Titel:
Mangels Unverzüglichkeit des Prozessbevollmächtigten keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Normenketten:
VwGO § 55d S. 4, § 60 Abs. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, S. 5, § 173 S. 1
ZPO § 85 Abs. 2
BGB § 121 Abs. 1
Leitsatz:
Der Begriff der „unverzüglich“ in § 55d S. 4 VwGO ist entsprechend der in § 121 Abs. 1 BGB enthaltenen Legaldefinition dahingehend zu verstehen, dass die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit „ohne schuldhaftes Zögern“ erfolgen muss. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Keine) Unverzüglichkeit gem. § 55d Satz 4 VwGO, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, besonderes elektronisches Anwaltspostfach, beA, Berufungszulassungsbegründung, Unverzüglichkeit
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 10.10.2022 – 24 ZB 22.1806
VG Würzburg, Urteil vom 27.06.2022 – W 9 K 21.1392
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40273
Tenor
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.
Gründe
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Der Kläger begehrt Wiedereinsetzung in die Berufungszulassungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
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Der Klägerbevollmächtigte erhob beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in Ansbach per Telefax am 8. September 2022 Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das ihm am 8. August 2022 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 27. Juni 2022.
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Mit Beschluss vom 10. Oktober 2022 lehnte der erkennende Senat den Antrag auf Zulassung der Berufung als unzulässig ab, da die Begründung des Zulassungsantrages nicht in der erforderlichen Form des § 55d VwGO eingelegt worden und damit die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht gewahrt worden sei.
4
Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2022 beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sein Bevollmächtigter sei entgegen dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Oktober 2022 unverschuldet daran gehindert gewesen, die Begründung in der ordnungsgemäßen Form nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und 5 VwGO beim zuständigen Verwaltungsgerichtshof einzureichen. Unter anwaltlicher Versicherung der Richtigkeit des Inhalts führte der Klägerbevollmächtigte hierzu aus, dass ihm eine Einreichung des Antrages über das besondere elektronische Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) nicht möglich gewesen sei, da am Nachmittag des 8. September 2022 die bis dahin benutzte beA-Karte abgeschaltet worden sei. Erst am 9. September 2022 habe er mittels Fernwartung die Möglichkeit erhalten, seine neue Karte in Funktion zu setzen. Wegen des kompletten Ausfalls seiner Telefonanlage am Anfang der 39. Kalenderwoche sei ihm auch kein eigener Faxverkehr möglich gewesen. Bei dem Austausch der Telefonanlage am 12. September 2022 sei dann durch ein heftiges Gewitter ein Überspannungsschaden aufgetreten, der seine FRITZ!Box zerstört und weitere Schäden an der EDV-Anlage nach sich gezogen habe. Durch diesen Überspannungsschaden sei die Erinnerung an eine erneute Übersendung der Berufungszulassungsbegründung, die im EDV-System von ihm vermerkt worden sei, verloren gegangen. Erst mit Übersendung des Beschlusses vom 10. Oktober 2022 sei ihm das Problem wieder bewusst geworden.
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Die Beklagte beantragte,
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte beider Instanzen Bezug genommen.
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Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist abzulehnen.
9
Die mit Schreiben vom 6. Dezember 2022 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO kann nicht gewährt werden, da nicht glaubhaft gemacht wurde, dass die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten beruht, das nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO einem Verschulden des Klägers gleichsteht. Wiedereinsetzungsgründe, aus denen sich ergibt, dass es dem Klägerbevollmächtigten aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich war den Zulassungsschriftsatz als elektronisches Dokument zu übermitteln und die erkennen lassen, ob er die übliche Sorgfalt eines Anwalts angewandt hat und ihm auch kein Organisationsverschulden (vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2013 - 11 B 12.1522 - juris Rn. 11; B. v. 31.3.2022 - 11 ZB 22.39 - juris Rn. 3) anzulasten ist, hat der Bevollmächtigte weder bei der Ersatzeinreichung (Telefax vom 8. September 2022) noch unverzüglich danach vorgetragen und glaubhaft gemacht (vgl. § 55d Abs. 4 VwGO).
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Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit die vom Klägerbevollmächtigten ausgeführten technischen Gründe zu einer vorübergehenden Unmöglichkeit i.S.d. § 55d Satz 4 VwGO geführt haben. Selbst wenn dem Klägerbevollmächtigten wegen technischer Probleme und Ausfall der im EDV-System vermerkten Erinnerung tatsächlich erst mit Empfang des Beschlusses vom 10. Oktober 2022 am 23. November 2022 „das Problem“ wieder bewusst geworden sein sollte, hat er den Wiedereinsetzungsantrag erst ca. zwei Wochen später, am 6. Dezember 2022, gestellt. Damit hat er die vorübergehende Unmöglichkeit i.S.d. § 55d Satz 4 VwGO jedenfalls nicht „unverzüglich“ glaubhaft gemacht. Denn der Begriff „unverzüglich“ ist entsprechend der in § 121 Abs. 1 BGB enthaltenen Legaldefinition dahingehend zu verstehen, dass die Glaubhaftmachung „ohne schuldhaftes Zögern“ (BT-Drs. 17/12634, 28; Ulrich in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2022, § 55d Rn. 28 ff.) erfolgen muss. Dies war hier nicht der Fall.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).