Titel:
Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen noch nicht bekannt gemachten Bebauungsplan
Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 1, Abs. 6
BauGB § 10, § 33
GG Art. 19 Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Satzung kann grundsätzlich nur dann Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein, wenn sie bereits erlassen wurde. Das ist der Fall, wenn die Norm nicht nur beschlossen, sondern schon bekannt gemacht worden ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz erfordert ein spezielles, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse. Ein solches besteht nicht schon deshalb, weil ein noch nicht öffentlich bekannt gemachter Bebauungsplan Grundlage für Genehmigungen nach § 33 BauGB sein kann. Vielmehr ist in diesem Fall hinreichender Rechtsschutz im Wege der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage eröffnet. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bebauungsplan, Eilantrag (unzulässig), Statthaftigkeit, Satzungsbeschluss, fehlende Ausfertigung, Normenkontrolle, vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz, effektiver Rechtsschutz, Nachbarklage, öffentliche Bekanntmachung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40290
Tenor
I. Der Antrag wird verworfen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen den am 26. September 2022 vom Stadtrat der Antragsgegnerin beschlossenen Bebauungsplan „Wohnanlage R. … …“.
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Sie sind Eigentümer eines außerhalb des Plangebiets gelegenen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks (FlNr. …, Gem. V. ….), das von diesem nur durch eine Ortsstraße getrennt ist. Die Satzung über den Bebauungsplan wurde noch nicht öffentlich bekannt gemacht.
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Die Antragsteller machen zahlreiche formelle und materielle Fehler geltend. Sie haben beantragt,
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den Vollzug des am 26. September 2022 vom Stadtrat der Antragsgegnerin beschlossenen Bebauungsplan „Wohnanlage R. … …“ vorläufig auszusetzen.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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Sie macht geltend, dass es mangels Rechtswirksamkeit der angegriffenen Normen an einem zulässigen Verfahrensgegenstand fehle, und hält den Antrag daher für unstatthaft. Eine öffentliche Bekanntmachung sei derzeit noch nicht absehbar, weil zunächst ein begleitender städtebaulicher Vertrag geschlossen werden solle. Bislang sei auch weder ein Antrag nach § 33 BauGB gestellt worden noch sei beabsichtigt, Baugenehmigungen auf dieser Grundlage zu erteilen.
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Die Antragsteller berufen sich darauf, dass ein Abwarten bis zum Inkrafttreten der Satzung unzumutbar sei, weil der Bebauungsplan wegen unheilbarer Mängel nicht mehr wirksam werden könne. Die Antragsgegnerin verzögere grundlos die öffentliche Bekanntmachung. Nach dem Gesetz sei von einer alsbaldigen Inkraftsetzung von Bebauungsplänen nach dem Satzungsbeschluss auszugehen. Auf die förmliche Verkündung komme es daher nicht an. Zudem nehme die Satzung aus Sicht des Normgebers bereits formelle Geltung für sich in Anspruch und es bestehe die Gefahr eines faktischen Vollzugs, weil auf Grundlage des beschlossenen Bebauungsplans ein städtebaulicher Vertrag geschlossen werden solle. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass sich einstweiliger Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO einerseits und §§ 80, 80a und § 123 VwGO andererseits nicht gegenseitig ausschlössen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
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Der Antrag ist als unzulässig zu verwerfen, weil der als Satzung beschlossene Bebauungsplan noch nicht bekannt gemacht und demgemäß aus Sicht des Normgebers noch nicht in Kraft getreten ist.
11
Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nur dann zulässig, wenn ein in der Hauptsache gestellter oder noch zu stellender Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO voraussichtlich zulässig ist (vgl. hierzu SächsOVG, B.v. 4.11.2021 - 3 B 374/21 - juris Rn. 18; OVG NW, B.v. 30.4.2010 - 7 B 328/10.NE - juris Rn. 4 f.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 387). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann eine Satzung grundsätzlich nur dann Gegenstand eines solchen Verfahrens sein, wenn sie bereits erlassen wurde. Das ist der Fall, wenn die Normen nicht nur beschlossen, sondern schon bekannt gemacht worden sind, das Normsetzungsverfahren also aus Sicht des Normgebers abgeschlossen ist (vgl. BVerwG, B.v. 15.10.2001 - 4 BN 48.01 - juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 30.4.2010 - 7 B 328/10.NE - a.a.O.). Die Satzung muss als Rechtsnorm mit formellem Geltungsanspruch veröffentlicht worden sein, was eine förmliche Verkündung oder eine sonstige tatsächliche Handlung voraussetzt, aus der sich ergibt, dass sie als Rechtsnorm gelten soll (BVerwG, B.v. 15.10.2001 - 4 BN 48.01 - a.a.O.). Rechtsschutz gegen eine im Werden begriffene Norm ist dagegen abzulehnen, unabhängig vom jeweiligen Stadium des Normsetzungsverfahrens. Es würde sich dabei nur um eine Art gutachterliche, nicht allgemeinverbindliche Äußerung handeln, dass ein Normentwurf, würde er unverändert zur Norm erhoben, gegen höherrangiges Recht verstoßen würde. Ziel der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO ist jedoch nicht die präventive Überprüfung werdender Rechtsnormen, sondern die dem Normerlass nachfolgende Kontrolle. Von dieser Zielrichtung her ist zu bestimmen, wann von einer „erlassenen“ Norm ausgegangen werden kann (vgl. dazu grundlegend BVerwG, B.v. 2.6.1992 - 4 N 1.90 - juris Rn. 14).
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Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen kommt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls dann in Betracht, wenn sich ohne die Gewährung (einstweiligen) vorbeugenden Rechtsschutzes eine mit höherrangigem Recht nicht zu vereinbarende Rechtsschutzlücke ergeben würde (BVerwG, B.v. 15.10.2001 - 4 BN 48.01 - juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 30.4.2010 - 7 B 328/10.NE - juris Rn. 9). Die Verwaltungsgerichtsordnung ist grundsätzlich auf die Gewährung von nachträglichem Rechtsschutz ausgerichtet, weil effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) dadurch regelmäßig gewährt werden kann und ein solcher dem verfassungsrechtlich normierten Grundsatz der Gewaltenteilung eher Rechnung trägt. Vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz erfordert daher ein spezielles, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse (vgl. SächsOVG, B.v. 4.11.2021 - 3 B 374/21 - juris Rn. 24; OVG NW, B.v. 30.4.2010 - 7 B 328/10.NE - juris Rn. 7 ff., jew. m.w.N.). Ein solches besteht aber nicht schon deshalb, weil ein noch nicht öffentlich bekannt gemachter Bebauungsplan Grundlage für Genehmigungen nach § 33 BauGB sein kann. Vielmehr ist in diesem Fall hinreichender Rechtsschutz im Wege der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage eröffnet (so auch BVerwG, B.v. 15.10.2001 - 4 BN 48.01 - juris Rn. 5). Die Frage, ob einstweiliger Rechtsschutz nach §§ 80, 80a und § 123 VwGO gegenüber dem Rechtsschutz gemäß § 47 Abs. 6 VwGO Vorrang genießt (vgl. dazu BayVGH, B.v. 23.8.2018 - 1 NE 18.1123 - juris Rn. 10), ist insoweit nicht von Belang.
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Nach diesen Maßstäben kann der streitgegenständliche, noch nicht öffentlich bekannt gemachte Bebauungsplan kein Gegenstand eines Normenkontrollantrags oder eines Verfahrens nach § 47 Abs. 6 VwGO sein. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass das Normsetzungsverfahren formal noch nicht abgeschlossen ist. Ein Streit darüber, ob die Satzung rechtsgültig erlassen wurde (vgl. zu dieser Ausnahme BVerwG, B.v. 2.6.1992 - 4 N 1.90 - juris LS), besteht nicht. Die Antragsgegnerin betrachtet den Bebauungsplan (zu Recht) als noch nicht wirksam. Allein auf diese formale Sichtweise kommt es an. Welche Schritte für eine Inkraftsetzung noch erforderlich sind, ist demgegenüber nicht maßgeblich. Entgegen dem Vortrag der Antragsteller kann daraus, dass einer öffentlichen Bekanntmachung möglicherweise keine „relevanten Hindernisse“ mehr entgegenstehen, weder darauf geschlossen werden, dass die Antragsgegnerin die Norm als wirksam erlassen ansehen würde, noch rechtfertigt dies eine Abweichung von der formalen Betrachtungsweise. Es spielt auch keine Rolle, dass die gesetzliche Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB davon ausgeht, dass mit dem Satzungsbeschluss regelmäßig die Erwartung verbunden ist, der Plan werde alsbald in Kraft gesetzt werden (vgl. BVerwG, B.v. 15.10.2001 - 4 BN 48.01 - juris Rn. 4) und dass eine verspätete öffentliche Bekanntmachung bestimmte rechtliche Folgen nach sich ziehen kann (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, B.v. 3.7.1995 - 4 NB 11.95 - juris Rn. 10 ff.; B.v. 15.10.2001 - 4 BN 48.01 - a.a.O.). Das Bundesrecht trifft nämlich keine Regelung, wonach das zuständige Organ einer Gemeinde Bebauungspläne „alsbald und ohne weiteres“ nach Fassung des Satzungsbeschlusses öffentlich bekannt zu machen und damit in Kraft zu setzen hätte (BVerwG, B.v. 3.7.1995 - 4 NB 11.95 - juris Rn. 17; U.v. 19.9.2002 - 4 CN 1.02 - juris Rn. 24). Erst recht kennen - entgegen dem Vortrag der Antragsteller - weder das Baugesetzbuch noch das bayerische Kommunalrecht eine Bekanntmachungsfiktion im Falle von Verzögerungen. Für die Statthaftigkeit der Normenkontrolle ist der Verlauf des Normsetzungsverfahrens nach dem Satzungsbeschluss daher unerheblich. Im Übrigen können Mängel eines Bebauungsplans - lägen solche etwa im Zusammenhang mit der von den Antragstellern gerügten zeitlichen Abfolge des Satzungsbeschlusses und des Vertragsschlusses vor - im Wege eines ergänzenden Verfahrens vor Inkraftsetzung der Satzung dadurch geheilt werden, dass das Verfahren ab dem fehlerhaften Abschnitt wiederholt wird. Hierauf hat die Antragsgegnerin zutreffend hingewiesen. Bereits aus diesem Grund wäre selbst bei einem als fehlerhaft anzusehenden Aufstellungsverfahren das Abwarten bis zum Inkrafttreten des Bebauungsplans keine „bloße Förmelei“. Nicht zuletzt deshalb kann die von den Antragstellern aufgeworfene Frage, ob der Bebauungsplan in der derzeitigen Form im Falle seiner öffentlichen Bekanntmachung gültig wäre, dahinstehen.
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Aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin auf der Grundlage des beschlossenen, aber noch nicht in Kraft gesetzten Bebauungsplanentwurfs einen städtebaulichen Vertrag abschließen will, folgt ebenfalls nicht, dass sie - entgegen ihrer ausdrücklichen Erklärung im Normenkontrollverfahren - von der Geltung, also der Inkraftsetzung des Bebauungsplans ausgehen würde. Vielmehr hat sie die Absicht, die vertragliche Vereinbarung vor Inkrafttreten der Satzung abzuschließen. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, warum im Abschluss eines solchen Vertrages, der ausweislich der Beschlussfassung des Stadtrats vom 24. Oktober 2022 etwa die Kostentragung für das Planaufstellungsverfahren sowie verschiedene Regelungen über die Erschließung zum Gegenstand haben soll, ein faktischer Planvollzug liegen sollte. Besondere Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass sich ohne die Gewährung (einstweiligen) vorbeugenden Rechtsschutzes eine mit höherrangigem Recht nicht zu vereinbarende Rechtsschutzlücke ergeben würde (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.1972 - IV C 17.71 - juris Rn.29; B.v. 15.10.2001 - 4 BN 48.01 - juris Rn. 5), wurden von den Antragstellern nicht dargelegt und liegen nicht vor.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG; sie orientiert sich an Nummern 1.5 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).