Titel:
Ersatzeinreichung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument
Normenkette:
VwGO § 55d S. 3, S. 4
Leitsatz:
Die unverzügliche Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Unmöglichkeit iSd § 55d S. 4 VwGO setzt voraus, dass der Rechtsanwalt sie abgibt, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände in der Lage ist. Nach Ablauf von mehr als einer Woche ist ohne Vorliegen besonderer Umstände hiervon nicht mehr auszugehen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(unwirksame) Ersatzeinreichung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument, Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung (verneint), elektronisches Dokument, Übermittlung an das Gericht, vorübergehende technische Unmöglichkeit, Ersatzeinreichung, Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung, technische Störung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 11.10.2022 – W 9 K 22.114
Fundstellen:
BayVBl 2023, 247
LSK 2022, 40268
BeckRS 2022, 40268
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist unzulässig, weil er innerhalb der Antragsfrist nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form gestellt wurde. Die vorgenommene Ersatzeinreichung ist unwirksam.
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Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen (§ 124a Abs. 4 Satz 2 VwGO). Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 55d VwGO (eingefügt durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013, BGBl. I S. 3786 ff.) sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Eine herkömmliche Einreichung - etwa auf dem Postweg oder per Fax - ist prozessual grundsätzlich unwirksam. Nur dann, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 55d Satz 3 VwGO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Die Einhaltung der Vorschrift ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten (BayVGH, B.v. 2.5.2022 - 6 ZB 22.30401 - juris Rn. 2 m.w.N).
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Nachdem das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 11. Oktober 2022 dem Bevollmächtigten des Klägers laut Empfangsbekenntnis am 24. Oktober 2022 zugestellt wurde, hätte der Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO, § 55d VwGO innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe - mithin bis 24. November 2022 (24:00 Uhr) - beim Verwaltungsgericht in elektronischer Form eingehen müssen. Dies ist nach Aktenlage nicht geschehen. Nach den Akten, die dem Verwaltungsgerichtshof vom Verwaltungsgericht übermittelt worden sind, hat der Bevollmächtigte des Klägers den Antragsschriftsatz vom 24. November 2022 am 24. November 2022 (vorab) per Fax am 24. November 2022 (und auch postalisch, Eingang beim Verwaltungsgericht am 25. November 2022) an das Verwaltungsgericht gesendet. Ein Hinweis bzw. Nachweis des Bevollmächtigten des Klägers auf eine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen (z.B. auf dem per Fax und postalisch übermittelten Antragsschriftsatz vom 24.11.2022 mit Beifügung der Störungsdokumentation beA) erfolgte weder am 24. November 2022 noch in den darauffolgenden Tagen.
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Die Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung wahrt die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht, da sie bis zum Fristablauf entgegen § 55d Satz 1 VwGO nur per Fax und damit nicht formgerecht erfolgt ist. Es liegt auch keine die Antragsfrist wahrende Ersatzeinreichung nach § 55d Satz 3 VwGO vor, da die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzeinreichung nicht erfüllt sind.
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Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt gem. § 55d Satz 3 VwGO die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen, § 55d Satz 4 VwGO. Nach dem Willen des Gesetzgebers spielt es keine Rolle, ob die Ursache für eine vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts soll dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen. Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet und erfordert nur die (unverzügliche) Glaubhaftmachung der technischen Störung als solcher (BayVGH, B.v. 1.7.2022 - 15 ZB 22.286 - juris Rn. 10 mwN; BayVGH, B.v. 2.5.2022, a.a.O. Rn.5).
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Die Glaubhaftmachung muss gemäß § 55d Satz 4 VwGO „bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach“ erfolgen. Es kann hier dahinstehen, ob im Interesse des dahinterstehenden Beschleunigungsgedankens diese Formulierung so zu verstehen ist, dass die Glaubhaftmachung mit der Ersatzeinreichung grundsätzlich vorrangig zu erfolgen hat (so BayVGH, B.v. 1.7.2022 - 6 ZB 22.30401 - juris Rn. 6 mwN.; BayVGH, B.v. 2.5.2022, a.a.O. Rn. 6) und daher lediglich dann, wenn der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die vorübergehende technische Störung darzutun und glaubhaft zu machen, es genügt, die Glaubhaftmachung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern nachzuholen oder ob die unverzüglich nach der Ersatzeinreichung erfolgende Glaubhaftmachung als gleichwertige Alternative gegeben ist.
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Im hier vorliegenden Fall erfolgte die Glaubhaftmachung der technischen Störung ersichtlich weder zusammen mit Ersatzeinreichung noch wurde die Glaubhaftmachung unverzüglich nachgeholt.
8
Unverzüglich - und somit ohne schuldhaftes Zögern - ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB ist keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung gegenüber dem Gericht abzugeben, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände in der Lage ist (vgl. BGH, B.v. 21.9.2022 - XII ZB 264/22 - juris Rn. 17 mwN.). Nach Ablauf einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist ohne das Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben (BayVGH, B.v. 2.5.2022 a.a.O. Rn. 8; vgl. auch OVG NW, B.v. 9.5.2022 - 16 B 69/22 - juris Rn. 7; OVG SH, B.v. 25.1.2022 - 4 MB 78/21 - juris Rn. 5 ff.; LAG SH, U.v. 13.10.2021 - 6 Sa 337/20 - juris Rn. 128 m.w.N.).
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Der Klägerbevollmächtigte übermittelte hier erst mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2022 einen Auszug aus der Störungsdokumentation beA der Bundesrechtsanwaltskammer, aus der sich ergibt, dass vom 24.11.2022, 14:06 Uhr bis zum 25.11.2022, 03:33 Uhr eine Störung der beA Anwendung vorgelegen hat („eine Anmeldung am beA war nicht möglich“), nachdem der Senat (nachdem das Verwaltungsgericht den mehrfach am 24.11.2022 - 16:13 Uhr, 16:15 Uhr und 16:18 Uhr - gefaxten Antrag auf Zulassung der Berufung zusammen mit dem am 25. November 2022 auf dem Postweg eingegangenen Original mit Schreiben vom 28. November 2022, eingegangen am 5. Dezember 2022, dem Verwaltungsgerichtshof postalisch übermittelt hatte) den Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 7. Dezember 2022 darauf hingewiesen hatte, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung nicht in der zwingend vorgeschriebenen Form mit elektronischer Dokumentenübermittlung eingereicht wurde und bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur elektronischen Dokumentenübermittlung die Prozesserklärung nicht wirksam ist. Damit erfolgte vorliegend die Glaubhaftmachung erst zwei Wochen nach Ersatzeinreichung und es sind auch keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, dass besondere Umstände vorgelegen hätten, die hier ausnahmsweise eine Unverzüglichkeit der nachträglichen Glaubhaftmachung annehmen lassen könnten.
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Fehlt die (unverzügliche) Glaubhaftmachung, so ist auch die Ersatzeinreichung unwirksam (BayVGH, B.v. 2.5.2022, a.a.O. Rn. 8; Siegmund, NJW 2021, 3617/3618 Rn. 13).
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Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen (ein entsprechender Antrag wurde nicht gestellt) scheidet vorliegend aus, da für den Fall einer technischen Störung der Übermittlung des Zulassungsantrags als elektronisches Dokument hier eine alternative Versandmethode vorgelegen hat (die der Klägerbevollmächtigte auch gewählt hat), die diesbezüglichen Voraussetzungen aber nicht erfüllt worden sind (siehe bereits die obigen Ausführungen) und dem Klägervertreter die gesetzlichen Anforderungen an eine wirksame Ersatzeinreichung auch hätten bekannt sein müssen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG.
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).