Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 29.03.2022 – 1 U 484/21
Titel:

Anforderungen an Beitragserhöhungsverlangen in der Krankenversicherung

Normenkette:
VVG § 203 Abs. 5
Leitsätze:
1. Ein Prämienerhöhungsverlangen in der privaten Krankenversicherung erfordert in formeller Hinsicht die Mitteilung der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren anzugeben, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben (Anschluss an BGH BeckRS 2020, 37388). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Mitteilung einer Prämienanpassung genügt deshalb den gesetzlichen Anforderungen, wenn sie Angaben zu nicht nur vorübergehend gestiegenen Leistungsausgaben im konkret von der Anpassung betroffenen Tarif enthält. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Beitragserhöhung, Prämienanpassungsverlangen, Anforderungen, Rechnungsgrundlage
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 21.09.2021 – 61 O 298/20
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 25.04.2022 – 1 U 484/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 41200

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 21.09.2021, Az. 61 O 298/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 10.968,77 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 22.04.2022.

Entscheidungsgründe

1
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Zudem liegen weder die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision vor (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) noch ist eine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Der Senat beabsichtigt daher, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 21.09.2021, Az. 61 O 298/20, einstimmig zurückzuweisen.
I.
2
Die Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO, da das Landgericht die Klage jedenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen hat.
3
1. Durch das erst nach Berufungseinlegung ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20, sind die wesentlichen Streitfragen zur Verjährung nunmehr geklärt.
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a) Auch die Berufung stellt die Verjährung von etwaigen Zahlungsansprüchen letztlich nicht in Frage, soweit diese bis zum 31.12.2017 entstanden sind, macht vielmehr nur Rückzahlungsansprüche für geleistete Beiträge im Tarif … zwischen 01.01.2018 und 01.12.2019 geltend (vgl. Berufungsbegründung vom 28.12.2021, S. 3).
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b) Der Berufung ist noch dahingehend zuzustimmen, dass mit der Begründung des Landgerichts weder Zahlungsansprüche ab 2018 noch ein Feststellungsinteresse verneint werden könnten. Das Landgericht hat Ansprüche insgesamt wegen Verjährung verneint, ohne hierbei genauer zu begründen, weshalb die geltend gemachten Zahlungsansprüche auch in (unstreitig) unverjährter Zeit ab 01.01.2018 nicht bestehen sollten (vgl. LGU S. 8 f.).
6
Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig geblieben, dass spätere Erhöhungen in diesem Tarif keine „echten“ Beitragsanpassungen waren, sondern es sich um befristete Limitierungsschriften gehandelt hat (vgl. insoweit den klägerischen Schriftsatz vom 18.06.2021, S. 2 f., sowie den Schriftsatz der Beklagten vom 12.07.2021, S. 6 ff.). Damit bestehen bis Ende 2019 keine (nicht angegriffenen) Folgeanpassungen, für die eine Neukalkulation des Tarifs stattgefunden hat, welche die frühere Kalkulation überholt hätten (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19 -, Rn. 54). Nichts anderes ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten, im Tarif … sei zum 01.01.2020 eine weitere, nicht angegriffene Anpassung erfolgt (vgl. Berufungserwiderung vom 28.03.2022, S. 2), da der Kläger seinen Antrag auf bis Ende 2019 geleistete Beiträge beschränkt hat.
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2. Die Entscheidung erweist sich gleichwohl im Ergebnis als zutreffend, da die beiden angegriffenen Beitragsanpassungen formell wirksam waren.
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Den gegen die Annahme der formellen Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassung zum 01.01.2012 bzw. 01.01.2013 gerichteten Einwänden der Berufung folgt der Senat nicht. Daher ergibt sich auch insofern kein Rückzahlungsanspruch des Klägers aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Der Feststellungsantrag ist damit ebenfalls unbegründet.
Im Einzelnen:
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a) Bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG wird erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2021, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung dabei den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (vgl. BGH a.a.O., Rn. 24).
10
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben (vgl. BGH a.a.O., Rn. 19 m.w.N.). In diesem Sinne entscheidend ist nur, ob eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die in § 155 Abs. 3 und 4 Versicherungsaufsichtsgesetz oder in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelten Schwellenwerte überschreitet oder nicht. Dagegen ist es ohne Bedeutung, ob die über den Schwellenwert hinausreichende Veränderung in Gestalt einer Steigerung oder einer Verringerung eingetreten ist. Die Überprüfung der Prämie wird unabhängig von diesem Umstand ausgelöst, sobald der Schwellenwert überschritten wird. Da die Mitteilungspflicht nicht den Zweck hat, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen, ist ein Hinweis des Versicherers darauf, in welche Richtung sich die maßgebliche Rechnungsgrundlage verändert hat, auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zur Information des Versicherungsnehmers erforderlich (vgl. BGH a. a.O., Rn. 27; Urteil vom 20.10.2021, IV ZR 148/20, Rn. 30, juris). Zudem ist die genaue gesetzliche Bezeichnung dieser Veränderung aus Sicht des Versicherungsnehmers kein entscheidender Umstand für die Prämienanpassung (vgl. BGH, Urteil vom 20.10.2021 a.a.O., Rn. 31).
11
c) Ausgehend hiervon wurden entgegen der klägerischen Auffassung in dem Mitteilungsschreiben der Prämienanpassung für das Jahr 2012 bzw. 2013 im Tarif … die Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG erfüllt.
12
Aus den Informationsschreiben (vgl. Anlage B 5, Bl. 170 ff. d.A.) ergibt sich, welcher Tarif konkret betroffen ist (vgl. Bl. 171 bzw. 176 d.A.). In der den Schreiben beiliegenden „Wichtige Information zu Ihrem Vertrag“ wurde die Prämienanpassung jeweils mit gestiegenen Leistungsausgaben begründet (vgl. Bl. 173 bzw. 178 d.A.). Der Bundesgerichtshof verwendet den Begriff Leistungsausgaben als Synonym für Versicherungsleistungen (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19, Rn. 37), weshalb die relevante Rechnungsgrundlage genannt wurde. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer konnte aufgrund der Schreiben auch mit hinreichender Klarheit als Ergebnis der Überprüfung entnehmen, dass für den Tarif eine relevante Änderung eingetreten ist, die eine Anpassung notwendig macht (vgl. auch BGH, Urteil vom 16.11.2021 a.a.O., Rn. 28; Urteil vom 20.10.2021 a.a.O., Rn. 32). Aus den Mitteilungs- und Informationsschreiben wird im Übrigen ersichtlich, dass eine Abweichung festgestellt wurde, die nicht nur vorübergehender Natur ist. Daneben waren weitere Ausführungen zur Überprüfung der Sterbewahrscheinlichkeiten und zu deren Ergebnis nicht veranlasst, da diese nicht auslösend für die Beitragsanpassung waren. Gefordert hat der Bundesgerichtshof einzig „die Angabe der Rechnungsgrundlage, die die Prämienanpassung ausgelöst hat“ (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19, Rn. 35).
13
Die Einwände der Berufungsbegründung, welche sich (entgegen § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO) im Übrigen diesbezüglich in einem reinen Verweis auf erstinstanzliches Vorbringen erschöpft, greifen demzufolge nicht durch.
14
3. Über die weiteren Einwände der Beklagten gegen die Berufung, insbesondere die Höhe der Beitragsanpassung (vgl. Berufungsbegründung, S. 2), muss daher nicht mehr abschließend entschieden werden.
II.
15
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO) liegen nicht vor. Soweit Rechtsfragen zu beantworten waren, sind diese in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung spätestens durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20, geklärt. Der Senat weicht hiervon nicht ab.
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Auch ist eine mündliche Verhandlung in der vorliegenden Sache nicht geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO). Es ist auszuschließen, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu einer anderen Beurteilung führen.
17
Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1222) hin.
III.
18
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung von § 47 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO zu bestimmen sein. Für den Berufungsantrag zu Ziff. 1 werden 6.398,45 € angesetzt (Gesamtsumme von 190,43 € x 42 Monate x 80%), für den Berufungsantrag zu Ziff. 2 ein Betrag von 4.570,32 €.