Titel:
Unwirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch bei entgegenstehendem Willen des Angeklagten
Normenkette:
StPO § 297, § 318
Leitsatz:
Der nach § 297 StPO grundsätzlich vorrangige Wille des Angeklagten, unbeschränkt Berufung einlegen zu wollen, führt jedenfalls dann zur Unwirksamkeit der entgegenstehenden Verteidigererklärung (Beschränkung der Berufung), wenn sich dem Gericht vor seiner Entscheidung eine entsprechende Annahme aufdrängen musste. (Rn. 4) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Berufungsbeschränkung, vorrangiger Wille des Angeklagten, unwirksame Berufungsbeschränkung, Aufdrängen, unwirksame Verteidigererklärung
Vorinstanzen:
LG Ingolstadt, Urteil vom 16.08.2022 – 4 Ns 23 Js 17581/20 (2)
AG Ingolstadt, Urteil vom 11.03.2021 – 1 Ds 23 Js 17581/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40879
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 16. August 2022 samt den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt zurückverwiesen.
Gründe
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Die zulässige Revision hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Landgericht.
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1. Die Revision erweist sich in vollem Umfang als begründet, da die Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch nicht wirksam erfolgt ist, was der Senat von Amts wegen zu überprüfen hatte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 318 Rdn. 33).
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a) Die Berufung wurde durch den Verteidiger bereits bei der Einlegung derselben auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt (Bl. 146 d. A.). Hierfür bedurfte er nach inzwischen ganz herrschender Meinung (anders als bei späterer Beschränkung nach vollumfänglicher Einlegung) entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft keiner gesonderten Vollmacht nach § 302 Abs. 2 StPO, weil er das Rechtsmittel auch überhaupt nicht hätte einlegen können (vgl. Löwe/Rosenberg (LR)-Jesse, StPO, 26. Aufl., § 302 Rdn. 44 und 91; Allgayer in: Münchener Kommentar zur StPO (MK-StPO), 1. Aufl., § 302 Rdn. 40; für Revision auch LR-Franke aaO § 344 Rdn. 11 und BGH, Beschluss vom 13.06.1991, 4 StR 105/91, zitiert nach juris, dort Rdn. 4ff.).
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b) Im Ergebnis zutreffend rügt die Revision jedoch, dass der nach § 297 StPO grundsätzlich vorrangige Wille des Angeklagten, unbeschränkt Berufung einlegen zu wollen, zur Unwirksamkeit der entgegenstehenden Verteidigererklärung (Beschränkung der Berufung) führt, jedenfalls dann, wenn sich dem Gericht vor seiner Entscheidung (wie hier) eine entsprechende Annahme aufdrängen musste (OLG Düsseldorf, NStZ 1989, 289; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2004, 271ff.). Die Berufung war somit unbeschränkt eingelegt.
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c) Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch (§ 318 StPO) ist darüber hinaus auch unwirksam, wenn die Feststellungen des Erstgerichtes zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für den Schuldspruch und/oder die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden (Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 318 Rdn. 16 m. w. N.).
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Ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankäme, ist das hier hinsichtlich des verurteilten Betruges der Fall, weil die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils keine ausreichend klaren Sachverhaltsfeststellungen zum Tatbestand des § 263 StGB enthalten. Beim Betrug zum Nachteil des Sozialhilfeträgers sind detaillierte Ausführungen dazu erforderlich, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten zum jeweiligen Tatzeitpunkt darstellten und in welcher Höhe nach den gesetzlichen Bestimmungen dann jeweils ein Anspruch auf öffentliche Leistungen bestand bzw. eine Überzahlung öffentlicher Leistungen erfolgte. Insoweit ist seitens des erkennenden Gerichts selbst eine - ggf. auch ins Einzelne gehende - Berechnung der dem Angeklagten zustehenden öffentlichen Leistungen notwendig (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21.07.2022, 4 RVs 88/22, zitiert nach juris, dort Rd. 7ff.). Das Amtsgericht teilt demgegenüber nur mit, dass der Angeklagte im Zeitraum von 27. Oktober 2019 bis 19. November 2019 unberechtigt Leistungen in Höhe von 690, 25 € bezogen habe, weil er die in diesem Zeitraum bestehende Arbeitsstelle nicht mitgeteilt habe (UA S. 5).
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d) Da das Landgericht keine eigenen Feststellungen zu den Schuldsprüchen getroffen hat, entbehrten diese einer tatsächlichen Grundlage.
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2. Das Urteil war daher gemäß § 349 Abs. 4 StPO samt den zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 StPO) aufzuheben und gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt zurückzuverweisen.
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Die nunmehr mit der Sache befasste Kammer wird Gelegenheit haben, die zur Verurteilung des Betruges notwendigen Feststellungen nachzuholen sowie den in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 21. November 2022 weiter erhobenen Bedenken und dem mittlerweile erheblichen Zeitablauf Rechnung zu tragen.