterscheidbarkeit der Fälle habe unterstellt werden können. Bei den Fällen Nr. 2, 4 bis 45 und 51 bis 111 ("Versorgungszusagefälle") sei dies gerade nicht der Fall.
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6. Der Senat hat durch den Berichterstatter am 09.02.2021 einen Hinweisbeschluss erlassen. In dem Beschluss wurde ausgeführt, dass es zumindest dem Grundsatz nach nicht zu beanstanden sei, dass die Beklagte die Fälle Nr. 2, 4 bis 45 und 51 bis 111 aus der Liste der gerichts- und rechtsförmlichen Verfahren als Serienfall bewertet hat (im Folgenden: Versorgungszusagefälle). Demnach wurden 103 der insgesamt 112 benannten gerichts- und rechtsförmlichen Verfahren mit dem Faktor 0,2 abgewertet und der Initiativfall mit der Nummer 2 mit dem Faktor 2 aufgewertet. Allerdings sei nicht nachvollziehbar warum die Beklagte den Fall mit der Nummer 2 als Initiativfall aufgewertet hat. Weiterhin liege ein Begründungsmangel vor. Die Beklagte habe die Fälle mit den Nrn. 3, 49 und 50 jeweils mit dem Faktor 1 bewertet, dies bei vergleichbaren Fällen der Serie "Versorgungszusage" jedoch nicht getan. Die Fälle mit der Nummer 49 und 50, die ebenfalls zur Serie "variable Vergütung" gehörten, seien lediglich mit dem Faktor 0,5 bewertet worden, obwohl sie - abgesehen von der Art der Verfahrensbeendigung - mit den anderen Fällen vergleichbar seien.
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Dem Kläger sei die Möglichkeit zuzubilligen, Fälle aus dem Referenzzeitraum nachzumelden. Die Beklagte habe insoweit keine wirksame Ausschlussfrist im Sinn von § 24 Abs. 4 Satz 3 FAO gesetzt.
39
In dem Hinweisbeschluss wird schließlich die Frage aufgeworfen, ob das Verfahren an einem unheilbaren Verfahrensfehler leidet. Die Möglichkeit für den Fachausschuss, nach Aktenlage zu entscheiden ohne ein Fachgespräch gemäß § 7 FAO geführt zu haben, bestehe nur, wenn für die Nachmeldung von Fällen eine wirksame Ausschlussfrist gemäß § 24 Abs. 4 FAO gesetzt worden sei. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht geschehen.
40
7. Zu dem Hinweis des Senats nahm die Beklagte mit Schriftsatz vom 20.04.2021 Stellung.
41
Sie führte aus, dass aus ihrer Sicht dem Kläger wirksam eine Ausschlussfrist für die Nachmeldung von Fällen gesetzt worden sei. Mit Schreiben vom 27.06.2019 sei ihm unter Fristsetzung bis 31.08.2019 Gelegenheit gegeben worden, entweder Fälle nachzumelden oder deutlich zu machen, worin sich die bereits gemeldeten Fälle voneinander unterschieden. Der Kläger sei diesen Aufforderungen jedoch nicht nachgekommen, sondern habe moniert, dass die Beklagte durch ihren Fachausschuss nicht mitgeteilt habe, wie sie die Fallgewichtung konkret vornehmen wolle. Hierzu sei der Fachausschuss jedoch nicht verpflichtet gewesen, zumal die Gewichtung entsprechende Angaben des Klägers voraussetze. Da es der Kläger abgelehnt habe, Fälle nachzumelden bzw. seine Angaben zu ergänzen, sei es nicht notwendig gewesen, hierfür erneut eine Nachfrist zu setzen und den Ausschluss der Berücksichtigung von Nachmeldungen nach Ablauf der Frist anzudrohen.
42
Der Kläger sei daher mit Schreiben vom 17.10.2019 lediglich aufgefordert worden, seine Angaben nachzubessern. Da die Beklagte die Vorgaben von § 24 FAO eingehalten habe, stelle sich auch die Frage nicht, ob das Verfahren unter einem unheilbaren Verfahrensfehler leidet. Der Fall Nummer 2 sei als Initialfall der Serie gewählt worden, weil es sich um den 1.
43
Fall der Serie "vertragliche Versorgungszusage" in der Liste des Klägers gehandelt habe. Auch wenn ein anderer Initialfall gewählt werde, ändere sich an dem Ergebnis, dass insgesamt rechtsförmliche und gerichtsverfahrensrechtliche Fälle nicht in ausreichender Zahl benannt wurden, nichts. Die Fälle 3,49 und 50 der Serie "variable Vergütung" seien anders als die durch Vergleich beendeten Fälle der Serie "Versorgungszusage" zugunsten des Klägers mit dem Faktor 1 bewertet worden, da erfahrungsgemäß bei Klagen auf variable Vergütung in Vergleichsverhandlungen anders als in Versorgungsfällen auch individuelle Gesichtspunkte berücksichtigt würden.
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8. Der Kläger nahm zu dem Hinweis mit Schriftsatz vom 05.05.2021 Stellung. Er legte drei Ergänzungslisten zur Ursprungsliste mit nachgemeldeten Fällen vor. Die erste Ergänzungsliste (Versorgungszusagefälle) beginnt mit dem Fall laufende Nummer 113 und endete mit dem Fall, laufende Nummer 229. Die zweite Ergänzungsliste (variable Vergütung) beginnt mit Fall Nummer 230 und endet mit dem Fall laufender Nummer 239. Die dritte Ergänzungsliste beginnt mit Fall Nummer 240 und endete mit Fall Nummer 245. Der Kläger legte für außergerichtliche Verfahren ebenfalls eine Ergänzungsliste vor, die mit dem Fall laufende Nummer 20 beginnt und mit laufender Nummer 37 endet. Der Kläger führte aus, dass das Verfahren der Beklagten aus seiner Sicht an einem unheilbaren Verfahrensfehler leide. Der Bewertungsfaktor sei durch den Senat in eigener Verantwortung zu prüfen. Die Fälle mit den Nrn. 8, 9, 10, 44 (Versorgungsfälle) zeichneten sich dadurch aus, dass die vertretenen Kläger aufgrund der Elternzeit nicht im Betrieb anwesend gewesen seien. Im Fall Nummer 44 sei der Kläger bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt gewesen. Es sei weiterhin zweifelhaft, ob die Bewertung mit dem Faktor 0,2 der Bedeutung der Fälle gerecht werde. Auch hätten die Fälle der Serie "variable Vergütung" nicht mit einem Faktor von 0,5 abgewertet werden dürfen. Von den mit der Ergänzungsliste vorgelegten Fällen sei auch hinsichtlich des Falls Nummer 113 zu berücksichtigen, dass die Versorgungszusage während der Abwesenheit des Klägers vom Betrieb geändert worden sei. Der Fall Nummer 159 zeichne sich dadurch aus, dass der Kläger schwerbehindert gewesen sei.
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9. Die Beklagte nahm hierzu mit Schriftsatz vom 29.06.2021 Stellung. Der Kläger stelle überzogene Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Fachausschusses zur Frage der Gewichtung. Die Abwertung der Fälle der Serie "Versorgungszusage" mit dem Faktor 0,2 werde den Anforderungen der Rechtsprechung gerecht. Weiterhin sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Mandatsbearbeitung in der 1. und 2. Instanz grundsätzlich als ein Fall zu werten. Die Fälle Nummer 44 und Nummer 8 sowie Nummer 9 und Nummer 10 könnten jeweils als ein Fall gezählt und gewichtet werden. Der Fall mit der Nummer 113 könnte doppelt gewichtet werden. Der Fall mit der Nummer 159 könnte als Ein Fall gewertet werden. Im Übrigen sei es anhand der Listen nicht möglich, zu prüfen, inwieweit erst- und zweitinstanzlich bearbeitete Fälle in den Listen jeweils als eigenständige Fälle erfasst seien. Die Fälle mit den Nrn. 230 bis 232 könnten jeweils als einzelne Fälle bewertet werden. Im Übrigen sei auch hinsichtlich der Fälle der Serie "variable Vergütung" zu klären, inwieweit erst- und zweitinstanzlich bearbeitete Fälle doppelt gezählt wurden. Die in der dritten Ergänzungsliste genannten Fälle könnten jeweils als ein Fall gewertet werden. Ebenfalls könnten die in der Liste außergerichtlicher Verfahren genannten Fälle jeweils als ein Fall anerkannt werden. Zu diesem Schriftsatz nahm der Kläger in rechtlicher Hinsicht Stellung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 07.07.2021 verwiesen.
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10. Der Senat hat durch den Berichterstatter am 12.01.2022 einen weiteren Hinweis- und Auflagenbeschluss erlassen. In diesem Beschluss wurde ausgeführt, dass sich unter Berücksichtigung des Vorbringens im Schriftsatz der Beklagten vom 29.06.2021 sowie unter Zugrundelegung der bisherigen Fallbewertung einschließlich des Abwertungsfaktors von 0,2 aufgrund der Nachmeldungen ergibt, dass der Kläger im Referenzzeitraum insgesamt 71,3 rechtsförmliche und gerichtliche Fälle bearbeitet hat. Um abzuklären, inwieweit erst- und zweitinstanzlich bearbeitete Mandate doppelt berücksichtigt wurden, wurde dem Kläger aufgegeben, nach näherer Maßgabe des Gerichts eine tabellarische Übersicht zur Akte zu reichen. Der Kläger wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass durch die Fortbildung vom 06.12.2019 "Medizinische Gutachten lesen, verstehen, hinterfragen Teile I und II" die Fortbildungsverpflichtung für den Bereich des Fachgebiets Arbeitsrecht uU nicht erfüllt sein könnte. Schließlich wurde dem Kläger aufgegeben, nachzuweisen, dass er auch ein Mandat aus dem Bereich des Berufsbildungsrechts bearbeitet hat. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Hinweis- und Auflagenbeschluss vom 12.01.2022 verwiesen.
47
11. Zu dem Hinweis- und Auflagenbeschluss nahm die Beklagte mit Schriftsatz vom 03.02.2022 Stellung. Sie führte aus, dass in keinem Fall das Seminar vom 06.12.2019 als geeignete Fortbildung für das Fachgebiet Arbeitsrecht anerkannt worden sei. Ein nicht behebbarer Verfahrensfehler liege nicht vor. Der Kläger legte mit Schriftsatz vom 16.03.2022 die im Auflagenbeschluss geforderte tabellarische Übersicht vor. Er führte aus, dass lediglich in 11 Fällen Übereinstimmung zwischen den mit Schriftsatz vom 04.03.2020 und 05.05.2021 vorgelegten Listen bestehe. Dadurch würden sich die rechtsförmlichen und gerichtlichen Fälle auf 69,1 reduzieren. Im Übrigen ist der Kläger der vorläufigen Bewertung der Fälle durch den Senat entgegengetreten und kommt daher auf eine Gesamtzahl der rechtsförmlichen und gerichtlichen Fälle von 73,1. Unter Berücksichtigung der unstreitigen in den Listen für außergerichtliche Verfahren genannten Fälle ergäben sich 37 weitere Fälle, sodass der Kläger insgesamt 110,10 Fälle nachweisen könne. In dem Schriftsatz führte der Kläger aus, dass er im Jahr 2018 auch ein außergerichtliches Mandat aus dem Bereich des Berufsausbildungsrechts wahrgenommen habe. Zur Frage der Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung nahm der Kläger in diesem Schriftsatz nicht Stellung. Ihm wurde aufgegeben darzulegen, inwieweit er der Fortbildungsverpflichtung anderweit nachgekommen ist.
48
12. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie die beigezogene Akte der Beklagten zum Antragsverfahren Bezug genommen.
49
Die Klage wurde als gemäß § 112c BRAO i. V. m. §§ 74 ff., 81 ff., 113 Abs. 5 VwGO zulässige Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage erhoben. Infolge des Umstands, dass zwischenzeitlich der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 17.06.2020 erging, ist die Klage nunmehr als Verpflichtungsklage in der Form der Versagungsgegenklage zu behandeln; auch als solche ist sie zulässig.
50
Die Klage ist begründet. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für die Erteilung der Befugnis, den Titel "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu führen gem. § 43c BRAO, § 10 FAO. Insbesondere hat der Kläger nachgewiesen, dass er mindestens gerundet 106 Fälle aus den Bereichen gem. §§ 5 Abs. 1 lit c, 10 FAO bearbeitet hat, davon 69 gerichts- und rechtförmliche Verfahren.
51
In materieller Hinsicht ist die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer über die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung (§ 43c Abs. 1 BRAO) in vollem Umfang rechtlich gebunden und unterliegt daher auch hinsichtlich der ihr vorausgehenden Würdigung und Verfahrensweise des Fachausschusses (§ 43c Abs. 2 BRAO) in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht grundsätzlich uneingeschränkt der richterlichen Nachprüfung. Die Gerichte haben regelmäßig eigenständig zu prüfen, ob die der angefochtenen Entscheidung der Rechtsanwaltskammer zugrunde liegenden Fallbewertungen zutreffend sind (BGH, Urteil vom 08.04.2013, Az. AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118, Rn. 40 bei juris). Auch bei der vorliegend inmitten stehenden Frage der Gewichtung der Fälle anhand der Vorgabe des § 5 Abs. 4 FAO, die verfassungsgemäß und insb. mit Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar ist (vgl. BGH a.a.O. Rn. 20 ff. bei juris), kommt dem Fachausschuss kein der richterlichen Nachprüfung entzogener Beurteilungsspielraum zu. Der Rechtsanwaltskammer steht ferner auch kein Ermessen dahingehend zu, ob sie von der Gewichtungsregelung Gebrauch macht, also eine angezeigte Minder- oder Höhergewichtung tatsächlich vornimmt oder nicht (vgl. BGH a.a.O. Rn. 40, 46 bei juris).
52
Demnach führt die eigenständig durch den Senat vorzunehmende Gewichtung der durch den Kläger benannten Fälle zu folgendem Ergebnis:
53
1. Im Bescheid der Beklagten vom 17.06.2020 wurden die Fälle Nr. 2, 4 bis 45 und 51 bis 111 aus der Liste der gerichts- und rechtsförmlichen Verfahren als Serienfall bewertet (im Folgenden: Versorgungszusagefälle). Als Initialfall der Serie wurde Fall Nr. 2 angesehen und mit dem Faktor "2,0" bewertet. Für die Folgefälle der Serie wurde dagegen unter Berufung auf § 5 Abs. 4 FAO jeweils nur der Faktor "0,2" angesetzt. Es erscheint zwar bedenklich, diesen Fall als Initialfall zu wählen, da der Fall Nr. 4 den grundlegenden Fall dieser Serie bildet. Letztlich wirkt es sich aber entgegen der Auffassung des Klägers auf die Gesamtzahl der zu berücksichtigenden Fälle nicht aus, ob dieser Fall entsprechend herabgewertet wird und dafür ein anderer Fall mit dem Faktor 2 in die Berechnung eingeht oder ob man der Bewertung der Beklagten folgt. Die Mindergewichtung betrifft 99 der insgesamt 112 benannten gerichts- und rechtsförmlichen Verfahren und bildet somit die zentrale Grundlage der Versagungsentscheidung der Beklagten. Sie ist nicht zu beanstanden.
54
a) Die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung setzt nach § 43c Abs. 1 BRAO voraus, dass der Antragsteller als Rechtsanwalt besondere Kenntnisse und Erfahrungen im betreffenden Rechtsgebiet erworben hat. Hinsichtlich der erforderlichen praktischen Erfahrungen wird dies durch § 5 Abs. 1 FAO dahingehend konkretisiert, dass der Antragsteller innerhalb der letzten drei Jahre vor der Antragstellung im Fachgebiet als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei eine bestimmte Anzahl von Fällen bearbeitet haben muss. Für die Fachanwaltsbezeichnung im Arbeitsrecht sind hierzu 100 Fälle aus allen der in § 10 Nr. 1a) bis e) und Nr. 2a) und b) FAO bestimmten Gebiete erforderlich, davon mindestens fünf Fälle aus dem Bereich des § 10 Nr. 2 FAO und mindestens die Hälfte gerichts- oder rechtsförmliche Verfahren (§ 5 Abs. 1c FAO). Als Fall i.S.d. § 5 Satz 1 FAO ist dabei jede juristische Aufarbeitung eines einheitlichen Lebenssachverhalts anzusehen, der sich von anderen Lebenssachverhalten dadurch unterscheidet, dass die zu beurteilenden Tatsachen und die Beteiligten verschieden sind (BGH, Beschluss vom 20.04.2009, AZ. AnwZ (B) 48/08, Rn. 7 bei juris).
55
Nach § 5 Abs. 4 FAO können Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle zu einer höheren oder niedrigeren Gewichtung führen. Wie insb. diese Regelung zeigt, gehen die Vorgaben des § 5 FAO von Fällen aus, die gemessen an ihrer Bedeutung, ihrem Umfang und ihrem Schwierigkeitsgrad von durchschnittlichem Gewicht sind (BGH, Urteil vom 08.04.2013, Az. AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118, Rn. 33 bei juris). Ein Bewerber muss daher, etwa durch einen hinreichend aussagekräftigen Fallbeschrieb, belegen, dass den bearbeiteten Fällen insgesamt betrachtet mindestens das gleiche Gesamtgewicht zukommt wie der vorgegebenen Anzahl durchschnittlicher Mandate. An die Prüfung, wie viele Fälle aus dem betreffenden Fachgebiet der Anwalt vorgelegt hat, schließt sich folglich zwingend die nach § 5 Abs. 4 FAO gebotene einzelfallbezogene Bewertung der jeweiligen Fälle an (vgl. BGH a.a.O. Rn. 31 bei juris).
56
Diese Beurteilung hat sich nicht an den Erwartungen eines erfahrenen Fachanwalts, sondern daran auszurichten, was bei einer Allgemeinpraxis als durchschnittlicher Fall aus dem betreffenden Fachgebiet zu gelten hat. Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Maße sich ein Fall vom Durchschnitt abhebt, ist eine (nachvollziehbare) Gesamtbewertung anhand aller drei der in § 5 Abs. 4 FAO genannten Kriterien vorzunehmen. Dabei kann der objektiven Bedeutung der Sache allerdings auch Indizwirkung für den Umfang und die Schwierigkeit des Falles zukommen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 35, 36 bei juris).
57
Benennt ein Antragsteller Verfahren, denen ein Serienfall mit sich wiederholender rechtlicher Problematik zugrunde liegt, so führt auch dies grundsätzlich nur zu einer niedrigeren Gewichtung, nicht dagegen dazu, dass die weiteren Verfahren mit gleich gelagerter Problematik von vornherein nicht mehr als Fälle anzuerkennen wären. Ist bei einer Abfolge von Fällen die rechtliche Problematik im Wesentlichen die gleiche und deshalb vom Antragsteller nur einmal zu prüfen, so kann nur ein Fall voll angerechnet werden. Die weiteren haben dagegen aufgrund der gleich gelagerten Problematik so geringes Gewicht, dass sie als Nachweis für die praktischen Fähigkeiten nur - aber immerhin - mit einem bestimmten Faktor in Ansatz gebracht werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 20.04.2009, Az. AnwZ (B) 48/08, Rn. 18, 21 bei juris).
58
In ihrer Gesamtheit nur als "ein Fall" i.S. des § 5 Abs. 1 FAO anzurechnen sind Wiederholungs- bzw. Serienfälle dagegen lediglich dann, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände von einem einheitlichen Lebenssachverhalt auszugehen ist, der in mehrere Fälle aufgespalten wurde. Mehrere Fälle, wobei allerdings in der Regel nicht alle mit dem Faktor "1" gewichtet werden können, sind dagegen anzunehmen, wenn in sich geschlossene, von anderen Sachverhalten deutlich unterscheidbare Lebenssachverhalte juristisch aufzuarbeiten waren (vgl. BGH, Beschluss vom 25.09.2013, Az. AnwZ (Brfg) 52/12, Rn. 11 bei juris).
59
Zudem ist selbst eine Mindergewichtung von Wiederholungsfällen nicht zwingend, da nicht allgemein davon ausgegangen werden kann, dass in solchen Wiederholungsfällen weniger praktische Erfahrungen erlangt werden. Vielmehr besteht eine Wechselwirkung zwischen der praktischen Erfahrung und der Wiederholbarkeit der Fälle; je mehr praktische Erfahrung der Bewerber hat, umso wahrscheinlicher ist es, dass er wiederholt dieselben Rechtsfragen zu beurteilen hat. Eine - auch erhebliche - Mindergewichtung ist aber dann gerechtfertigt und geboten, wenn Wiederholungsfälle eng miteinander verknüpft sind, etwa weil ihnen im Wesentlichen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt oder weil sie Teil eines Verfahrensverbundes sind (BGH, Urteil vom 08.04.2013, Az. AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118, Rn. 38 bei juris)
60
b) Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen sind die Folgefälle Nr. 4 bis 45 (mit Ausnahme der Fälle 8, 9, 10 und 44, die aufgrund der oben genannten Besonderheiten auch nach Auffassung der Beklagten mit dem Faktor 1,0 zu bewerten sind), und 51 bis 111 aus der Serie der Versorgungszusagefälle mit dem Faktor 0,2 zu berücksichtigen:
61
Diese Fälle wurden durch den Kläger in seiner Liste mit Stand 01.02.2019 (Anlage K3) in den Spalten "Gegenstand" sowie "Art und Umfang der Tätigkeit" soweit ersichtlich mit nahezu identischem Wortlaut beschrieben. Die Angaben unterscheiden sich dort allein insoweit, als die Fälle Nr. 4 bis 45 und Nr. 51 bis 53 zum Bundesarbeitsgericht gelangten, wobei dort in den Fällen Nr. 4 bis 10 sowie im Fall Nr. 45 eine mündliche Verhandlung stattfand, während bei den Fällen Nr. 54 bis 61 sowie Nr. 71 bis 111 die zum Landesarbeitsgericht eingelegte Berufung zurückgenommen und bei den Fällen Nr. 62 bis 70 die Klage jeweils schon vor dem Arbeitsgericht zurückgenommen wurde. Die Beschreibung in der Spalte "Bereiche gem. § 5 Satz 1 lit c) i.V.m. § 10 FAO" ist bei allen genannten Verfahren identisch.
62
Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass diese Beschreibungen einen Serienfall nahelegen. Nachdem der Kläger jeweils individuelle Arbeitnehmer vertrat, steht zwar kein gemeinsamer einheitlicher Lebenssachverhalt inmitten, der in mehrere Fälle aufgespalten wurde und nach dem oben beschriebenen Maßstab zu einer Bewertung der gesamten Serie als lediglich "ein" Fall führen könnte. Die identische Beschreibung der Verfahrensgegenstände begründet jedoch die Annahme, dass alle Fälle durch eine stets wiederkehrende rechtliche Grundproblematik geprägt wurden und daher mit Ausnahme des Initialfalls mit einem deutlich unter "1,0" liegenden Faktor zu bewerten sind.
63
Zusätzlich erhöht ist der Grad juristischer Übereinstimmung noch durch die unstreitig gegebene Bedeutung kollektivrechtlicher Regelungen: So mag zwar zutreffen, dass sich nach solchen jeweils nur das Schicksal der aus betrieblicher Altersversorgung in eine Unterstützungskasse überführten Anwartschaften beurteilte, wie dies vom Kläger beschrieben wurde. Schon damit haben diese kollektivrechtlichen Regelungen aber einen wesentlichen Teil des rechtlichen Hintergrunds gebildet, vor dem der klageweise gegen die Arbeitgeber geltend gemachte Anspruch jeweils zu bewerten war, auch wenn dieser auf den individuellen Arbeitsvertrag in Verbindung mit betrieblicher Übung gegründet wurde und in jedem Einzelfall mögliche individualrechtliche Zusagen zu prüfen waren. Unklar ist zudem, ob und ggf. welche derartige, konkret benennbare Besonderheiten in wie vielen der 99 Fälle tatsächlich auftraten und inwieweit sie divergierende rechtliche Überlegungen erforderten.
64
Zudem hat der Kläger nicht vorgetragen, wie viele dieser Fälle sich gegen identische Beklagte und damit (auch) nach identischen kollektivrechtlichen Regelungen richteten. Er hat hierzu lediglich ausgeführt, dass die Klagen gegen "verschiedene Großbetriebe" als Arbeitgeber erhoben worden seien. Das legt nahe, dass die Anzahl der Beklagten geringer war als die Anzahl der Verfahren und sich jeweils Gruppen von Fällen gegen denselben Arbeitgeber richteten. Verstärkt wird diese Annahme durch die hohe zeitliche Übereinstimmung der Verfahren, der mangels konkreter Angaben des Klägers indizielle Bedeutung zukommt: Die Anlagedaten der Fälle liegen in einem Zeitraum von nur zwei Monaten, nämlich zwischen 01.03.2013 und 01.05.2013. Lediglich drei der 103 Fälle wurden geringfügig später angelegt (Fälle Nr. 60, 61: 15.05.2013; Fall Nr. 55: 15.06.2013). Ganze Reihen von Fällen weisen zudem identische Zeitpunkte für Anlage und Beendigung auf. So ergeben die Daten für 29 Fälle (Nr. 6 bis 16, 18 bis 20, 24 bis 27, 33 bis 43) den Zeitraum 01.04.2013 bis 01.12.2017, für 13 Fälle (Nr. 51, 52, 89 bis 99) den Zeitraum 15.04.2013 bis 01.09.2017, für 12 Fälle (Nr. 100 bis 111) den Zeitraum 30.03.2013 bis 01.08.2018, für weitere 12 Fälle (Nr. 73 bis 84) den Zeitraum 01.05.2013 bis 01.07.2017 und für neun Fälle (Nr. 62 bis 70) den Zeitraum 01.05.2013 bis 01.05.2018. Die Angabe der Beklagten im angefochtenen Bescheid, wonach die zum Bundesarbeitsgericht gelangten Fälle dort einer "führenden" Sache (Aktenzeichen 3 AZR 582/15 vom 15.11.2016) mit Parallelentscheidungen zugeordnet worden seien, hat der Kläger nicht kommentiert.
65
Auch sonst ist der Kläger dem durch seine Angaben vermittelten Eindruck weitestgehender Übereinstimmung der Versorgungszusagefälle nicht wesentlich entgegen getreten mit Ausnahme der Fälle 8, 9, 10 und 44: Zur Individualisierung der Fälle hat er lediglich vorgetragen, dass "verschiedene Tatsachen", die "individuelle Situation jedes Mandanten" sowie "diverse Rechtsfragen unter Berücksichtigung jedes individuellen Einzelfalls bzw. Mandanten zu beurteilen" gewesen seien, wobei er Rechtsgebiete (betriebliche Altersversorgung, insbesondere Betriebsrentengesetz, Vertragsrecht, AGBrechtliche Problematik, Anfechtungstatbestände sowie Schadenersatzansprüche) benannt hat, denen diese Rechtsfragen entstammten. Inwiefern auf diesen Gebieten aber substanziell verschiedene (und ggf. welche) Fragen zu klären und nicht lediglich dieselben Überlegungen auf parallele Sachverhalte anzuwenden waren, hat der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung durch die Beklagte nicht dargelegt. Er hat weder rechtliche noch tatsächliche Unterschiede zwischen den Fällen konkret benannt oder deren Bandbreite auch nur anhand von Beispielen illustriert. Ein proportional zur Fallzahl verlaufener Gewinn an anwaltlicher Erfahrung wird schließlich auch nicht durch die Selbstverständlichkeit nahegelegt, dass versicherungsmathematische Berechnungen für verschiedene Kläger zu verschiedenen Zahlen führten und mit jedem Kläger "gerade auch zu seiner jeweiligen individuellen Situation korrespondiert werden" musste. Im angefochtenen Bescheid wurde dem bereits dadurch Rechnung getragen, dass die Versorgungszusagefälle nicht als einheitlicher Lebenssachverhalt angesehen wurden und die gesamte Serie nicht lediglich als ein einziger Fall bewertet wurde.
66
c) Der vorgenommenen Bewertung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger den Versorgungszusagefällen laut seiner Angaben über einen Zeitraum von mehreren Jahren ca. 80 Prozent seiner Arbeitsleistung in Vollzeit gewidmet und ausschließlich wegen dieser Mandate eine Rechtsanwaltsgesellschaft gegründet hat. Soweit er deshalb "wegen Erschöpfung seiner Arbeitskraft praktisch überhaupt keine Möglichkeiten [hatte], weitere Mandate zu akquirieren bzw. zu bearbeiten", gebietet dies keine Absenkung der Anforderungen des § 5 FAO. Dies gilt auch im Hinblick auf das Grundrecht aus Art. 12 GG.
67
Nachdem es sich bei einer Fachanwaltsbezeichnung um keine Berufsbezeichnung mit Ausschließlichkeitsanspruch handelt, betreffen die zugehörigen Regelungen über die Voraussetzungen und das Anerkennungsverfahren nicht die Freiheit der Berufswahl, sondern lediglich die Ausübung des Berufs eines Rechtsanwalts und sind daher an Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.05.1981, Az. 1 BvR 610/77, BVerfGE 57, 121, Rn. 32, 35 bei juris). Sie genügen den materiellrechtlichen Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wenn mit ihnen verbundene Eingriffe in das Grundrecht durch sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sind, das eingesetzte Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist und bei der Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 41). Die durch § 43c BRAO i.V.m. § 5 FAO normierten Anforderungen an die praktischen Erfahrungen des Bewerbers werden durch solche Gründe gedeckt, nämlich insbesondere das Ziel, eine herausragende Qualifikation der Fachanwaltschaft sicherzustellen, die sich deutlich von der in einer Allgemeinpraxis üblichen Anwaltstätigkeit abhebt (vgl. § 2 Abs. 2 FAO sowie BGH, Urteil vom 08.04.2013, Az. AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118, Rn. 27 bei juris).
68
Die durch den Kläger beschriebene Situation tangiert die Bewertung anhand der Vorgaben des Art. 12 GG nicht: Seine Arbeitskraft wesentlich auf eine Mandatsserie zu konzentrieren, entsprach einer freien Entscheidung des Klägers und wurde ihm durch keinerlei berufsrechtliche Vorgaben aufgezwungen. Wenn er sich hierdurch die Erlangung einer Fachanwaltsbezeichnung erschwert hat, so bedeutet dies folglich keine Einschränkung seiner Berufswahlfreiheit, sondern nur eine durch sein eigenes Handeln bedingte Begrenzung seiner Berufsausübung. Deren Legitimität wird durch seine Situation nicht in Frage gestellt, da er durch seine Konzentration auf die massenhafte Bearbeitung einer speziellen Thematik kein Äquivalent geschaffen hat für die Erfahrung, die ihm gleichzeitig auf dem Feld des Arbeitsrechts in seiner ganzen Breite entgangen ist.
69
2. Dies vorausgeschickt ergibt sich für die Serie der Versorgungszusagefälle:
70
a) Nicht zu beanstanden ist, dass der Initialfall der Serie der Versorgungszusagefälle im angefochtenen Bescheid mit dem verdoppelten Faktor von "2,0" bewertet wurde. Die Beklagte hat sich hierbei, wenn auch ohne nähere Begründung, i.E. nachvollziehbar auf die vom Kläger beschriebene besondere Schwierigkeit der Fragestellungen und die Bewältigung in mehreren Instanzen berufen. Letzteres erscheint noch vertretbar, auch wenn sich eine höhere Gewichtung nicht allein schon daraus rechtfertigt, dass ein Fall in eine höhere Instanz gelangt ist: So setzt eine höhere Bewertung auch bei solchen Verfahren voraus, dass sich aus dem Vortrag des jeweiligen Antragstellers hinreichend ergibt, dass der Fall durch die Bearbeitung in mehr als einer Instanz eine höhere Gewichtung verdient, etwa weil sich die Verhandlung in zweiter Instanz auf andere rechtliche Fragen konzentriert hat oder wenn dort besondere prozessuale Umstände vorgelegen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 25.02.2019, Az. AnwZ (Brfg) 80/18, Rn. 13 bei juris). Zu konkreten Herausforderungen speziell der Berufungs- und Revisionsinstanz hat der Kläger vorliegend jedoch nichts mitgeteilt. Allerdings erscheinen der Umfang der zur "führenden" Sache der Versorgungszusagefälle ergangenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 15.11.2016, Az. 3 AZR 582/15, BAGE 157, 164) sowie die Zahl der dort behandelten Rechtsfragen geeignet, die Annahme eines eigenständigen Gewichts zumindest der Revisionsinstanz zu tragen.
71
b) Wie bereits ausgeführt, wirkt es sich auf das Ergebnis nicht aus, dass die Beklagte als Initialfall den Fall Nr. 2 gewählt hat, obwohl bei sachgerechter Auswahl der Fall Nr. 4 heranzuziehen gewesen wäre.
72
c) Dass für die weiteren Versorgungszusagefälle ein Faktor von lediglich "0,2" angesetzt wurde, ist grundsätzlich zulässig. Für die Gewichtung nach § 5 Abs. 4 FAO besteht in quantitativer Hinsicht keine rechtliche Unter- oder Obergrenze (vgl. BGH, Urteil vom 08.04.2013, Az. AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118, Rn. 43-45 bei juris). Durch den Bundesgerichtshof wurde in einer Entscheidung für Fälle "gleich gelagerter Problematik" ein Faktor von "höchstens 0,2" für angemessen erachtet (BGH, Beschluss vom 20.04.2009, Az. AnwZ (B) 48/08, Rn. 21 bei juris). In einer späteren Entscheidung wurde lediglich betont, dass sich eine solche Mindergewichtung auf "besonders gelagerte Fallgestaltungen (eng miteinander verknüpfte Wiederholungsfälle) bezogen" habe (BGH, Urteil vom 08.04.2013, Az. AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118, Rn. 51 bei juris).
73
d) Eine Höherbewertung ist auch für die Fälle nicht veranlasst, die durch Vergleich beendet wurden. Wie die Beklagte überzeugend ausgeführt hat, spielen individuelle Besonderheiten, anders als in Verfahren, die wegen Zahlung einer variablen Vergütung geführt werden, für die vergleichsweise Beendigung von Verfahren wegen Umgestaltung der Versorgungszusage keine nennenswerte Rolle. Relevante Unterschiede wurden durch den Kläger nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich.
74
3. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 05.05.2021 zahlreiche Fälle aus den Bereichen der Serien "Versorgungszusage", "variable Vergütung" sowie außergerichtlicher Beratung nachgemeldet. Diese Möglichkeit war dem Kläger zuzubilligen.
75
a) Der Kläger ist mit entsprechendem Vortrag bislang nicht präkludiert. Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob eine Ausschlussfrist i.S.d. § 24 Abs. 4 Satz 3 FAO eine spätere Nachmeldung von Fällen im gerichtlichen Verfahren ausschließt (so z.B. AnwGH Berlin, Urteil vom 11.11.2015, Az. II AGH 17/14, BeckRS 2016, 9733; anders aber offenbar - ohne Begründung - im Rahmen der Entscheidung über den zugehörigen Antrag auf Zulassung der Berufung BGH, Beschluss vom 27.04.2016, Az. AnwZ (Brfg) 3/16, Rn. 10 bei juris). Denn eine solche Frist wurde hierfür durch den Fachausschuss der Beklagten nicht gesetzt:
76
Im maßgeblichen Schreiben des Vorsitzenden des Fachausschuss vom 17.10.2019 war von der Möglichkeit einer Nachmeldung weiterer Fälle nicht die Rede, sondern nur davon, dass "Gelegenheit [gegeben werde], die Versorgungszusagefälle ausführlich zu beschreiben und zwar dahingehend, inwieweit diesen Fällen jeweils ein unterschiedlicher Lebenssachverhalt zugrunde lag, und inwieweit sich die maßgeblichen Rechtsfragen der einzelnen Falle voneinander unterschieden haben". Es stehe dem Antragsteller frei, hierzu aussagekräftige Arbeitsproben vorzulegen. Für diese "weiteren Nachweise" wurde im Schreiben eine Ausschlussfrist bis zum 13.12.2019 gesetzt. Die Möglichkeit einer Nachmeldung von Fällen wurde seitens des Fachausschusses dagegen nur im vorangehenden Schreiben des Berichterstatters vom 27.06.2019 angesprochen. Auch dort wurde zwar bereits eine Frist gesetzt, jedoch ohne einen Verweis auf § 24 Abs. 4 FAO und ohne eine Belehrung nach § 24 Abs. 4 Satz 4 FAO. Zudem war diese Frist zum Zeitpunkt des Schreibens vom 17.10.2019 bereits abgelaufen; sie wurde durch den Fachausschuss selbst ersichtlich nicht als Ausschlussfrist angesehen.
77
Der Fachausschuss hat dem Kläger damit nur eine Auflage zur ergänzenden Antragsbegründung erteilt (§ 24 Abs. 4 Satz 2 FAO) und auch nur hierfür eine Ausschlussfrist gesetzt. Eine förmliche Gelegenheit zur Nachmeldung von Fällen i.S.d. § 24 Abs. 4 Satz 1 FAO, wie sie bei vorgesehener Mindergewichtung von Fällen zwingend zu erteilen ist, wurde dagegen nicht gewährt. Die Mitteilung vom 17.10.2019 über ihren klaren Wortlaut hinaus auch im letztgenannten Sinn auszulegen, verbietet sich aus mehreren Gründen:
78
So handelt es sich bei der Aufforderung zur Nachmeldung einerseits und der Erteilung von Auflagen andererseits um zwei in § 24 Abs. 4 FAO nach Voraussetzung und Inhalt klar getrennte Vorgehensweisen (näher zur Unterscheidung z.B. Weyland/Vossebürger, Bundesrechtsanwaltsordnung, 10. Aufl. 2020, § 24 FAO Rn. 10-12). Schon dies spricht dagegen, in der Verfügung der einen Maßnahme zugleich auch die Anordnung der anderen zu sehen.
79
Zudem zwingt die obligatorische Belehrungspflicht nach § 24 Abs. 4 Satz 4 FAO den Fachausschuss zu einer eindeutigen Artikulation seiner Aufforderung an den Antragsteller samt der bei Missachtung eintretenden Konsequenzen (vgl. hierzu auch AnwGH Niedersachsen, Beschluss vom 18.01.2010, Az. AGH 18/09, BRAK-Mitt. 2010, 219, Rn. 41 bei juris). Wenn dem Antragsteller Gelegenheit zur Nachmeldung von Fällen gegeben oder ihm eine Auflage erteilt werden soll, so muss dies in einer einheitlichen, in sich geschlossenen Mitteilung geschehen; es muss konkret und im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt werden, was genau vom Antragsteller erwartet wird und warum. Durch eine weite Auslegung der Verlautbarung des Fachausschusses würde dies unterlaufen.
80
Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass der Kläger auch aufgrund des übrigen Inhalts des Schreibens vom 17.10.2019 nicht davon ausgehen musste, dass ihm neben einer Auflage zugleich eine Nachmeldung von Fällen aufgegeben werden sollte. Der Kläger hatte zuvor mit Schreiben vom 04.03.2019 explizit "für den Fall einer Abwertung gemäß § 24 Abs. 4 Satz 1 FAO" bereits mitgeteilt, dass ihm die Nachmeldung von Fällen "aus dem oben dargestellten ähnlichen Lebenssachverhalt aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung" möglich wäre, d.h. aus der Serie der Versorgungszusagefälle. Im Schreiben vom 17.10.2019 wurde ihm als Anlass der Auflage jedoch mitgeteilt, dass der Fachausschuss dazu neige, diese Serie insgesamt als lediglich einen Fall zu bewerten. Einem solchen Ansatz (der durch die in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie oben unter Ziff. II.1.b dargelegt kaum gerechtfertigt gewesen wäre) hätte der Kläger weitere Serienfälle nicht erfolgreich entgegensetzen können. Gewinn versprechen konnte er sich von einer solchen Nachmeldung nur dann, wenn jeder Fall der Serie - wenn auch ggf. mit minderem Gewicht - gewertet werden würde. Eine solches Vorgehen wurde im Schreiben des Ausschussvorsitzenden jedoch nur als sekundäre und hypothetische Alternative erwähnt; auf das hierzu passende frühere Angebot des Klägers wurde dabei nicht eingegangen.
81
Auch das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 20.04.2021 rechtfertigt kein anderes Ergebnis. In diesem Schriftsatz schildert die Beklagte zwar, dass sie dem Kläger vielfach Gelegenheit gegeben habe, seinen Vortrag zu ergänzen und geeignete Fälle nachzumelden. Auch in diesem Schriftsatz trägt sie aber nicht vor, dass sie dem Kläger gem. § 24 Abs. 4 FAO eine angemessene Ausschlussfrist für die Ergänzung seines Vortrages bzw. die Nachmeldung von Fällen gesetzt habe und ihn gleichzeitig über die Rechtsfolge, dass der Ausschuss nach Aktenlage entscheiden könne, wenn der Kläger die Ausschlussfrist verstreichen lasse, belehrt habe.
82
b) Der Kläger konnte daher noch Fälle nachmelden; dies ist grundsätzlich auch im gerichtlichen Verfahren noch möglich (vgl. z.B. AnwGH Koblenz, Beschluss vom 27.08.2010, Az. 1 AGH 20/09, Rn. 16 bei juris). Er hat dabei zu beachten, dass nur solche Fälle ohne weiteres berücksichtigt werden können, die innerhalb des für seinen Antrag maßgeblichen dreijährigen Referenzzeitraums bearbeitet worden sind. Eine Nachmeldung von Fällen, deren Bearbeitung außerhalb dieses Zeitraums liegt, wäre grundsätzlich als alternative Antragstellung zu werten, die auf eine entsprechend verschobene Dreijahresspanne zu beziehen wäre (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 10.03.2014,
Az. AnwZ (Brfg) 58/12, Rn. 9 bei juris). Dieser Auflage ist der Kläger mit Schriftsatz vom 05.05.2021 nachgekommen.
83
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 05.05.2021 in insgesamt 3 Ergänzungslisten Fälle nachgemeldet. Die erste Ergänzungsliste ("Versorgungszusagefälle") beginnt mit der laufenden Nummer 113 und endet mit der laufenden Nummer 229. Die Beklagte ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Fall mit der Nummer 113 doppelt und der Fall mit der Nummer 159 einfach gewertet werden könnten. Im Übrigen bewertet der Senat die nachgemeldeten Fälle entsprechend dem Ansatz der Beklagten mit einem Faktor von 0,2. Dies bewirkt, dass die Fallliste um 0,2 × 115 Fälle = 23 Fälle zuzüglich 3 Fälle ist 26 Fälle erweitert wird.
84
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 05.05.2021 eine zweite Ergänzungsliste ("variable Vergütung") vorgelegt, die mit dem Fall Nummer 230 beginnt und mit Fall Nummer 239 endet. Von diesen Fällen wurden 3 durch Vergleich beendet. Diese wertet die Beklagte mit dem Faktor 1. Die übrigen 7 Fälle wertet die Beklagte entsprechend der ursprünglichen Liste mit einem Faktor von 0,5. Insgesamt erweitert sich die Zahl der zu berücksichtigenden Fälle um weitere 6,5.
85
Schließlich hat der Kläger eine dritte Ergänzungsliste vorgelegt, die mit der Fallnummer 240 beginnt und mit der Fallnummer 245 endet. Entsprechend der Wertung durch den Kläger ist auch die Beklagte bereit, jeden dieser Fälle mit dem Faktor 1 zu gewichten. Die Zahl der zu berücksichtigenden Fälle erhöht sich mithin um weitere 6.
86
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte für die Fälle 8, 9, 10, und 44 statt des ursprünglich vorgesehenen Faktors von 0,2 nunmehr einen Faktor von 1,0 aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Klägers angesetzt hat.
87
Insgesamt hat der Kläger damit über die in dem angefochtenen Bescheid bereits anerkannten Fälle hinaus insgesamt 71,3 rechtsförmliche und gerichtliche Fälle nachgewiesen. Wie der Kläger im Schriftsatz vom 16.03.2022 ausführt, ist diese Zahl um die bereits in den ursprünglichen Listen berücksichtigten Fälle mit den Nummern 33, 81, 121, 142, 143, 141, 164, 169, 219, 220 und 228, bewertet je mit einem Faktor von 0,2, zu kürzen, so dass rechnerisch 69,1 rechtsförmliche und gerichtliche Fälle verbleiben. Dieser Betrag ist um 37 außergerichtliche Verfahren zu erhöhen, so dass sich eine Anzahl von rechnerisch 106,1 Verfahren ergibt. Damit werden die Vorgaben von § 5 Abs. 1 lit c FAO erfüllt.
88
4. Das Verfahren des Fachausschusses ist nicht mit einem nicht behebbaren Verfahrensfehler behaftet.
89
Der Fachausschuss der Beklagten hat im Fall des Klägers nach Aktenlage entschieden und hat kein Fachgespräch nach § 7 FAO durchgeführt. Er ist damit gemäß § 24 Abs. 4 Satz 3 FAO verfahren. Ein solches Vorgehen gestattet die Norm jedoch nur, wenn der Antragsteller innerhalb einer angemessenen Ausschlussfrist keine Fälle nachgemeldet oder Auflagen nicht erfüllt hat, was voraussetzt, dass an ihn eine entsprechende Aufforderungen nach § 24 Abs. 4 Satz 1 und/oder Satz 2 FAO unter Festsetzung einer Ausschlussfrist erging und die in § 24 Abs. 4 Satz 4 FAO vorgeschriebene Belehrung erfolgt ist. Die Norm legt für den Fachausschuss insoweit ein zwingendes Prozedere fest (vgl. z.B. AnwGH Jena, Beschluss vom 15.11.2004, Az. AGH 2/04, Rn. 32 bei juris, Weyland/Vossebürger, Bundesrechtsanwaltsordnung, 10. Aufl. 2020, § 24 FAO Rn. 11, 15; Quaas in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 24 FAO, Rn. 8). Hierfür spricht auch, dass das Verfahren nach § 24 Abs. 4 FAO das Äquivalent für das wegfallende, ansonsten verpflichtende Fachgespräch nach § 7 FAO bildet (vgl. Weyland/Vossebürger a.a.O. § 7 FAO Rn. 2). Zudem stellt diese Verfahrensregelung sicher, dass der Bewerber von einer beabsichtigten Mindergewichtung nicht überrascht wird, sondern Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme und zur Nachmeldung von weiteren Fällen erhält (BGH, Urteil vom 08.04.2013, Az. AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118, Rn. 42 bei juris).
90
Ein Vorgehen nach § 24 Abs. 4 Satz 1 FAO war vorliegend auch nicht verzichtbar. Zwar hatte der Kläger in seinem Schreiben vom 08.08.2019 an den Berichterstatter des Fachausschusses mitgeteilt, dass er "zu einer Nachmeldung von Fällen (.) derzeit keine Möglichkeit" sehe. Damit hatte er jedoch keine voraussetzungslose Verweigerung einer Nachmeldung ausgesprochen und folglich auch nicht gegen Mitwirkungspflichten (vgl. § 32 BRAO i.V.m. Art. 26 Abs. 2 BayVwVfG) verstoßen. Denn er hatte lediglich eine weitergehende vorherige Darlegung der geplanten Gewichtung moniert, wobei er sich zumindest im Grundsatz auf ein bestehendes Begründungserfordernis stützen konnte (siehe bereits vorstehend Ziff. 3a, 3b).
91
Indem der Fachausschuss der Beklagten keine Aufforderung nach § 24 Abs. 4 Satz 1 FAO mit hierauf bezogener Ausschlussfrist ausgesprochen hat, gleichwohl aber nach Aktenlage entschied und dabei eine Mindergewichtung zu Ungunsten des Klägers i.S.d. § 24 Abs. 4 Satz 1 FAO vornahm, hat er folglich gegen § 24 Abs. 4 FAO verstoßen.
92
Ob ein derartiger Verfahrensfehler nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 45 VwVfG geheilt werden kann, wurde in der Rechtsprechung der Anwaltsgerichtshöfe bislang nicht einheitlich beantwortet (im dortigen Fall verneinend AnwGH Jena, Beschluss vom 15.11.2004, Az. AGH 2/04, Rn. 34 bei juris; AnwGH Celle, Beschluss vom 18.01.2010, Az. AGH 18/09, Rn. 44 bei juris; bejahend AnwGH Frankfurt, Urteil vom 14.07.2014, Az. 1 AGH 4/14, Rn. 36 f. bei juris). Der Senat geht davon aus, dass der Verfahrensfehler durch die Nachmeldung zahlreicher weiterer Verfahren geheilt wurde. Der Senat sieht davon ab, der Beklagten lediglich unter Aufhebung des Bescheides vom 17.06.2020 aufzugeben, nach Nachholung des Fachgesprächs gem. § 7 FAO zwischen Fachausschuss und Kläger erneut über den Antrag auf Verleihung der Befugnis, die Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu führen, zu entscheiden. In Anbetracht der Vielzahl der aufgeführten Fälle sowie die vorgelegten Zeugnisse bestehen keine Zweifel, dass der Kläger über das nötige und praktische Wissen für die Verleihung dieser Berufsbezeichnung verfügt. Gem. § 7 Abs. 1 S. 2 FAO kann in einem solchen Fall von der Durchführung eines Fachgesprächs abgesehen werden. Der Senat berücksichtigt hierbei auch, dass über den Antrag des Klägers erst während des laufenden Gerichtsverfahrens entschieden wurde. In Anbetracht des Zeitablaufs ist diesem die Nachholung des Fachgesprächs nicht zumutbar.
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5. Für den Erwerb der Zulassung der Befugnis, die Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu führen, ist erforderlich, dass sämtliche der in § 10 FAO genannten Fachbereiche durch gerichtliche oder außergerichtliche Fälle abgedeckt werden (§ 4 Abs. 2 FAO). Hinsichtlich des Berufsausbildungsrechts hat der Kläger dies durch den im Schriftsatz vom 16.03.2022 genannten Fall nachgewiesen. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei dem Mandanten um einen nahen Angehörigen des Klägers gehandelt hat; denn auch dieser hatte aufgrund seines Alters ein berechtigtes Interesse daran, über die Grundsätze des Berufsausbildungsgesetzes und seine hieraus folgenden Rechte belehrt zu werden.
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6. Die Befugnis zur Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" setzt weiterhin voraus, dass der Kläger seiner Fortbildungsverpflichtung nachgekommen ist (§§ 4 Abs. 2, 15 FAO). Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob die Fortbildung vom 06.12.2019 "Medizinische Gutachten lesen, verstehen, hinterfragen, Teile I und II" einen ausreichenden Bezug zum Fachgebiet Arbeitsrecht hatte. Nach Auffassung des Senats weist die Beschreibung des Inhalts der Tagung in dem Fortbildungszertifikat einen - noch - ausreichenden Bezug zum Fachgebiet Arbeitsrecht auf. Der Kläger hat dargelegt, in welchen Bereichen des Arbeitsrechts die juristische Auswertung medizinischer Fachgutachten von Bedeutung ist. Dies deckt sich damit, dass medizinische Befunde in vielen Bereichen des Arbeitsrechts von erheblicher Bedeutung sind. Als Beispiele seien die personenbedingte Kündigung, das Schwerbehindertenrecht, aber auch Probleme des Betriebsrentenrechts genannt. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte zwar bestätigt, dass sonst für keinen Fachanwalt für Arbeitsrecht die Veranstaltung als Fortbildungsveranstaltung anerkannt wurde, dies allerdings dahingehend konkretisiert, dass dies auch durch niemand - abgesehen von dem Kläger - beantragt worden war.
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III. Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 112c BRAO, § 154 VwGO.
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Die Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 112c BRAO, § 167 VwGO, § 709 ZPO.
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Die Festsetzung des Streitwertwerts folgt § 194 BRAO. Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass der Streitwert für die Klage auf Verleihung der Befugnis, einen Titel als Fachanwalt zu führen, in Höhe von 12.500,- ? festzusetzen ist (BGH NJOZ 2018, 74 Rn. 26; BeckRS 2019, 5362 Rn. 30; NJW 2013, 175 Rn. 13; ebenso BVerfG BeckRS 2014, 5..8320 Tenor zu Ziff. 3).
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach §§ 124 VwGO, 112 c Abs. 1 BRAO liegen nicht vor, nachdem die Sache weder besondere, tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, noch grundsätzliche Bedeutung hat. Ein Fall der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO liegt nicht vor.