Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 08.12.2022 – Au 6 E 22.2243, Au 6 S 22.2284
Titel:

kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei bestehender Ausreisepflicht

Normenketten:
AufenthG § 25 Abs. 4, § 25a Abs. 1, § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 S. 2, § 60a Abs. 2, § 81 Abs. 3
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsätze:
1. Ein lediglich geduldeter Aufenthalt ist kein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne des § 81 Abs. 3 AufenthG. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Spezialregelung des § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG schließt einen Rückgriff auf § 81 Abs. 3 AufenthG für ein Schengen-Visum aus. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Ausreisepflicht, Erlaubnisfiktion, Duldungsfiktion, Schengen-Visum, Schulausbildung
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 05.01.2023 – 10 CE 22.2618, 10 CS 22.2630
VGH München, Beschluss vom 16.01.2023 – 10 C 22.2631, 10 C 22.2632
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40257

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten der Antragsverfahren zu tragen.
III. Der Streitwert des Antragsverfahrens Au 6 E 22.2243 wird auf 1.250,00 EUR und des Antragsverfahrens Au 6 S 22.2284 auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für die Antragsverfahren werden abgelehnt.

Gründe

1
Der Antragsteller begehrt nach § 123 VwGO Schutz vor einer befürchteten Abschiebung und nach § 80 Abs. 5 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis sowie Prozesskostenhilfe.
I.
2
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Am 15. Juni 2018 reiste der Antragsteller zusammen mit seinen Eltern sowie seinem älteren Bruder aufgrund eines bis zum 19. Juni 2018 gültigen Visums in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie stellten am 7. August 2018 Asylanträge. Diese wurden mit Bescheid vom 12. September 2018 abgelehnt; zugleich wurden der Antragsteller sowie seine Eltern aufgefordert, innerhalb von dreißig Tagen nach unanfechtbarem Abschluss der Asylverfahren die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung angedroht. Hiergegen erhoben sie erfolglos Klage (VG Augsburg, U.v. 20.1.2021 - Au 6 K 18.31563); ein Antrag auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos (BayVGH, B.v. 3.5.2021 - 24 ZB 21.30301).
3
Am … 2018 wurde die jüngere Schwester des Antragstellers geboren. Ihr seit
29. Januar 2019 als gestellt geltender Asylantrag wurde mit Bescheid vom 26. Februar 2019 abgelehnt. Zugleich wurde auch sie aufgefordert, innerhalb von dreißig Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung angedroht. Der Bescheid erwuchs am 15. März 2019 in Bestandskraft. Da die Geburt der Schwester nicht in der Türkei registriert ist, stellt ihr die türkische Republik auch keinen Reisepass aus. Auf Frage, ob die Geburt seiner Tochter mittlerweile bei türkischen Behörden registriert und für die Tochter ein türkischer Reisepass ausgestellt sei, verneinte der Vater des Antragstellers dies bis zuletzt (vgl. das den Beteiligten bekannte Protokoll vom 19.10.2022 im Verfahren Au 6 K 22.974 u.a., S. 5). Auf Grund ihrer Passlosigkeit wird bzw. wurde die Familie einschließlich des Antragstellers geduldet.
4
Dem Antragsteller, seiner Mutter sowie den beiden Geschwistern wurden am 5. Juli 2021 bis zum 31. Oktober 2021 befristete Duldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt; seinem Vater eine bis zum 28. Februar 2023 befristete Duldung (vgl. das den Beteiligten bekannte Protokoll vom 19.10.2022 zu Au 6 K 22.974 u.a., S. 5).
5
Auf einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner unter Aufhebung seines Bescheids vom 10. Februar 2022, über den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen (VG Augsburg, U.v. 19.10.2022 - Au 6 K 22.472).
6
Mit Bescheid vom 23. November 2022 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4 AufenthG und § 25a Abs. 1 AufenthG ab, da der vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller deren Voraussetzungen mangels hinreichender Integration - allein der Schulbesuch genüge nicht - nicht erfülle.
7
Die Bevollmächtigte des Antragstellers beantragt im Verfahren Au 6 E 22.2243 neben Prozesskostenhilfe,
8
1. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dem Antragsgegner zu untersagen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller zu treffen,
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2. den Antragsgegner zu verpflichten, die Duldung des Antragstellers über den 30. November 2022 hinaus zu verlängern.
10
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG und § 25 Abs. 4 AufenthG habe. Der Antragsgegner habe entgegen dem Urteil vom 19. Oktober 2022 (Au 6 K 22.472) noch nicht entschieden. Der Antragsteller besuche derzeit eine weiterführende Schule in der Abschlussklasse und strebe einen Schulabschluss an. Er sei aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in Deutschland fest verwurzelt und habe hier sein soziales Umfeld; seine Groß- und Kernfamilie habe ihren Lebensmittelpunkt ebenfalls in Deutschland. Es liege eine positive Integrationsprognose vor. Er werde nach seinem weiterführenden Abschluss in der Lage sein, seinen Lebensunterhalt künftig durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Darüber hinaus lägen auch die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG vor, da die persönlichen Bindungen des Antragstellers ein rechtliches Ausreisehindernis darstellten und eine Ausreise mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unvereinbar wäre. Die Sache sei eilbedürftig, da der Antragsteller zur Vorsprache am 30. November 2022 vorgeladen worden sei, statt ihm die Duldung zu verlängern.
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Der Antragsgegner beantragt,
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>Der Antrag wird abgelehnt.
13
Der minderjährige Antragsteller sei auf die bis zum 28. Februar 2023 befristete Duldung seines Vaters eingetragen und habe daher keinen Anordnungsgrund oder Anordnungsanspruch. Sein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis sei abschlägig verbeschieden worden, da er keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe.
14
Die Bevollmächtigte des Antragstellers hat für ihn Klage gegen den Bescheid vom 23. November 2022 auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis erhoben (Au 6 K 22.2283) und beantragt im Verfahren Au 6 S 22.2284 neben Prozesskostenhilfe für das Antrags- und für das Klageverfahren,
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im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
16
Zur Begründung wurde unter Vertiefung des bisherigen Vorbringens ausgeführt, dass der minderjährige Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG und § 25 Abs. 4 AufenthG sowie hilfsweise § 25 Abs. 5 AufenthG unter ermessensgerechtem Absehen des Antragsgegners von der Voraussetzung der Nachholung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 3 AufenthG habe.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Der Antrag wird abgelehnt.
19
Der minderjährige Antragsteller habe tatbestandlich keinen Anspruch. Gründe für ein Absehen vom Erfordernis des Visumverfahrens seien nicht vorgetragen.
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Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der vorgelegten Behördenakten sowie der den Beteiligten bekannten Parallelverfahren des Antragstellers (u.a. Au 6 K 22.472) und das Protokoll über die dortige mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II.
21
Der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig (1.), der Antrag nach § 123 VwGO ist unzulässig und bliebe auch in der Sache ohne Erfolg (2.).
22
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig.
23
a) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid des Beklagten vom 23. November 2022 erhobenen Klage ist mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG unstatthaft.
24
Statthaft ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur in den Fällen des § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG. Denn nur in diesen Fällen kann die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels, die nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung hat, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO mit der Folge angeordnet werden, dass die Versagung des beantragten Aufenthaltstitels und die dadurch begründete Ausreisepflicht nicht vollziehbar sind (vgl. BayVGH, B.v. 14.6.2013 - 10 C 13.848 - juris Rn. 3).
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aa) Sowohl eine Erlaubnisfiktion (§ 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) als auch eine Duldungsfiktion (§ 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) scheiden mangels rechtmäßigen Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet aus.
26
Der Antragsteller reiste am 15. Juni 2018 aufgrund eines bis zum 19. Juni 2018 gültigen Kurzaufenthaltsvisums für die Schengen-Staaten, ausgestellt von der Deutschen Botschaft in Ankara (vgl. VG Augsburg, U.v. 20.1.2021 - Au 6 K 18.31563 - Rn. 2), in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 7. August 2018 einen Asylantrag, der am 12. September 2018 abgelehnt wurde; eine hiergegen erhobene Klage wurde abgewiesen (VG Augsburg, U.v. 20.1.2021 - Au 6 K 18.31563), der Bayerische Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung ab (BayVGH, B.v. 3.5.2021 - 24 ZB 21.30301). Dem Antragsteller wurden seither befristete Duldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt.
27
Zu allen Zeitpunkten, zu denen ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Antragsteller gestellt wurde, bestand eine vollziehbare Ausreisepflicht des Antragstellers aufgrund seines abgelehnten Asylantrages. Ein rechtmäßiger Aufenthalt bestand daher nicht. Erforderlich für den Eintritt einer Fiktionswirkung wäre aber, dass sich der abgewiesene Asylbewerber nach Ablehnung seines Asylantrags auf Grund eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. Hailbronner in: ders., Ausländerrecht, Stand 1.8.2021, § 81 AufenthG Rn. 19). Dies ist bei dem Antragsteller nicht der Fall. Er hielt sich seit seiner Einreise in das Bundesgebiet zunächst gestattet, anschließend geduldet, aber nie erlaubt in Deutschland auf. Ein nur geduldeter Aufenthalt ist nicht rechtmäßig im Sinne der Vorschrift (vgl. Zimmerer in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 10. Edt. Stand 15.1.2022, § 81 AufenthG Rn. 17).
28
bb) Ferner begründet auch das seit dem Ablauf des 19. Juni 2018 erloschene Kurzaufenthaltsvisum für die Schengen-Staaten keinen rechtmäßigen Aufenthalt, hinsichtlich dessen ein verspäteter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt wurde (§ 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG): Für Inhaber eines Schengen-Visums scheidet die entsprechende Anwendung des § 81 Abs. 3 AufenthG schon deshalb aus, weil das Schengen-Visum einen Aufenthaltstitel darstellt, der nach § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ausdrücklich von der Fortgeltungsfiktion ausgeschlossen ist. Für das Schengen-Visum gilt insoweit die Spezialregelung des § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG, die einen Rückgriff auf § 81 Abs. 3 AufenthG ausschließt (Hailbronner in: ders., Ausländerrecht, Stand 1.8.2021, § 81 AufenthG Rn. 28 m.w.N.).
29
b) Auch eine Fortgeltungsfiktion (§ 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) scheidet vorliegend bereits mangels eines Aufenthaltstitels des Antragstellers aus.
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2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist unzulässig und wäre auch unbegründet.
31
In den Fällen, in denen es an einer Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 bzw. Abs. 4 AufenthG fehlt, ist ausnahmsweise § 123 VwGO anwendbar. Der Antrag eines Ausländers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis anzuordnen, ist in diesem Fall dahingehend auszulegen, dass die Ausländerbehörde im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet werden soll, den Ausländer bis zur Entscheidung über seine Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu dulden, wenn dem Antrag des Ausländers auf Erteilung bzw. Verlängerung des Aufenthaltstitels keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG zukommt (vgl. Hailbronner in: ders, Ausländerrecht, 1.8.2021, § 81
32
a) Der Antrag nach § 123 VwGO ist unzulässig mangels Rechtsschutzbedürfnisses.
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Mit dem Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, welcher mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat. Das Rechtsschutzinteresse fehlt insbesondere, wenn die Klage bzw. der Antrag offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, vor § 40 Rn. 38).
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Dies ist hier der Fall, da der Antragsgegner den Antragsteller weiterhin und - wie begehrt - über den 30. November 2022 hinaus duldet. Der minderjährige Antragsteller ist ausweislich der übersandten Kopie der Duldungsbescheinigung auch auf der bis zum 28. Februar 2023 befristeten Duldung seines Vaters eingetragen.
35
b) Der Antrag nach § 123 VwGO wäre auch unbegründet.
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Maßgeblicher Zeitpunkt zur Entscheidung über die Sach- und Rechtslage ist derjenige der gerichtlichen Entscheidung.
37
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
38
Eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO).
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c) Der Antragsteller hat im entscheidungserheblichen Zeitpunkt keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Weder ergibt sich ein Anspruch auf eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 AufenthG, noch sind die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Verfahrensduldung gegeben.
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aa) Der Antragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig.
41
Der Antragsteller ist aufgrund der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrags sowie nach Ablauf der ihm durch das Bundesamt gesetzten Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig nach § 50 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, weil er einen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Die Ausreisepflicht des Antragstellers wurde am 2. Juni 2021 aufgrund seines rechtskräftigen ablehnenden Asylbescheids vollziehbar (§ 50 Abs. 1 AufenthG, § 58 Abs. 2 AufenthG). Die ihm gesetzte Ausreisefrist ist ergebnislos verstrichen.
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bb) Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 AufenthG.
43
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Ferner kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG).
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(1) Der mit dem Schuljahr 2022/2023 begonnene Besuch einer 9. Klasse mit dem Ziel, den Mittelschulabschluss im Sommer 2023 zu erreichen (vgl. das den Beteiligten bekannte Sitzungsprotokoll vom 19.10.2022 im Verfahren Au 6 K 22.472 u.a. S. 4), stellt keinen solchen dringenden persönlichen Grund dar.
45
Dringende persönliche Gründe liegen vor, wenn sich bei der erforderlichen Interessenabwägung ergibt, dass dem privaten Interesse des Ausländers an einem vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet ein deutlich höheres Gewicht zukommt als dem öffentlichen Interesse an der Ausreise. Ein solcher Grund kann das Interesse sein, eine Schulausbildung abzuschließen, wenn sich die betroffene Person im letzten Schuljahr befindet und ihr sonst der kurz bevorstehende Schulabschluss entgeht (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2022 - 10 CS 22.1343 u.a. Rn. 10). Insoweit hat der Antragsteller zwar nach eigenen Angaben den Besuch der Abschlussklasse begonnen, die allerdings erst im Frühsommer 2023 zu Ende gehen wird, so dass der Schulabschluss nicht kurzfristig bevorsteht. Zudem ist zu beachten, dass im überwiegenden Teil des Schuljahrs 2021/2022 bis zu dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung angebrochenen Schuljahr 2022/2023 eine vollziehbare Ausreisepflicht des Antragstellers bestand und bis heute besteht, so dass sein Vertrauen darauf, die Schule in Deutschland abzuschließen, weniger schutzwürdig ist (vgl. VG Augsburg, U.v. 30.3.2022 - Au 6 K 21.2067 - Rn. 25 m.w.N.).
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(2) Ferner kommt nach summarischer Prüfung auch kein Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung in Betracht.
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Es widerspräche der durch §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG vorgegebenen Systematik und Konzeption des Aufenthaltsgesetzes, der zufolge für die Dauer eines Erteilungsverfahrens nur unter den in § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG geregelten Voraussetzungen ein vorläufiges Bleiberecht besteht, darüber hinaus derartige „Vorwirkungen“ anzuerkennen und für die Dauer eines Erteilungsverfahrens regelmäßig eine Duldung vorzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2022 - 19 CE 22.12 - juris Rn. 9). Auf die Ausführungen zu § 80 Abs. 5 VwGO wird hierzu verwiesen.
48
Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist nach Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausnahme nur dann zu machen und kommt eine Verfahrensduldung in Betracht, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich bereits gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2022 - 19 CE 22.12 - juris Rn. 9). Eine lediglich ausnahmsweise mögliche Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG kommt also nur in Betracht, wenn zweifelsfrei ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels besteht und die Sicherung der aufrechtzuerhaltenden Voraussetzungen durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2022 - 19 CE 22.12 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 1.7.2022 - 19 CE 22.1262 - juris Rn. 8).
49
Doch die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für die geltend gemachten Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG und § 25 Abs. 4, Abs. 5 AufenthG sind nicht alle gegeben:
50
Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung erstens keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG glaubhaft gemacht, da er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung jedenfalls grundsätzlich dem Visumerfordernis unterfällt und der Antragsgegner - nach summarischer Prüfung auch nicht ermessensfehlerhaft - hiervon auch nicht absieht. Der Antragsteller ist entgegen § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist. Zwar kann nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in den übrigen Fällen der Erteilung eines (humanitären) Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 (also auch hinsichtlich des hier im Streit stehenden § 25a AufenthG) von der Anwendung der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abgesehen werden. Der nach dem Ergebnis des Asylverfahrens nicht schutzbedürftige Antragsteller hat umgekehrt aber nicht glaubhaft gemacht, weshalb ihm - ggf. in Begleitung eines personensorgeberechtigten Elternteils - die Rückkehr in den Herkunftsstaat zur Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar sein sollte.
51
Nach summarischer Prüfung scheidet zweitens auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG aus, weil der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist. Er ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG mit Ablauf der in dem bestandskräftigen ablehnenden Asylbescheid festgesetzten Ausreisefrist nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 67 Abs. 1 Nrn. 4 und 6 AsylG vollziehbar ausreisepflichtig geworden. Andere bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erlangte Aufenthaltstitel des Antragstellers bestehen nicht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 50 Abs. 1 AufenthG). Folglich fehlt es bereits an einer Tatbestandsvoraussetzung des § 25 Abs. 4 AufenthG. Zudem strebt der Antragsteller keinen vorübergehenden Aufenthalt im Sinne des § 25 Abs. 4 AufenthG an, sondern einen langfristigen Aufenthalt u.a. zwecks Schulbesuchs.
52
Drittens scheidet nach summarischer Prüfung ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG aus dringenden persönlichen Gründen des Antragstellers aus. Soweit geltend gemacht wird, er lebe hier mit seinen Eltern und Geschwistern zusammen und habe weitere Verwandte in Deutschland, führt dies zu keiner anderen Betrachtung. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller auf den Beistand entfernter Verwandter angewiesen wäre. Dass er wegen des aus § 58 Abs. 1a AufenthG resultierenden Abschiebungsverbots für unbegleitete Minderjährige nicht ohne einen personensorgeberechtigten Elternteil abgeschoben werden kann, ist dem Antragsgegner ausweislich der mit jener des Vaters des Antragstellers synchron befristeten Duldung bewusst. Damit ist auch Rechten auf Wahrung der Familieneinheit nach Art. 8 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG Genüge getan.
53
cc) Eine Duldung aus zielstaatsbezogenen Gründen ist ausgeschlossen; denn für den Antragsgegner wie auch für das Verwaltungsgericht ist die Verneinung von Abschiebungsverboten durch das Bundesamt im Bescheid vom 12. September 2018 sowie durch das Verwaltungsgericht (VG Augsburg, U.v. 20.1.2021 - Au 6 K 18.31563; nachfolgend BayVGH, B.v. 3.5.2021 - 24 ZB 21.30301) nach § 42 AsylG verbindlich.
54
d) Andere Anspruchsgrundlagen für eine Duldung sind nicht glaubhaft gemacht noch ersichtlich.
55
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Antragsverfahren folgt aus §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5 und 8.1 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
II.
56
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für die beiden Eilverfahren ist aus den o.g. Gründen unbegründet (vgl. II.).
57
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Happ in: Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
58
Wie ausgeführt, sind die beiden Eilanträge erfolglos; eine hinreichende Erfolgsaussicht ist damit zu verneinen, ohne dass es noch auf die Bedürftigkeit des Antragstellers ankäme. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers wurde unter ergebnisloser Fristsetzung angefordert, braucht aber aus sachlichen Gründen auch nicht mehr abgewartet zu werden.