Titel:
Kostenverteilung nach billigem Ermessen in einer Kindschaftssache
Normenkette:
FamFG § 65 Abs. 3, § 81 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Pflegepersonen steht grds. keine verfahrensrechtliche Beschwerdebefugnis zu. Allerdings können sie durch eine Kostenentscheidung beschwert sein. (Rn. 9)
2. Es spielt keine Rolle, dass ein Antrag bzw. eine Anregung nicht vollständig Erfolg hat. Mit der Regelung der Kostenverteilung auf der Grundlage einer Entscheidung nach Billigkeit hat sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden, ausschließlich das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen zum Maßstab der Kostenverteilung zu machen. (Rn. 16)
3. Die Einführung des FamFG hat nichts an dem Grundsatz geändert, dass in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit jeder Beteiligte im Regelfall seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat. (Rn. 17)
Schlagworte:
Landratsamt Hellip, Amt für Jugend und Familie, Kindschaftssache, elterliche Sorge, Beschwer, Kosten
Vorinstanz:
AG Schweinfurt, Beschluss vom 28.09.2022 – 001 F 686/21
Fundstellen:
FamRZ 2023, 1054
BeckRS 2022, 40693
LSK 2022, 40693
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Großeltern wird Ziffer 3 des Beschlusses des Amtsgerichts Schweinfurt vom 28.09.2022 abgeändert wie folgt:
Von den Gerichtskosten tragen die Beteiligte GM 25%, der Beteiligte GV 25% und die Beteiligte J. 50%. Seine außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Seine außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.915 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten GM und GV sind die Eltern der Kindesmutter J., deren 4 Jahre altes Kind J. sie jedenfalls seit Juli 2020 betreuen. Der Vater des Kindes ist nicht bekannt. Die elterliche Sorge wurde bislang allein von der Mutter ausgeübt.
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Im vorliegenden Verfahren beantragten die Großeltern die Übertragung der elterlichen Sorge auf sich mit der Begründung, die Mutter wolle das Kind in eine Pflegefamilie geben und sei auch nicht mehr bereit, in wichtigen Fragen für das Kind mit ihnen zu kooperieren.
3
Das Familiengericht bestellte für J. einen Verfahrensbeistand und erhob Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens.
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Mit Beschluss vom 28.09.2022 wurde der Mutter die Sorge schließlich nach § 1666 BGB entzogen und Vormundschaft angeordnet. Den Antragstellern wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt und zur Begründung insoweit ausgeführt:
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 I FamFG. Es erscheint gerechtfertigt, den Antragstellern auch die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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Die Antragsteller legten gegen diese ihnen am 29.09.2022 zugestellte Entscheidung mit am 05.10.2022 beim Familiengericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde ein und beantragen, die Kosten der Kindsmutter aufzuerlegen. Hilfsweise sollten die Kosten gegeneinander aufgehoben werden.
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Ihrer Auffassung nach ist die Kostenentscheidung unangemessen, weil sie sich lediglich darum bemüht hätten, Gefahren für das Kind auszuräumen. Letztlich wären sie gezwungen gewesen, das Verfahren einzuleiten. Sie selbst hätten keine Fehler gemacht. Vielmehr würden sie sich mit enormem wirtschaftlichen und persönlichen Einsatz um ihr Enkelkind kümmern.
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Die Kindesmutter ist mit einer Kostenaufhebung einverstanden.
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Die nach §§ 58 ff FamFG grundsätzlich statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In nichtvermögensrechtlichen Angelegenheiten (hier: elterliche Sorge) gilt § 61 FamFG nicht, so dass es auf einen Beschwerdewert nicht ankommt. Zwar steht den Großeltern als Pflegepersonen (andern als nach § 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem zu beteiligenden Jugendamt) keine verfahrensrechtliche Beschwerdebefugnis zu. Allerdings sind die Großeltern vorliegend durch die Kostenentscheidung beschwert (vgl. Zöller / Lorenz, ZPO, 34. Auflage, 2022, § 161 FamFG Rn. 4).
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Die Beschwerde der Beteiligten GM und GV ist zudem begründet und führt zur Abänderung der vom Amtsgericht getroffenen Kostenentscheidung.
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1) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG kann das Gericht die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Nach § 81 Abs. 2 FamFG soll das Gericht die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat, der Antrag des Beteiligten von vorneherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste oder der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat.
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2) Die vom Familiengericht getroffene Ermessensentscheidung unterliegt der vollen Überprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH FamRZ 2017, 97). Das Beschwerdegericht ist nicht darauf beschränkt zu überprüfen, ob die Ermessensentscheidung des Familiengerichts fehlerhaft ist, es hat vielmehr sein Ermessen selbst auszuüben. Denn aus § 65 Abs. 3 FamFG ergibt sich, dass das Beschwerdegericht eine vollständige Prüfung des Sachverhalts vorzunehmen hat, sowie er sich im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung darstellt und auf dessen Grundlage auch eigene Ermessenserwägungen anzustellen hat (BGH a.a.O., Rn. 10).
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3) Der Senat hat sich bei seiner Entscheidung von folgenden Erwägungen leiten lassen:
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a) Das Vorbringen der Beschwerde ist glaubhaft und nachvollziehbar. Die Großeltern haben das Verfahren sicher nicht angeregt (vorliegend gilt § 24 FamFG; die Großeltern sind deswegen keine „Antragsteller“), um mit der Kindsmutter zu streiten. Ihnen ging es erkennbar allein um das Wohl des von ihnen betreuten Kindes.
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b) Umgekehrt zeigte die Kindsmutter im Lauf des Verfahrens eine gewisse Einsicht. Mit Schriftsatz vom 22.11.2021 wurde erklärt, sie würde auf ein Gutachten verzichten. Offenbar sollte damals die Möglichkeiten einer Einigung diskutiert werden. Mit Schreiben vom 25.11.2021 teilte sie mit, sie sei mit der vorübergehenden elterlichen Sorge durch ihre Eltern einverstanden.
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c) Keine Rolle spielt, dass der „Antrag“ der Großeltern nicht vollständig Erfolg hatte. Denn mit der Regelung der Kostenverteilung auf der Grundlage einer Entscheidung nach Billigkeit hat sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden, ausschließlich das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen zum Maßstab der Kostenverteilung zu machen.
17
d) Die Einführung des FamFG hat nichts an dem Grundsatz geändert, dass in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit jeder Beteiligte im Regelfall seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat (BeckOK FamFG/ Weber FamFG § 81 Rdnr. 11).
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d) Im Rahmen der Ermessensausübung ist zudem zu berücksichtigen, dass erkennbar kein Fall des § 81 Abs. 2 FamFG vorliegt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 20 FamGKG, 81 Abs. 1 FamFG.
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Die Festsetzung des Wertes richtet sich nach § 37 Abs. 3 FamGKG. Die Beschwerdeführer wendeten sich dagegen, die gesamten Verfahrenskosten in erster Instanz (Gerichtskosten: 0,5 x 140 + 550 + 6.387,27; Kosten des eigenen sowie den „gegnerischen“ Anwalts: je 1,3 x 278 Euro + 20 Euro + 72,47) bezahlen zu müssen.
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Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben (§ 70 Abs. 2 FamFG).