Titel:
Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung
Normenkette:
BGB § 199, § 826
Leitsätze:
1. Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass ein Käufer einen mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehenen Pkw nicht gekauft hätte, wenn er um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit. Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Beurteilung, ob etwaige Ansprüche des Käufers verjährt sind, kommt es hinsichtlich der Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Dieselfällen darauf an, dass der Käufer Kenntnis erlangt hat vom „Dieselskandal“ allgemein, von der konkreten Betroffenheit seines Wagens hiervon sowie von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung, wobei von letzterem naturgemäß auszugehen ist. Die Nichtverschaffung der Kenntnis von der konkreten Betroffenheit noch im Jahr 2015 war nicht grob fahrlässig iSv § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. (Rn. 36 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 189, Abschalteinrichtung, Dieselskandal, Verjährung
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 04.08.2020 – 73 O 2143/19
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41261
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 04.08.2020, Az. 73 O 2143/19, in der Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 24.09.2020, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 8.665,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 10.150,94 € vom 03.10.2019 bis 22.06.2020, aus 9.244,00 € vom 23.06.2020 bis 18.09.2022 und aus 8.665,00 € seit dem 19.09.2022 Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs …, FIN … zu zahlen.
II. III. 2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 887,03 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.10.2019 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Klagepartei hat von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz 35%, die Beklagte 65% zu tragen.
IV. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
V. Die Klagepartei hat von den Kosten des Berufungsverfahrens 22%, die Beklagte 78% zu tragen.
VI. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts, in der Fassung, die es in Ziffer I. erhalten hat, sind vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
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Die Beklagte beantragt (Schriftsatz vom 08.10.2020, Bl. 360 ff. d.A.),
das am 04.08.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 73 O 2143/19 im Umfang der Beschwer der Beklagten und Berufungsklägerin abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
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Die Klagepartei beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
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Die Klagepartei hat ihre zunächst auf die Verurteilung zur Zahlung eines weiteren Betrages i.H.v. 871,17 € wegen des Ansatzes einer geringeren Nutzungsentschädigung gerichtete Berufung zurückgenommen (Bl. 417, 566 d.A.).
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Von der Darstellung des Sachverhalts im Übrigen wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Beklagte haftet gleichwohl nach §§ 826, 31 BGB wegen des Erwerbs des hier streitgegenständlichen Diesel-Pkws durch die Klagepartei, allerdings in geringerem Umfang als erstinstanzlich tenoriert in Bezug auf die durch die Klagepartei weiter gezogenen Nutzungen wie auch ausgesprochenen Zinsen. Ferner besteht kein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten und auf Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten. Im Einzelnen:
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1. Die Beklagte haftet gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die - u.a. im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten - Motoren … samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren … in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in den Verkehr zu bringen. Mindestens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht.
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Sittenwidrig ist nach der nunmehr auch speziell in Bezug auf Dieselfälle seitens des BGH gefestigten Rechtsprechung ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 14 f.).
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Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
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Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 21, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28). a)
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Ein derartiges Vorstellungsbild steht zur Überzeugung des Senats fest im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat. Der Senat ist überzeugt i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik gewusst hat bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten.
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Soweit die Beklagte einwendet, eine Überzeugungsbildung i.S.v. § 286 ZPO verstoße gegen BGH, Urteil vom 26.04.1989, Az.: IVb ZR 52/88, ist festzuhalten, dass sich der BGH in seiner Urteilsserie vom 25.11.2021 u.a. explizit mit der Prüfung der Feststellungen auf der Grundlage einer Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO in den Ausgangsentscheidungen befasst und seine Beurteilung ausführlich begründet hat (Az.: VII ZR 238/20, Rdnr. 29 ff., VII ZR 243/20, Rdnr. 28 ff., VII ZR 257/20, Rdnr. 30 ff. und VII ZR 38/21, Rdnr. 28 ff.; deutlich dazu: BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, Rdnr. 18, und vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Rdnr. 18, Az.: VII ZR 258/20, Rdnr. 17 und Az.: VII ZR 26/21, Rdnr. 23, vom 23.03.2022, Az.: VII ZR 139/21, Rdnr. 19). Der BGH hat insbesondere auch klargestellt, dass die Tatsachenfeststellung in Dieselfällen nicht beschränkt ist auf Feststellungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 25.11.2021, Az.: VII ZR 243/20, Rdnr. 35).
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Die Beklagte führt aus, im Rahmen der grundsätzlichen Entscheidung über die Verwendung des Motors … in Fahrzeugen ihrer Herstellung durch das Produkt-Strategie-Komitee im Jahr 2005/2006, das sich aus einzelnen Mitgliedern des Vorstands sowie einzelnen Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, und der fortlaufenden nochmaligen Entscheidung zum Einsatz des Motors … jeweils in Bezug auf das konkret entwickelte Modell (Bl. 358 ff. d.A.), habe man lediglich den serienmäßigen Einsatz des Motors … beschlossen, sich dabei aber nicht mit der konkreten technischen Ausstattung einschließlich der Umschaltlogik befasst, man habe insbesondere im Produkt-Strategie-Komitee nur über den Einsatz des Motorentyps entschieden und dabei nur finanzielle und zeitliche Planungsaspekte einbezogen, nicht jedoch technische Details der streitgegenständlichen Software (Bl. 495 d.A.). Der Senat ist aber davon überzeugt, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik gewusst hat, unabhängig von der Frage der ausdrücklichen Besprechung der Umschaltlogik innerhalb der Erörterungen des Produkt-Strategie-Komitees.
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Beim Motor eines Fahrzeugs handelt es sich um dessen „Kernstück“, nicht bloß um ein untergeordnetes Zuliefererteil. Dies bestätigen auch die Ausführungen der Beklagten, wonach die Entscheidung über den in einen neuen Fahrzeugtyp einzusetzenden Motor im Rahmen des 60-monatigen Zeitraums zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells einen „Meilenstein“ darstellt (Bl. 358 ff. d.A.). Bei den Emissionswerten eines Fahrzeugs handelt es sich wiederum nicht um bloße technische Details und damit Fragen von vollkommen untergeordneter Bedeutung, im Gegenteil. Gleichzeitig handelt es sich um eine Entscheidung von großer Tragweite mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken für die Entscheider.
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Hinzu kommt, dass das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und den durch die nach den gesetzgeberischen Vorgaben zu den Euro-Schadstoffklassen stets strengeren Anforderungen an die Begrenzung der Stickoxidemissionen seinerzeit bei Automobilherstellern allgemein bekannt war. Die Einhaltung der relevanten Stickoxidgrenzwerte für den Motor … stellte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen eine Herausforderung dar, die jedem Kraftfahrzeughersteller, der sich wie die Beklagte selbst mit der Entwicklung von Dieselmotoren befasste, bekannt war. Die Beklagte selbst räumt auch ein, dass bei der Entscheidung über den Einsatz des Motors … finanzielle Aspekte einbezogen wurden.
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In diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen vermag der Einwand der Beklagten, bei den von ihr entwickelten und hergestellten Dieselmotoren handele es sich um ganz andere Motoren. Zwar mögen diese Motoren leistungsstärker und die Zylinder anders angeordnet sein. Das grundlegende Problem der Entstehung von Stickoxiden aufgrund höherer Verbrennungstemperaturen - auf die Ausführungen auf S. 6 im Bericht der Untersuchungskommission …“, Stand April 2016, vorgelegt von der Beklagten als Anlage BB2 wird Bezug genommen - stellt sich aber bei jedem Dieselverbrennungsmotor. Auch gelten für alle diese Motoren die gleichen gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte. Nach dem Beklagtenvortrag arbeitet die Automobilindustrie bereits seit den 1970er Jahren an Strategien zur Optimierung des Ausstoßes von Stickoxiden, und zwar zunächst im Wesentlichen durch eine Herabsenkung der Verbrennungstemperaturen durch Abgasrückrückführung; dem sind jedoch nach dem Vortrag der Beklagten Grenzen gesetzt, denen durch die Verwendung von sog. Thermofenstern - nach dem Beklagtenvortrag auch noch in modernsten Dieselfahrzeugen bei allen Herstellern - begegnet wird (Bl. 410 ff., 505 ff. d.A.).
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Ferner sind der Beklagten ausweislich ihres Vortrags durchaus Aspekte der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Motor … bekannt: sie weiß, dass bei den für den deutschen Markt bestimmten Fahrzeugen mit Motor … der Euroschadstoffnorm 4 bis 6 die Abgasreinigung durch Hochdruck-Abgasrückführung, durch einen Dieseloxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter („Hardwarekomponenten“) stattfindet, aber eine Abgasnachbehandlung durch Stickstoffspeicherkatalysator wie bei den für den USamerikanischen Markt bestimmten Fahrzeugen nicht zum Einsatz kommt; mit den unterschiedlichen Hardwarekomponenten gingen Unterschiede bei der Motorsteuerungssoftware einher (Bl. 494 d.A.). Die Beklagte führt außerdem aus, vor der Verwendung der Motoren … habe sie von der … AG Motoren … erworben - die beiden Motoren unterschieden sich, da die … AG den Motortyp … weiterentwickelt und die Technik von der Pumpe-Düse-Einspritzung auf die innovative Common-Rail-Einspritzung mit dem Ergebnis des Motortyps … umgestellt habe (Bl. 359 d.A.).
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Die Einspritzcharakteristik ist aber wesentlich für die Optimierung des Verbrennungsprozesses und steht damit im Zusammenhang mit der Abgasreinigung durch Abgasrückführung, auf die Ausführungen der Beklagten zur Funktionsweise des Softwareupdates wird Bezug genommen (Bl. 110 ff. d.A., dort S. 8, und Bericht der „Untersuchungskommission …“ Stand April 2016, S. 6).
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Auch angesichts des von der Beklagten beschriebenen ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten (Bl. 382 ff. d.A.) erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der hier inmitten stehenden Kenntnis von der Umschaltlogik - einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte - versagt haben sollen.
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Zwar hat die Beklagte ihren Vortrag zur von ihr behaupteten Unkenntnis in Bezug auf die Umschaltlogik von Personen, deren Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, mittlerweile vertieft. Sie trägt vor, mittlerweile seien die internen Untersuchungen abgeschlossen. Danach hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Vorstände im aktienrechtlichen Sinn bzw. andere Repräsentanten die für eine Haftung nach § 826 BGB maßgeblichen Kenntnisse gehabt hätten, und führt dies auch konkret aus in Bezug auf von der Klagepartei benannte Personen.
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Dies überzeugt den Senat jedoch nicht. Denn die Beklagte räumt ein, dass zu der Ebene der Bereichsleiter im Zeitraum von 2006 bis 2015 jeweils ca. 70 Personen gehört hätten. Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien aber weder erforderlich noch praktisch umsetzbar (Bl. 377 d.A.). Das teilt der Senat nicht, der nicht erkennen kann, dass die Anhörung dieser gleichwohl noch überschaubaren Anzahl von Personen zur Aufklärung dieses für die Beklagte aus dem Tagesgeschäft herausragend bedeutsamen Sachverhalts nicht praktisch umsetzbar sein soll, zumal es nach dem Vortrag der Beklagten auch der zur Untersuchung im …-Konzern eingesetzten Kanzlei … möglich war, mehr als 700 Befragungen durchzuführen einschließlich einer Sicherung von über 21.000 elektronischen Datenträgern bei weltweit über 3.500 Mitarbeitern (Bl. 369 f. d.A.). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nach ihren eigenen Ausführungen im Zeitraum von 2006 bis 2015 streng hierarchisch organisiert war mit Berichts- und Kontrollpflichten. Danach sei die Beklagte von sieben Vorständen geleitet worden und sei in sieben Vorstandsbereiche gegliedert gewesen, welche die erste Berichtsebene darstellten. Der Vorstandsebene nachgelagert gewesen seien Untergliederungen, die als Bereiche bezeichnet worden seien und welche die zweite Berichtsebene darstellten. An ihrer Spitze standen bereits die Bereichsleiter (Bl. 383 ff., 386 d.A.). Die Notwendigkeit ihrer Befragung drängt sich auf, zumal der BGH bereits in der Entscheidung vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 33) dem restriktiven Begriffsverständnis des Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB der dortigen Beklagten (und der hiesigen Beklagten explizit in Bezug auf Bereichsleiter, Bl. 303 ff. d.A., dort S. 4 ff., Bl. 372 ff. d. A., denen aber selbst die Beklagte gleichwohl „eine dem Tätigkeitsprofil der Vorstandsmitglieder angenäherte Funktion innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten“ zubilligt) nicht gefolgt ist. Ob überhaupt wenigstens einzelne und ggfls. welche Bereichsleiter befragt wurden, bleibt aber unklar.
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Eine Indizwirkung im Sinne der Beklagten vermag der Senat schließlich nicht in dem Umstand zu sehen, dass die internen Ermittlungen nicht zu Schadensersatzansprüchen der Beklagten gegen ihre Verantwortlichen bzw. zu weiteren staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Nach den Ausführungen der Beklagten bezogen sich die nach Darstellung der Beklagten umfangreichen internen Ermittlungen der Kanzlei … in Zusammenarbeit mit Deloitte zur Beklagten im Schwerpunkt ohnehin nicht auf den hier inmitten stehenden Sachverhalt der Verwendung der Motoren …, sondern auf Manipulationen bei den von der Beklagten selbst entwickelten 3-l-V6-Motoren (Bl. 369 ff. d.A., Anlagen BB3 u. BB4) und die Befragung der Bereichsleiter bleibt unklar. Die Ausführungen zu den Untersuchungen durch die Kanzlei … bleiben allgemein. Die Staatsanwaltschaft München II hat gegenüber der Beklagten wegen Aufsichtspflichtverletzungen im Bereich „Abgas Service / Zulassung Aggregate“ bei der Prüfung von Fahrzeugen auf ihre regulatorische Konformität u.a. wegen des Einsatzes des Motors … in Fahrzeugen weltweit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren geführt und ein Bußgeld verhängt (Anlage K15). Dies allein und der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, lässt keinen Rückschluss zu auf die dort jeweils bestehenden Kenntnisse und Entscheidungsmotive - erst recht nicht allein im Sinne des Beklagtenvortrags. Die Beklagte selbst legt überdies als Anlage BB5 das „Statement of Facts“ vor, aus dem sich ergibt, dass es im Hinblick auf die Vorgänge in den USA u.a. durch Angestellte der Beklagten zur Vernichtung von Unterlagen gekommen ist mit dem Ziel der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen (ebenda, Nr. 73).
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Die umfänglichen Ausführungen - teilweise einschließlich von Beweisangeboten - der Beklagten zur fehlenden Kenntnis ihrer Vorstände im aktienrechtlichen Sinne und sonstiger Repräsentanten mit der Begründung, sie habe den Motor nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt, sei am Homologationsprozess nicht beteiligt gewesen und habe aufgrund des bestehenden Baukastenprinzips mit automatisierten Produktionsprozessen ohne Einwirkungs- oder Überprüfungsmöglichkeit beim Aufspielen der Motorsteuerungssoftware bzw. später bei der Überwachung der Produktion keine Kenntnisse erlangen können, verfangen nicht, da der Senat - bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beklagten insoweit - in der Entscheidung über die Verwendung des Motors … in Kenntnis der Umschaltlogik das deliktische Handeln sieht.
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Diese Wertung liegt bereits der Entscheidung des Landgerichts (LGU S. 7) sowie den Entscheidungen des Senats zugrunde, zu denen durch den BGH unter dem 25.11.2021 bestätigende Entscheidungen (Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21) ergangen sind. Der Senat hat hierauf mit Verfügung vom 22.12.2021 (Bl. 449 f. d.A.) und erneut, nochmals ausführlicher, mit Beschluss vom 27.07.2022, dort insbesondere Ziffer 1 (Bl. 562 ff. d.A.), hingewiesen. Eine inhaltliche Ergänzung des Vortrags im Sinne dieser Hinweise erfolgte weder schriftsätzlich noch im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat; die Beklagte hat nach wie vor nicht die in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug über den Zukauf des Motors inklusive Software entscheidenden Personen benannt und ebenso wenig konkret zu deren Kenntnisstand - ggfls. nach Befragung im Rahmen der internen Ermittlungen - vorgetragen.
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b) Letztlich ist damit das Bestreiten der Beklagten auch unzureichend im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO.
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Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner - hier die Klagepartei - vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (z.B. BGH, Urteil 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 25 ff.). Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer Repräsentanten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 28).
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Die möglichen Anhaltspunkte sind dabei nicht beschränkt auf die im Urteil des BGH vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 30, genannten Umstände. Maßgeblich bleibt der Vortrag im Einzelfall, was bestätigt wird durch BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Rdnr. 24 ff. und Urteil vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20, Rdnr. 14 f.
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Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren … in (Un-)Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. Die Umstände, nach denen vorliegend eine Kenntnis der für die Beklagte handelnden und dieser zuzurechnenden Personen naheliegt, ergeben sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Herstellung kostengünstiger Motoren bei gleichzeitiger Einhaltung der gesetzlich weiter verschärften Stickoxidgrenzwerte sowie grundsätzlichem Verbot des Einsatzes von Abschalteinrichtungen war bei Automobilherstellern bekannt. Die Beklagte selbst entwickelt Dieselmotoren. Gleichzeitig waren der Beklagten die Hardwarekomponenten wie auch Aspekte der Funktion der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Einsatz der Motoren … (im Vergleich zu dem bis dahin verwendeten …motor …) bekannt. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten betraf eben nicht bloß ein untergeordnetes
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Zuliefererteil, sondern den Motor als „Kernstück“ des Fahrzeugs; die Emissionseigenschaften des Fahrzeugs sind für dieses wesentlich und nicht bloß ein technisches Detail. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten war mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken der entscheidenden Personen verbunden. Dem ist die Beklagte, wie sich ebenfalls aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht hinreichend entgegengetreten; insbesondere blieben ihre Angaben zu ihren internen Ermittlungen, auf deren negatives Ergebnis die Beklagte sich beruft, unzureichend, jedenfalls im Hinblick auf die Befragung der Bereichsleiter, und der Vortrag zum Kenntnisstand der Beteiligten im Rahmen des Produkt-Strategie-Komitees blieb pauschal.
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2. Vor diesem Hintergrund ist auch der Schädigungsvorsatz zu bejahen. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben; Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Umschaltlogik den serienmäßigen Einsatz der Motoren in ihren Fahrzeugen anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
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3. Die Einwände der Beklagten gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen nicht durch.
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Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Der Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt erfolgte erst später.
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Auch aufgrund der Angaben der Klagepartei persönlich im Rahmen ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat und des hierbei von ihr gewonnenen Eindrucks ist der Senat vom Bestehen der Kausalität überzeugt. Die Beklagte hat auf die förmliche Parteieinvernahme verzichtet.
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4. Der Anspruch ist auch nicht bereits verjährt.
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Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Beklagte konnte nicht zur Überzeugung des Senats nachweisen, dass bei der Klagepartei bereits im Jahr 2015 eine Kenntnis von der Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs vorlag. Die Unkenntnis im Jahr 2015 war auch nicht grob fahrlässig. Vorliegend trat Verjährung frühestens mit Ablauf des 31.12.2019 ein; die Klageerhebung noch im Jahr 2019 erfolgte rechtzeitig, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Im Einzelnen:
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Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es hinsichtlich der Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Dieselfällen darauf an, dass der Käufer Kenntnis erlangt hat vom „Dieselskandal“ allgemein, von der konkreten Betroffenheit seines Wagens hiervon sowie von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung, wobei von letzterem naturgemäß auszugehen ist (BGH, Urteil vom 17.12.2020, Az.: VI ZR 739/20, Rdnr. 5, 8, 17, vom 29.07.2021, Az.: VI ZR 1118/20, Rdnr.14 ff., Beschluss vom 15.09.2021, Az. VII ZR 294/20, Rdnr. 8 f., Urteilsserie vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 24, Az.: VII ZR 717/21, Rdnr. 24, Urteil vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 37). Der Senat hat die Klagepartei hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung befragt. Die Klagepartei gab an, Anfang 2016 von der Betroffenheit von … und schließlich von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs im Februar 2016 Kenntnis genommen zu haben wegen eines Anschreibens von … Insgesamt machte sie einen glaubwürdigen Eindruck. Damit ist der insoweit beweispflichtigen Beklagten der Nachweis einer Kenntnis der Klagepartei von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs schon im Jahr 2015 nicht gelungen.
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Zur Überzeugung des Senats war hier auch die Nichtverschaffung der Kenntnis von der konkreten Betroffenheit noch im Jahr 2015 nicht grob fahrlässig i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, und zwar auch unter Berücksichtigung der insofern breiten Medienberichterstattung, Information der Händler wie Servicepartner und Schaffung einer Abfragemöglichkeit im Internet. Der Zeitraum vom Bekanntwerden des „Dieselskandals“ im September 2015 bis zum 31.12.2015 war recht kurz. Die Klägerin hat zudem ausgeführt, dass sie den Abgasskandal zunächst nicht auf … bezogen habe; sie habe keine Vorstellung hinsichtlich des eingebauten Motors gehabt. Ferner hat nach dem Beklagtenvortrag u.a. die … AG, bei der die Information der Öffentlichkeit bewusst auch für Fahrzeuge der Beklagten gebündelt worden war, innerhalb dieses Zeitraums fortlaufend informiert zur Kooperation mit dem Kraftfahrtbundesamt, den so geplanten Abhilfemaßnahmen und Ankündigungen zu deren Umsetzung (Bl. 110 ff. d.A., dort S. 15 ff., 22 ff.). Ein Zuwarten, zumindest bis zum Ende des Jahres 2015 war damit jedenfalls nicht schlechterdings unverständlich; der Senat nimmt Bezug auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 12+35, Urteilsserie vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 396/21, Rdnr. 21 ff., Az.: VII ZR 679/21, Rdnr. 24 ff., Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 25 ff., Urteil vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 38 ff., vom 17.03.2022, Az.: III ZR 226/20, Rdnr. 22).
38
5. Der Anspruch erfasst die Erstattung des gezahlten Kaufpreises, nicht aber - anders als erstinstanzlich ausgeurteilt - der Reparaturkosten. Es handelt sich dabei um gewöhnliche Unterhaltungskosten bei einer Nutzung wie vorgesehen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 24, vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 16, vom 06.07.2021, Az.: 1146/20, Rdnr. 12, vom 16.11.2021, Az.: VI ZR 291/20, Rdnr. 10, vom 22.02.2022, Az.: VI ZR 415/20, Rdnr. 12). Dies ergibt sich aus den von der Klagepartei im Termin vor dem Senat ergänzend vorgelegten Unterlagen. Zwar trägt die Klagepartei vor, die mit der Wahrnehmung des Inspektionstermins am 07.10.2019 durchgeführten Arbeiten seien jedenfalls nicht in vollem Umfang notwendig gewesen, weshalb der hierfür aufgewendete und befristete Gutschein i.H.v. brutto 340,15 € tatsächlich wertlos gewesen und in der Folge der Betrag tatsächlich für die Reparatur für Kosten wegen einer Mangelhaftigkeit des Softwareupdates im August 2019 angefallen sei. Die Beklagte hat diesen Vortrag indes bestritten, ohne dass die Klagepartei einen Beweis zu der - ohnehin nur teilweise - behaupteten fehlenden Notwendigkeit der durchgeführten Arbeiten angeboten hat. Auf die Frage der Mangelhaftigkeit des Softwareupdates kommt es damit nicht mehr an.
39
6. Im Wege der Vorteilsanrechnung ist das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und das Eigentum zu übertragen sowie ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 65 ff.).
40
Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Der Senat schätzt die Gesamtlaufleistung - wie das Landgericht - auf 300.000 km. Mit dieser Schätzung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der gesamten Laufleistung (u.a. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 26). Die Schätzung liegt innerhalb der Bandbreite am oberen Rand, da das Fahrzeug in derart großem Umfang genutzt wird, dass es im Rahmen einer (fortgesetzten) 20-jährigen Nutzung auf jeden Fall eine Lebenslaufleistung von circa 300.000 km erreichen würde; der Senat ist überzeugt, dass Fahrzeuge nach 20 Jahren in der Regel verbraucht sind. Weitere aussagekräftige Umstände, welche die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, sind nicht dargetan (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021, Az.: VIII ZR 111/20, Rdnr. 52 ff., 58).
41
Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen.
42
Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Entgegen dem Einwand der Beklagten ist eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung - etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs - nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 36, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 15, vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 33, vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 46).
43
Danach errechnet sich bei Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit einer Kilometerleistung von insgesamt 145.805 km ein Erstattungsanspruch i.H.v. 8.665,00 €.
44
7. Die Klagepartei hat die Beklagte nicht in Annahmeverzug versetzt.
45
Die Klagepartei hat mit der anwaltlichen Mahnung und auch im Übrigen die abzuziehende Nutzungsentschädigung nicht hinreichend berücksichtigt, zudem erstinstanzlich die Erstattung von nicht geschuldeten Deliktszinsen (auf die ständige Rechtsprechung des BGH wird Bezug genommen: BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 17 ff., vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 21 ff.) wie nicht geschuldeten gewöhnlichen Unterhaltskosten gefordert.
46
Damit hat die Klagepartei durchgängig wesentlich zu viel gefordert, was die Entstehung von Annahmeverzug ausschließt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 50, vom 29.06.2021, Az.: VI ZR 130/20, Rdnr. 16, vom 18.05.2021, Az.: VI ZR 167/20, Rdnr. 15, vom 02.02.2021, Az. VI ZR 449/20, Rdnr. 9, vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 18, vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 85). Hieran ändert auch die Berufungsrücknahme in zweiter Instanz nichts, da erstinstanzlich die Erstattung der Reparaturkosten ausgesprochen worden war.
47
8. Der Anspruch ist nicht bereits wegen Verzugs zu verzinsen, sondern erst ab Rechtshängigkeit, mithin ab 03.10.2019, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2, 187 Abs. 1 BGB.
48
Der Klagepartei steht kein Anspruch auf Verzugszinsen zu gem. §§ 288, 286 Abs. 1, 2 BGB.
49
Das anwaltliche Aufforderungsschreiben wirkte nicht verzugsbegründend, auf die vorstehenden Ausführungen wird Bezug genommen. Andere verzugsbegründende Umstände sind nicht ersichtlich, insbesondere weder unter dem Gesichtspunkt „fur semper in mora“ noch unter dem Aspekt einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung, § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 22, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 26 f., vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 17 ff., BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 51).
50
Die vom Senat vorgenommene Zinsstaffel trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klagepartei die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Verhandlung erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 38). Maßgeblich ist danach, in welcher Höhe unter Berücksichtigung der anzurechnenden Nutzungsvorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit eine verzinsliche Hauptforderung bestand und wie sich diese im Laufe des Verfahrens angesichts der fortlaufenden Nutzung des Fahrzeugs entwickelte (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 23).
51
Es bestand jeweils abzüglich der gezogenen Vorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit (02.10.2019) eine Hauptforderung von circa 10.478,86 €, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz (23.06.2020) von 9.823,01 € und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz (19.09.2022) von 8.665,00 €.
52
Weil die Fahrleistung des Autos während des Zinszeitraums nicht taggenau nachvollzogen werden kann, ist der Senat im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer gleichmäßigen Nutzung ausgegangen, also von einer linearen Entwicklung des Kilometerstandes. Diese lineare Entwicklung berücksichtigt der Senat in der Weise, dass für die dazwischen liegenden Zinszeiträume ein Mittelwert zugrunde gelegt wird.
53
9. Es besteht ein Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten nach §§ 826, 31, 249 BGB wie erstinstanzlich ausgeurteilt, zu verzinsen aber erst ab Rechtshängigkeit.
54
Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 25, vom 22.06.2021, Az.: VI ZR 353/20, Rdnr. 5 ff., vom 24.01.2022, Az.: VIa ZR 100/21, Rdnr. 12 f.).
55
Die Rüge der Beklagten zur mangelnden Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit (Bl. 413 ff. d.A.) greift nicht durch. Die Beklagte beruft sich darauf, ihre Rechtsauffassung sei allgemein bekannt gewesen, weshalb ein vorgerichtliches anwaltliches Tätigwerden zur Erzielung eines Vergleichsschlusses nicht erforderlich und zweckmäßig gewesen sei. Dem Senat ist aber aus einer Vielzahl von Fällen bekannt, dass die Beklagte teilweise auch noch im gerichtlichen Verfahren Vergleiche geschlossen hat. Im Übrigen wird Bezug genommen auf BGH, Beschluss vom 23.06.2022, Az.: VII ZR 394/21, Rdnr. 24 ff.
56
Abzustellen ist bei der Berechnung auf den Gegenstandswert im Moment der vorgerichtlichen Tätigkeit (BGH, Urteil vom 02.11.2021, Az.: VI ZR 731/20, Rdnr. 16, vom 16.11.2021, Az.: VI ZR 291/20, Rdnr. 15). Nach den vorstehenden Ausführungen zum Anspruch selbst und zur vorzunehmenden Vorteilsanrechnung beträgt der Gegenstandswert vorliegend 10.478,86 €, mithin bestünde ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 958,19 €.
57
Zu verzinsen ist dieser wie die Hauptsache erst ab Rechtshängigkeit.
58
Erstinstanzlich ausgeurteilt wurde ein Betrag von lediglich 887,03 € nebst Verzugszinsen. Aufgrund der umfassenden Berufung der Beklagten sind lediglich Rechtshängigkeitszinsen zuzusprechen. Die Berufung der Klagepartei war indes beschränkt auf einen geringeren Abzug von Nutzungsentschädigung und wurde zudem zurückgenommen, einer höheren Erstattung von Rechtsanwaltskosten steht daher die Rechtskraft insoweit entgegen, §§ 528, 308 Abs. 1 S. 2 ZPO.
59
Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die erhobene Forderung von Deliktszinsen ist zu Lasten der Klagepartei zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, Rdnr. 32). Die Klagepartei hat mit der Klage die Erstattung des Kaufpreises zuzüglich Reparaturkosten abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung beantragt; auch wenn sie im Übrigen gegen die Abzugsfähigkeit der Nutzungsentschädigung streitet (Bl. 85 ff. d.A., aber Bl. 321 d.A.), ist insoweit die geltend gemachte Forderung zu reduzieren um die bis dahin angefallene Nutzungsentschädigung auf der Basis einer in der Klage eingeräumten (Bl. 84 d.A.) Mindestgesamtlaufleitung von 350.000 km (BGH, Beschluss vom 23.02.2021, Az.: VI ZR 1191/20, Rdnr. 6, vom 19.05.2021, Az.: VII ZR 216/20, Rdnr. 4, vom 12.10.2021, Az.: VIII ZR 255/20, Rdnr. 16 ff., vom 10.11.2021, Az.: VII ZR 296/21, vom 09.03.2022, Az.: VII ZR 666/21, Rdnr. 4, vom 08.12.2021, Az.: VII ZR 206/21, Rdnr. 8).
60
Die Kostenentscheidung zweiter Instanz beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1, 516 Abs. 3 ZPO.
61
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
62
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in Dieselfällen, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB wie auch die Anforderungen an den Vortrag der Parteien sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt (deutlich u.a.: BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 223/20, Rdnr. 8, vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rdnr. 4, 24). Dies gilt auch in Bezug auf eine Haftung der Beklagten bei Fahrzeugen ihrer Herstellung mit Motoren … (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Urteilsserie vom 25.11.2021: Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, Urteil vom 21.12.2021, Az.: VI ZR 875/20, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, vom 27.01.2022, Az.: III ZR 195/20, vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Az.: VII ZR 258/20 und Az.: VII ZR 26/21, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20, vom 10.05.2022, Az.: VI ZR 838/20, Beschluss vom 23.03.2022, Az.: VII ZR 139/21, vom 18.05.2022, Az.: VII ZR 142/21). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 95/06, Rdnr. 2, deutlich: Beschluss vom 13.10.2021, Az.: VII ZR 99/21, Rdnr. 28).