Titel:
Keine Haftung des Automobilherstellers gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen
Normenkette:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Die der Übereinstimmungsbescheinigung zugrundeliegende Typgenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG dar. Diesem kommt Tatbestandswirkung zu, die - solange der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist - zur Folge hat, dass die Zulässigkeit des beanstandeten Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einordnung bestimmter Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung durch den Europäischen Gerichtshof rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn selbst wenn ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters versehen ist, oder andere Abschalteinrichtungen vorhanden sind, führt dies nicht (automatisch) zur Unwirksamkeit der Typgenehmigung, sondern allenfalls zu deren Rechtswidrigkeit. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist in der Abschalteinrichtung nicht zu erblicken, da ein Verstoß gegen EU-Recht allein keinen schwerwiegenden Fehler im Sinne dieser Vorschrift darstellt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Käufer eines mit einem Thermofenster versehenen Fahrzeugs kann aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB allenfalls einen Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß bzw. auf Deaktivierung etwaiger sonstiger Abschalteinrichtungen geltend machen und nicht etwa einen Anspruch auf (Rück-) Abwicklung des Kaufvertrags. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schutzgesetz, unzulässige Abschalteinrichtung, Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof, Thermofenster, Typgenehmigung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 12.01.2022 – 18 O 1700/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40643
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12.01.2022, Aktenzeichen 18 O 1700/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 66.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 12.01.2022 Bezug genommen.
2
Im Berufungsverfahren wird beantragt,
Das Urteil des Landgerichts München I vom 12.01.2022,18 O 1700/21 wird aufgehoben und der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
Hilfsweise für den Fall, dass eine Zurückverweisung nicht in Betracht kommt, wird beantragt,
- 1.
-
Das Urteil des Landgerichts München I vom 12.01.2022,18 O 1700/21 wird aufgehoben und wie folgt abgeändert.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW T6 2.0 TDI, FIN ... durch die Beklagtenpartei resultieren.
Zudem wird unter teilweiser Bezifferung des Schadens“ zusätzlich zum erstinstanzlichen Feststellungsantrag“ beantragt, wie folgt zu erkennen:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 64.000,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.11.2019 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW T6 2.0 TDI, FIN ... und abzüglich einer durch richterliches Ermessen festzusetzenden Entschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
3
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
4
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12.01.2022, Aktenzeichen 18 O 1700/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
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Die Gegenerklärung gibt keinen Anlass zur Abweichung von den Hinweisen des Senats oder einer anderweitigen Entscheidung.
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A. Zunächst ist anzumerken, dass sie sich mit den Bedenken des Senats gegen die Antragstellung nicht auseinandersetzt und in keiner Weise klar stellt, welche Schadenspositionen Gegenstand des bezifferten Klageantrags und welche solche des Feststellungsantrags sein sollen, nachdem erstmals mit der Berufung zu einer Kombination aus Schadensersatz und Feststellungsantrag übergegangen wurde.
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B. Ebenso fehlt nach wie vor jeglicher Vortrag zur erzielten Laufleistung, so dass dem Senat die Berechnung einer vom etwaigen Schadensersatzanspruch des Klägers abzuziehenden Nutzungsentschädigung auch im Wege der Schadensschätzung alleine anhand der Haltezeit des Fahrzeugs nicht möglich ist.
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C. Die Urteile des Oberlandesgerichts Naumburg vom 09.04.2021 (Az. 8 U 68/20) und vom 12.11.2021 (Az. 8 U 46/21) sowie der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16.09.2021 (Az. I-20 U 14/21) stehen einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind vorliegend nicht erfüllt, was der Senat bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt hat.
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1. Die genannten Urteile des Oberlandesgerichts Naumburg betreffen Fahrzeuge, die mit einem NOx-Speicherkatalysator ausgestattet sind (vgl. bereits den Hinweisbeschluss des Senats). Für den hier vorliegenden Fall eines VW Passat mit SCR-Katalysator kann hieraus nichts hergeleitet werden. Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Naumburg berufen will, sei er erneut auf die Urteile vom 10.12.2021 (8 U 63/21) und vom 17.12.2021 (8 U 63/21) hingewiesen, die Fahrzeuge mit SCR-Katalysatoren betreffen. Der Kläger vergisst zudem zu erwähnen, dass das Oberlandesgericht Naumburg, die in den Urteilen vom 09.04.2021 und 12.11.2021 vertretene Rechtsauffassung zwischenzeitlich ausdrücklich aufgegeben hat (Urteil vom 10.12.2021 - 8 U 64/21).
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2. Beim Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16.09.2021 handelt es sich um einen bloßen Hinweisbeschluss. Einem Hinweisbeschluss kommt kein Entscheidungscharakter zu und dieser vermag keine Rechtssätze aufzustellen, da lediglich eine vorläufige Bewertung der Sach- und Rechtslage zugrunde liegt. Ein Abweichen von einer Vorentscheidung setzt begriffsnotwendig voraus, dass bereits eine anderslautende Entscheidung existent ist (vgl. BGH NJW 2003, 2319 [2320]). Dies ist bei einem Hinweisbeschluss im Rahmen eines laufenden Verfahrens aber gerade nicht der Fall.
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D. Die Ausführungen zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Rantos sind unerheblich, da es bereits am Vortrag greifbarer Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der bestrittenen Fahrkurve und der weiteren erstinstanzlich behaupteten Einrichtungen (“Strategien A bis E“) fehlt. Soweit das Thermofenster nach seiner konkreten Bedatung (Reduktion der AGR unter 15 Grad Celsius bis 10 Grad Celsius um 30-50%, Abrampen bis - 15 Grad Celsius Deaktivierung ab Temperaturen von -15 Grad Celsius und niedriger) eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der Schutzgesetzverletzung keine Ansprüche.
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Es kann dahinstehen, ob die Einschätzung des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof, dass die RL 2007/46 dahin auszulegen sei, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 65), der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs widerspricht, dass es sich bei den Normen der EG-FGV nicht um solche Schutznormen handelt, aus deren Verletzung der Kläger einen gegen den Hersteller und Verkäufer gerichteten Anspruch auf (Rück-) Abwicklung eines Kaufvertrags herleiten könnte (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff.; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff und zuletzt vom 31. Mai 2022 - VI ZR 804/20, juris Rn. 13 m.w.N.). Selbst wenn man die Ausführungen des Generalanwalts so deuten wollte, dass die europarechtlichen Regelungen es erforderten, die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, liegen die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nicht vor (siehe sogleich lit. aa) und bb) bzw. kann der Kläger von der Beklagten nicht die (Rück-)Abwicklung des geschlossenen Kaufvertrags verlangen (siehe lit. cc).
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aa) Es fehlt bereits an einem objektiven Verstoß gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
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(1) § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV schreibt vor, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der RL 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen.
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Die Übereinstimmungsbescheinigung ist nach der der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge zugrundeliegenden RL 2007/46/EG ein vom Hersteller ausgestelltes Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht (Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG). Gemäß Art. 3 Nr. 3 der RL 2007/46/EG beschreibt die Typgenehmigung das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht.
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(2) Die Beklagte hat die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verletzt, da das Fahrzeug des Klägers mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist.
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Die der Übereinstimmungsbescheinigung zugrundeliegende Typgenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG dar (OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 11 U 173/20, juris Rn. 36; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 - 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 - 7 U 367/18, juris Rn. 38; Schröder, DVBl 2017, 1193, 1194). Diesem kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sog. Tatbestandswirkung zu, die - solange der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist - zur Folge hat, dass die Zulässigkeit des beanstandeten Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen ist (BGH, Urteile vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, juris Rn. 14, vom 30. April 2015 - I ZR 13/14, juris Rn. 31; vom 16. März 2021 - VI ZR 773/20, juris Rn. 12; vom 4. August 2020 - II ZR 174/19, juris Rn. 35; vom 12. Januar 2007 - V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 4. Februar 2004 -XII ZR 301/01, juris Rn. 13; siehe auch: BeckOK VwVfG/Schemmer, 49. Ed., § 43 VwVfG Rn. 28; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 - 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 11 U 173/20, juris Rn. 50; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 - 7 U 367/18, juris Rn. 38; ausdrücklich zum EA 288: OLG Oldenburg, Urteile vom 30. Juli 2021 - 6 U 92/21, juris; vom 17. August 2021 - 6 U 23/21, juris; OLG Celle, Urteil vom 9. Dezember 2020 - 7 U 1738/19, juris).
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Der Senat hat daher den verfügenden Teil des Verwaltungsakts - seinen Ausspruch, dass der Typ des klägerischen Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht - ohne inhaltliche Prüfung der Richtigkeit der darin getroffenen Regelung seiner Entscheidung zugrunde zu legen (BGH, Urteile vom 4. August 2020 - II ZR 174/19, juris Rn. 36; vom 12. Januar 2007 - V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 16. März 2021 - VI ZR 773/20, juris Rn. 12). Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte bei der Beantragung der Typgenehmigung erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, da die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen wäre, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, juris Rn. 26).
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Die Einordnung bestimmter Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung durch den Europäischen Gerichtshof rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn selbst wenn das Fahrzeug des Klägers mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters versehen sein sollte, oder andere Abschalteinrichtungen vorhanden wären, führte dies nicht (automatisch) zur Unwirksamkeit der Typgenehmigung, sondern allenfalls zu deren Rechtswidrigkeit. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist in der Abschalteinrichtung nicht zu erblicken, da ein Verstoß gegen EU-Recht allein keinen schwerwiegenden Fehler im Sinne dieser Vorschrift darstellt (BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, juris Rn. 23; Huck/Müller/Müller, VwVfG, 3. Aufl., § 44 Rn. 10). Dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts wird durch § 25 EG-FGV hinreichend Rechnung getragen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, juris Rn. 23).
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Da auch objektive Anhaltspunkte für eine absichtliche Täuschung des KBA fehlen (zur insoweit fehlenden Bindungswirkung der behördlichen Genehmigung vgl.: OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 - 7 U 367/18, juris Rn. 39; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 11 U 173/20, juris Rn. 37; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 - 16a U 55/19, juris Rn. 68) - die Beklagte hat gegenüber dem KBA im Rahmen der Gesamttypgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasreinigung ausreichend offengelegt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, juris Rn. 26) -, ist die Typgenehmigung nicht erschlichen worden und daher auch nicht aus diesem Grund unwirksam.
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Bei der Übereinstimmungsbescheinigung selbst handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern eine (Wissens-)Erklärung des Herstellers (Schröder, DVBl 2017, 1193, 1196). Aus Art. 18 Abs. 1 Satz 1 der RL 2007/46/EG ergibt sich, dass sich die Erklärung insbesondere darauf bezieht, dass das konkrete Fahrzeug in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde. Daraus folgt für die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung, dass sie nicht anders beurteilt werden kann als die Wirksamkeit der Typgenehmigung. Die Übereinstimmungsbescheinigung partizipiert also insoweit an der Tatbestandswirkung der Typgenehmigung, als dass sie - soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 18 der RL 2007/46/EG gegeben sind (vgl. insoweit Schröder, DVBl 1193, 1197) - von den Zivilgerichten soweit und so lange als gültig zu betrachten ist, soweit und solange die ihr zugrunde liegende Typgenehmigung wirksam ist.
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bb) Es fehlt überdies an dem gemäß § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB (i.V.m. § 37 Abs. 1 EG-FGV) erforderlichen Verschulden der Beklagten.
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(1) Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt schuldhaftes Handeln voraus, wobei sich das Verschulden nach h. M. nur auf die Verletzung des Schutzgesetzes und nicht auch auf die Verletzung des betroffenen Rechtsguts beziehen muss (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 34). Mit Blick auf den für eine Haftung der Beklagten erforderlichen Verschuldensgrad wäre im Fall der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV fahrlässiges Handeln ausreichend (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 37). Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB scheidet allerdings aus, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 610; Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 38; BeckOK BGB/Förster, 62. Ed., § 823 Rn. 285; BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 - VI ZR 424/16, juris Rn. 15 ff.; OLG Frankfurt, Urteil vom 22. September 2022 - 4 U 230/20 Rn. 34 f.).
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(2) Dies zugrunde gelegt ist ein Verschulden der Beklagten zu verneinen.
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Wie sich aus den dem Verfahren C-134/20 des Europäischen Gerichtshofs zugrundeliegenden Feststellungen ergibt, genehmigte das KBA das Software-Update, das auf Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 aufgespielt wurde. Dieses Update enthielt ein Thermofenster, das einen schadstoffarmen Modus nur dann gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - C-134/20 Rn. 19 u. 24 f.). Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass das KBA, das - insoweit entgegen dem EuGH - bis heute von der generellen Zulässigkeit der Thermofenster ausgeht, ein ebenso bedatetes auch in der ursprünglichen Variante der Motorsteuerung des Motors EA189 genehmigt hätte.
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Dieser Schluss wird durch die zahlreichen in „Parallelverfahren“ erteilten amtlichen Auskünfte des KBA bestätigt. In diesen hat es erklärt, dass es - u. A. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, des Software-Updates Nationales Forum Diesel sowie spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten - sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit EA 288-Motoren durchgeführt (u. A. Softwareanalysen und Messungen) und dabei auch mit Blick auf das Thermofenster keine Unzulässigkeit festgestellt habe. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Thermofenster mag diese Bewertung des KBA inhaltlich falsch sein. Die Auskünfte belegen jedoch, dass das KBA die temperaturabhängige Steuerung der Abgasreinigung (Thermofenster) - auch in der ursprünglichen Bedatung - im Gesamttypgenehmigungsverfahren nicht beanstandet, sondern die Typgenehmigung erteilt hätte (vgl. auch die den EA 288 betreffenden Feststellungen des Oberlandesgerichts Saarbrücken, Urteil vom 15. Dezember 2021 - 2 U 68/21, juris Rn. 36).
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In einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart hat das KBA für Fahrzeuge des Volkswagenkonzerns mit dem Motor V6-TDI Euro 5 Generation 2 allgemeingültig mitgeteilt, dass die Verwendung von Thermofenstern dem KBA prinzipiell bekannt war. Auf ausdrückliche Frage des dortigen Senats hat es erklärt, dass ihm der exakte Wirkbereich zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung zwar nicht bekannt gewesen war, es die Genehmigung jedoch auch bei Angabe der konkreten Parameter erteilt hätte (Auskunft des KBA vom 11. September 2020 im Verfahren 16a U 194/19 des Oberlandesgerichts Stuttgart). Gleichlautende Auskünfte sind dem Senat u.a. auch aus den hiesigen Verfahren 35 U 9412/21 und 35 U 7269/21 bekannt.
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Entsprechendes gilt für die sonstigen behaupteten Abschalteinrichtungen, zumal das Kraftfahrtbundesamt solche weder festgestellt noch nach mehrjährigen Untersuchungen beanstandet hat.
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cc) Schließlich könnte der Kläger aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB allenfalls einen Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß bzw. auf Deaktivierung etwaiger sonstiger Abschalteinrichtungen geltend machen und nicht - wie von ihm beantragt - auf (Rück-) Abwicklung des Kaufvertrags (so nunmehr auch OLG Hamm, Beschluss vom 4. August 2022 - 21 U 106/21 Rn. 6 und 8; OLG München, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 27 U 1635/22 Rn. 6 z.n. juris).
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(1) Eine Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb. v § 249 Rn. 29). Verfahrensrechtlich ist für die Schadensbemessung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17, juris Rn. 25 m.w.N.; Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb. v § 249 Rn. 127).
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(2) Daran gemessen kann der Kläger von der Beklagten nicht die (Rück-)Zahlung des an die Beklagte bezahlten Kaufpreises verlangen. Wie oben ausgeführt, sollen die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV sicherstellen, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Selbst wenn man also davon ausgehen sollte, dass das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung dazu führt, dass keine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt und die Beklagte dies verschuldete, kann sich aufgrund des Schutzzwecks der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus § 823 Abs. 2 BGB zwar ein Anspruch gegen den Inhaber der EG-Typgenehmigung auf Beifügung einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (in Form der Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung), nicht aber auf (Rück-)Abwicklung eines Kaufvertrags mit einem Dritten ergeben (so nunmehr auch OLG Hamm, Beschluss vom 4. August 2022 - 21 U 106/21 Rn. 6 und 8; OLG München, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 27 U 1635/22 Rn. 6 z.n. juris). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem sich aus § 826 BGB ergebenden Schadensersatzanspruch von Käufern eines Fahrzeugs mit einem Motor EA 189 gegen den Hersteller auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags steht hierzu nicht in Widerspruch. Denn soweit der Bundesgerichtshof den Schaden in diesen Fällen in dem Abschluss eines Kaufvertrags über ein bemakeltes Fahrzeug gesehen hat (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 44), hat er dies ausdrücklich auf § 826 BGB beschränkt, indem er ausgeführt hat, dass sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können muss und eine solche daher einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden darstellen kann (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 47). § 826 BGB bewirke insoweit einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (BGH, aaO). Dies ist bei den § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den ihnen zugrundeliegenden Regelungen der EU-RL 2007/46 indes nicht der Fall (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff.). Wie der Bundesgerichtshof unter dem Gesichtspunkt der Schutzgesetzqualität dieser Normen ausgeführt hat, liegt das Interesse des Klägers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht in deren Schutzbereich (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 76; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, juris Rn. 11).
33
Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 ergibt sich nichts anderes. Zwar ist der Generalanwalt der Auffassung, dass die RL 2007/46/EG dahin auszulegen sei, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenndieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist; die konkrete Ausgestaltung dieses Ersatzanspruchs sei allerdings Sache der Mitgliedsstaaten (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 65). Die Auffassung des Senats, dass sich aus einer - zu Gunsten des Klägers unterstellten - schuldhaften Verletzung der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, wobei - ebenfalls zu Gunsten des Klägers - weiter unterstellt wird, diese Normen seien Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB, allenfalls ein Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß ergibt, steht daher im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und nicht in Widerspruch zur Auffassung des Generalanwalts. Denn auch hierdurch werden die Interessen eines Erwerbers geschützt, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 C-100/21 Rn. 50).
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dd) Das gefundene Ergebnis erfüllt die Voraussetzungen des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (siehe dazu Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 55 u. 65).
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Dass § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB etwaige Ersatzansprüche von einem Verschulden abhängig macht, verstößt nicht gegen europarechtliche Grundgedanken. Denn auch der Generalanwalt geht davon aus, dass die RL 2007/46/EG die Mitgliedstaaten zur Verfügungstellung von Ersatzansprüchen des Erwerbers gegen den Hersteller nur insoweit verpflichtet, als der Hersteller ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug schuldhaft in Verkehr gebracht hat (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 54).
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Der vom Senat als möglich erachtete Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ist eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne des Art. 46 der Richtline 2007/46/EG gegen den Hersteller. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Generalanwalt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 46 der RL 2007/46/EG herleitet, die besagt, dass die Mitgliedstaaten die Sanktionen festlegen, die bei Verstößen gegen die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte anzuwenden sind, und alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen ergreifen. Der Richtliniengeber hat den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Art der Sanktionen freie Hand gegeben. Daraus folgt, dass wenn ein Mitgliedstaat mehrere Sanktionen ergriffen hat, bei der Beurteilung der Effektivität der Maßnahmen das rechtliche Gesamtgefüge maßgeblich ist und der Blick nicht auf Ansprüche einzelner Käufer gegen den Hersteller verengt werden darf.
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Die in der Bundesrepublik Deutschland zur Erfüllung der Verpflichtung gemäß Art. 46 der RL 2007/46/EG zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten sind ausreichend effektiv. Abgesehen davon, dass § 37 Abs. 1 EG-FGV vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 FG-FGV mit einem Bußgeld belegt, sehen die §§ 29a, 30 OWiG die Möglichkeiten vor, Geldbußen gegen juristische Personen zu verhängen und Taterträge einzuziehen. Die deutschen Gerichte haben im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ von diesen Vorschriften Gebrauch gemacht und gegen die Volkswagen AG eine Geldbuße und eine Einziehung in Höhe von einer Milliarde Euro und die AUDI AG eine solche in Höhe von 800 Millionen Euro angeordnet. Über diese ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorschriften hinaus sieht das deutsche Gewährleistungsrecht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen - sogar z. T. verschuldensunabhängige - kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer vor (vgl. zum Motor EA189: BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20; zum Motor OM651: BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19). Dies stellt einen - von dem Generalanwalt geforderten, in seiner Stellungnahme jedoch unberücksichtigt gebliebenen - Anreiz dar, die Unionsvorschriften einzuhalten, um eine Haftung zu vermeiden (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 58).
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ee) Die Auffassung des Senats, wonach jedenfalls die geltend gemachten Rückabwicklungsschäden nicht infolge einer etwaigen Schutzgesetzverletzung zu ersetzen sind, wird von zahlreichen Obergerichten geteilt (OLG Dresden, Urteil vom 15.08.2022 - 10 U 603/22 BeckRS 2022, 21940 Rn. 13 ff.; OLG Frankfurt a. M. Urteil vom 03.08.2022 - 9 U 71/21 BeckRS 2022, 20425 Rn. 72 ff.; KG, Beschluss vom 28.07.2022 - 4 U 1/22 BeckRS 2022, 20432 Rn. 93 ff.; OLG Nürnberg Hinweisbeschluss vom 12.08.2022 - 16 U 1500/19 BeckRS 2022, 21211; keine Fahrlässigkeit: OLG Hamm Urteil vom 02.08.2022 - 13 U 133/21 BeckRS 2022, 20443 Rn. 68 ff; OLG Frankfurt, Urteil vom 22. September 2022 - 4 U 230/20 Rn. 34 f. z.n.juris).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. gez.