Titel:
Erfolgreicher Nachbareilantrag gegen Nutzungsänderungsgenehmigung einer Doppelgarage in eine PKW-Werkstatt
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 1 Nr, 2, Abs. 3
BauGB § 34 Abs. 2, § 212a Abs. 1
BauNVO § 3
Leitsätze:
1. Der Grundsatz, dass sich ein Nachbar im Plangebiet auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden kann, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird, lässt sich auf den Nachbarschutz im faktischen Baugebiet übertragen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Vorhaben dient zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets, wenn der tägliche Bedarf zwar nicht notwendig an jedem Tag, aber doch regelmäßig und in kurzen Zeitabständen neu entsteht, so dass weitere Wege zu seiner Befriedigung nicht zugemutet werden sollen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbareilantrag gegen Baugenehmigung, Nutzungsänderung einer bestehenden Doppelgarage in eine PKW-Werkstatt, Gebietserhaltungsanspruch im unbeplanten Innenbereich, Faktisches reines Wohngebiet, Eilrechtsschutz, aufschiebende Wirkung, summarische Prüfung, Bauplanungsrecht, Art d. baul. Nutzung, Gebietserhaltungsanspruch, Umgebungsbebauung, allgemeines Wohngebiet, reines Wohngebiet, täglicher Bedarf
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40508
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 28. April 2021 (M 9 K 21.2313) gegen den Bescheid des Landratsamts Pfaffenhofen vom 30. März 2021 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
III. Der Streitwert wird auf EUR 3.750,00 festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine dem Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung der bestehenden Doppelgarage auf der Fl.Nr. 2...0/1 der Gemarkung … (iF: Vorhabengrundstück) in eine PKW-Werkstatt.
2
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. 286/2 der Gemarkung …, welches mit einem von ihr selbst bewohnten Wohnhaus bebaut ist. Das Grundstück grenzt im Osten an die …straße, über die es erschlossen ist. Knapp 30m südöstlich, getrennt durch die …straße, liegt das im Miteigentum des Beigeladenen zu 1) stehende Vorhabengrundstück, das mit zwei Doppelgaragen bebaut ist. Ein Bebauungsplan besteht für das Gebiet nicht.
3
Der Beigeladene zu 1) beantragte unter dem 27. November 2020 nachträglich die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung der bestehenden Doppelgarage in eine PKW-Werkstatt. Die Eingabeplanung sieht dabei im nördlichen, ehemals als Doppelgarage genutzten Gebäude eine PKW-Werkstatt (39,88qm) mit einem Reparaturstand und PKW-Stellplatz vor; das südliche Gebäude soll unverändert als Doppelgarage genutzt werden. Mit E-Mail vom 26. Januar 2021 (Bl. 44 Behördenakte - BA) gab der Beigeladene zu 1) gegenüber dem Landratsamt Pfaffenhoffen (iF: Landratsamt) an, dass die PKW-Werkstatt keine regelmäßigen Öffnungszeiten habe, da es sich um ein Kleingewerbe handle und der Beigeladene zu 1) in Vollzeit berufstätig sei. Mitarbeiter würden nicht beschäftigt werden. Es fänden keine Lackierarbeiten statt. Es würden keine LKW-Lieferungen und „vll. 30-40 Kunden An- und Abfahrten im Jahr“ erfolgen. Es gebe einen Druckluftkompressor. Ferner wurde ein Antrag auf Abweichung von der Stellplatzsatzung der Beigeladenen zu 2) (iF: Stellplatzsatzung) für die Errichtung von einem Stellplatz anstatt der nach der Stellplatzsatzung erforderlichen sechs Stellplätze gestellt (Bl. 24 f BA).
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Das gemeindliche Einvernehmen zu dem Vorhaben wurde mit Beschluss des Gemeinderats der Gemeinde … vom 10. Dezember 2020 erteilt (Bl. 8 f BA).
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Mit Bescheid vom 30. März 2021 erteilte das Landratsamt die beantragte Baugenehmigung unter verschiedenen Auflagen. Insbesondere wurde die E-Mail vom 26. Januar 2021 (iF: Betriebsbeschreibung) zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärt (Nr. 3 des Bescheids und Auflage Nr. 5.3.1), die Betriebszeiten auf werktags 8:00 bis 20:00 Uhr festsetzt sowie die Einsatzzeit des Kompressors auf max. eine Stunde pro Tag festgesetzt (Auflage Nr. 5.3.5). Weiter wurde unter Auflage Nr. 5.3.3 beauflagt, dass der Beurteilungspegel der vom gesamten Betrieb ausgehenden Geräusche einschließlich des dazugehörenden Fahrverkehrs u.a. am Grundstück der Antragstellerin den Immissionsrichtwert im Allgemeinen Wohngebiet von tagsüber 55 dB(A) nicht überschreiten darf. Die beantragte Abweichung von § 1 Nr. 3 a) und d) der Stellplatzsatzung wurde unter der Bedingung erteilt, dass der Betrieb im Umfang der Betriebsbeschreibung geführt werde (Nr. 4 des Bescheids). In den Gründen des Bescheids wurde u.a. näher ausgeführt, dass die Abweichung von der Stellplatzsatzung habe erteilt werden können, da es sich vorliegend ausweislich der Betriebsbeschreibung um einen atypischen Betrieb handle, welcher durch den geringen Kundenverkehr mit einem Nachweis von sechs Stellplätzen für den Reparaturstand über dem tatsächlichen Bedarf liege. Im Falle eines erhöhten Kundenverkehrs erlösche die Abweichung aufgrund der im Bescheid enthaltenen Bedingung und es müsse die reguläre Anzahl an Stellplätzen hergestellt werden. Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 07. April 2021 zugestellt.
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Die Antragstellerin ließ am 28. April 2021 Anfechtungsklage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 30. März 2021 erheben (M 9 K 21.2313). Mit Schriftsatz vom 3. August 2021, beim Verwaltungsgericht München am 04. August 2021 eingegangen, beantragte die Antragstellerin ferner:
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Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin vom 28. April 2021 gegen den Bescheid des Landratsamts Pfaffenhofen vom 30. März 2021 wird angeordnet.
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Zur Begründung führt die Antragstellerin im Wesentlichen aus, dass die Baugenehmigung rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze. Das streitgegenständliche Bauvorhaben sei hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht genehmigungsfähig und die Antragstellerin daher in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung beurteile sich vorliegend mangels Existenz eines Bebauungsplans nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO. Es sei vorliegend von einem faktischen reinen Wohngebiet auszugehen, da sich in der maßgebenden Umgebungsbebauung (Bebauung beidseits der …straße bestehend aus rund 35 Wohnanwesen) ausschließlich Wohnnutzung und keine gewerbliche Nutzung finden lasse. Das Damwildgehege auf den Fl.Nr. … bis … und … befinde sich im bauplanungsrechtlichen Außenbereich und sei nicht geeignet, den Ortsteil in Richtung eines faktischen allgemeinen Wohngebiets umzuprägen. Die streitgegenständliche KFZ-Werkstatt sei hier nicht, auch nicht ausnahmsweise nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zulässig. Es handle sich vorliegend nicht um einen zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets bestehenden Handwerkbetriebs, da durch die streitgegenständliche KFZ-Werkstatt kein täglicher Grundbedarf an Gütern und Dienstleistungen abgedeckt werde. Selbst wenn man - wie das Landratsamt - von einem faktischen allgemeinen Wohngebiet ausginge, wäre die streitgegenständliche Nutzung nicht bauplanungsrechtlich zulässig, da es sich vorliegend um einen störenden Gewerbebetrieb handle. Der Betrieb verfüge über eine Hebebühne und einen Kompressor, welche für lärmbelastende Arbeiten ausgerichtet seien. Dass in der streitgegenständlichen KFZ-Werkstatt tatsächlich auch störende gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt werden, zeige sich auch an den in der Behördenakte enthaltenen Aufstellungen über die durchgeführten Reparaturen, an der Betriebsbeschreibung, an den als Anlage A2 vorgelegten Schreiben der Anwohner zu den erheblichen Störungen der Wohnruhe sowie daran, dass in den immissionsschutzrechtlichen Auflagen im Bescheid u.a. vorgesehen wurde, dass bei lärmintensiven Arbeiten Fenster, Türen und Tore geschlossen zu halten seien, der Kompressor über ein bestimmtes Schalldämmmaß verfügen müsse, schallgedämmt aufzustellen sei und sein Einsatz zeitlich limitiert werde. All dies spreche vorliegend auch gegen das Vorliegen eines atypischen Betriebs. Die Baugenehmigung, auch in Verbindung mit dem dort enthaltenen Verweis auf die Betriebsbeschreibung, enthalte weder eine Obergrenze für den Kundenverkehr noch schränke sie die Art der Reparaturen ein.
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Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2021, den Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen, und führt im Wesentlichen aus, dass die Baugenehmigung die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletze. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs sei nicht gegeben. Der Ortsteil, in welchem das Vorhabengrundstück liege, befinde sich im unbeplanten Innenbereich und sei als faktisches allgemeines Wohngebiet zu bewerten. Zur maßgeblichen Umgebung sei vorliegend auch noch die gewerbliche Damwildzucht auf den Grundstücken Fl.Nrn. … bis … der Gemarkung … zu zählen. Da es sich bei dieser auch um keine nach § 3 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässige Nutzung handle, könne vorliegend nicht von einem faktischen reinen Wohngebiet ausgegangen werden. Die streitgegenständliche KFZ-Werkstatt stelle einen ausnahmsweise zulässigen nicht störenden Gewerbebetrieb gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO dar. Ausweislich der Betriebsbeschreibung handle es sich um einen Nebenerwerbsbetrieb eines einzelnen Gewerbetreibenden und es würden maximal 30 bis 40 Kunden pro Jahr erwartet, welche aus der näheren Umgebung kommen dürften. Ausweislich der Rechnungsnachweise aus den Jahren 2017 bis 2020 seien zum weit überwiegenden Teil lediglich Räder gewechselt, Lampen ausgetauscht oder kleinere KFZ-Teile erneuert worden. Im Jahr 2017 hätten lediglich sechs, im Jahr 2018 19, im Jahr 2019 14 und im ersten Halbjahr 2020 fünf Tätigkeiten stattgefunden. Es handle sich vorliegend daher um ein atypisches Vorhaben. Die Belange der Nachbarn seien gewertet und durch die im Bescheid aufgenommenen Nebenbestimmungen entsprechend gewürdigt worden. Von einer erheblichen Belästigung der Antragstellerin könne nicht gesprochen werden. Vielmehr würden im üblichen Umfang eines Nebengewerbes Geräusche erzeugt, welche bei weitem nicht KFZwerkstatttypisch, sondern gerade in ländlichen Gegenden auch in jeder Hobby-Werkstatt zu hören seien.
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Die Beigeladenen haben bislang keine Anträge gestellt. Der Beigeladene zu 1) trägt im Wesentlichen vor, dass sich das Vorhabengrundstück in einem allgemeinen Wohngebiet befinde und diverse Gewerbe im Ortsteil angemeldet seien. Er halte die Auflagen der Baugenehmigung ein. Er sei täglich von 6:30 bis ca. 17:00 Uhr in seiner Arbeitsstelle in … und führe in der streitgegenständlichen KFZ-Werkstatt max. ca. 30 Reparaturen im Jahr durch.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Verfahren M 9 K 21.2313 Bezug genommen.
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Der Antrag hat Erfolg.
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1. Der zulässige Antrag gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. 80a Abs. 1 Nr. 2, §§ 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist begründet.
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Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen die bauaufsichtliche Genehmigung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Nachbarn, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch den Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung der Klage ergibt, dass diese sachlich nicht gerechtfertigt ist und letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich schon jetzt so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei.
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Im vorliegenden Fall der Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn besteht zudem die Besonderheit, dass die Klage in der Hauptsache nur auf die Verletzung solcher Normen gestützt werden kann, die den Nachbarn schützen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage wird die Hauptsacheklage der Antragstellerin voraussichtlich Erfolg haben, da die streitgegenständliche Baugenehmigung die Antragstellerin aller Voraussicht nach in ihren Rechten verletzt. Das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist daher höher zu bewerten als das Interesse des Beigeladenen zu 1), von der Baugenehmigung vorläufig Gebrauch machen zu können.
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a) Die Antragstellerin wird durch das streitgegenständliche Vorhaben nach summarischer Prüfung in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt.
18
Der allgemeine bauplanungsrechtliche Gebietserhaltungsanspruch gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung des Nachbarn ihn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 12.7.2012 - 2 B 12.1211 - juris Rn. 27). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88 - juris Rn. 43).
19
Ein Gebietserhaltungsanspruch ist auch außerhalb eines mittels Bebauungsplans festgesetzten Gebiets denkbar. Die zugrundeliegende Annahme, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist, trifft auch im Falle eines typisierten, faktischen Baugebiets nach § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB i.V.m. der Baunutzungsverordnung zu. Aus der Gleichstellung beplanter und faktischer Baugebiete entsprechend der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB ergibt sich, dass ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (BVerwG, B.v. 22.12.2011 - 4 B 32.11 - juris Rn. 5). Dies bedeutet, dass auch innerhalb von faktischen Baugebieten über § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB eine nachbarschützende Wirkung entsteht. Der Grundsatz, dass sich ein Nachbar im Plangebiet auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden kann, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird, lässt sich daher auf den Nachbarschutz im faktischen Baugebiet übertragen.
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Voraussetzung für die Bejahung eines Gebietserhaltungsanspruchs ist vorliegend mangels Bebauungsplans für das streitgegenständliche Gebiet, dass das Grundstück des Beigeladenen zu 1) wie auch das der Antragstellerin im Innenbereich liegen und dass die nähere Umgebung einem Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung entspricht, § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB.
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Ausgehend davon liegt voraussichtlich eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs der Antragstellerin nach § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 1 BauNVO vor.
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aa) Das Vorhabengrundstück und das Grundstück der Antragstellerin liegen - insoweit sind sich auch die Beteiligten einig - nach summarischer Prüfung im Innenbereich. Nach Aktenlage spricht vorliegend Überwiegendes dafür, dass das streitgegenständliche Gebiet, wie von der Antragstellerseite vorgetragen, einem reinen Wohngebiet, § 3 BauNVO, entspricht. Es sind weder hinreichende Anhaltspunkte dafür ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, dass das Gebiet beidseits der …straße nicht dem reinen Wohnen dient. Die Annahme des Landratsamts, es handle sich vorliegend angesichts des Damwildgeheges auf den Fl.Nr. … bis … um ein faktisches allgemeines Wohngebiet, § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO, erscheint anhand der vorliegenden Luftbilder (abgerufen über BayernAtlas und Google Maps) und der bei den vorgelegten Behördenakten befindlichen Lagepläne zweifelhaft, da der Bebauungszusammenhang nach Aktenlage mit dem Gebäude auf Fl.Nr. … endet und das Dammwildgehege damit nicht mehr am Bebauungszusammenhang teilnimmt, sondern sich im bauplanungsrechtlichen Außenbereich befindet. Der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB ist jedoch nur das zuzurechnen, was Bestandteil des Innenbereichs ist; nur nach Maßgabe des hier bereits Vorhandenen sollen auch die noch unbebauten Grundstücke bebaut oder bebaute Grundstücke erneut bebaut oder baulich verändert werden; was jenseits der Grenze des Innenbereichs im Außenbereich an vorhandenen privilegierten oder nicht privilegierten Gebäuden bzw. Nutzungen vorhanden ist, gibt dagegen für die benachbarte Innenbereichsbebauung keinen geeigneten Maßstab ab und bleibt demnach dafür außer Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.1982 - 4 C 28.81 - juris Rn. 16).
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bb) Das Vorhaben weist keinen für ein faktisches reines Wohngebiet zulässigen Nutzungsumfang auf und fügt sich daher voraussichtlich nach seiner Art der Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein. Das Vorhaben ist weder allgemein nach § 3 Abs. 2 BauNVO noch ausnahmsweise nach § 3 Abs. 3 BauNVO zulässig. Insbesondere stellt die genehmigte KFZ-Werkstatt keinen nicht störenden, zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieb i.S.d. § 3 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 BauNVO dar. Eine Einordnung des Vorhabens als nicht störender Handwerksbetrieb i.S.d. § 3 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 BauNVO scheitert bereits daran, dass das Vorhaben nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dient (vgl. VG Neustadt, B.v. 19.8.2015 - 4 L 677/15.NW - juris Rn. 8). Ein „täglicher Bedarf“ ist ein Bedarf, der zwar nicht notwendig an jedem Tag, aber doch regelmäßig und in kurzen Zeitabständen neu entsteht, so dass weitere Wege zu seiner Befriedigung nicht zugemutet werden sollen (VG Düsseldorf, U.v. 28.11.2013 - 9 K 5940/12 - juris Rn. 40 f m.w.N.). Grundsätzlich gehören vor allem Lebensmittel, Backwaren und Genussmittel (Tabak, Spirituosen), Zeitschriften und Zeitungen, Gemischtwaren und Drogerieartikel sowie Getränke zu dem Grundbedarf i.S.d. § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO (Stock in EZBK, 144. EL Oktober 2021, BauNVO § 3 Rn. 73). Auf eine Bedarfsdeckung im vorgenannten Sinne ist eine KFZ-Werkstatt nicht ausgerichtet.
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cc) Aus diesem Grund kann an dieser Stelle offenbleiben, ob das streitgegenständliche Vorhaben als „nicht störend“ i.S.d. § 3 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 BauNVO eingeordnet werden kann, da es jedenfalls am Tatbestandsmerkmal des „zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen“ fehlt.
dd) Unabhängig davon, dass das streitgegenständliche Vorhaben somit in einem faktischen reinen Wohngebiet auch nicht ausnahmsweise zugelassen werden darf, wäre es nach Aktenlage aber selbst für den Fall der Annahme eines faktischen allgemeinen Wohngebiets bauplanungsrechtlich nicht (ausnahmsweise) zulässig. Sollte sich im Zuge eines im Hauptsacheverfahren durchzuführenden Augenscheins ergeben, dass entgegen der auf der Aktenlage beruhenden Einschätzung des Gerichts das streitgegenständliche Gebiet nicht einem faktischen reinen Wohngebiet, sondern entsprechend dem Vortrag des Antragsgegners und des Beigeladenen zu 1) einem faktischen allgemeinen Wohngebiet entspricht, kann das Vorhaben trotzdem nicht als „nicht störend“ i.S.d. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO eingeordnet werden. Im Rahmen der summarischen Prüfung im Eilverfahren bestehen durchgreifende Zweifel daran, ob der streitgegenständliche Betrieb durch den Baugenehmigungsbescheid - auch in Verbindung mit der recht knapp gehaltenen Betriebsbeschreibung - hinreichend auf ein nicht störendes Maß reduziert wird, zumal im Bescheid insbesondere die Art der zulässigen Reparaturen lediglich insoweit beschränkt wird, dass nur Lackierarbeiten nicht gestattet sind; eine Beschränkung z.B. auf kleinere, nicht überaus lärmintensive Reparaturtätigkeiten lässt sich diesem jedoch nicht entnehmen, so dass die Annahme eines Absehens von der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht überzeugt. Insoweit nützt auch die Inbezugnahme der „Betriebsbeschreibung“, bei der es sich lediglich um eine vollkommen im Ungefähren formulierte E-Mail mit wenigen Zeilen handelt, im Bescheid nichts, da auch durch diese keine Beschränkung auf entsprechende Arbeiten verbindlich vorgenommen wird. Gleiches gilt hinsichtlich der maximalen Anzahl an erlaubten Kundenan- und -abfahrten.
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b) Der Bescheid des Landratsamts vom 30. März 2021 ist daher nach summarischer Prüfung rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, denn § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 1 BauNVO ist - wie oben ausgeführt - im Hinblick auf die Art der Nutzung nachbarschützend. Weiterer Feststellungen zur konkreten Unzumutbarkeit der durch das streitgegenständliche Vorhaben ausgelösten Wirkungen bedarf es nicht (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.1996 - 4 B 51/96 - juris Rn. 10).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3 Hs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie keine Anträge gestellt und sich daher nicht dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt haben.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nummern 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der Hälfte des voraussichtlich im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts.