Titel:
Betriebsrat, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Gesamtbetriebsvereinbarung, Betriebsvereinbarung, Gesamtbetriebsrat, Mitbestimmung, Feststellung, Beschlussverfahren, Bindungswirkung, Verfahren, Betriebsratswahl, Feststellungsinteresse, Organisationseinheit, Bundesrepublik Deutschland, Wahrnehmung der Interessen, gerichtliche Entscheidung
Schlagworte:
Betriebsrat, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Gesamtbetriebsvereinbarung, Betriebsvereinbarung, Gesamtbetriebsrat, Mitbestimmung, Feststellung, Beschlussverfahren, Bindungswirkung, Verfahren, Betriebsratswahl, Feststellungsinteresse, Organisationseinheit, Bundesrepublik Deutschland, Wahrnehmung der Interessen, gerichtliche Entscheidung
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 02.09.2022 – 8 TaBV 15/22
LArbG Nürnberg, Berichtigungsbeschluss vom 28.12.2022 – 8 TaBV 15/22
BAG Erfurt, Beschluss vom 25.10.2023 – 7 ABR 25/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40990
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass am Standort der Beteiligten zu 2) unter der Adresse A-Straße, A-Stadt, eine betriebsratsfähige Organisationseinheit besteht.
2. Der Antrag zu 2.) aus der Antragserweiterung vom 26.01.2022 wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten darum, ob am Standort des antragstellenden Betriebsrats auch nach dem Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats zwischen der Beteiligten zu 2) und dem Beteiligten zu 3) weiterhin eine betriebsratsfähige Organisationseinheit besteht.
2
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1) ist der in der Filiale der Beteiligten zu 2) in A-Stadt gewählte Betriebsrat. Die Beteiligte zu 2) betreibt in Deutschland 531 … werkstätten mit integriertem …-Fachmarkt und beschäftigt dabei 8.152 Mitarbeiter. Der Beteiligte zu 3) ist der Gesamtbetriebsrat mit derzeit 51 Mitgliedern, von denen 21 Mitglieder zu 100 % freigestellt sind und 30 Mitglieder zu 50 %.
3
Die Beteiligte zu 2) ist nicht tarifgebunden und wird auch nicht von einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag erfasst. Zuletzt (Sommer 2021) waren in 235 Filialen örtliche Betriebsräte gebildet, wobei aufgrund der Filialgrößen 201 Betriebsräte aus einem nur 1-köpfigen Betriebsrat bestehen und die restlichen 34 Gremien 3-köpfig sind.
4
Im Jahre 2019 kam es bei der Beteiligten zu 2) zu einer organisatorischen Umstrukturierung. Die bisherige Filialorganisation mit fünf Vertriebsregionen und 45 Vertriebsgebieten wurde ersetzt durch eine Struktur mit 20 Bezirken mit je einem Vertriebsleiter, der der Zentrale der Beteiligten zu 2) in C-Stadt unterstellt ist und dem die jeweils in seinen Bezirk fallenden Filialen zugeordnet sind.
5
Am 25.01./05.02.2021 schlossen die Beteiligte zu 2) und der Beteiligte zu 3) eine Gesamtbetriebsvereinbarung über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 II, I Nr. 1 a BetrVG (GBV).
6
Diese GBV lautet auszugsweise:
(1) Für die …-Filial KG wird ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gebildet. Im unternehmenseinheitlichen Betriebsrat sollen möglichst Mitglieder aus allen Bezirken vertreten sein. Er löst sowohl den bisherigen GBR als auch die örtlichen Betriebsräte der Betriebe der …-Filial KG ab.
(3) Die Betriebsparteien stimmen darin überein, dass jeder Vertriebsbezirk gleich stark im unternehmenseinheitlichen Betriebsrat vertreten sein soll. Zu diesem Zweck wird die Anzahl der Mitglieder des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats auf 71 festgelegt.
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Dem Betriebsrat werden dauerhaft bis zu maximal 10 sachkundige Arbeitnehmer als Auskunftspersonen gem. § 80 Abs. 2 Satz 4 BetrVG zur Verfügung gestellt.
8
Diese Auskunftspersonen nach Abs. 2 genießen den Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG und dürfen in entsprechender Anwendung des § 78 BetrVG wegen der Wahrnehmung ihrer Aufgaben weder bevorteilt noch benachteiligt werden.
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Wegen des vollständigen Wortlauts der GBV wird auf Bl. 110 ff. d.A. verwiesen.
10
Dagegen wehrt sich der Antragsteller. Er macht mit seinem am 31.08.2021 beim Arbeitsgericht Weiden eingegangenen und den weiteren Beteiligten am 02.09.2021 zugestellten Antrag im Wege eines Verfahrens nach § 18 II BetrVG den Fortbestand einer betriebsratsfähigen Einheit am Standort in A-Stadt geltend. Die Gesamtbetriebsvereinbarung sei unwirksam, da die Voraussetzungen des § 3 I Nr. 1 a BetrVG nicht vorlägen. Mit dem beschlossenen Einheitsbetriebsrat würde gegen den Grundsatz der Ortsnähe verstoßen. Die Zusammenfassung von Betrieben etwa in Anlehnung an die bundesweite Vertriebsstruktur der Beteiligten zu 2) sei die weniger einschneidende Lösung zur Bildung von Betriebsräten im Verhältnis zur Errichtung eines einheitlichen Betriebsrats. Durch dessen geplante Bildung würden die Interessen der Arbeitnehmer auch keineswegs besser wahrgenommen werden können als bisher. Die wichtigsten mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen würden nach wie vor in den jeweiligen Filialen vor Ort getroffen werden. Die örtlichen Betriebsräte seien auch weiterhin aktiv und keinesfalls amtsmüde, wie sich z.B. aus dem vorliegenden Verfahren, den 35 Parallelverfahren sowie aus den zuletzt abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen und geführten Beschlussverfahren ergebe (vgl. Bl. 176 ff. d.A.). Wie eine sachgerechte Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen bei dem angedachten Modell eines Einheitsbetriebsrates, dessen – angesichts der Mitarbeiterzahl – nur 71 Betriebsratsmitglieder gleich Handlungsreisenden die Betriebsstätten aufsuchen sollen, möglich sein soll, erschließe sich nicht. Maßgebend für die betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungsstrukturen sei der Gesichtspunkt einer möglichst arbeitnehmernahen Gestaltung der Mitbestimmungsordnung. Durch die geplante Änderung würde der Grundsatz der Ortsnähe aber ad absurdum geführt und dem eigentlichen Zweck einer abweichenden Regelung im Sinne des § 3 I Nr. 1 a BetrVG nicht entsprochen. Die daraus aus Sicht des Beteiligten zu 1) folgende Unwirksamkeit der GBV wurde zuletzt noch im Wege der Antragserweiterung als eigener Feststellungsantrag in das Verfahren eingeführt. Wegen weiterer Einzelheiten zum umfangreichen Vortrag des Antragstellers und Beteiligten zu 1) wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf sämtliche hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
11
Der Beteiligte zu 1) beantragt:
- 1.
-
Es wird festgestellt, dass am Standort der Beteiligten zu 2) unter der Adresse A-Straße, A-Stadt, eine betriebsratsfähige Organisationseinheit besteht.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats zwischen der Beteiligten zu 2) und dem Beteiligten zu 3) vom 25.01.2021 bzw. 05.02.2021 unwirksam ist.
12
Die Beteiligte zu 2) und der Beteiligte zu 3) beantragen hingegen,
die Anträge zurückzuweisen.
13
Die Beteiligte zu 2) trägt dazu im Wesentlichen vor, dass die GBV vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Abnahme der Anzahl der Betriebsratsfilialen/Mitarbeiter, die durch einen Betriebsrat vertreten werden und vor dem Hintergrund einer arbeitgeberseits erfolgten Umstrukturierung zu sehen sei. Die GBV diene der sachgerechten Wahrnehmung der Interessen aller bei der Beteiligten zu 2) beschäftigten Arbeitnehmer. Darin seien sich Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat einig. Der hier bestehende Beurteilungs- und Ermessensspielraum sei von den Gerichten zu beachten. Das unternehmenseinheitliche Gremium sei dort angesiedelt, wo die wesentlichen Entscheidungen getroffen würden. Es sei nicht richtig, dass die wichtigsten Entscheidungen nach wie vor in den Filialen getroffen werden würden. Diese Entscheidungsnähe spräche bereits erheblich für die Sachdienlichkeit der Regelung. Auch dem Kriterium der Ortsnähe sei durch die Ausstattung des Betriebsrats u.a. in personeller (71 Freistellungen) und sächlicher Hinsicht (Smartphone, Laptop) sowie durch die Regelungen in der GBV betreffend die angestrebte personelle Zusammensetzung im Gremium mit Mitgliedern aus möglichst allen Bezirken ausreichend Genüge getan. Allen Mitgliedern des neuen Gremiums würden auch unter Berücksichtigung von deren Wohnort Bezirke bzw. konkrete Filialen zugeordnet, die diese dann zu betreuen hätten. Die künftigen Betriebsräte seien daher weit überwiegend als „Reisebetriebsräte“ im Einsatz. Nicht zuletzt diene das neue Gremium ganz augenfällig auch der Erleichterung der Bildung von Betriebsräten, da 57 % der Filialen und 4.456 Mitarbeiter in die Mitbestimmung geführt würden und dadurch immer größer werdende „weiße Flecken“ auf über der Hälfte der Betriebsverfassungslandkarte beseitigt würden. Wegen weiterer Einzelheiten zum umfangreichen Vortrag der Beteiligten zu 2) wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf sämtliche hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
14
Der Beteiligte zu 3) schließt sich den Ausführungen der Beteiligten zu 2) an und macht weitergehend geltend, dass die GBV auch aus Sicht des Gesamtbetriebsrates eine effiziente und beiden Seiten nützende Arbeitnehmerinteressenvertretungsstruktur unter Berücksichtigung der arbeitgeberseits verfolgten Zentralisierungsstruktur in Bezug auf die Organisations- und Entscheidungsstrukturen im Unternehmen schaffe. Der Gesamtbetriebsrat agiere aufgrund einer starken Tendenz zur Inaktivität auf Ebene der örtlichen Filialbetriebsräte seit Jahren de facto wie ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat. Die größtenteils einköpfigen Betriebsräte schlössen praktisch keine mit ihnen selbst verhandelten Betriebsvereinbarungen ab. Dies gelte insbesondere für die mitbestimmungsrechtlichen Kernmaterien gem. § 87 I Nr. 2 und 3 BetrVG. Gelebt werde in den Filialen eine von den Gesamtbetriebsparteien abgeschlossene GBV mit dem Titel „Arbeitszeit II“, die Regelungen zur Arbeitszeit enthalte. Die Beteiligte zu 2) wende diese GBV ohne existierende Rechtspflicht auch in denjenigen Filialen an, die keinen Betriebsrat haben. Auch in Bezug auf Urlaubsgrundsätze und damit eine weitere Kernmaterie der Mitbestimmung sei eine Passivität seitens der örtlichen Betriebsräte festzustellen. Bis 2014 seien hierzu auf Grundlage einer zwischen den Beteiligten zu 2) und 3) vereinbarten Musterregelung örtliche Vereinbarungen ohne Abweichungen abgeschlossen worden. Danach sei auf Anfrage und Bitte des GBR von 145 Betriebsräten die Thematik gem. § 50 II BetrVG an ihn delegiert worden, was wiederum zeige, dass auch hier keine nennenswerte Aktivität auf Seiten der Filialbetriebsräte entfaltet worden sei. Es bestünden zudem zahlreiche weitere Gesamtbetriebsvereinbarungen, die in den Filialen unter Duldung und Akzeptanz der örtlichen Betriebsräte zur Anwendung kämen, wobei die Beteiligte zu 2) auch diese Regelungen in den betriebsratslosen Filialen zur Anwendung bringe (vgl. Auflistung auf Bl. 125 d.A.). Es gebe noch weitere Beispiele für die Passivität (vgl. Bl. 125 ff. d.A.), auch seien selbst außerhalb des Abschlusses von Betriebsvereinbarungen mit Blick auf die nicht erfolgte Nutzung bzw. Leerung der Filialbetriebsratspostfächer Anzeichen zu erkennen, die auf eine nicht allzu große Aktivität auf Seiten der örtlichen Betriebsräte hindeuteten. Der Beteiligte zu 3) habe große Anstrengungen unternommen, um Betriebsratsgründungen zu initiieren (Bl. 128 f. d.A.). So seien auch betriebsratslose Betriebe bereist worden, um dort für die Gründung von Betriebsräten zu werben, dies auch deshalb, um der rückläufigen Tendenz der Abdeckung der Filialen durch Interessenvertretungen entgegenzuwirken. Trotz dieser intensiven Bemühungen sei die Tendenz aber stark rückläufig geblieben und die weißen Flecken auf der Landkarte der Betriebsratsabdeckung zunehmend größer geworden. Für den Beteiligten zu 3) stehe daher fest, dass eine sinnvolle Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten in diesem großen Filialunternehmen nur auf Basis eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates mit der großen Anzahl der freigestellten Mitglieder und weiteren Personen möglich sei. Dies gelte auch bzw. gerade angesichts der zentralisierten Entscheidungsstrukturen auf Arbeitgeberseite und der sehr kleinen und in der Anzahl relativ geringen und rückläufigen und überwiegend infolge fehlender Freistellungen und kleiner Größe inaktiven Gremien (vgl. Bl. 130 d.A.). Derzeit werde auch auf Grundlage der gegenständlichen GBV ein Konzept für eine effektive und ortsnahe Filialbetreuung erarbeitet, das aber nur der dann neu gewählte Betriebsrat beschließen und umsetzen könne. Danach sollen jeweils zwei …-Vertriebsbezirke mit ca. 25-30 Filialen pro Bezirk von 4-5 Betriebsratsmitgliedern fest betreut und regelmäßig bereist werden. Die weiteren 20-25 Betriebsratsmitglieder sollen die Fachausschüsse besetzen, die den die Filialen betreuenden Mitgliedern zuarbeiten sollen (vgl. Bl. 305 ff. d.A.). Wegen weiterer Einzelheiten zum umfangreichen Vortrag des Beteiligten zu 3) wird vollumfänglich und bezüglich aller Details auf sämtliche hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
15
Im Übrigen wird noch auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
16
Die Anträge sind teilweise erfolgreich. Die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 25.01.2021/05.02.2021 ist unwirksam. Damit liegen die Voraussetzungen für die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nicht vor mit der Konsequenz, dass es bei der betriebsratsfähigen Organisation des Antragstellers am Standort A-Stadt verbleibt. Der Antrag zu 2.) erweist sich als unzulässig.
17
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für den vorliegend zutreffend im Beschlussverfahren ausgetragenen Rechtstreit ist eröffnet gem. § 2 a I Nr. 1 ArbGG. Das Arbeitsgericht Weiden ist örtlich zuständig, § 82 I 2 ArbGG (vgl. BAG vom 19.06.1986, 6 ABR 66/84).
18
Der Antrag 1.) ist als Antrag nach § 18 II BetrVG zulässig. Es geht dem Antragsteller ersichtlich um die Klärung der künftigen Betriebsratsstruktur nach Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV). So verstanden ist der Antrag hinreichend bestimmt (zu einer solchen Antragsformulierung: vgl. Hamacher, Antragslexikon Arbeitsrecht, 3. Aufl., Wahlen zum Betriebsrat Rn. 2). Es besteht nach Abschluss der GBV und den daraus resultierenden Zweifeln hinsichtlich der künftigen Betriebsratsstruktur bei der Beteiligten zu 2) auch ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Frage, in welcher Organisationseinheit künftig ein Betriebsrat zu wählen ist. Die Antragsberechtigung des Antragstellers als beteiligter Betriebsrat gem. § 18 II BetrVG besteht im Hinblick auf seine Eigenschaft als zuständiger Betriebsrat für den bisher als selbständiger Betrieb angesehenen Standort in A-Stadt.
19
Der Antrag ist auch insofern zulässig, als der antragstellende Betriebsrat einen wirksamen Beschluss über die Beauftragung des Antragstellervertreters zur Einleitung des vorliegenden Verfahrens gefasst hat. Auf das Bestreiten der Beteiligtenseite zu 2) hin hat der Antragsteller auflagengemäß zur Einladung für den 19.06.2021, Tagesordnung und Beschlussfassung im Schriftsatz vom 26.01.2022 vorgetragen und eine Kopie der Niederschrift über die Betriebsratssitzung, aus der die Beschlussfassung ersichtlich ist, vorgelegt. Damit sind die Voraussetzungen für einen wirksamen Betriebsratsbeschluss dargelegt. Unproblematisch ist, dass der Beschluss auf Feststellung der Unwirksamkeit der GBV lautet, da das Ziel für den Antragsteller laut Beschluss von der Antragstellung als wesentliche Frage erfasst wird und die konkrete Antragstellung in diesem Rahmen Sache des beauftragten Rechtsanwalts ist. Konkrete Unwirksamkeitsgründe bezüglich der Beschlussfassung wurden von den weiteren Beteiligten im Folgenden nicht mehr aufgezeigt, so dass von deren Wirksamkeit auszugehen war (vgl. LAG Hessen vom 8.2.2021, 16 TaBV 185/20).
20
Der Antrag zu 2.) ist allerdings unzulässig. Es fehlt ein Feststellungs- bzw. Rechtsschutzinteresse i.S.v. § 256 I bzw. II ZPO. Ein solches Interesse besteht im Rahmen von § 256 I ZPO, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und wenn das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. z.B. BGH vom 09.06.1983, III ZR 74/82). Kein Feststellungsinteresse besteht aber, wenn dem Kläger die Feststellung nichts nützt, was etwa dann der Fall ist, wenn Antragsgegenstand eine Frage ist, die in identischem Umfang bereits Gegenstand eines anderweitigen Antrages ist. Ähnliche Grundsätze gelten für das im Rahmen des § 256 II ZPO erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Rechtsschutzbedürftig ist der Antragsteller hier dann, wenn das inzidenter zu klärende Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten noch über den gegenwärtigen Streitgegenstand hinaus Bedeutung gewinnen kann (vgl. BAG vom 07.02.2019, 6 AZR 84/18).
21
Nach diesen Grundsätzen kann ein Feststellungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnis nach § 256 I bzw. II ZPO für den Antrag zu 2.) hier nicht bejaht werden. Die erstrebten Rechtswirkungen zwischen den Beteiligten – Fortbestehen einer betriebsratsfähigen Einheit am Standort in A-Stadt trotz der abgeschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarung – werden mit der Entscheidung über den Antrag zu 1.) erschöpfend geregelt. Wofür die gesonderte Feststellung der Unwirksamkeit der Gesamtbetriebsvereinbarung für den Antragsteller darüber hinaus noch Bedeutung haben soll, ist nicht ersichtlich.
22
Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen. Die ergangene Entscheidung über den Antrag zu 1.) bedeutet für alle Beteiligten zugleich, dass ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat durch die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 25.01.2021/05.02.2021 nicht wirksam gebildet wurde. Dies ergibt sich aus dem Zweck des Verfahrens nach § 18 II BetrVG und aus der sich auch auf den Ausschluss des jeweiligen Gegenteils erstreckenden Reichweite der Bindungswirkung eines entsprechenden positiven Feststellungsbeschlusses. Gegenstand und Ziel des Verfahrens nach § 18 II BetrVG bestehen nicht nur darin, Streitigkeiten über die Zuständigkeit eines gewählten oder noch zu wählenden Betriebsrats zu entscheiden. Das Verfahren nach § 18 II BetrVG dient auch dazu, die Voraussetzungen für eine (künftige) ordnungsgemäße Betriebsratswahl zu schaffen. Die gerichtliche Entscheidung in einem Verfahren nach § 18 II BetrVG klärt daher eine für die gesamte Betriebsverfassung grundsätzliche Vorfrage, indem sie verbindlich festlegt, welche Organisationseinheit als der Betrieb anzusehen ist, in dem ein Betriebsrat gewählt wird und in dem er seine Beteiligungsrechte wahrnehmen kann (vgl. BAG vom 23.11.2016, 7 ABR 3/15). Aufgrund der durch § 18 II BetrVG bezweckten verbindlichen Klärung der Frage nach dem Betrieb entfaltet die Entscheidung ihre Bindungswirkung nicht nur im Verhältnis der Beteiligten zueinander, sondern auch im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber (vgl. BAG vom 09.04.1991, 1 AZR 488/90; vgl. noch weitergehend GMP/Spinner, 9. Aufl. 2017, ArbGG § 84 Rn. 28: Wirkung gegenüber allen). Zudem erstreckt sich die Bindungswirkung einer gerichtlichen Entscheidung nach allgemeinen Grundsätzen nicht nur auf die Feststellung einer konkreten Rechtsfolge, sondern zugleich auf die Feststellung des Nichtvorliegens ihres kontradiktorischen Gegenteils (vgl. BGH vom 7.7.1993, VIII ZR 103/92). Nach der GBV sollen die bisherigen örtlichen Betriebsräte sowie der Gesamtbetriebsrat vom neuen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat abgelöst werden (§ 2 I GBV). Nach dem Abschluss dieser GBV stehen sich damit als Möglichkeiten gegenüber, ob – im Falle der Wirksamkeit der GBV – künftig eine unternehmenseinheitliche, den Standort in A-Stadt einschließende betriebsratsfähige Organisationseinheit besteht oder – im Falle der Unwirksamkeit der GBV – auch weiterhin in A-Stadt eine gesonderte betriebsratsfähige Einheit existiert. Diese beiden Möglichkeiten schließen sich gegenseitig aus (vgl. gerichtl. Hinweisbeschluss vom 19.11.2021). Daraus ergibt sich, dass mit der erfolgten Feststellung des Fortbestehens einer betriebsratsfähigen Einheit am Standort in A-Stadt nach Abschluss der gegenständlichen Gesamtbetriebsvereinbarung als Kehrseite zugleich feststeht, dass durch die gegenständliche GBV ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gerade nicht begründet wurde. Ein darüber noch hinausgehendes Feststellung- bzw. Rechtsschutzinteresse kann nach alldem nicht erkannt werden.
23
Der zulässige Antrag ist auch begründet. Die GBV vom 25.01.2021/05.02.2021 ist unwirksam, so dass es bei der Betriebsratsfähigkeit der A-Filiale verbleibt.
24
Die gegenständlichen GBV legt von der gesetzlichen Betriebsverfassung abweichende Strukturen fest, ohne dass die hierfür vorgesehenen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
25
Die Wahl von Betriebsräten erfolgt nach § 1 BetrVG grundsätzlich vor Ort in den Betrieben. Hiervon abweichend ist in der GBV geregelt, dass künftig nurmehr ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat für das gesamte Bundesgebiet gebildet werden soll, der sämtliche örtliche Betriebsräte sowie den bestehenden Gesamtbetriebsrat ablöst (§ 2 I GBV).
26
Die abweichenden Regelungen sind unwirksam. Die GBV entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 3 I BetrVG.
27
Die Möglichkeit einer vom Gesetz abweichenden Ausgestaltung der Repräsentationsstrukturen der Arbeitnehmer in der Betriebsverfassung ist den Betriebsparteien nur in dem durch § 3 I BetrVG bestimmten Umfang eröffnet (vgl. BAG vom 13.3.2013, 7 ABR 70/11). Nach § 3 I Nr. 1, II BetrVG kann durch Betriebsvereinbarung für Unternehmen mit mehreren Betrieben die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats (lit. a) oder die Zusammenfassung von Betrieben (lit. b) bestimmt werden, wenn dies die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient. Erforderlich ist nach dem Zweck dieser Regelung, dass die Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer durch die vom gesetzlichen Vertretungsmodell vorgenommenen Abweichungen verbessert wird (vgl. BAG a.a.O.; BT-Drs. 14/5741, S. 33; GK-BetrVG, 11. Aufl., § 3 Rn. 7). Ob das der Fall ist, haben zunächst die Betriebsparteien zu beurteilen. Diesen steht insofern ein zu beachtender Beurteilungsspielraum zu. Ob die Betriebsparteien hierbei die gesetzlichen Vorgaben eingehalten oder überschritten haben, unterliegt allerdings im Streitfall der gerichtlichen Überprüfung (vgl. BAG vom 24.04.2013, 7 ABR 71/11).
28
Nach § 3 I Nr. 1 a, 1. Alt. i.V.m. II BetrVG ist die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats durch Betriebsvereinbarung möglich, wenn dies die Bildung von Betriebsräten erleichtert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn anderenfalls die Gefahr besteht, dass in einzelnen Betrieben oder Betriebsteilen gar kein Betriebsrat gewählt wird (vgl. Fitting, 30. Aufl. 2020, BetrVG § 3 Rn. 29 m.w.N.). Die Bestimmung dient dabei dem Zweck, „weiße Flecken“ auf der Betriebsverfassungslandkarte zu vermeiden. Allerdings ist die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach der maßgebenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dann vom Zweck der Regelung nicht mehr gedeckt, wenn die Erleichterung der Bildung von Betriebsräten ohne Weiteres bereits durch eine Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 I 1 Nr. 1 b i.V.m. II BetrVG erreicht werden kann und sich demgegenüber die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats als ersichtlich weniger sachgerechte Lösung darstellt. Bei der Wahl zwischen den sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 a b BetrVG ergebenden Möglichkeiten haben die Betriebsparteien den Grundsatz der Ortsnähe zu berücksichtigen (vgl. BAG vom 24.04.2013, a.a.O.).
29
Nach diesen Grundsätzen wird durch die gegenständliche Gesamtbetriebsvereinbarung die Bildung von Betriebsräten nicht erleichtert. Zwar besteht mit Blick auf die bisherige Betriebsratsstruktur bei der Beteiligten zu 2) mit nur 235 Filialen mit Betriebsrat und 296 Filialen ohne örtlichen Betriebsrat deutlich die Gefahr, dass in einer Vielzahl von Betrieben wiederum kein Betriebsrat gewählt werden wird. Der Aspekt, dass durch den vereinbarten unternehmenseinheitlichen Betriebsrat eine Vielzahl von Filialen in die Mitbestimmung geführt wird, spricht für die Wirksamkeit der GBV. Dieser Gesichtspunkt ist gewichtig. Allerdings ist an dieser Stelle der Vorrang zu beachten, den das Bundesarbeitsgericht einer Zusammenfassung von Betrieben per Kollektiwertrag gem. § 3 I Nr. 1 b BetrVG gegenüber der Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats gem. § 3 I Nr. 1 a BetrVG einräumt (s.o., so auch ErfK, 22. Aufl., § 3 BetrVG Rn. 3, Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 3 BetrVG, Rn. 9).
30
Der in dieser Rechtsprechung besonders zur Geltung gebrachte Aspekt der Ortsnähe gilt auch weiterhin. Zwar führt die zunehmende Digitalisierung im Grundsatz zu einer Vereinfachung der Kommunikation und zu einer abnehmenden Bedeutung des Aufenthaltsortes der jeweiligen Gesprächspartner. Allerdings spielt der persönliche Kontakt im Vertrauensverhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern nach wie vor eine besondere Rolle, der durch den Einsatz von Technik nicht in einem Maße ersetzt werden kann, das noch vom weiterhin auf einen möglichst engen persönlichen Kontakt zwischen den Arbeitnehmern eines Betriebes und den Mitgliedern des Betriebsrates ausgerichteten Zweck des Betriebsverfassungsgesetzes gedeckt wäre (vgl. Fündling/Sorber, NZA 2017, 552, 554).
31
Dies wirkt sich im vorliegenden Fall aus. Die Erleichterung bei der Bildung von Betriebsräten im Verhältnis zur derzeitigen Situation lässt sich ortsnäher bereits durch eine Zusammenfassung von Betrieben erreichen, und zwar ohne Weiteres durch die Bildung von Bezirksbetriebsräten etwa entsprechend der arbeitgeberseitig aufgezeigten Struktur von 20 Vertriebsbezirken. Nach den durch die Beteiligte zu 2) vorgelegten Karten und dem insoweit unbeanstandeten Vortrag der Antragstellerseite gibt es in jedem Vertriebsbezirk Filialen mit einem Betriebsrat. Auf Vertriebsleiterebene werden arbeitgeberseits nach der Auflistung im Schriftsatz vom 23.12.2021 und nach der Präambel der gegenständlichen GBV auch wesentliche mitbestimmungspflichtige Entscheidungen getroffen (personelle Einzelmaßnahmen gem. §§ 99 ff. BetrVG). Eine dieser arbeitgeberseitig vorgegebenen Struktur entsprechende Zusammenfassung der Betriebe in den jeweiligen Bezirken wäre daher naheliegend und sachgerecht. Überdies würde eine solche Zusammenfassung dem z.B. in § 1 I BetrVG oder in § 4 I Nr. 1 BetrVG verankerten Grundsatz der ortsnahen Vertretung besser entsprechen als dies bei einer zentralisierten Einheitsstruktur der Fall wäre. Auch die seitens der Beteiligten zu 2) und 3) angeführten Umstände zur Verwirklichung der Ortsnähe auch beim Modell des Einheitsbetriebsrates etwa in Form von besonderer Ausstattung (Vollfreistellung, Auskunftspersonen, technische Ausstattung) oder besonderer Organisation (Einsatz der Betriebsratsmitglieder und Auskunftspersonen als Bezirksvertreter/Reisebetriebsräte) führen zu keinem anderen Ergebnis. Eine Verbesserung der Vertretungssituation unter Berücksichtigung des Kriteriums der Ortsnähe wird aus diesem Modell nicht ersichtlich. Die einzelnen Filialen sind weit überwiegend räumlich so weit vom beschlossenen Sitz des Einheitsbetriebsrats in C-Stadt entfernt, dass der persönliche Kontakt erheblich erschwert ist. Die Problematik zeigt sich aber auch mit Blick auf die Vielzahl der zu betreuenden Filialen. Wie die Sicherstellung des geforderten persönlichen Kontakts zu den Arbeitnehmern in den 530 Filialen und deren ortsnahe Vertretung selbst bei einer Reisetätigkeit aller 71 Betriebsräte bewerkstelligt werden können soll, ist nicht nachzuvollziehen (auf jeden einzelnen Betriebsrat entfielen im Schnitt 7-8 Filialen, nichts Anderes gilt im Ergebnis – keine ortsnahe Umsetzbarkeit ersichtlich – für das vom Beteiligten zu 3) dargestellte Konzept mit 4-5 Reisebetriebsräten für ca. 25-30 Filialen). Bei einer so geringen Betreuungsdichte ist die wechselseitige Erreichbarkeit und der persönliche Kontakt von Arbeitnehmern und ihrem Repräsentativorgan ersichtlich erheblichst erschwert. Im Übrigen leidet durch die angedachte (und noch nicht beschlossene) extreme Reisetätigkeit des neuen Betriebsratsgremiums dessen interne Kommunikation, Funktionsfähigkeit und damit Schlagkraft, was auch gegen eine Verbesserung der Betriebsratsarbeit spricht.
32
Das gefundene Ergebnis, wonach eine Zusammenfassung von Betrieben unter Wahrung des Prinzips der Ortsnähe ausreichend ist, um der Gefahr zu begegnen, dass in vielen Betrieben wiederum kein Betriebsrat gewählt wird, wird auch durch die Gesetzesbegründung gestützt, wonach das Modell eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates in erster Linie („vor allem“) für kleinere Unternehmen gedacht ist, wohingegen größere Unternehmen – wie unzweifelhaft die Beteiligte zu 2) – mit „bundesweitem Filialnetz“ Regionalbetriebsräte gem. § 3 I Nr. 1 b BetrVG errichten können (vgl. BT-Drucks. 14/5741 S. 33 f.; vgl. auch DKKW/Trümner, BetrVG, 15. Aufl., § 3 Rn. 41 und 57).
33
Die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates ist aber auch nach der 2. Alternative des § 3 I Nr. 1 a BetrVG nicht möglich. Die beschlossene zentralistische Organisationsform dient im Falle der Beteiligten zu 2) nicht einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer.
34
Bei der Prüfung, ob die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach dieser Alternative sachdienlich ist, ist nach der auch insoweit maßgebenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von besonderer Bedeutung, wo die mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen im Betrieb getroffen werden. Insoweit sind für die sachgerechte Bildung von Arbeitnehmervertretungen die organisatorischen Vorgaben des Arbeitgebers maßgeblich. An ihnen darf sich bei der Schaffung einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit die maßgebliche Regelung grundsätzlich orientieren (vgl. BAG vom 24.4.2013, a.a.O., vgl. auch BT-Drs. a.a.O.).
35
Bei der Beurteilung der Sachdienlichkeit eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats sind allerdings noch weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen und zwar insbesondere wiederum der Grundsatz der Ortsnähe (vgl. BAG a.a.O.). Dieser Aspekt ist auch hier von besonderer Bedeutung, da der Gesetzgeber die Probleme bei der Kontaktaufnahme und -pflege bei größeren räumlichen Entfernungen zwischen den Arbeitnehmern und der sie repräsentierenden Betriebsvertretung gesehen hat und daher die wechselseitige Erreichbarkeit bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Betriebsverfassung als ganz wesentlichen Punkt berücksichtigt hat (vgl. BAG a.a.O.).
36
Nach diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates der sachgerechten Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen dienlich ist. Soweit die Beteiligtenseite zu 2) hierzu geltend macht, dass die wichtigen Entscheidungen für die Filialen zentral auf der Unternehmensebene getroffen würden und daher die Bildung eines einheitlichen Betriebsrats am Unternehmenssitz gerade nach dem Kriterium der Entscheidungsnähe sachdienlich wäre, folgt dem das Gericht nicht. Auch nach der arbeitgeberseits aufgezeigten Struktur gibt es mit der Unternehmens-, der Vertriebsleiter- und der Filialebene nach der Umstrukturierung 2019 eine dreistufige Organisation mit wesentlichen Entscheidungsbefugnissen gerade auf der Ebene der Vertriebsleiter (personelle Einzelmaßnahmen, vgl. S. 8 und S. 12 im Schriftsatz vom 23.12.2021). Diese Kompetenzverteilung ergibt sich auch aus der Präambel der GBV. Dass die Entscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten ausschließlich oder auch nur überwiegend nurmehr zentral auf Unternehmensebene getroffen werden würden, kann daraus gerade nicht abgeleitet werden. Eine Anpassung der Arbeitnehmervertretung an diese arbeitgeberseitige Organisationsstruktur mit Bezirken erscheint daher bei größerer Wahrung des Grundsatzes der Ortsnähe im Verhältnis zum unternehmenseinheitlichen Betriebsrat naheliegender und sachgerechter. Auch die vom Beteiligten zu 3) zur Begründung der Sachdienlichkeit eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates ins Feld geführte tendenzielle Inaktivität auf Ebene der Filialbetriebsräte, die den Gesamtbetriebsrat wie einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat sähen und agieren ließen, vermag aus Sicht der Kammer kein anderes Ergebnis zu begründen. Entscheidend gegen eine solche Amtsmüdigkeit oder Passivität der örtlichen Betriebsräte, was u.U. als Argument für eine schlagkräftigere und damit bessere Vertretung der Arbeitnehmer durch einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat herangezogen werden könnte, sprechen die Vielzahl der eingeleiteten Parallelverfahren (35) und die antragstellerseits vorgelegten Betriebsvereinbarungen und Beschlüsse in von einzelnen Filialbetriebsräten angestrengten Beschlussverfahren. Daraus ergibt sich eine durchaus rege Aktivität seitens der Filialbetriebsräte und ein Interesse an der Mitbestimmung vor Ort.
37
Jedenfalls kann die Sachdienlichkeit des Einheitsbetriebsrates unter dem auch hier relevanten Gesichtspunkt der ortsnahen Vertretung im Ergebnis nicht bejaht werden. Dass mit der Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates eine Verbesserung der Vertretungssituation unter Berücksichtigung des Kriteriums der Ortsnähe nicht erkannt werden kann und sich die Zusammenfassung von Betriebsräten gem. § 3 I Nr. 1 b BetrVG hierfür besser eignet, wurde bereits ausgeführt. Dieser sich aus dem Gesetzeszweck ergebende Grundsatz kann auch nicht mit anderen, außerhalb der in § 3 I Nr. 1 BetrVG liegenden Gesichtspunkten aufgewogen werden. Die erschwerten persönlichen Kontakte können daher nicht kompensiert werden etwa durch die Gewährung zusätzlicher Freistellungen oder die Zurverfügungstellung einer besonders guten Sachausstattung (vgl. Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 6. Auflage 2021, D Rn. 154). Die Zielrichtung einer bloßen Erleichterung der Betriebsratsarbeit oder Erleichterung der Arbeit des Unternehmens mit dem Betriebsrat kann die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates nicht rechtfertigen. Zwar sieht das Gericht den Aspekt, dass eine Effektivierung der Betriebsratsarbeit auch der sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dienen kann (vgl. Fitting a.a.O. Rn. 31). Allerdings kann eine Verbesserung der Betriebsratsarbeit bei Bildung des geplanten Einheitsbetriebsrates mit der konkreten Personalausstattung unter Berücksichtigung der gegebenen Situation bei der Beteiligten zu 2) mit über 530 im gesamten Bundesgebiet verstreuten zu betreuenden Filialen mit Blick auf die nach wie vor vom Gesetz und dem Bundesarbeitsgericht geforderte möglichst große Ortsnähe nicht erkannt werden (s.o.).
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Da nach alldem die gesetzlichen Voraussetzungen des § 3 I Nr. 1 a i.V.m. II BetrVG nicht vorliegen, ist die gegenständliche GBV über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats unwirksam mit der Konsequenz, dass es bei der Betriebsratsfähigkeit der A-Filiale verbleibt.
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Einer Kostenentscheidung bedurfte es wegen § 2 II GKG nicht.