Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 11.10.2022 – W 9 K 22.114
Titel:

Ausweisung eines im Inland geborenen und aufgewachsenen Ausländers wegen mehrfacher Straffälligkeit 

Normenkette:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 59
Leitsatz:
Ist in einem Ausweisungsbescheid ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet sowie eine Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist und eine Abschiebungsandrohung verfügt, so muss die Ausreisepflicht zum Ablauf der Frist vollziehbar sein; andernfalls ist die Abschiebungsandrohung rechtswidrig und aufzuheben. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, mehrfache Straffälligkeit, Geburt im Inland und hier aufgewachsen, Interessenabwägung, serbischer Staatsangehöriger, Geburt und Aufwachsen im Inland, Abschiebungsandrohung, vollziehbare Ausreisepflicht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 13.12.2022 – 19 ZB 22.2473
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40269

Tenor

I. Der Bescheid der Regierung von U. vom 21. Dezember 2021 wird in Ziffer 3 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen seine Ausweisung durch den Beklagten.
1.
2
Der Kläger ist serbischer Staatsangehöriger und wurde am … … 1999 in K. geboren. Er wuchs mit seinen Eltern und weiteren Geschwistern in Deutschland auf. Mit Bescheid vom 21. Mai 2002 wurde der Asylantrag des Klägers unanfechtbar abgelehnt. Der Kläger erhielt in der Folgezeit Aufenthaltserlaubnisse. Später zog der Kläger mit seiner Familie nach M. … um. Seit Dezember 2015 verfügt der Kläger über eine Niederlassungserlaubnis.
3
Die Schule verließ der Kläger im Jahr 2015 ohne Abschluss. Bereits als Jugendlicher trat der Kläger wiederholt strafrechtlich in Erscheinung. Auf Grund richterlicher Anordnung wurde der Kläger am 21. Januar 2016 im pädagogisch-therapeutischen Zentrum … … … einstweilig geschlossen untergebracht. Aufgrund einer richterlichen Weisung in einem Strafurteil wurde dem Kläger aufgegeben, sich zunächst für die Dauer von einem Jahr und sodann nach näherer Weisung des Jugendamts einer stationären Drogentherapie und Alkoholentwöhnungsbehandlung in der Jugendhilfeeinrichtung der Kinder- und Jugendhilfe … … … zu unterziehen. Dort wurde der Kläger seit dem 17. Juli 2016 stationär betreut. Wegen mehrfachen Fehlverhaltens wurde der Kläger im Mai 2017 aus der Maßnahme entlassen. Danach war er ohne Arbeit und befand sich auch nicht in einem Ausbildungsverhältnis. Später verbüßte der Kläger einen Teil einer verhängten Jugendstrafe in der JVA … Der Strafrest wurde im April 2019 zur Bewährung ausgesetzt. Seit 1. Januar 2021 befand sich der Kläger in der JVA … Die Auskunft aus dem Zentralregister vom 6. September 2022 enthielt folgende Eintragungen:
AG … Urteil vom 5. Juli 2016, Az. … … … … … Diebstahl in sieben Fällen davon in sechs Fällen gemeinschaftlich begangen in Tatmehrheit mit versuchtem gemeinschaftlichem Diebstahl sowie Beihilfe zu vorsätzlicher Körperverletzung und unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, 1 Jahr 4 Monate Jugendstrafe, Bewährungszeit 3 Jahre,
AG …, Urteil vom 8. Februar 2017, Az. … … … …, Nötigung, 1 Jahr 7 Monate Jugendstrafe, Bewährungszeit 3 Jahre, einbezogen wurde die Entscheidung vom 5. Juli 2016, … … … … … AG …,
AG … … …, Urteil vom 21. März 2018, Az. … … … …, Vorsätzl. Fahren ohne Fahrerlaubnis, 1 Jahr 11 Monate Jugendstrafe, einbezogen wurde die Entscheidung vom 5. Juli 2016+ … … … … … …AG …; einbezogen wurde die Entscheidung vom 08.02.2017 3 … … … … … AG …
AG … … …, Urteil vom 23. Juni 2020, Az.  … … … … jug, Vorsätzl. Fahren ohne Fahrerlaubnis in 3 tatmehrheitl. Fällen in Tatmehrheit mit unerl. Besitz von Betäubungsmitteln (Anlage Anlage 3 zum BtmG), 2 Jahre 6 Monate, einbezogen wurde die Entscheidung vom 5. Juli 2016 310 … … … … … AG … einbezogen wurde die Entscheidung vom 21. März 2018  … … … … … AG … … …; einbezogen wurde die Entscheidung vom 8. Februar 2017 … … … … … AG …
AG … … …, Urteil vom 11. November 2021, Az. … … … … Fahrl. Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzl. Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit fahrl. Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzl. Trunkenheit im Verkehr mit unerl. Besitz von Betäubungsmitteln (Anlage 1 zum BtmG) in Tateinheit mit vorsätzl. Besitz einer verbotenen Waffe (Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.2 zum WaffG), 1 Jahr Freiheitsstrafe.
4
Mit Schreiben vom 4. August 2021 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Ausweisung an. Hierauf ließ der Kläger ausführen, dass die Kindheit von Umzügen und Schulwechseln geprägt gewesen sei. Bereits in seiner Kindheit sei eine ADHS-Problematik aufgetreten. Neben dem Kläger selbst hätten die Eltern drei weitere Kinder zu betreuen gehabt. Gerade bei Kindern und Jugendlichen mit einer ADHS-Problematik stelle es sich nicht selten so dar, dass sich in der Jugend ein Drogenkonsum entwickele, sofern die Problematik nicht mit medizinischer und psychiatrischer Hilfe bearbeitet werde. Da er aus dem Jugendalter heraus sei, bestehe schon rein statistisch die Hoffnung, dass die ADHS-Problematik zurückgehe. Im bisherigen Vollzug habe er sich gut verhalten. Die Familie des Klägers lebe in M. … Zur Familie bestehe ein enges Verhältnis. Der Kläger beabsichtige nach der Haftentlassung bei seinem Vater zu arbeiten. Er habe auch eine Lebensgefährtin.
2.
5
Mit Bescheid der Regierung von U. vom 21. Dezember 2021, dem Bevollmächtigten am 24. Dezember 2021 mit Postzustellungsurkunde zugestellt, wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids). Es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und auf die Dauer von vier Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Ausreise aus dem Bundesgebiet, befristet. Die Befristung erfolge unter der Bedingung, dass der Kläger zum Ablauf der Frist durch Vorlage einer geeigneten Bescheinigung gegenüber der deutschen Auslandsvertretung nachweise, dass er in der Zwischenzeit nicht mehr straffällig geworden sei. Wenn er diese Bedingung nicht erfülle, werde das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von acht Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Ausreise, befristet (Ziffer 2). Die Abschiebung aus der Haft nach Serbien werde angedroht. Sollte eine Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich sein, werde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach der Haftentlassung zu verlassen. Sollte er dieser Aufforderung nicht fristgerecht nachkommen, werde die Abschiebung nach Serbien angedroht (Ziffer 3). Kosten wurden für den Bescheid nicht geltend gemacht (Ziffer 4).
6
Auf die Begründung des Bescheids in tatsächlicher Hinsicht wird Bezug genommen. In rechtlicher Hinsicht wurde im Wesentlichen ausgeführt, Rechtsgrundlage der Ausweisungsverfügung sei § 53 Abs. 1 AufenthG. Durch das Verhalten des Klägers habe sich die Gefährdung der geschriebenen Rechtsordnung konkretisiert. Er sei seit seinem 11. Lebensjahr trotz gesicherter sozialer Verhältnisse, medizinischer Behandlungen, der Unterbringung in Erziehung- und Jugendeinrichtungen wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, was zu Festnahmen und Verurteilungen geführt habe. Auch sei er wegen wiederholten Konsums von Betäubungsmitteln polizeilich in Erscheinung getreten. Durch sein aggressives und uneinsichtiges Verhalten habe er eine völlige Ignoranz der gesellschaftlichen Normen aufgezeigt. Somit gehe aufgrund seines Verhaltens und den vom Kläger ausgeübten Straftaten eine aktuelle schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Es sei von einer hinreichenden Wiederholungsgefahr auszugehen. Er sei mehrfach strafrechtlich aufgefallen und habe sich bis zum heutigen Zeitpunkt nicht mit den Taten auseinandergesetzt und sich von diesen nicht sichtlich distanziert. Es sei ein besonderes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Beim Kläger sei ein Bleibeinteresse im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu berücksichtigen. Er sei im Bundesgebiet geboren, aufgewachsen und besitze eine Niederlassungserlaubnis. Der Kläger habe im Bundesgebiet drei Geschwister und Eltern, welche ihn unterstützen würden. Trotz dieser Beziehungen sei er jahrelang straffällig gewesen, sodass man davon ausgehen müsse, dass diese Beziehungen ihn nicht positiv beeinflussen könnten. Sämtliche Hilfestellungen des Jugendamts und der Strafjustiz seien fehlgeschlagen. Er habe keinen Schul- oder Berufsabschluss erworben. Eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Integration sei ihm im Bundesgebiet nicht gelungen. Im Falle des Klägers überwiege auch nach den gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls das Ausweisungsinteresse. Die Ausweisung sei auch verhältnismäßig. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde angeordnet und über dessen Länge im Ermessen entschieden. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Abwägung der Ausweisungsinteressen mit dem Bleibeinteresse, werde das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von vier Jahren ab der Ausreise befristet. Sollte ein entsprechender Nachweis zur Straflosigkeit nicht erbracht werden, werde die Einreise- und Aufenthaltssperre auf acht Jahre festgelegt. Auf die Begründung des Bescheids wird im Übrigen Bezug genommen.
3.
7
Hiergegen ließ der Kläger am 24. Januar 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erheben und beantragen,
den Bescheid der Regierung von U. vom 21. Dezember 2021, zugestellt am 24. Dezember 2021, aufzuheben.
8
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei mit dem Urteil des Amtsgerichts … … … vom 11. November 2021 erstmals nach Erwachsenenrecht verurteilt worden. Der Kläger habe sich im Nachgang an den Vorfall um die Geschädigte gekümmert und sich bei dieser entschuldigt Das Nachtatverhalten des Klägers sei von Einsicht und Reue geprägt. Dies zeige, dass der Kläger sein Verhalten reflektiert habe. Im Rahmen des Strafvollzugs mache der Kläger eine Ausbildung zum Gebäudereiniger. Gerade der nochmalige Hafteindruck und die Trennung von der Familie hätten den Kläger nachhaltig beeindruckt. In der Vergangenheit sei bei den verhängten Jugendstrafen von schädlichen Neigungen beim Kläger ausgegangen worden. Dies bedeute, dass die Jugendgerichte davon ausgingen, dass aufgrund von Anlage- bzw. Erziehungsmängeln ohne längere Gesamterziehung die Begehung weiterer Straftaten drohe. Im Rahmen des Jugendstrafvollzugs habe beim Kläger eine Nachreifung stattgefunden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger in Deutschland geboren und nur in Deutschland sozialisiert worden sei. Die Kindheit des Klägers sei von Umzügen und Schulwechseln geprägt gewesen. In der Kindheit und Jugend sei bereits eine ADHS-Problematik zu Tage getreten. Vor dem Hintergrund dieser Problematik stelle es sich nicht selten so dar, dass sich in der Jugend ein Drogenkonsum entwickele. Der Kläger sei mittlerweile 22 Jahre alt und die ADHS-Problematik schleiche sich mit dem Älterwerden aus. Der Kläger habe sich im nunmehrigen Vollzug grundsätzlich einwandfrei verhalten. Im Rahmen des Vollzugs habe er Kontakt zur Drogenberatung aufgenommen. Zur Familie, die in M. … lebe, bestehe ein guter Kontakt. Seine Verlobte habe den Kläger regelmäßig besucht. Nach der Haftentlassung werde er bei einer Gebäudereinigungsfirma arbeiten. Der Kläger habe keinerlei Verbindungen zu Serbien. Dort lebe kein naher Angehöriger.
4.
9
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und beantragte,
die Klage abzuweisen.
10
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, das reumütige Verhalten des Klägers sei aus den Urteilen und Strafakten bekannt. Da der Kläger nach diesen Bekundungen stets nur kurze Zeit später erneut massiv straffällig geworden sei, seine Aggressivität und Skrupellosigkeit dabei sogar zugenommen hätten, seien keine tiefgreifenden Bewusstseins- oder Verhaltensänderungen bei ihm gegeben. In der Vergangenheit habe der Kläger bereits Ausbildungs- oder Beschäftigungsversuche unternommen. Längerfristig sei er diesen Beschäftigungen nicht nachgegangen. Das Bleibeinteresse des Klägers sei beim Erlass des Bescheids berücksichtigt worden. Es sei nicht davon auszugehen, dass dem Kläger die serbische Sprache völlig fremd sei. Der Kläger sei erwachsen, jung und gesund. Die Ausweisung sei verhältnismäßig. Letztendlich seien sämtliche Maßnahmen zur Resozialisierung des Klägers gescheitert.
5.
11
In der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2022 war der Kläger in Begleitung seines Bevollmächtigten erschienen. Eine Beklagtenvertreterin war ebenfalls erschienen. Es wurden die Akten der Staatsanwaltschaft … … … … … … … … … … … … … … zum Verfahren beigezogen. Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Beteiligten erörtert. Bezüglich des weiteren Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
6.
12
Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
14
Die Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids der Regierung von U. vom 21. Dezember 2021 war rechtswidrig und war dementsprechend aufzuheben. Im Übrigen erwies sich der Bescheid als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1.
15
Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen, § 53 Abs. 2 AufenthG.
1.1.
16
Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12) gegeben. Aus dem strafrechtlich relevanten Verhalten des Klägers lässt sich auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit weiterer Straffälligkeit und damit der Verletzung der deutschen Rechtsordnung und der durch die Strafrechtsnormen geschützten Rechtsgüter schließen, sodass die Voraussetzungen einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung gegeben sind.
17
Der Kläger wurde mehrfach rechtskräftig verurteilt. Letztmals erfolgte eine rechtskräftige Verurteilung durch das AG … … …, Urteil vom 11. November 2021, Az.  … … … …, zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Diese Verurteilung steht in der Folge einer zwischen 2016 und 2021 erfolgten mehrfachen rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen diverser Delikte, die sowohl den Schutz der körperlichen Unversehrtheit, den Schutz des Eigentums als auch gemeingefährliche Straftaten sowie Drogendelikte betrafen. Sie haben sich angeschlossen an eine Jugend, die ebenfalls von vielfältigen Rechtsverstößen geprägt war. Trotz des Umstands, dass der Kläger sich in Therapie- und Erziehungseinrichtungen befand, konnte keine grundlegende Besserung seines Verhaltens erreicht werden. Dies führt zu einer negativen Prognose zu Lasten des Klägers. Hierbei bleibt nicht unberücksichtigt, dass sich der Kläger nach seiner letzten rechtswidrigen Tat um die Geschädigte gekümmert haben soll. Es kann aber nicht dazu führen, dass bei der Schwere und Häufigkeit der zurückliegenden Straftaten des Klägers die ernsthafte Möglichkeit weiterer Straftaten durch den Kläger ausgeschlossen werden kann. Der Zeitraum von weniger als einem Jahr seit der letzten Verurteilung ist hierfür viel zu kurz. Der Kläger befand sich zwischenzeitlich in Strafhaft und ist erst Ende März 2022 hieraus entlassen worden, sodass seine bisherige Straffreiheit wenig aussagekräftig ist. Vor dem Hintergrund des laufenden Ausweisungsverfahrens dürfte beim Kläger zudem ein sog. Legalbewährungsdruck angenommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2022 - 19 ZB 21.2650 - juris Rn. 22).
18
Trotz seines von Geburt an gegebenen Aufenthalts in Deutschland hat er keinen Schul- oder Berufsabschluss erlangt. Die jüngsten Entwicklungen geben keinen Anlass von einer Besserung auszugehen. Es ist vielmehr weiterhin keine berufliche Integration gegeben. In der Haft hat er einen Lehrgang für Gebäudereiniger absolviert. Eine berufliche Tätigkeit in diesem Bereich erfolgte danach trotz einer vorgelegten Absichtserklärung eines potentiellen Arbeitgebers nach seiner Haftentlassung nicht. Stattdessen will der Kläger nach seiner Entlassung vorübergehend in einem Maler- und Stuckateurbetrieb gearbeitet haben. In der mündlichen Verhandlung erläuterte er, seit Ende September 2022 in einem Betrieb für Photovoltaik zu arbeiten und dort einen auf ein Jahr befristeten Vertrag erhalten zu haben.
19
Auch seine persönlichen Umstände sprechen aus Sicht des Gerichts für die Annahme einer Wiederholungsgefahr. Eine Verlobte, die in den Schriftsätzen Erwähnung fand, gibt es nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht. Sie sei seine Freundin, mit der der Kläger aber nicht mehr zusammenwohnt. Der Kläger ist wieder bei seinen Eltern nach der Haftentlassung eingezogen. Hierbei bleibt aber festzuhalten, dass ihn dieses Umfeld auch in der Vergangenheit nicht von einer Straffälligkeit abhalten konnte. Allein ein Ausschleichen seiner ADHS, was nicht näher durch medizinische Gutachten dargelegt wurde, für eine künftige Besserung des Verhaltens des Klägers anzunehmen, überzeugt nicht. Hierfür war die Straffälligkeit des Klägers zu beständig.
1.2.
20
Bei der weiter gebotenen Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem entgegenstehenden Bleibeinteresse des Klägers überwiegt das Ausweisungsinteresse, § 53 Abs. 1 AufenthG. Durch die Straffälligkeit des Klägers und bereits seine Verurteilung durch das Amtsgericht … … vom 26. Juni 2020 (Az.  … … … … …) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ist ein besonders schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Hierbei ist unschädlich, dass sich das Strafmaß erst aus einer nachträglichen Einheitsjugendstrafe ergeben hat (vgl. Fleuß in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 54 AufenthG Rn. 16).
21
Diesem Ausweisungsinteresse stehen normierte besonders schwerwiegende Bleibeinteressen des Klägers nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, da der Kläger bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung im Besitz einer Niederlassungserlaubnis seit dem Jahr 2015 war.
22
Die vorliegend anzustellende Interessenabwägung geht gleichwohl zu Lasten des Klägers aus. Zwar ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er im Inland geboren wurde und er hier aufgewachsen ist. Gleichwohl hat er es nicht vermocht, einen Schul- oder Berufsabschluss zu erwerben. Seit seiner Jugend wurde er immer wieder straffällig. Mehrere Bemühungen, ihn durch erzieherische bzw. therapeutische Maßnahmen zu einer Besserung seines Verhaltens zu bewegen, schlugen fehl. Noch während seines letzten Haftaufenthalts wurde des Verhalten des Klägers durch die Justizvollzugsanstalt am 6. Oktober 2021 weiblichen JVA-Mitarbeitern gegenüber als frech, überheblich und unverschämt beschrieben. Augenscheinlich war er zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal durch seine Haft sonderlich beeindruckt. Im Inland hat der volljährige Kläger seine Eltern, die aber auf den Kläger auch bislang nicht mäßigend einwirken konnten. In Strafurteilen gegen den Kläger heißt es, dass sie sich der Erziehung des Klägers als nicht gewachsen erwiesen haben. Eine Verlobte hat er nach eigenem Bekunden in der mündlichen Verhandlung nicht, sondern eine Freundin, mit der er aktuell nicht mehr zusammenwohnt. Der Zeitraum nach seiner Haftentlassung ist nicht derart aussagekräftig, dass er besonders zu seinen Gunsten ins Gewicht fiele. Vielmehr führen der Arbeitgeberwechsel und die weiterhin fehlende Berufsausbildung dazu, dass von einer wirtschaftlichen Integration nicht auszugehen ist, was ebenfalls die Möglichkeit weiterer Straffälligkeit begründet.
23
Die Ausweisung ist schließlich auch verhältnismäßig. Trotz einer gegebenen besonderen Härte, da der Kläger im Inland geboren ist und hier sein bisheriges Leben verbracht hat (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 10.2.2022 - 19 ZB 21.2650 - juris), ist diese nicht unangemessen. Der Umstand, dass es sich bei dem Kläger wohl um einen sog. „faktischen Inländer“ handelt, führt nicht zu einem generellen Ausweisungsschutz (vgl. BVerfG, B.v. 25.8.2020 - 2 BvR 640/20 - juris Rn. 24). Der Kläger ist über Jahre wiederholt straffällig geworden und hat sich diverse strafrechtliche Verurteilungen nicht zur Warnung gereichen lassen. Bei einer zudem fehlenden sozialen und wirtschaftlichen Integration des Klägers überwiegt der zu gewährleistende Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Zumal davon auszugehen ist, dass der Kläger in seinen noch jungen Jahren in der Lage sein wird, seine heimatliche Sprache zu erlernen bzw. vorhandene Sprachkenntnisse aufzufrischen und sich in dem Land seiner Staatsangehörigkeit eine Existenz aufzubauen. Kontakte zu seiner sich im Inland aufhaltenden Familie kann er in zumutbarer Weise mittels Telekommunikationsmitteln aufrechterhalten.
2.
24
Das in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie dessen Befristung erweist sich ebenfalls als rechtmäßig. Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots folgt aus § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und ist zwingend vorgesehen. Die Anordnung ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG bei ihrem Erlass von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist entscheidet die Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen. Das Gericht ist bei der Überprüfung der Länge der Frist auf die Kontrolle auf Ermessensfehler beschränkt, vgl. § 114 Satz 1 VwGO. Der Beklagte hat sein Ermessen erkannt und auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung die aktuellen Entwicklungen des Aufenthalts des Klägers bewertet. § 11 Abs. 2 AufenthG sieht zudem die Möglichkeit vor, dass die Befristung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden kann, insbesondere einer nachweislichen Straffreiheit. Dies hat der Beklagte mit einer Befristung auf vier bzw. acht Jahre gemacht.
3.
25
Die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ergangene Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG war aufzuheben, da sie rechtswidrig war und den Kläger in seinen Rechten verletzte. Soweit ihm die Abschiebung nach Serbien in Satz 1 aus der Haft angedroht wurde, dürfte sich diese zudem erledigt haben, da der Kläger gegenwärtig nicht mehr in Haft ist. Die Abschiebungsandrohung ist im Übrigen aber auch rechtswidrig, weil zum Ablauf der gesetzten Ausreisefrist von 30 Tagen nach der Haftentlassung die Ausreisepflicht nicht vollziehbar war (vgl. zu diesem Erfordernis Kluth, in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht § 59 AufenthG Rn. 17). Der Kläger wurde durch Erlass der Ausweisung, die nach §§ 50, 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG zum Erlöschen seiner Niederlassungserlaubnis geführt hat, ausreisepflichtig. Vollziehbar ist diese aber weiterhin nicht, da weder die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO noch die Bestandskraft des Verwaltungsakts zum Ablauf der 30-tägigen Frist eingetreten war. § 84 Abs. 2 AufenthG regelt nur die Wirksamkeit des Verwaltungsakts. Da gleichzeitig eine nur teilweise Aufhebung der Abschiebungsandrohung bezüglich der gesetzten Ausreisefrist der Kammer nicht als möglich erschien, war die Ziffer 3 des Bescheids insgesamt aufzuheben.
4.
26
Die Ziffer 4 des Bescheids enthält eine den Kläger nicht belastende Regelung zur Kostenfreiheit. Hiergegen wurde auch nichts vorgebracht.
5.
27
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Da der Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen war und sich dieser nicht auf die Streitwertfestsetzung ausgewirkt hat (vgl. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit), waren dem Kläger die Kosten insgesamt aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.