Titel:
Zum Umfang der Wirksamkeit einer einheitlichen Löschungsbewilligung des Gläubigers einer Gesamtgrundschuld
Normenketten:
BGB § 130 Abs. 1, § 1175 Abs. 1, § 1192 Abs. 1
GBO § 19, § 53 Abs. 1
Leitsätze:
Stellt der Notar aus einer beim Grundbuchamt eingereichten Urkunde, die umfassende Pfandfreigabeerklärungen zu einer Gesamtgrundschuld enthält, nur zu einer einzelnen Pfandfreigabe einen Antrag, so sind die weiteren Pfandfreigabeerklärungen nicht in das Grundbuchverfahren eingeführt und können deshalb nicht Grundlage einer Löschung der Gesamtgrundschuld auch im Übrigen sein. (Rn. 15)
1. Eine Pfandfreigabeerklärung stellt verfahrensrechtlich eine Löschungsbewilligung iSv § 19 GBO dar. Sie wird nicht schon mit der Ausstellung der in der vorgeschriebenen Form errichteten Urkunde wirksam in dem Sinn, dass sie Grundlage einer Eintragung durch das Grundbuchamt sein kann, sondern erst dann, wenn die Urkunde mit dem Willen des Erklärenden dem Grundbuchamt oder zur Vorlage bei diesem demjenigen, zu dessen Gunsten die Eintragung erfolgen soll, in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift zugeht. Daher wird eine einheitliche Löschungsbewilligung des Gläubigers einer Gesamtgrundschuld, die dem Grundbuchamt lediglich zur Löschung des Rechts an einem der belasteten Grundstücke vorgelegt wird, auch nur insoweit wirksam. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Pfandfreigabeerklärung nach § 1192 Abs. 1, § 1175 Abs. 1 S. 2 BGB stellt materiellrechtlich eine empfangsbedürftige Willenserklärung iSv § 130 Abs. 1 BGB dar. Erfolgt die Vorlage der Erklärung erkennbar zum Zwecke der Pfandfreigabe nur bezogen auf einen von mehreren belasteten Miteigentumsanteilen, fehlt es hinsichtlich der übrigen Miteigentumsanteile an der erforderlichen willentlichen Begebung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pfandfreigabeerklärung, Wirksamkeit der Pfandfreigabeerklärung, Löschungsbewilligung, einheitliche Löschungsbewilligung bei Gesamtgrundschuld, Pfandfreigabe betreffend eine Gesamtgrundschuld, Vorlage nur zur Löschung an einem belasteten Grundstück, beschränkte Antragstellung
Fundstellen:
NotBZ 2023, 356
MDR 2023, 353
FGPrax 2023, 54
LSK 2022, 40891
BeckRS 2022, 40891
NJW-RR 2023, 448
RNotZ 2023, 162
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt - Grundbuchamt - vom 24.10.2022 aufgehoben.
II. Das Amtsgericht Ingolstadt - Grundbuchamt - wird angewiesen, gegen die Löschung der Grundschulden in Abt. III Nr. 1 von Blatt … bis …, … bis … und … bis … des Wohnungsgrundbuchs des Amtsgerichts Ingolstadt von H: zu Gunsten der Beteiligten zu 1 jeweils einen Widerspruch einzutragen.
Gründe
1
Die Beteiligte zu 2 war Eigentümerin von Grundbesitz, der nach § 8 WEG geteilt wurde. Die einzelnen Einheiten wurden auf Blatt … bis … des Wohnungsgrundbuchs vorgetragen. Auf den entsprechenden Miteigentumsanteilen lastete eine Gesamtgrundschuld zugunsten der Beteiligten zu 1, einer Sparkasse.
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In den Verträgen der Beteiligten zu 2 mit den Erwerbern der einzelnen Einheiten stimmten jeweils beide Seiten allen Erklärungen, die der Lastenfreistellung dienten, wie Löschungen und Pfandfreigaben, zu und beantragten deren Vollzug im Grundbuch.
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In einem unterzeichneten und gesiegelten Schriftstück vom 30.4.2018 erklärte die Beteiligte zu 1 die Pfandfreigabe bezüglich der einzelnen Miteigentumsanteile.
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Für die auf Blatt … vorgetragene Einheit erklärte die Beteiligte zu 1 am 10.1.2022 gesondert die Pfandfreigabe, die sodann im Wohnungsgrundbuch vollzogen wurde.
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Anlässlich der Veräußerung der auf Blatt … vorgetragenen Einheit legte der Urkundsnotar mit Schreiben vom 15.3.2022 beim Grundbuchamt die Pfandfreigabeerklärung vom 30.4.2018 zusammen mit den zu der betreffenden Eigentumsumschreibung erforderlichen Urkunden vor. Daraufhin löschte das Grundbuchamt am 7.4.2022 die Gesamtgrundschuld bei allen verbleibenden Einheiten.
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Nachdem das Grundbuchamt eine Berichtigung abgelehnt hatte, beantragte die Beteiligte zu 1 mit Schreiben vom 27.6.2022 die Eintragung jeweils eines Amtswiderspruchs. Das Grundbuchamt wies den Antrag mit Beschluss vom 24.10.2022 zurück.
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Mit ihrer Beschwerde vom 17.11.2022 verfolgt die Beteiligte zu 1 ihr Anliegen weiter. Sie beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung das Grundbuchamt anzuweisen, gegen die Löschung der zu ihren Gunsten in Abt. III Nr. 1 von Blatt … bis …, … bis … und … bis … eingetragenen Gesamtgrundschuld einen Amtswiderspruch einzutragen, sowie im Wege der einstweiligen Anordnung das Grundbuchamt anzuweisen, ihre Rechte durch Eintragung eines Widerspruchs zu sichern.
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Das Grundbuchamt hat mit Beschluss vom 22.11.2022 nicht abgeholfen.
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Der Senat hat am 29.11.2022 die beantragte einstweilige Anordnung erlassen.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet.
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1. Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere nach § 71 Abs. 2 Satz 2 GBO statthaft. Die vorgenommenen Löschungen stellen gemäß § 46 Abs. 1 GBO Eintragungen dar. Die Beschwerde gegen solche ist zwar nach § 71 Abs. 2 Satz 1 GBO unzulässig, gemäß Satz 2 kann jedoch im Wege der Beschwerde verlangt werden, dass das Grundbuchamt angewiesen wird, nach § 53 GBO einen Widerspruch einzutragen.
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2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
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Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO ist von Amts wegen ein Widerspruch einzutragen, wenn das Grundbuchamt unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften eine Eintragung vorgenommen hat, durch die das Grundbuch unrichtig geworden ist. Beides ist hier der Fall. Der Zurückweisungsbeschluss ist folglich aufzuheben und das Grundbuchamt zur Eintragung des jeweiligen Widerspruchs anzuweisen.
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a) Die Löschung der Gesamtgrundschuld über Blatt … hinaus auch auf den verbleibenden Wohnungsgrundbuchblättern verstieß gegen den Bewilligungsgrundsatz des § 19 GBO.
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Eine Pfandfreigabeerklärung stellt verfahrensrechtlich eine Löschungsbewilligung i.S.v. § 19 GBO dar (Senat FGPrax 2016, 150/151 f.). Sie wird allerdings nicht schon mit der Ausstellung der in der vorgeschriebenen Form errichteten Urkunde wirksam in dem Sinn, dass sie Grundlage einer Eintragung durch das Grundbuchamt sein kann, sondern erst dann, wenn die Urkunde mit dem Willen des Erklärenden dem Grundbuchamt oder zur Vorlage bei diesem demjenigen, zu dessen Gunsten die Eintragung erfolgen soll, in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift zugeht (Senat FGPrax 2018, 67/68; OLG Stuttgart NJOZ 2012, 965/966; BayObLG DNotZ 1994, 182/183; Demharter GBO 32. Aufl. § 19 Rn. 21; Hügel/Holzer GBO 4. Aufl. § 19 Rn. 28; Meikel/Böttcher GBO 12. Aufl. § 19 Rn. 133 f.). Daher wird die einheitliche Löschungsbewilligung des Gläubigers einer Gesamtgrundschuld, die dem Grundbuchamt lediglich zur Löschung des Rechts an einem der belasteten Grundstücke vorgelegt wird, auch nur insoweit wirksam. Die übrigen Bewilligungen sind nicht in das Grundbuchverfahren eingeführt und können deshalb nicht Grundlage einer Löschung der auf den anderen Grundstücken lastenden Gesamtgrundschuld sein (OLG Braunschweig FGPrax 2013, 193; Demharter § 19 Rn. 21; Hügel/Reetz § 15 Rn. 31; Meikel/Böttcher § 19 Rn. 134).
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Nach dieser Maßgabe war hier die Pfandfreigabe betreffend die Gesamtgrundschuld lediglich insoweit wirksam, als letztere auf dem auf Blatt … vorgetragenen Miteigentumsanteil lastete. Denn nur darauf bezog sich der Antrag, aus dessen Anlass die Pfandfreigabeerklärung vorgelegt wurde. Diese war somit ungeachtet der in den anderen Kaufverträgen bereits gestellten entsprechenden Anträge keine taugliche Grundlage für die Löschung der Gesamtgrundschuld, soweit letztere an den sonstigen verbleibenden Miteigentumsanteile lastet.
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b) Die gleichwohl in dem vorgenannten Umfang erfolgte Löschung führte zur Unrichtigkeit des Grundbuchs, weil es damit die materielle Rechtslage nicht mehr zutreffend wiedergibt.
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Eine Pfandfreigabeerklärung nach §§ 1192 Abs. 1, 1175 Abs. 1 Satz 2 BGB stellt materiellrechtlich eine empfangsbedürftige Willenserklärung im Sinne von § 130 Abs. 1 BGB dar. Insoweit setzt ihre Wirksamkeit voraus, dass sie mit dem Willen des Erklärenden an den Erklärungsempfänger gelangt (BGH NJW-RR 2003, 384; Grüneberg/Ellenberger BGB 81. Aufl. § 130 Rn. 4; MüKoBGB/Einsele 9. Aufl. § 130 Rn. 13). Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Empfänger der Pfandfreigabeerklärung ist der begünstigte Grundstückseigentümer, hier also die Beteiligte zu 2. Die Beteiligte zu 1 hatte die Erklärung jedoch erkennbar nur zum Zwecke der Pfandfreigabe des auf Blatt … vorgetragenen Miteigentumsanteils vorgelegt. Hinsichtlich der übrigen Miteigentumsanteile fehlte es somit jedenfalls an der erforderlichen willentlichen Begebung. Materiellrechtlich besteht die Gesamtgrundschuld insoweit also fort.
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3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da die grundsätzliche Haftung der Beteiligten zu 1 für die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens aus § 22 Abs. 1 GNotKG aufgrund des Erfolgs des Rechtsmittels gemäß § 25 Abs. 1 GNotKG erloschen ist. Daher bedarf es auch keiner Geschäftswertfestsetzung.