Inhalt

FG München, Urteil v. 27.10.2022 – 14 K 588/20
Titel:

Zollwert von eingeführten Waren

Normenketten:
ZK Art. 31
UZK Art. 70 Abs. 1,Art. 74 Abs. 3, Art. 85
GATT-Übereinkommens 1994 Art. 8 Abs. 3
DurchführungsVO - EU Art. 134 der
Leitsatz:
Die Grundsätze des Art. 8 Abs. 3 des GATT-Übereinkommens 1994, auf die sich der BFH bei seiner Entscheidung berufe und die für Hinzurechnungsfaktoren im Rahmen der Zollwertermittlung nach der Transaktionswertmethode gelten, widersprechen der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 9. März 2017, C-173/15, 1, BeckRS 2017, 103297).  (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fremdüblichkeit, Ermittlung, Einspruchsentscheidung, Einfuhrabgabenbescheid, Berichtigung, Abrechnungszeitraum, Preisbeeinflussung, Transaktionswert, Verbrauchsteuern, Warenbezug, Nachbelastung, Zollbehörde, GATT Übereinkommen, ATLAS-Anmeldedaten, IDEA-Anwendung, Zollwertermittlung, Transaktionswertmethode
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VII R 36/22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40893

Tenor

1. Die Einfuhrabgabenbescheide vom 26. Oktober 2017 und vom 11. Januar 2018 und die dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 4. Februar 2020 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Entscheidungsgründe

I.
1
Streitig ist der Zollwert für die von der Klägerin eingeführten Waren.
2
Die Klägerin bezieht im Wesentlichen Waren von den verbundenen Unternehmen X, Y(Konzernobergesellschaft, …) und Z.
3
Sie führte in den Jahren 2014 bis 2017 Waren der o.g. Firmen nach Deutschland ein und ließ sie zum freien Verkehr abfertigen. Dabei meldete sie die unterjährig gezahlten Verrechnungspreise aus den Intercompany-Rechnungen als Grundlage für die Zollwertermittlung an.
4
Im Rahmen einer Zollprüfung stellte das Hauptzollamt (HZA) fest, dass die Y der Klägerin Nachbelastungsbeträge von (…) EUR für 2015, (…) EUR für 2016 und (…) EUR für 2017 in Rechnung gestellt hatte. Diese beruhten auf einem zwischen der Klägerin und der Y abgeschlossenen Distribution Agreement vom (…), wonach die Klägerin sich verpflichtete, Produkte von dieser zu beziehen und diese im festgelegten Vertriebsgebiet zu veräußern. Mit der 1. Ergänzungsvereinbarung vom (…) wurden in diesen Vertrag auch Lieferungen von verbundenen Unternehmen der Konzerngesellschaft miteinbezogen und damit u.a. auch die Lieferungen von Z. Mit der 2. Ergänzungsvereinbarung vom gleichen Datum wurde festgelegt, dass die Klägerin eine als fremdüblich bezeichnete „Agreed Margin“ erhalten soll.
5
Nach der Vereinbarung resultiert die Marge aus dem rollenden Dreijahresdurchschnitt der fremdüblichen Bandbreiten, die auf Basis von Datenbankanalysen für Umsatzrenditen vergleichbarer Unternehmen ermittelt worden sind. Für den hier streitigen Zeitraum wurde durch die Datenbankanalyse eine fremdübliche Bandbreite für Umsatzrenditen ermittelt und von Y aus dieser Bandbreite eine Marge von 1,93% ermittelt, die innerhalb der fremdüblichen Bandbreite für Umsatzrenditen vergleichbarer Unternehmen lag.
6
Tatsächlich erzielte die Klägerin durch den Weiterverkauf der Produkte im Geschäftsbereich (…) Umsatzrenditen von 23,24% (2014/2015), 26,24% (2015/2016) und 28,49% (2016/2017).
7
Unterjährig erhielt die Klägerin für die gelieferten Waren Rechnungen, die vorab bereits um einen kalkulierten Abzug vom Listenpreis, nämlich die sog. „Agreed Margin“, gemindert worden sind. Diese unterjährig gezahlten Verrechnungspreise meldete die Klägerin als Grundlage für die Zollwertermittlung in den Zollanmeldungen an.
8
Da die tatsächlich erzielten zweistelligen Umsatzrenditen in den Geschäftsjahren 2015 bis 2017 erheblich über der vereinbarten Marge lagen und somit nach Meinung des HZA nicht fremdüblich waren, wurden der Klägerin Nachbelastungsbeträge in Höhe von (…) bis (…) EUR in Rechnung gestellt (…).
9
Nach der Auffassung des HZA waren die ungewöhnlich hohen Gewinne nur deshalb möglich, weil die unterjährigen Verrechnungspreise zu niedrig berechnet worden seien. Die erzielten Umsatzrenditen seien konzernintern auf die Marge von 1,93% angepasst worden, so dass auf dieser Grundlage die genannten Nachbelastungsbeträge ermittelt und der Klägerin mit Debit Notes in Rechnung gestellt bzw. von dieser bezahlt worden seien.
10
Das HZA kam aufgrund des festgestellten Sachverhalts zu dem Ergebnis, dass die ursprünglich unterjährig angemeldeten Zollwerte um Korrekturfaktoren (1,34 für die Jahre 2014 und 2015 und 1,44 für die Jahre 2016 und 2017) zu erhöhen seien, um den korrekten Zollwert für die Einfuhrwaren zu ermitteln.
11
Es hat daher mit Einfuhrabgabenbescheid vom 26. Oktober 2017 für die in den Monaten November und Dezember 2014 eingeführten Waren nachträglich einen höheren Zoll von (…) EUR (ausgehend von einem Korrekturfaktor von 3,88) festgesetzt, den es aufgrund des Einspruchs der Klägerin mit der Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2020 auf (…) EUR herabsetzte (ausgehend von einem Korrekturfaktor von 1,34).
12
Außerdem setzte das HZA mit Einfuhrabgabenbescheid vom 11. Januar 2018 für die in den Monaten Februar bis Oktober 2016 eingeführten Waren einen höheren Zoll von (…) EUR fest (Korrekturfaktor 1,44).
13
Die hiergegen eingelegten Einsprüche der Klägerin blieben erfolglos (vgl. Einspruchsentscheidungen vom 4. Februar 2020).
14
Die Klägerin macht gegen die Festsetzung des Zolls Folgendes geltend:
15
Der Transaktionswert sei auch bei verbundenen Unternehmen anwendbar, weil allein aus der Verbundenheit nicht geschlossen werden könne, dass der Preis beeinflusst sei. Dies könne nur ein Anlass sein, die Begleitumstände des Kaufgeschäfts zu prüfen, um festzustellen, ob die Verbundenheit den Preis beeinflusst habe.
16
Eine Preisbeeinflussung könne vorliegen, wenn der dem verbundenen Käufer berechnete Preis niedriger sei als der Preis, der bei gleichen Umständen einem nicht verbundenen Käufer berechnet worden sei. Dies habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit seinem Urteil vom 22. Dezember 2017 C-529/16 (Hamamatsu) mit negativen Auswirkungen für die Zollverwaltung bereits ausgeführt.
17
Eine nachträgliche Preisberichtigung des Zollwerts sei aufgrund einer Preisanpassung nur möglich, wenn der endgültige Preis vertragsgemäß dem Grunde und der Höhe nach im maßgeblichen Zeitraum der Zollanmeldung bereits festgestanden habe. Das „Distribution Agreement“ sehe die Möglichkeit der pauschalen Preisberichtigung zwar vor, eine Zuordnung der Nachbelastungen zum Warenbezug aus (…) sei aber weder dem Grunde noch der Höhe nach möglich.
18
Der EuGH stelle in seinem Urteil vom Dezember 2017 die Anwendung der Transaktionsmethode trotz Verbundenheit der Unternehmen und einer Umsatzrendite, die außerhalb der Zielbandbreite liege, nicht in Frage, sondern stelle fest, dass der Zollwert in erster Linie auf der Grundlage des Transaktionswertes ermittelt werden müsse.
19
Der Bundesfinanzhof (BFH) bestätige in seinem Urteil vom 17. Mai 2022, dass das Urteil des EuGH vom 20. Dezember 2017 in der Sache „Hamamatsu Photonics Deutschland“ eindeutig sei. Danach habe der EuGH entschieden, dass es die Art. 28 bis 31 ZK nicht zulassen würden, als Zollwert einen vereinbarten Transaktionswert zugrunde zu legen, der sich teilweise aus einem zunächst in Rechnung gestellten und angemeldeten Betrag und teilweise aus einer pauschalen Berichtigung nach Ablauf des Abrechnungszeitraums zusammensetze, ohne dass sich sagen lasse, ob am Ende des Abrechnungszeitraums diese Berichtigung nach oben oder nach unten erfolgen wird.
20
Entsprechend müsse dies auch für die Zollbehörden gelten, die Einfuhrabgaben nacherheben möchten.
21
Die Nachbelastung („Year-End-Adjustment“) sei in einem pauschalisierten, d.h. auf die gesamte (…)-Sparte bezogenen Verfahren erfolgt. Eine auf den Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung objektivierbare und quantifizierbare Zuordnung zum tatsächlich bezahlten Preis für die konkret eingeführte Ware sei durch eine solche, nach Ablauf des Abrechnungszeitraums erfolgten Nachbelastung gar nicht möglich gewesen.
22
So habe bei der Zollanmeldung noch nicht einmal festgestanden, ob es überhaupt zu einer Nachbelastung kommen würde. Der Leitsatz 1 des BFH-Urteils vom 17. Mai 2022 sei auf den vorliegenden Fall mithin uneingeschränkt anwendbar. Die Nachbelastung knüpfe als dem zentralen Parameter an dem erzielten EBIT der gesamten (…)-Sparte an. Zum Zeitpunkt der Zollanmeldung habe gerade nicht hinreichend festgestanden, ob und in welcher Höhe es überhaupt zur Nachbelastung kommen werde.
23
In Umkehrung der Ausführungen müsse die Zollbehörde, wenn sie einen erhöhten Zollwert ansetzen wolle, darlegen, dass das von ihr praktizierte pauschale Nachbelastungsverfahren eine bereits im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung objektivier- und quantifizierbare Zuordnung im Sinne der Ausführungen des EuGH und des BFH ermöglichte. Ein ent-sprechender Nachweis sei dem Beklagten vorliegend aber nicht gelungen und könne auch nicht gelingen.
24
Die Klägerin beantragt, die Einfuhrabgabenbescheide vom 26. Oktober 2017 und 11. Januar 2018 und die dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 4. Februar 2020 aufzuheben.
25
Das HZA beantragt, die Klage abzuweisen Es bleibt bei seiner bereits in den Einspruchsentscheidungen vertretenen Auffassung, dass der Zollwert nach der Schlussmethode des Art. 31 Zollkodex (ZK) bzw. Art. 74 Abs. 3 Unionszollkodex (UZK) zu ermitteln sei und dazu die ursprünglich unterjährig angemeldeten Zollwerte wie durchgeführt zu erhöhen seien.
26
Der angemeldete Zollwert sei auch innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt der Einfuhr durch die Zollbehörde nachträglich immer überprüfbar (Art.·78 ZK) unter der Berücksichtigung aller für die Zollwertermittlung maßgeblichen tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der damit zusammenhängenden Daten.
27
Ergebe die nachträgliche Prüfung der Anmeldung, dass bei der Anwendung der Vorschriften über das betreffende Zollverfahren von unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen ausgegangen worden sei, treffe die Zollbehörde unter Beachtung der ggf. erlassenen Vorschriften die erforderlichen Maßnahmen, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regeln (Art. 78 Abs. 3 ZK).
28
Im vorliegenden Fall sei aufgrund der Preisbeeinflussung die Transaktionswertmethode nicht anwendbar. Die Zollwertermittlung sei schließlich nach Art. 31 ZK vorgenommen worden. Dabei sei - in Anlehnung an den Art. 29 Abs. 1 ZK - der ursprünglich angemeldete Zollwert mittels eines Korrekturfaktors um die Preisbeeinflussung korrigiert worden.
29
Der jeweilige Korrekturfaktor sei anhand der Buchhaltungsdaten der Klägerin ermittelt und überprüft worden und zwar auf der Grundlage der dieser berechneten Preise und der nachträglich berechneten Nachbelastung (= gesamte Bezugskosten bzw. COGS). Der Bezug der nachträglichen Nachbelastungen zu den eingeführten Waren sei eindeutig und werde von der Klägerin auch nicht bestritten.
30
Die von der Zollbehörde angewendete Methode der Zollwertermittlung nach Art. 31 ZK berücksichtige die Grundsätze und die allgemeinen Bestimmungen des GATT Übereinkommens 1994 sowie des Art. VII des GATT 1994.
31
Der ermittelte Zollwert sei auf der Grundlage der in Deutschland verfügbaren und überprüfbaren Daten ermittelt worden. Die Zollwerte für jede einzelne Anmeldeposition seien waren- und stichtagsbezogen ermittelt worden, denn der jeweils ermittelte Kostenfaktor sei stets auf die ATLAS-Anmeldedaten der Klägerin unter Zuhilfenahme der IDEA-Anwendung pro Position angewendet und ermittelt worden. Der Zollwert sei somit gemäß Pkt. 2 Abs. c des Art. VII des GATT Übereinkommens 1994 aufgrund eines nachprüfbaren Wertes festgelegt worden. Dabei komme dieser Wert dem wirklichen Wert der Waren möglichst nahe, weil er die immateriellen Wertbestandteile, die in den eingeführten Waren enthalten sind und die den Abschöpfungsbeträgen entsprechen, berücksichtige.
32
Die Grundsätze des Art. 8 Abs. 3 des GATT-Übereinkommens 1994, auf die sich der BFH bei seiner Entscheidung berufe und die für Hinzurechnungsfaktoren im Rahmen der Zollwertermittlung nach der Transaktionswertmethode gelten, könnten zwar im Rahmen der Wertermittlung der Ware im Rahmen des Art. 31 ZK auch auf die Hinzurechnungsfaktoren angewendet werden, nicht jedoch auf die Ermittlung des Warenwertes an sich ausgeweitet werden. Dies widerspreche nämlich der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 9. März 2017, C-173/15, 1. und 3. Leitsatz, Rn 40 ff und Rn 78 ff, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern - ZfZ - 2017, 209).
33
Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er entsprechende Regelungen in das Gesetz aufgenommen. Art. 8 Abs. 3 des GATT 1994 (bzw. Art. 32 Abs. 3 ZK) diene der Verringerung des Verwaltungsaufwandes bei der Ermittlung der zuzuschlagenden Werte sowohl für den Einführer als auch für die Zollverwaltung (vgl. Anhang 1 - Erläuterungen zum GATT Übereinkommen 1994 zum Art. 8, Pkt. 1).
34
Ansonsten wäre die Transaktionswertmethode nicht anwendbar, wenn ausschließlich waren- und stichtagsbezogene Hinzurechnungswerte für Entwicklungskosten und andere Beistellungen sowie Lizenzzahlungen zugelassen wären, die im Zeitpunkt der Anmeldung noch gar nicht bekannt waren. Dann bestünde auch die Gefahr, dass solche Werte überhaupt nicht im Zollwert berücksichtigt werden könnten, weil sie die Voraussetzungen der waren- und stichtagsbezogenen Wertermittlung nicht erfüllen würden.
35
Abschließend weist das HZA noch auf den Tatbestand der Preisbeeinflussung hin, weil sich weder der EuGH noch der BFH zur Auslegung oder zur Bedeutung des Begriffs „Preisbeeinflussung“ geäußert hätten.
36
Die Definition der Preisbeeinflussung im Zollrecht ergebe sich im Umkehrschluss aus dem Fremdverhaltensgrundsatz (vgl. Erläuternde Anmerkung Nr. 3 zu Art. 29 Abs. 1 ZK im Anhang 23 der ZK-DVO): Der zwischen verbundenen Kaufvertragsparteien vereinbarte Preis könne nur dann für Zollzwecke anerkannt werden, wenn Verkäufer und Käufer voneinander kaufen oder einander verkaufen, als wenn sie nicht miteinander verbunden wären.
37
Verhalten sich die Kaufvertragsparteien wie unabhängige Geschäftspartner, liege somit keine Preisbeeinflussung vor. Der Ausschlusstatbestand der Preisbeeinflussung nach Art. 29 Abs. 1 Buchst. d ZK sei allerdings stets im Kontext der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen und unter Berücksichtigung der Ziele, die mit diesen gesetzlichen Bestimmungen verfolgt werden, auszulegen.
38
Im Zusammenhang mit Verkäufen zur Ausfuhr, die zwischen verbundenen Kaufvertragsparteien erfolgen, seien nur Fälle von ursächlich durch Verbundenheit zu niedrig angemeldeten Zollwerten zu berücksichtigen - somit also von Zollwerten, die im Ergebnis zur Abgabenverkürzung geführt haben. Überhöhte Zollwerte könnten ausschließlich im Erstattungsverfahren geltend gemacht werden. In besonderen Fällen erfüllten den Tatbestand der Preisbeeinflussung auch überhöhte Preise, die zwischen zwei verbundenen Unternehmen im Kontext von geltenden Antidumpingmaßnahmen berechnet worden seien, um die Mindestpreisregelungen zu umgehen.
(…)
II.
39
Die Klage ist begründet.
40
Das HZA hat zu Unrecht mit den Bescheiden vom 11. Januar 2018 und vom 26. Oktober 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 4. Februar 2020 Zoll nacherhoben und dabei unzutreffend den Zollwert nicht anhand der unterjährig angemeldeten Zollwerte, sondern mittels eines Korrekturfaktors um die Preisbeeinflussung korrigiert und mit den hier streitigen Bescheiden höher festgesetzt.
41
Die Nacherhebung der Einfuhrabgaben, die mit der Annahme der Zollanmeldungen zur Überlassung der Nichtunionswaren zum zollrechtlich freien Verkehr seit 1. Mai 2016 entstanden sind (Art. 77 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 UZK), aber bislang mit einem geringeren als dem zu entrichtenden Betrag festgesetzt wurden, richtet sich nach Art. 105 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 UZK. Die Nacherhebung der Einfuhrabgaben für die bis zum 30. April 2016 angenommenen Zollanmeldungen (Art. 201 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 ZK) mit dem Einfuhrabgabenbescheid vom 26. Oktober 2017 hat gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK zu erfolgen (vgl. BFHUrteil vom 19. Oktober 2021 VII R 27/19, ZfZ 2022, 136).
42
Das HZA hat für die streitgegenständlichen Einfuhren zu Unrecht Zoll nacherhoben, weil die von der Klägerin getragenen Kosten nicht in den Zollwert und damit in die Bemessungsgrundlagen der Zollschuld (Art. 214 Abs. 1 ZK, seit dem 1. Mai 2016: Art. 85 UZK) einzubeziehen sind. Die Ermittlung des Zollwerts für die eingeführten Waren richtet sich nach den in Art. 29 ff. ZK bzw. Art. 70 UZK ff. geregelten Methoden.
43
Vorrangig anzuwenden ist danach die Transaktionswertmethode gemäß Art. 29 ZK/Art. 70 Abs. 1 UZK. Kann der Zollwert nicht nach der Transaktionswertmethode ermittelt werden, kommen die in Art. 30 ZK/Art. 74 UZK beschriebenen Folgemethoden (nachrangige Methoden) zur Anwendung. Falls der Zollwert auch danach nicht bestimmt werden kann, ist die Schlussmethode nach Art. 31 ZK/Art. 74 ZK anzuwenden.
44
Der Zollwert eingeführter Waren ist gemäß Art. 29 Abs. 1 ZK/70 UZK grundsätzlich der Transaktionswert, d.h. der für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Union tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis, der ggf. durch Hinzurechnungen nach Art. 32 ZK und Abzugsposten nach Art. 33 ZK zu berichtigen ist (bzw. Art. 71 bis 74 UZK).
45
Dies setzt gemäß Art. 29 Abs. 1 Buchst. b ZK i.V.m. Art. 148 ZKDVO (Art. 70 UZK) voraus, dass hinsichtlich des Kaufgeschäfts oder des Preises weder Bedingungen vorliegen noch Leistungen zu erbringen sind, deren Wert im Hinblick auf die zu bewertenden Waren nicht bestimmt werden kann.
46
Gemäß Art. 29 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Abs. 2 Buchst. a Satz 1 ZK (Art. 70 Abs. 3 Buchst. d UZK, Art. 134 der DurchführungsVO - EU - Nr. 2015/2447, nachfolgend: UZK-IA) ist die Verbundenheit von Käufer und Verkäufer bei der Feststellung, ob der Transaktionswert i.S. des Art. 29 Abs. 1 ZK (Art. 70 Abs. 1 UZK) anerkannt werden kann, allein kein Grund, den Transaktionswert als unannehmbar anzusehen.
47
Gemäß Art. 29 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 ZK (Art. 134 Abs. 1 UZK-IA) sind, falls notwendig, die Begleitumstände des Kaufgeschäfts zu prüfen und ist der Transaktionswert anzuerkennen, wenn die Verbundenheit den Preis nicht beeinflusst hat. Ob eine Verbundenheit in diesem Sinne besteht, richtet sich nach Art. 143 Abs. 1 ZKDVO (Art. 127 UZK-IA).
48
Kann der Zollwert nicht nach Art. 29 ZK/Art. 70 UZK bestimmt werden, kommen die bereits angesprochenen Folgemethoden zur Anwendung (s. EuGH-Urteil Hamamatsu Photonics Deutschland, ECLI:EU:C:2017:984, Rz 26, m.w.N., ZfZ 2018, 68). Demnach ist der Transaktionswert gleicher oder gleichartiger Waren maßgebend oder der Zollwert deduktiv oder nach einem errechneten Wert zu bestimmen (Art. 30 ZK/74 UZK). Sofern der Zollwert auch nach diesen Methoden nicht ermittelt werden kann, ist er gemäß Art. 31 Abs. 1 ZK/Art. 74 UZK auf der Grundlage von in der Union verfügbaren Daten durch zweckmäßige Methoden zu ermitteln.
49
Als Bewertungsmethoden nach Art. 31 Abs. 1 ZK sollen die in Art. 29 und Art. 30 Abs. 2 ZK festgelegten Methoden herangezogen werden; doch steht eine angemessene Flexibilität bei der Anwendung solcher Methoden im Einklang mit den Zielsetzungen und Bestimmungen des Art. 31 Abs. 1 ZK (Art. 141 Abs. 1 ZKDVO i.V.m. Anhang 23 zu Art. 31 Abs. 1 ZK). Die Anwendung der Schlussmethode hat im Ergebnis die Grundzüge der Zollwertermittlung gemäß Art. 29 und Art. 30 ZK zu beachten (BFH-Urteil vom 23. März 2021 VII R 24/19, BFHE 273, 374, Rz 25, m.w.N.). Gleiches gilt für die Anwendung der Schlussmethode nach Art. 74 UZK.
50
Selbst wenn man vorliegend der Auffassung des HZA folgt, dass sich durch die späteren Feststellungen des Prüfungsdienstes im Jahr 2017 eine Verbundenheit der Klägerin mit ihrer Konzernobergesellschaft ergeben haben sollte, die den Preis beeinflusst hat, war dies für den maßgebenden Zeitpunkt der Zollanmeldung unbedeutend.
51
Wie der BFH in seinem Urteil vom 17. Mai 2022 VII R 2/19 (a.a.O.) ausgeführt hat, ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung des Zollwerts gemäß Art. 214 Abs. 1 ZK/Art. 85 UZK der Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld, vorliegend also der Zeitpunkt, in dem die betreffenden Zollanmeldungen angenommen worden sind (Art. 67 i.V.m. Art. 201 Abs. 2 ZK; s.a. Krüger in Dorsch, a.a.O., Art. 29 ZK Rz 43). Die Zollwertermittlung ist demnach eine waren- und stichtagsbezogene Wertermittlung.
52
Erfolgt die Bestimmung des Zollwerts nach der Schlussmethode, wie es das HZA aufgrund der Verbundenheit und der bestehenden Preisbeeinflussung annimmt, ist nach der Auffassung des BFH im oben genannten Urteil vom 17. Mai 2022 (Rn. 45) grundsätzlich ebenfalls hinsichtlich der heranzuziehenden anderen zweckmäßigen Methoden auf den Zeitpunkt der Einfuhr abzustellen.
53
Daraus folgt, so der BFH in seinem Urteil vom 17. Mai 2022 (Rn. 49), dass das dictum des EuGH, demzufolge es der ZK nicht zulässt, als Zollwert einen vereinbarten Transaktionswert zugrunde zu legen, der sich teilweise aus einem zunächst in Rechnung gestellten und angemeldeten Betrag und teilweise aus einer pauschalen Berichtigung nach Ablauf des Abrechnungszeitraums zusammensetzt, ohne dass sich sagen lässt, ob am Ende des Abrechnungszeitraums diese Berichtigung nach oben oder nach unten erfolgen wird, auch für die Zollwertermittlung nach der Schlussmethode gemäß Art. 31 ZK maßgeblich ist.
54
Denn wenn im Zeitpunkt der Zollanmeldung nicht feststehe, ob am Ende des Abrechnungszeitraums überhaupt eine Berichtigung vorzunehmen sein wird und ob, falls dies der Fall sei, diese nach oben oder nach unten zu erfolgen hat, dann sei der auf diese Weise ermittelte - bzw. nach Ablauf des Abrechnungszeitraums tatsächlich erst noch zu ermittelnde - Warenwert im Zeitpunkt der Zollanmeldung nicht i.S. von Art. 8 Abs. 3 des Übereinkommens zur Durchführung des Art. VII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1994 quantifizierbar.
55
Die Nachweispflicht liegt im Fall der Nacherhebung beim HZA. Dieses muss darlegen und ggf. belegen, dass bzw. inwieweit Abgaben zu niedrig festgesetzt worden sind. Kann dieser Nachweis nicht geführt werden, ist eine Nacherhebung ausgeschlossen.
56
Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen sind im vorliegenden Streitfall die Voraussetzungen für die vom HZA auf Art. 101 bzw. Art. 105 Abs. 2 und 3 UZK gestützte Nacherhebung nicht erfüllt. Das HZA hat nicht nachgewiesen, dass die von der Klägerin entrichtete Zollschuld im Zeitpunkt der Annahme der jeweiligen Zollanmeldung höher festzusetzen war.
57
Die Beteiligten haben den Zollwert zunächst auf der Grundlage der der Klägerin unterjährig in Rechnung gestellten Preise gemäß Art. 29 ZK/UZK nach der Transaktionswertmethode bestimmt. Es bestanden zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldungen, die nicht als unvollständig abgegeben wurden, keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Preise nicht den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren widergespiegelt haben und nicht alle Elemente dieser Waren, die einen wirtschaftlichen Wert gehabt haben, berücksichtigt hätten oder eine Preisbeeinflussung durch Verbundenheit vorgelegen hat.
58
Somit waren bei Annahme der Zollanmeldung weder Bedingungen i.S. von Art. 29 Abs. 1 Buchst. b ZK erkennbar, die eine Ermittlung des Zollwerts nach der Transaktionswertmethode ausgeschlossen hätten, noch war die Verbundenheit zwischen der Klägerin und der Y gemäß Art. 29 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Abs. 2 Buchst. a Satz 1 ZK ein Grund, den Transaktionswert als unannehmbar anzusehen.
59
Die Vereinbarung der Klägerin mit Y war schließlich auch nicht geeignet, eine nachträgliche Anpassung der Verrechnungspreise nach der Schlussmethode (Art. 31 ZK/Art. 74 UZK) zu rechtfertigen. Denn im Zeitpunkt der jeweiligen Zollanmeldungen stand nicht fest, ob die angemeldeten Warenwerte aufgrund der nach Ablauf des Abrechnungszeitraums erst noch zu ermittelnden Verrechnungspreise korrigiert werden würden und, falls das der Fall sein sollte, ob eine Korrektur durch Zuschläge nach oben oder aber durch Abschläge nach unten erfolgen würde. Ebenfalls offen war, in welcher Höhe die Korrekturen ggf. zu erfolgen hätten. Damit waren aber die - sich ohnehin nur möglicherweise ergebenden - Zuschläge oder Abschläge im Zeitpunkt der Zollanmeldung nicht quantifizierbar.
60
Auch der EuGH hat in seinem Urteil vom 20. Dezember 2017 (Hamamatsu) zum Verrechnungspreis zum Zollwert (Rn. 24-33) lediglich apodiktisch festgestellt, dass die Art. 28 bis 31 ZK dahin auszulegen sind, dass sie es nicht zuließen, als Zollwert einen vereinbarten Transaktionswert zugrunde zu legen, der sich teilweise aus einem zunächst in Rechnung gestellten und angemeldeten Betrag und teilweise aus einer pauschalen Berichtigung nach Ablauf des Abrechnungszeitraums zusammensetzt, ohne dass sich sagen lässt, ob am Ende des Abrechnungszeitraums diese Berichtigung nach oben oder nach unten erfolgen wird (Rn. 34).
61
Danach bildet der von der Klägerin unterjährig angemeldete Verrechnungspreis den Zollwert und nachträgliche Anpassungen in Form von Nachbelastungen des unterjährig angemeldeten Verrechnungspreises bleiben unberücksichtigt, auch wenn das HZA meint, der Fall sei von dem vom EuGH entschiedenen Streitfall zu unterscheiden, weil hier von einer Preisbeeinflussung bei verbundenen Unternehmen auszugehen sei, die anhand der offenkundig unterjährig zu niedrig gezahlten Verrechnungspreise erkennbar sei. Darauf kommt es aber mangels Quantifizierbarkeit des Warenwerts im maßgeblichen Zeitpunkt nicht an.
62
Das Ergebnis, wonach unterjährig angemeldete Verrechnungspreise nicht nachträglich korrigiert werden können, ergibt sich nach Auffassung des Senats zwingend aus der neueren Rechtsprechung des EuGH und des BFH, auch wenn nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich zu verhindern ist, dass bei der Zollwertermittlung ein willkürlicher oder fiktiver Wert zu Grunde gelegt wird (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2013, Christodoulou u. a., C-116/12, ECLI: ECLI:EU:C:2013:825, Rn. 39; Urteil vom 16. Juni 2016, Euro 2004 Hungary, C-291/15, ECLI:ECLI:EU:C:2016:455, Urteil vom 20. Dezember 2017, C-529/16, EU: ECLI:C:2017:984, ZfZ 2018, 68), weil der Zollwert den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert einer eingeführten Ware widerspiegeln und alle Elemente dieser Ware, die einen wirtschaftlichen Wert haben, berücksichtigen muss (EuGH-Urteil vom 15. Juli 2010, Gaston Schul, C- 354/09, ECLI: ECLI:EU:C:2010:439, Rn. 29).
(…)
63
Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil die Frage, ob auch Nachbelastungen von unterjährig angemeldeten Verrechnungspreisen den Zollwert nach Art. 31 ZK (seit 1. Mai 2016: Art. 70 UZK) bilden können, höchstrichterlich noch nicht entschieden ist.
(…)