Titel:
Beseitigungsverfügung für einen Lagerplatz
Normenkette:
BayBO Art. 76 S. 1
Leitsätze:
1. Bei der Ermessensentscheidung, ob eine im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtete bauliche Anlage zu beseitigen ist, genügt es regelmäßig, dass die Behörde zum Ausdruck bringt, der beanstandete Zustand müsse wegen seiner Rechtswidrigkeit beseitigt werden (vgl VGH München BeckRS 2012, 52803 Rn. 14). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Befugnis einer Bauaufsichtsbehörde, die Beseitigung einer formell und materiell rechtswidrigen Anlage anzuordnen, kann nicht verwirkt werden kann (vgl. VGH München BeckRS 2008, 27632 Rn. 21). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, formell und materiell illegaler Lagerplatz im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans, keine Verjährung bzw. Verwirkung der Befugnis auf bauaufsichtliches Einschreiten, Lagerplatz, Verwirkung, Verjährung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 12.01.2023 – 1 ZB 22.1764
Fundstelle:
BeckRS 2022, 40252
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin betreibt ein mittelständiges Unternehmen für Erdtransporte, Tiefbau und Kiesabbau und wendet sich mit ihrer Klage gegen eine Beseitigungsanordnung für einen Lagerplatz auf den Grundstücken Fl.Nr. 1...8 - 1...7, Gemarkung …, Stadt …
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Auf den streitgegenständlichen Grundstücken waren ursprünglich mit Bescheid vom 5. August 1997 mit einer Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 2007 Kiesabbaumaßnahmen genehmigt worden.
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Die streitgegenständlichen Grundstücke liegen im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 7306 „Solarpark …“ der Stadt … vom 16. Mai 2013 (Bebauungsplan). Der Bebauungsplan sieht für die streitgegenständlichen Grundstücke teilweise Flächen für eine Photovoltaikanlage und teilweise Flächen für die Rekultivierung des Geländes vor.
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Bei einer Baukontrolle am 25. März 2015 wurde festgestellt, dass auf dem östlichen Teil der streitgegenständlichen Grundstücke verschiedene Gegenstände, wie ein Radlader, eine befüllte Sternanlage zur Kiestrennung, Kieshaufen, Bauschutt, Container, Anhänger und ein LKW abgestellt gewesen seien. Der westliche Teil sei frei von Gegenständen und die Oberfläche mit Kies planiert gewesen.
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Zu dem Anhörungsschreiben des Beklagten vom 19. März 2018 hinsichtlich einer Beseitigungsanordnung für einen Lagerplatz nahm die Klägerin über ihren Bevollmächtigten am … Mai 2018 schriftlich Stellung. Das Landratsamt werde gebeten zu berücksichtigen, dass die streitgegenständlichen Flächen nur noch eingeschränkt für einen absehbaren Zeitraum genutzt würden. Es würden über das Grundstück noch einige Aufträge, u.a. im Zusammenhang mit dem …bau in …, abgewickelt. Auch könne man durch Nutzung der Flächen LKW-Transporte im Landkreis reduzieren.
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Mit Bescheid vom 6. Juli 2018, dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 11. Juli 2018, erließ der Beklagte sodann die Anordnung, den Lagerplatz auf den Grundstücken Fl.Nr. 1...8 - 1...7 der Gemarkung … mit einer Frist bis zum 31. August 2018 zu beseitigen (Ziffer 1). Zugleich ergingen Duldungsanordnungen für die Eigentümer der jeweiligen Grundstücke Fl.Nr. 1...8 bzw. Fl.Nr. 1...9 - 1...1 der Gemarkung … (Ziffer 2 und 3). Schließlich wurde für den Fall der Nichtbefolgung der Beseitigungsanordnung ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,- € angedroht (Ziffer 4). Der Lagerplatz übersteige die Größenordnung der Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 lit. b) BayBO und bedürfe daher einer Baugenehmigung, welche weder vorliege noch in Aussicht gestellt werden könne. Der Lagerplatz sei unzulässig, da er den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche. Durch eine Befreiung würden Grundzüge der Planung berührt. Unerheblich sei, dass der Lagerplatz nur noch für einen eingeschränkten Zeitraum benutzt werde. Ein genaues Datum sei nicht benannt worden. Es werde lediglich pauschal auf den …bau in … verwiesen. Eine befristete Genehmigung bis zu dessen Abschluss (voraussichtlich im Jahr 2026) werde nicht in Aussicht gestellt. Es entspreche pflichtgemäßem Ermessen, eine rechtswidrig errichtete Anlage zu beseitigen, um alsbald wieder rechtmäßige Zustände herzustellen und andere Personen von ähnlichem Verhalten abzuhalten. Die Klägerin sei als Handlungsstörerin richtiger Adressat der Maßnahme. Zudem sei sie als Eigentümerin Zustandsstörerin hinsichtlich der Grundstücke Fl.Nr. 1...2 - 1...7. Schließlich sei die Frist zur Beseitigung angemessen.
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Die Klägerin erhob über ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom … Juli 2018 Klage und beantragt sinngemäß,
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den Bescheid des Landratsamts … vom 6. Juli 2018 über die Beseitigung eines Lagerplatzes aufzuheben.
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Mit Schriftsatz vom … Dezember 2018 führte der Klägerbevollmächtigte aus, dass die Klägerin lediglich einzelne Gegenstände auf dem Grundstück lagere, vor allem Aushub und Kies. Sie bemühe sich, das Grundstück nur geringfügig in Anspruch zu nehmen. Ein erstes Projekt, die nach dem Bebauungsplan auf den streitgegenständlichen Grundstücken vorgesehene Photovoltaikanlage zu errichten, sei vor zwei Jahren gescheitert. Die Klägerin bemühe sich aber um Realisierung einer neuen Anlage mit verbesserter Technik. Jedenfalls sei das Grundstück ohnehin für eine gewerbliche Nutzung vorgesehen. Schließlich sei der Anspruch, der mit Bescheid vom 6. Juli 2018 durchgesetzt werden solle, verjährt. Jedenfalls sei Verwirkung eingetreten, weil das Landratsamt den Anspruch jahrelang nicht durchgesetzt habe.
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Der Beklagte beantragt
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Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 7. März 2019 zunächst auf die Begründung des Bescheids verwiesen. Im Übrigen sei der Anspruch auf Beseitigung nicht verwirkt. Eine Verjährung trete bei bauaufsichtlichen Verfahren regelmäßig nicht ein. Eine Duldung liege nicht vor. Man habe lediglich von der Rekultivierungsverpflichtung des Areals aus früheren Bescheiden aufgrund der Bauleitplanung der Stadt … vorübergehend abgesehen. Nach Beseitigung des Lagerplatzes der Klägerin werde an der Rekultivierungspflicht festgehalten und diese auch gegebenenfalls durch bauaufsichtliche Maßnahmen durchgesetzt.
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Auf gerichtliche Sachstandsanfrage hin teilte das Landratsamt mit Schreiben vom 16. März 2021 mit, dass die Arbeiten auf den Grundstücken unverändert fortgesetzt würden. Die Fläche werde nach wie vor als Lagerplatz genutzt, eine Verkleinerung der Lagerplatzfläche sei nicht festgestellt worden.
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Die Kammer hat am 12. Mai 2022 durch Einnahme eines Augenscheins Beweis erhoben und anschließend die mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der beim Augenschein getroffenen Feststellungen und des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Augenscheins- und Sitzungsniederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist.
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1. Die streitgegenständliche Beseitigungsanordnung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage der Beseitigungsanordnung ist Art. 76 Satz 1 BayBO, wonach die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen kann, wenn sie im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor, da der streitgegenständliche, genehmigungsbedürftige Lagerplatz formell und materiell rechtswidrig ist.
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a) Der genehmigungsbedürftige Lagerplatz ist formell rechtswidrig. Dem Vorhaben fehlt die gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO erforderliche Baugenehmigung. Es handelt sich bei dem Lagerplatz nicht um ein verfahrensfreies Vorhaben nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 lit. b) BayBO, da es die zulässige Größe von 300 m² übersteigt. Eine Genehmigung für den Lagerplatz wurde nicht erteilt. Die Genehmigung für die Kiesabbaumaßnahmen vom 5. August 1997 war nur bis zum 31. Dezember 2007 gültig und würde im Übrigen nicht die derzeitige Nutzung umfassen.
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b) Der Lagerplatz ist auch materiell rechtswidrig, da er nicht genehmigungsfähig ist. Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Lagerplatzes ist nach § 30 Abs. 2 BauGB zu beurteilen, da er im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans liegt. Nach § 30 Abs. 2 BauGB ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Der Bebauungsplan setzt für die streitgegenständlichen Grundstücke Flächen für eine Photovoltaikanlage bzw. für die Rekultivierung des Geländes fest. Dieser nach dem Bebauungsplan festgesetzten Nutzung der Flächen widerspricht die Errichtung eines Lagerplatzes.
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c) Sonstige Rechtsfehler bestehen nicht.
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Das Landratsamt hat das ihm in Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Bei der Ermessensentscheidung, ob eine im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtete bauliche Anlage zu beseitigen ist, genügt es regelmäßig, dass die Behörde zum Ausdruck bringt, der beanstandete Zustand müsse wegen seiner Rechtswidrigkeit beseitigt werden (BayVGH, B.v. 18.05.2012 - 1 ZB 11.1210 - juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 18.4.1996 - 4 C 22/94 - BVerwGE 101, 58-64 = juris Rn. 19). Dies ist vorliegend hinsichtlich des formell und materiell rechtswidrigen Lagerplatzes (s.o.) geschehen. Unerheblich ist insoweit, wie lange die Klägerin gedenkt, die rechtswidrige Lagerplatznutzung (noch) aufrecht zu erhalten. Auch wenn dies zeitlich im Vergleich zu der bisherigen Nutzung des Geländes durch die Klägerin nicht mehr entscheidend ins Gewicht fallen würde, wäre andernfalls derjenige schlechter gestellt, der vorher nur für kurze Zeit einen rechtswidrigen Lagerpatz errichtet und genutzt hätte.
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Die Beseitigungsanordnung ist auch nicht unverhältnismäßig. Zwar stellt sie einen intensiven Eingriff dar, weshalb gesteigerte Anforderungen an sie zu stellen sind, wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 76 Satz 1 BayBO ergibt („wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände geschaffen werden können“). Die Forderung, eine keinen formellen Bestandsschutz genießende und materiell baurechtswidrige bauliche Anlage zu beseitigen, verstößt aber in aller Regel nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Decker in: Busse/Kraus, BayBO, Stand: September 2021, Art. 76 Rn. 238 m.w.N.). Da der formell illegale Lagerplatz materiell nicht genehmigungsfähig ist, kommen mildere Mittel, wie etwa die Aufforderung zur Stellung eines Bauantrags oder eine Nutzungsuntersagung (Art. 76 Satz 2 und 3 BayBO), nicht in Betracht.
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d) Schließlich führt auch der Einwand des Klägerbevollmächtigten, dass Verjährung bzw. Verwirkung eingetreten sei, nicht zu einem anderen Ergebnis.
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Eine Verjährung ist nach der Bayerischen Bauordnung nicht möglich; die behördliche Beseitigungsbefugnis illegaler Bauten unterliegt nach dem bayerischen Landesrecht keiner Verjährung (BayVGH, B.v. 20.3.2012 - 9 ZB 08.716 - juris Rn. 12).
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Auch ist in der Rechtsprechung nahezu einhellig anerkannt, dass die Befugnis einer Bauaufsichtsbehörde, die Beseitigung einer formell und materiell rechtswidrigen Anlage anzuordnen, nicht verwirkt werden kann (z.B. BayVGH, B.v. 3.3.2008 - 22 ZB 06.2074 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 21.11.1995 - 2 CS 95.3597 - juris; Decker in: Busse/Kraus, BayBO, Stand: September 2021, Art. 76 Rn. 216 m.w.N.). Einen Anhaltspunkt für eine Duldung des rechtswidrigen Zustands gibt es ebenfalls nicht, insbesondere hat das Landratsamt nie zu erkennen gegeben, dass der Lagerplatz dauerhaft hingenommen werde. Nachdem die Stadt … mit dem Bebauungsplan vom 16. Mai 2013 ihre Bauleitplanung abgeschlossen hatte, wurde das Landratsamt erstmals mit einer Baukontrolle im März 2015 tätig. Für eine Duldung des rechtswidrigen Lagerplatzes durch das Landratsamt sprechende Umstände sind nicht erkennbar.
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2. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die gegen die Klägerin in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids erlassene Zwangsgeldandrohung (Art. 31 und 36 VwZVG).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.