Titel:
Haltungsverbot für Pyrenäenberghunde
Normenkette:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3
Leitsätze:
1. Eine erfolgreiche Beschwerde muss eine einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts leisten und darlegen, welche tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts sie für falsch hält. Sie muss das Entscheidungsergebnis, die entscheidungstragenden Rechtssätze oder erheblichen Tatsachenfeststellungen mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es liegt eine konkrete Gefahr vor, wenn große Hunde auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beiß- oder sonstigen Vorfällen gekommen ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Haltungsverbot und Abgabeverpflichtung für 29 Pyrenäenberghunde, Ruhestörung, freies Umherlaufen großer Hunde, Beißvorfall, Anforderung an Beschwerde
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 22.11.2022 – Au 8 S 22.2145
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40254
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin ist bzw. war Halterin von insgesamt 29 Pyrenäenberghunden und verfolgt mit ihrer Beschwerde ihren in erster Instanz erfolglosen Eilantrag gegen einen sicherheitsrechtlichen Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Mai 2022 weiter. Mit diesem Bescheid hat die Antragsgegnerin unter Anordnung des Sofortvollzugs und Zwangsmittelandrohungen die Haltung der Hunde und von Hunden jeder Art untersagt (Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids) und die Antragstellerin zur Abgabe der Hunde an eine zuverlässige Privatperson oder ein Tierheim verpflichtet (Nr. 3).
2
Die Antragstellerin hält bzw. hielt die Hunde gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem gegenüber mit (im Wesentlichen gleichlautenden) Bescheid vom 8. April 2022 ebenfalls ein Haltungsverbot und eine Abgabeverpflichtung ergangen war. Der Lebensgefährte hatte hiergegen Klage erhoben und erfolglos Eilrechtsschutz gesucht. Die Antragstellerin hatte - vertreten durch einen weiteren Bevollmächtigten - gegen den an sie gerichteten Bescheid Klage (Az. Au 8 K 22.1261) erhoben, aber zunächst keinen Eilantrag gestellt.
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Am 18. Oktober 2022 vollstreckte die Antragsgegnerin die beiden Bescheide und verbrachte die Hunde in ein Tierheim. Mit Schriftsatz vom 7. November 2022 beantragte die Antragstellerin Eilrechtsschutz mit dem Begehren, die Vollziehung des Bescheids „aussetzen“, die „Übereignung (…) rückgängig“ zu machen und den Verkauf der Hunde „auszusetzen“. Das Verwaltungsgericht legte das Begehren als Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sowie als Vollzugsfolgenbeseitigungsantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO aus und lehnte diese Anträge mit Beschluss vom 22. November 2022 ab. Hiergegen richtet sich die Beschwerde.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen nicht die Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
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Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG (drohende weitere Ordnungswidrigkeiten) mit der von der Haltung der Tiere verbundenen Ruhestörungen, derentwegen die Antragstellerin vom AG Aichach im Jahr 2019 rechtskräftig verurteilt wurde und im Februar 2020 ein weiterer bestandskräftiger Bußgeldbescheid erging, begründet. Insofern hat es auf aktenkundige Beschwerden zuletzt vom 26. Januar 2022 und 6. April 2022 (mit ausführlichem Lärmprotokoll) abgestellt. Weiter bestehe eine Gefahr für Leib und Leben Dritter im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG durch das freie Umherlaufen der Hunde. Hunde seien nach Aktenlage seit Dezember 2018 in zahlreichen Situationen, zuletzt am 10. Februar 2022, 14. Februar 2022 und am 25. März 2022, frei umherlaufend angetroffen worden. Schließlich hat das Verwaltungsgericht festgestellt, es sei am 30. März 2022 zu einem Beißvorfall mit einem Pony der Antragstellerin gekommen, der von mehreren Zeugen beobachtet worden sei. Insgesamt böten die Antragstellerin und ihr Lebensgefährte aufgrund ihrer Uneinsichtigkeit keine Gewähr für eine gefahrlose Haltung der Tiere, zumal jedenfalls der Lebensgefährte der Antragstellerin bei Kontrollen wiederholt damit gedroht habe, die Tiere auf Bedienstete der Antragsgegnerin zu hetzen.
6
Die Beschwerdebegründung setzt sich mit diesen detaillierten Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert auseinander und stellt all diese Vorfälle mehr oder weniger pauschal in Abrede. Die nicht näher ausgeführte Behauptung, die Erhöhung und Sicherung eines Zaunes um das Anwesen der Antragstellerin habe den Ausbrüchen ein Ende gesetzt, genügt angesichts der Würdigung zahlreicher aktenkundiger Vorfälle bis Ende März 2022 durch das Verwaltungsgericht nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO verlangt, dass die Beschwerdebegründung die Gründe, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, darlegen und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muss. Die Beschwerdeführerin muss sich mit den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgericht auseinandersetzen und konkret begründen, warum die Entscheidung änderungsbedürftig bzw. unrichtig sein soll. Das Darlegungsgebot soll zu einer sorgfältigen Prüfung vor Einlegung des Rechtsmittels anhalten und dem Oberverwaltungsgericht eine Überprüfung des erstinstanzlichen Beschlusses ermöglichen. Die Beschwerdeführerin muss darlegen, welche tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für falsch oder unvollständig hält; sie hat substantiiert auszuführen, weshalb die Überlegungen des Verwaltungsgerichts falsch sind, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben und was richtigerweise zu gelten hat. Sie muss das Entscheidungsergebnis, die entscheidungstragenden Rechtssätze oder die für die Entscheidung erheblichen Tatsachenfeststellungen mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen (vgl. zuletzt etwa BayVGH, B.v. 1.6.2022 - 10 CE 21.2270 - juris Rn. 3). Eine solche einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts leistet die Beschwerdebegründung nicht in der gebotenen Weise.
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Die Rügen zur Sachverhaltsaufklärung verkennen, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig die Amtsermittlungspflicht eingeschränkt und deshalb nur eine summarische Prüfung anhand der vorliegenden Beweismittel geboten ist (vgl. etwa BVerfG, B.v. 13.4.2010 - 1 BvR 216/07 - BVerfGE 126, 1 - juris Rn. 64; Gersdorf in BeckOK VwGO, Stand 1.7.2021, VwGO § 80 Rn. 176). Dass das Verwaltungsgericht präsente Beweismittel nicht hinreichend berücksichtigt hätte, zeigt die Antragstellerin nicht auf. Zudem legt das Beschwerdevorbringen auch nicht dar, inwiefern weitere Ermittlungen Einfluss auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gehabt haben könnten. Dies gilt insbesondere für die Behauptung, die Tiere seien Gegenstand einer Feldstudie im Rahmen eines Hochschulprojekts gewesen (für die im Übrigen auch im Beschwerdeverfahren keinerlei Beleg vorgelegt wurde). Inwiefern eine Feldstudie für die angestellte Gefahrenprognose von Bedeutung sein soll, wird mit dem Beschwerdevorbringen nicht dargelegt und erschließt sich auch sonst nicht.
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Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe lediglich die Einwände der Antragstellerin „wie in einer Zivilrechtsarbeit im Konjunktiv“ aufgeführt, sich aber nicht damit befasst, zieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht durchgreifend in Zweifel. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das Parteivorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Das Gericht ist - auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs - nicht dazu verpflichtet, jedes Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten in den Gründen einer gerichtlichen Entscheidung zu bescheiden. Art. 103 Abs. 1 GG ist danach erst verletzt, wenn sich eindeutig ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht zur Berücksichtigung von Parteivorbringen nicht nachgekommen ist. (stRspr, vgl. etwa BVerfG, ‚U.v. 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 - juris Rn. 44). Dies ist mit der Beschwerde nicht substantiiert dargelegt.
9
Schließlich kann der Senat den sinngemäßen Einwand der Antragstellerin, es existierten keine Behördenakten, nicht nachvollziehen. Die Behördenakten der Antragsgegnerin liegen dem Senat vor. Dem weiteren Bevollmächtigten der Antragstellerin (Rechtsanwalt A.) wurde im Klageverfahren Akteneinsicht in die Verwaltungsakte gewährt (vgl. Bl. 26 bis 30 der Gerichtsakte im Verfahren Au 8 K 22.1261). Im vorliegenden Eilverfahren wurde - soweit ersichtlich - kein Akteneinsichtsantrag gestellt.
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Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts greifen die weiteren Einwände der Antragstellerin nicht durch.
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Was die Antragstellerin meint, wenn sie von der „mangelnden Bescheidszuständigkeit“ spricht, erschließt sich dem Senat nicht. Die Antragsgegnerin ist Sicherheitsbehörde im Sinne des Art. 6 LStVG und damit für den Erlass sicherheitsrechtlicher Anordnungen auf der Grundlage des LStVG sachlich zuständig.
12
Soweit die Antragstellerin an verschiedenen Stellen der Beschwerdebegründung rügt, sie sei vor Erlass der streitgegenständlichen Verfügung nicht angehört worden, greift auch dies nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zwar angenommen, dass eine Anhörung wegen Gefahr im Verzug nicht erforderlich gewesen sei, aber selbstständig tragend darauf abgestellt, dass ein etwaiger Anhörungsmangel im gerichtlichen Verfahren durch die Antragsgegnerin geheilt worden sei (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG). Hierzu verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht.
13
Auch der Einwand der Antragstellerin, die Hunde seien „angsteinflößend groß, aber absolut ungefährlich“, stellt die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, auf die sich auch das Verwaltungsgericht gestützt hat, liegt eine konkrete Gefahr vor, wenn große Hunde auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beiß- oder sonstigen Vorfällen gekommen ist (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 3.6.2022 - 10 CS 22.982 - juris Rn. 15 m.w.N.). An dieser die Gefahrenprognose bereits allein tragenden Annahme des Erstgerichts geht das Beschwerdevorbringen zum Charakter von Pyrenäenberghunden vorbei.
14
Zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur grundsätzlichen Unzuverlässigkeit der Antragstellerin als weitere Voraussetzung eines Haltungsverbots, zu den sonstigen Verhältnismäßigkeitserwägungen sowie zur Ablehnung eines Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs enthält das Beschwerdevorbringen keine Ausführungen.
15
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
16
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).