Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.12.2022 – 24 ZB 22.31249
Titel:

kein Abschiebungsverbot bzgl. Türkei festgestellt

Normenkette:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Die Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht, kann nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, in denen sich die Person nach einer Rückkehr befinden wird; sie entzieht sich daher einer generellen, fallübergreifenden Klärung.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kurde, Covid-19 Pandemie, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 25.10.2022 – Au 6 K 22.30871
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40277

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. Oktober 2022 - Au 6 K 22.30871 - wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

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Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
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2. 1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 - 5 B 1.19 D - juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - BayVBl 2016, 104 Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2018 - ZB 17.390 - juris Rn. 14 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 - 14 ZB 16.1867 - juris Rn. 15 m.w.N.).
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1.1. Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob aufgrund der Covid-19 Pandemie ein Abschiebungsverbot für Asylbewerber aus der Türkei im Sinne des § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG besteht“.
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Die Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht, kann nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, in denen sich die Person nach einer Rückkehr befinden wird (vgl. zu § 60 Abs. 5 AufenthG: BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 11 a.E.; vgl. zu § 60 Abs. 7 AufenthG: BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 38). Sie entzieht sich daher einer generellen, fallübergreifenden Klärung (vgl. BayVGH, B.v. 28.3.2019 - 8 ZB 19.31039 - Rn. 10).
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Auch die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG erfüllt sind und insbesondere eine Extremgefahr gegeben ist, ob der betreffende Ausländer also bei einer Rückführung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder von erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit bedroht ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2017 - 15 ZB 17.31494 - juris Rn. 19; B.v. 9.8.2018 - 8 ZB 18.31801 - juris Rn. 8 f.; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 38; U.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 13), hängt von einer Vielzahl von Faktoren und Einzelumständen ab, wie etwa der Erwerbsfähigkeit oder den familiären Bindungen und finanziellen Verhältnissen der Betroffenen. Sie kann daher nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O. Rn. 38; BayVGH, B.v. 28.3.2019 - 8 ZB 19.31039 - Rn. 12).
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1.2. Des Weiteren hält der Kläger für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob einem kurdischen Volkszugehörigen aufgrund der aktuellen politischen Entwicklung in der Türkei die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz zuzuerkennen oder ein Abschiebungsverbot festzustellen ist“.
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Es fehlt vorliegend bereits an einer entsprechenden Darlegung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Es muss durch Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür dargelegt werden, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (OVG NW, B.v. 14.3.2018 - 13 A 341/18.A - juris Rn. 5 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.2.2018 - 20 ZB 17.30393 - juris Rn. 11; B.v. 19.4.2018 - 11 ZB 18.30588 - juris Rn. 4; NdsOVG, B.v. 8.2.2018 - 2 LA 1784/17 - juris Rn. 4). Das Verlangen nach bloßer Neubewertung unveränderter Tatsachen- oder Erkenntnisquellen rechtfertigt die Berufungszulassung grundsätzlich nicht. Diese Voraussetzungen erfüllt die Begründung des Berufungszulassungsantrags nicht.
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Soweit der Kläger sich auf einen Bericht der Deutschen Welle bezieht, in dem zu einem Angriff auf einen Kurden in einem türkischen Krankenhaus am 15. Oktober 2019 Stellung genommen wird, sowie auf einen Bericht von Frau E. D. vom 6. August 2019, sind diese Ausführungen bereits deswegen nicht belastbar, da sie bereits über drei Jahre alt sind und das Verwaltungsgericht sich auf deutlich aktuellere Auskünfte hinsichtlich der Gruppenverfolgung allein wegen einer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden bezogen hat (UA Rn. 33).
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1.3. Zudem hält der Kläger für grundsätzlich bedeutsam, „ob ein kurdischstämmiger Asylsuchender in ein Land wie die Türkei abgeschoben werden darf, wenn bei der erneuten Einreise mit einer intensiven Befragung und möglicherweise Festnahme und Folter zu rechnen ist“ und „ob bei, nach (illegaler) Ausreise und Verbleib im westlichen Ausland zurückkehrenden bzw. in die Türkei rückgeführten Asylantragstellern kurdischer Volkszugehörigkeit, anzunehmen ist, dass mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Einreisekontrollen Eingriffe im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG drohen“.
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Insoweit hat der Kläger sich weder mit den vom Verwaltungsgericht zur Verneinung des Bestehens solcher Gefahren herangezogenen Erkenntnismittel auseinandergesetzt, noch belastbare Quellen genannt, die für die Richtigkeit der von ihm in den Raum gestellten Tatsachenbehauptungen sprechen würden. Soweit auf die Webseite des Auswärtigen Amtes Bezug genommen wird, geht es dort um Einzelfälle des Verdachtes der Propaganda für eine oder der Mitgliedschaft in einer als terroristisch eingestuften Organisation, die nicht verallgemeinerungsfähig sind.
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2. Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.
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Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).