Titel:
Unsubstantiierter Vortrag zu angeblicher Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung
Normenkette:
BGB § 826
Leitsatz:
Hinreichend substantiierter Vortrag zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem bestimmten Fahrzeug erfordert, dass die Umstände zum Konstruktionsteil und zu der Abschaltung der Abgasreinigung in bestimmten Umwelt- oder Fahrsituationen dargelegt werden. Dabei sind zur Abgrenzung von grundsätzlich unbeachtlichem Vortrag ins Blaue greifbare Anhaltspunkte aufzuzeigen, auch hinsichtlich der Frage, dass und warum die entsprechende Abschalteinrichtung nicht technisch notwendig sein soll. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Thermofenster, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 288, Diesel-Abgasskandal
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 29.11.2022 – 35 U 912/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40664
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 63.851,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger macht Ansprüche im Zusammenhang mit dem Diesel-Abgasskandal geltend.
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Der Kläger erwarb am 28.02.2017 von der Firma … das Fahrzeug VW T6 California 2,0 TDI, …, ausgestattet mit einem EA288 Motor der Abgasnorm EU6, zum Kaufpreis von 64.000 Euro. Ein Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) zum streitgegenständlichen Fahrzeug ist bisher nicht erfolgt. Das streitgegenständliche Fahrzeug war von einer sogenannten technischen Komformitätsabweichung erfasst.
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Der Kläger behauptet, das Fahrzeug enthalte unzulässige Abschalteinrichtungen, die dazu führen, dass die Emissionsgrenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht jedoch im Realbetrieb eingehalten werden. In Fahrzeugen mit dem Motor EA288 seien verschiedene Abschalteinrichtungen verbaut, wobei Hauptansatzpunkt der Klage sei, dass die Beklagte eine Prüfzykluserkennung (genannt Fahrkurve) einsetze und durch diese Fahrkurve Einfluss auf das Emissionsverhalten genommen werde. Hätte der Kläger von den Manipulationen gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Der Kläger behauptet darüber hinaus, die Beklagte hätte augenscheinlich Kenntnis von den Manipulationen. Es sei offensichtlich, dass ein Repräsentant der Beklagten entweder die Manipulationen direkt veranlasst habe oder ein Mitarbeiter an einen Repräsentanten herangetreten sei und ersterer sie gebilligt habe. Der Beklagtenpartei obliege zudem eine sekundäre Beweislast. Nach alledem habe die Beklagte den Kläger in sittenwidriger Art in seinem Vermögen geschädigt.
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Der Kläger beantragt zuletzt:
Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW T6 California 2,0 TDI, … durch die Beklagtenpartei resultieren.
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Die Beklagte beantragt zuletzt,
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Die Beklagte trägt vor, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) habe den streitgegenständlichen Motor bereits vielfach geprüft und sei in den über fünf Jahre währenden, dreifach gestaffelten Überprüfungen des EA288-Motors immer bei dem Ergebnis geblieben, dass entsprechende Fahrzeuge keine unzulässige Abschalteinrichtung enthielten. Der Klägervortrag sei zudem nicht substantiiert und ins Blaue hinein. Es läge seitens der Beklagten weder eine Täuschungshandlung vor, noch sei dem Kläger ein Schaden entstanden, da in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Insbesondere sei in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu keinem Zeitpunkt eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt.
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Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz.
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1. Ein vertraglicher Anspruch scheidet mangels bestehenden Vertragsverhältnisses der Parteien aus. Auch liegt kein gesetzliches Schuldverhältnis nach §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB vor (OLG München Endurteil v. 5.2.2020 – 3 U 6342/19, BeckRS 2020, 985 Rn. 15 ff.).
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2. Deliktische Ansprüche bestehen ebenfalls nicht. Der Kläger hat keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte. Gemäß § 826 BGB ist der zum Schadensersatz verpflichtet, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Sittenwidrig ist hierbei ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (OLG Bamberg Urteil v. 15.04.2021 – 1 U 328/19). Hierbei genügt es grundsätzlich nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft (BGH Urteil v. 25.5.2020, Az. VI ZR 252/19). Es bedarf vielmehr einer besonderen Verwerflichkeit seines Verhaltens. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes hat der Kläger eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte vorliegend nicht hinreichend dargetan.
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a. Der Kläger hat nicht hinreichend substantiiert zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug vorgetragen, weshalb eine Beweisaufnahme zur Frage des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht veranlasst war. Die bloße Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“, ohne die erforderliche Behauptung von Tatsachen, die unter die entsprechenden Vorschriften der VO (EG) 715/2007 subsumiert werden können, stellt lediglich eine Rechtsbehauptung dar.
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Es ist bei der Behauptung der unerlaubten Handlung erforderlich, dass Klägerseits die Umstände zum Konstruktionsteil und zu der Abschaltung der Abgasreinigung in bestimmten Umwelt- oder Fahrsituationen voll dargelegt und gegebenenfalls auch nachgewiesen werden. Dabei sind zur Abgrenzung von grundsätzlich unbeachtlichem Vortrag ins Blaue greifbare Anhaltspunkte aufzuzeigen, auch hinsichtlich der Frage, dass und warum die entsprechende Abschalteinrichtung nicht technisch notwendig sein soll. Erst dann kann den beklagten Autohersteller eine sekundäre Darlegungslast treffen, nämlich insbesondere soweit es um die Vorfrage geht, aus welchen technischen Gründen eine konkret dargelegte und gegebenenfalls nachgewiesene Abschalteinrichtung herstellerseits für notwendig gehalten wird (dazu OLG München, Beschluss vom 11.05.2020 – 8 U 7171/19).
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Vorliegend erschöpft sich der klägerische Vortrag im Wesentlichen in Mutmaßungen und Spekulationen ohne Bezug zum konkreten Sachverhalt, insbesondere dem streitgegenständlichen Fahrzeug. So werden pauschal sämtliche in einem Fahrzeug mit dem Motor EA288 enthaltenen Abschalteinrichtungen aufgelistet, ohne die konkret in dem streitgegenständlichen Fahrzeug enthaltenen Abschalteinrichtungen substantiiert darzutun.
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b. Die Beklagte ist dem Vorliegen einer Abschalteinrichtung hingegen substantiiert entgegengetreten. Die Anordnung eines Rückrufes im Zusammenhang mit einer Motorensteuerungssoftware betreffend die Abgasrückführung wird bestritten.
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Im Rahmen einer amtlichen Auskunft vom 11.01.2021 erklärte das KBA (Anlage B 23), dass bei Fahrzeugen mit dem Motortyp EA288 keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden ist. Dort heißt es:
„Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrags (EA) 288 durch, so z.B. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, der freizugebenden Software-Updates für das Nationale Forum Diesel im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätig keifen.
Es wurde bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA 288 aufweist und durch das KBA untersucht wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Es wurden daher weder Nebenbestimmungen angeordnet, noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf aufgrund unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen.“
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Das Vorliegen einer Abschalteinrichtung ist für den streitgegenständlichen Motorentyp damit nicht dargelegt. Die Erholung des angebotenen Beweises in Form eines Sachverständigengutachtens wäre unter diesen Voraussetzungen eine unzulässige Ausforschung.
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Der Beschluss des BGH vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 ändert nichts an diesem Ergebnis. Dabei kann dahinstehen, ob die dort vom BGH für den kaufrechtlichen Sachmangel aufgestellten Grundsätze überhaupt auf das Deliktsrecht übertragbar sind (zweifelnd OLG Köln, Beschluss vom 18.05.2020, 16 U 270/10, BeckRS 2020, 22908). Denn keineswegs soll diese höchstrichterliche Entscheidung den Kläger von jeglichen Anforderungen an einen substanziierten Vortrag befreien. Der BGH zeigte hier lediglich für den Einzelfall eine Grenze auf, jenseits derer er eine Überspannung der Substanziierungsanforderungen sah. In dem Beschluss heißt es aber auch: „Vielmehr ist von ihm [dem Kläger, Anmerkung des Unterzeichners] nur zu fordern, dass er greifbare Umstände anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf.“
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An solchen greifbaren Umständen fehlt es vorliegend jedoch im Vortrag des Klägers (vgl. oben). Die Klägervertreter verkennen insoweit, dass hier nicht die Konstellation vorliegt, wonach lediglich ein amtlicher Rückrufbescheid fehlt. Ein derartiges „Schweigen“ des KBA wird zu Recht nicht als Gegenindiz für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung angesehen. Hier aber hat sich das KBA explizit geäußert, nämlich in Form einer Negativauskunft. Diese stellt sehr wohl ein gewichtiges Indiz gegen das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung dar, welches die Klagepartei mit ihrem letztlich rein pauschalen Vortrag nicht entkräften konnte.
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c. Aufgrund der Pauschalität des klägerischen Vortrags zu den in einem Fahrzeug des streitgegenständlichen Typs enthaltenen Abschalteinrichtungen muss auf diese im Einzelnen nicht eingegangen werden. Sofern der Hauptansatzpunkt der Klage laut Klägervortrag jedoch eine Prüfzykluserkennung (genannt Fahrkurve) sein soll, tritt die Beklagte dieser Behauptung entgegen. Eine sogenannte Fahrkurvenerkennung sei zu keinem Zeitpunkt in dem streitgegenständlichen Fahrzeug hinterlegt gewesen.
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Zur sogenannten Fahrkurvenerkennung im streitgegenständlichen Fahrzeugtyp teilte auch das KBA in einer amtlichen Auskunft an das Oberlandesgericht Oldenburg vom 11.02.2021 (Anlage B 32) mit:
„Eine sogenannte Fahrkurvenerkennung ist in ursprünglich ausgelieferten Datenständen der Motorsteuerung an den betroffenen Fahrzeugen enthalten, diese wurden jedoch nicht als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet. Die ursprüngliche Fahrkurvenerkennung (…) funktioniert auf dem Prüfstand im Straßenbetrieb gleichermaßen und hat keinen wesentlichen Einfluss auf die Schadstoffemissionen.“
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Die Beklagte trägt weiter vor, dass dem KBA bereits seit 2015 bekannt ist, dass Fahrzeuge mit EA288-Aggretaten zum Teil eine Fahrkurvenerkennung enthalten, das bloße Vorhandensein einer Fahrkurvenerkennung allein jedoch keine unzulässige Abschalteinrichtung begründe.
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In einer amtlichen Auskunft des KBA vom 11.01.2021 (Anlage B 23) gegenüber dem Landgericht Aurich für den streitgegenständlichen Motor heißt es hierzu:
„Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist nicht unzulässig, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Die Prüfungen im KBA zeigten, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.“
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d. Letztlich trägt die Beklagte auch vor, dass eine sogenannte Konformitätsabweichung keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Dieser Vortrag wird durch eine amtliche Auskunft des KBA gegenüber dem Landgericht Kempten vom 16.03.2021 (Anlage B42) unter Bezugnahme auf den Rückrufcode 23Z7 bestätigt:
„Das streitgegenständliche Fahrzeug (…) weist jedoch nach den Untersuchungen des KBA eine Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens auf. (…) Unzulässige Abschalteinrichtungen wurden für die betroffenen Fahrzeugvarianten nicht festgestellt.“
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e. Der Kläger konnte all dies nicht substantiiert widerlegen. Eine sittenwidrige Schädigung der Beklagten ist nach alledem nicht nachgewiesen.
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3. Ansprüche des Klägers aus § 831 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sind ebenfalls nicht gegeben. Auch insoweit wäre der Nachweis eines deliktischen Handelns bzw. einer vorsätzlichen Täuschungshandlung erforderlich, den der Kläger – wie oben dargelegt – nicht erbracht hat.
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4. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 12, 18 der Richtlinie Nr. 2007/46/EG, §§ 4, 6, 25, 27 EG-FGV sowie Art. 5 VO (EG) 715/2007 scheitern bereits daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellen. Insoweit schließt sich das Gericht den Ausführungen des BGH im Urteil vom 25.05.2020 – Az. VI ZR 252/19 (NJW 2020, 1962 Rn. 74) an.
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5. Letztlich besteht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG. Die Klageseite hat bereits den hierfür erforderlichen Vorsatz nicht substantiiert vorgetragen. Ein solcher ist aus den oben dargelegten Gründen im Übrigen nicht gegeben.
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Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, jene über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
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Die Höhe des Streitwertes entspricht dem klägerischen Begehren.