Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 16.12.2022 – 7 UF 865/22
Titel:

Abänderung der Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich nach Tod des insgesamt ausgleichsberechtigen Ehegatten - Berücksichtigung eines in der abzuändernden Entscheidung dem Berechtigten vorbehaltenen schuldrechtlichen Ausgleichsanspruchs bei der Gesamtbetrachtung des Ausgleichsergebnisses 

Normenkette:
FamFG § 58 Abs. 1, § 59 Abs. 1, § 63 Abs. 1, Abs. 3, § 64 Abs. 1, Abs. 2, § 70 Abs. 2 Nr. 2, § 226 Abs. 4
Leitsätze:
1. Voraussetzung für den Einstieg in ein Abänderungsverfahren nach § 51 VersAusglG nach dem Versterben des ausgleichsberechtigten Ehegatten ist, dass sich der überlebende, insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte auf eine wesentliche und ihn begünstigende Wertänderung eines in den Versorgungsausgleich einbezogenen Anrechts beruft. Die Prüfung, ob sich die Abänderung zugunsten des überlebenden Ehegatten auswirkt, ist anhand einer Gesamtbetrachtung des Ausgleichsergebnisses vorzunehmen, das sich hypothetisch im Falle einer Totalrevison unter Lebenden ergeben hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2022 - XII ZB 122/21, NZFam 2022, 685, beck-online). (Rn. 15 – 16)
2. Da der Vergleichsmaßstab die Lage unter zwei lebenden Ehegatten ist, muss auch bewertet werden, dass der Antragsteller einem schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch seiner ehemaligen Ehefrau ausgesetzt war, den diese jederzeit hätte geltend machen können. Der in der Ausgangsentscheidung vorbehaltene teilweise schuldrechtliche Ausgleich ist als Saldoposten in der Vergleichsbetrachtung zu berücksichtigen. (Rn. 20)
Schlagworte:
Versorgungsausgleich, Totalrevision, absolute Wesentlichkeitsgrenze, relative Wesentlichkeitsgrenze, wesentlichen Wertänderung, schuldrechtlicher Teilausgleich
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 24.08.2022 – 105 F 3341/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe vom -- – XII ZB 17/23 - ANH
Fundstellen:
FamRZ 2023, 774
LSK 2022, 40181
FuR 2023, 240
BeckRS 2022, 40181

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Landesamts für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg hin wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg - Abteilung für Familiensachen - vom 24.08.2022, Az.: 105 F 3341/21, in Ziffer 1 insoweit abgeändert, als die Entscheidung des Amtsgerichts Erlangen vom 10.06.1996, Az: 4 F 0952/95 über den Versorgungsausgleich zwischen den Ehegatten mit Wirkung ab dem 01.08.2021 abgeändert wird.
2. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.148,32 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Abänderung einer Entscheidung zum Versorgungsausgleich im Wege einer Totalrevision nach § 51 Abs. 1 VersAusglG.
2
Die am … 1958 geschlossene Ehe des 1934 geborenen Antragstellers mit der ebenfalls 1934 geborenen früheren Ehefrau wurde auf den im November 1995 zugestellten Scheidungsantrag mit Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom … 1996, Az: 4 F 952/95, rechtskräftig geschieden und der Versorgungsausgleich geregelt. Das Endurteil wurde durch Beschluss vom … 1996 berichtigt. In der gesetzlichen Ehezeit vom 01.01.1958 bis zum 31.10.1995 hatte der Antragsteller Anwartschaften bei dem Landesamt für Besoldung und Versorgung BW in Höhe von 7.192,44 DM erworben. Die frühere Ehefrau hatte Anwartschaften bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in B. (jetzt: Deutsche Rentenversicherung ...) in Höhe von 1.235,33 DM erlangt. Nach § 1587 b Abs. 2 BGB a.F. hatte der Versorgungsausgleich in Höhe des Höchstbetrags von 2.262,74 DM durch Quasisplitting zu erfolgen. Daher wurden zu Lasten der Versorgung des Antragstellers bei dem Landesamt für Besoldung und Versorgung BW auf dem Versicherungskonto Nr. … der Ehefrau bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Rentenanwartschaften von monatlich 2.262,74 DM bezogen auf den 31.10.1995 begründet. Im Übrigen wurde der schuldrechtliche Versorgungsausgleich vorbehalten.
3
Die frühere Ehefrau verstarb am …2021. Mit einer am …2021 beim Amtsgericht Erlangen eingegangenen Antragsschrift hat der Antragsteller eine Abänderung der Entscheidung zum Versorgungsausgleich begehrt. Nach Auskunft des Amtsgerichts Nürnberg - Nachlass und Personenstandsachen - vom … 2021 wurde die nunmehrige Antragsgegnerin, die Ehefrau der Erblasserin, als Erbin ermittelt. Ein Erbschein für die Alleinerbin ist mittlerweile erteilt. Ihr wurde zwischenzeitlich eine Witwenrente aus der Versicherung der Verstorbenen bei der Deutschen Rentenversicherung Bund bewilligt.
4
Mit Beschluss vom … 2021 erklärte sich das Amtsgericht Erlangen für unzuständig und verwies das Verfahren vom Amts wegen an das Amtsgericht Nürnberg. Dieses hat das Urteil vom …1996 nach Erholung neuer Versorgungsauskünfte mit Wirkung zum 06.07.2021 abgeändert und ausgesprochen, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.
5
Gegen diesen ihm am 01.09.2022 zugestellten Beschluss wendet sich das Landesamt für Besoldung und Versorgung BW mit seiner Beschwerde vom 26.09.2022, die am 27.09.2022 beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen ist. Es beantragt, den Versorgungsausgleich nach den gesetzlichen Bestimmungen neu durchzuführen.
6
In seiner Begründung führt das Landesamt aus, dass das Amtsgericht zu Unrecht von einer wesentlichen Wertänderung bei dem Anrecht des Antragstellers gem. § 225 Abs. 3 FamFG ausgegangen sei. Das Amtsgericht habe bei seiner Prüfung falsche Beträge zugrunde gelegt. Möglicherweise könne eine wesentliche Wertänderung jedoch bei dem Anrecht der Ehefrau aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt sein. In jedem Fall sei jedoch § 226 Abs. 4 FamFG zu beachten, wonach die Abänderung des Versorgungsausgleichs ab dem ersten Tag des Monats der auf den Monat der Antragstellung folgt auszusprechen sei.
7
Die übrigen Beteiligten haben weder zu der Beschwerde noch zu der Ankündigung des Senats, ohne mündliche Erörterung zu entscheiden, Stellung genommen.
II.
8
1. Die Beschwerde des Landesamts für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg ist statthaft (§ 58 Abs. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig, da diese form- und fristgemäß eingelegt worden ist (§ 63 Abs. 1, Abs. 3, § 64 Abs. 1, Abs. 2 FamFG). Der Versorgungsträger ist auch beschwerdeberechtigt (§ 59 Abs. 1 FamFG), da er geltend macht, der erkannte Versorgungsausgleich sei mit einem im Gesetz nicht vorgesehenen Eingriff in seine Rechtsstellung verbunden (vgl. Keidel/Meyer-Holz, 20. Aufl. 2020, FamFG § 59 Rn. 73).
9
2. In der Sache hat die Beschwerde nur im Hinblick auf den angeordneten Änderungszeitpunkt Erfolg.
10
a) Eine Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Recht kann gemäß § 51 Abs. 1 VersAusglG beim Vorliegen einer wesentlichen Wertänderung abgeändert werden. Wegen der besonderen Voraussetzungen für die Abänderung verweist § 51 Abs. 2 VersAusglG auf die Bestimmungen in § 225 Abs. 2 und 3 FamFG.
11
Danach ist die Ausgangsentscheidung abzuändern, wenn rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit auf den Ausgleichswert zurückwirken (§ 225 Abs. 2 FamFG) und zu einer wesentlichen Wertänderung führen, die mindestens 5% des bisherigen Ausgleichswerts beträgt (relative Wesentlichkeitsgrenze: § 225 Abs. 3 Alt. 1 FamFG) und bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher Bezugsgröße 1% der am Ende der Ehezeit maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV übersteigt (absolute Wesentlichkeitsgrenze: § 225 Abs. 3 Alt. 2 FamFG). Dabei genügt die Wertänderung nur eines Anrechts (vgl. BGH, NZFam 2022, 685 Rn. 6, 7, beck-online).
12
Zu Recht weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass das Amtsgericht, das auf eine Wertänderung des Ausgleichswerts bei der beamtenrechtlichen Versorgung abstellt, bei der Überprüfung der Wesentlichkeitsgrenzen von falschen Bezugsgrößen ausgegangen ist. Der Ausgleichswert der Versorgung betrug 1996 7.192,44 DM / 2, also 3.596,22 DM. Nach der Auskunft der Beschwerdeführerin vom 21.01.2022 beträgt der Ausgleichswert aktuell 1.762,89 €, was 3.447,91 DM entspricht. Die Wertänderung beträgt demnach 148,31 DM (= 3.596,22 DM - 3.447,91 DM) und erreicht damit nicht die relative Wesentlichkeitsgrenze von 179,81 DM (= 3.596,22 DM x 5%).
13
Allerdings liegt bei der gesetzlichen Rentenversicherung der früheren Ehefrau eine wesentliche Wertänderung vor. 1996 betrug hier der Ausgleichswert 617,67 DM (= 1.235,33 DM / 2). Nach der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 12.05.2022 beträgt der Ausgleichswert aktuell 377,84 €, was einem Betrag von 738,99 DM entspricht. Die Wertänderung von 121,38 DM übersteigt die relative Wesentlichkeitsgrenze von 30,88 DM und auch die absolute Wertgrenze des § 225 Abs. 3 FamFG, die für das Jahr 1995 40,60 DM beträgt. Da die wesentliche Wertänderung nur eines Anrechts genügt, liegen die Voraussetzungen des § 225 Abs. 2 FamFG vor.
14
b) Ein Einstieg in die Totalrevision ist gem. § 51 Abs. 5 VersAusglG i.V.m. § 225 Abs. 5 FamFG auch eröffnet.
15
Voraussetzung für den Einstieg in ein Abänderungsverfahren nach § 51 VersAusglG ist, dass sich der überlebende, insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte auf eine wesentliche und ihn begünstigende Wertänderung eines in den Versorgungsausgleich einbezogenen Anrechts beruft. Er kann seinen Abänderungsantrag in Bezug auf die wesentliche Wertänderung von Anrechten demgegenüber nicht allein auf solche Umstände stützen, die für ihn an sich unvorteilhaft sind, im Ergebnis der Totalrevision aber wegen der Anwendung von § 31 Abs. 1 S. 2 VersAusglG zu einem Wegfall des Versorgungsausgleichs insgesamt führen sollen (vgl. BGH, NJW-RR 2020, 641, beck-online).
16
Die Prüfung, ob sich die Abänderung zugunsten des überlebenden Ehegatten auswirkt, ist anhand einer Gesamtbetrachtung des Ausgleichsergebnisses vorzunehmen, das sich hypothetisch im Falle einer Totalrevision unter Lebenden ergeben hätte (vgl. BGH, NZFam 2022, 685 Rn. 6, 7, beck-online).
17
Nach den aktuellen Auskünften der Versorgungsträger stellte sich der hypothetische Ausgleich unter den lebenden Eheleuten wie folgt dar:
18
Ausgleich des Antragstellers an die frühere Ehefrau (Anrecht bei dem Landesamt für Besoldung und Versorgung BW): 1.762,89 € Ausgleich der Versorgung der früheren Ehefrau an Antragsteller (Anrecht bei der Deutschen Rentenversicherung Bund): 377,84 €.
19
Im Saldo führte der Antragsteller hier 1.385,05 € an die frühere Ehefrau ab.
20
Im Vergleich hierzu beträgt der auszugleichende Saldo nach dem Endurteil 1996 lediglich 2.262,74 DM, was einem Betrag von 1.156,92 € entspricht. Da Vergleichsmaßstab die Lage unter zwei lebenden Ehegatten ist, muss allerdings auch bewertet werden, dass der Antragsteller in diesem Fall auch einem schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch seiner ehemaligen Ehefrau in Höhe von 715,82 DM (= 2.978,56 DM - 2.262,74 DM) bzw. 365,99 €, den diese jederzeit hätte geltend machen können, ausgesetzt war. Da sich der BGH für eine Gesamtbetrachtung des Ausgleichsergebnisses ausgesprochen hat (vgl. BGH NJW-RR 2020, 641, Rn. 29 ff.), ist nach hiesiger Auffassung der vorbehaltene teilweise schuldrechtliche Ausgleich als Saldoposten zu berücksichtigen. Folglich wirkte sich das Ergebnis der Totalrevision zugunsten des Antragstellers aus. Nach der ursprünglichen Entscheidung hatte der Antragsteller 1.522,91 € auszugleichen, während er nunmehr nur 1.385,05 € auszugleichen hat.
21
c) Die vorzunehmende Abänderung betrifft sämtliche Anrechte, die in den durch die Ausgangsentscheidung geregelten Ausgleich einbezogen waren. Sie vollzieht sich, indem das Gericht die in den Ausgleich einbezogenen Anrechte nunmehr nach den §§ 9- 19 VersAusglG teilt. Ergänzend zu diesen Regelungen wird jedoch durch § 31 Abs. 1 VersAusglG angeordnet, dass dann, wenn ein Ehegatte nach Rechtskraft der Scheidung, aber vor Rechtskraft der Entscheidung über den Wertausgleich nach den §§ 9 -19 VersAusglG stirbt, das Recht des überlebenden Ehegatten auf Wertausgleich gegen die Erben geltend zu machen ist (§ 31 Abs. 1 S.1 VersAusglG), die Erben hingegen ihrerseits kein Recht auf Wertausgleich haben (§ 31 Abs. 1 S. 2 VersAusglG).
22
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, FamRZ 2013, 1287) sind die Bestimmungen des § 31 VersAusglG im Abänderungsverfahren nach § 51 Abs. 1 VersAusglG uneingeschränkt anzuwenden, wenn der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich nach früherem Recht zunächst rechtskräftig zugunsten eines Ehegatten durchgeführt worden war und dieser Ehegatte nach Rechtskraft der Ausgangsentscheidung verstorben ist. Strengt der (insgesamt) Ausgleichspflichtige - wie hier - nach eingetretener Wertänderung ein Abänderungsverfahren gem. § 51 Abs. 1 VersAusglG an, muss die Anwendung des § 31 Abs. 2 VersAusglG im Falle eines Vorversterbens des Ausgleichsberechtigten folgerichtig dazu führen, dass der überlebende Ehegatte sein während der Ehezeit erworbenes Anrecht ab dem Zeitpunkt der Antragstellung ungeteilt zurückerhält. Die damit verbundene Besserstellung des überlebenden Ausgleichspflichtigen und die möglichen Einschränkungen in der Versorgung der Hinterbliebenen des verstorbenen Ausgleichsberechtigten sind unvermeidbare Folge einer Gesetzeslage, welche einerseits im Abänderungsverfahren eine Totalrevision des Versorgungsausgleichs nach den Regeln des neuen Rechts anordnet, andererseits keine Neubegründung von Versorgungsanrechten zugunsten Verstorbener vorsieht (vgl. BGH, NJW-RR 2018, 833 Rn. 13, 14, beck-online).
23
Die Abänderung wirkt ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folgt (§ 226 Abs. 4 FamFG).
III.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 S. 1 FamGKG, § 81 FamFG.
IV.
25
Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus § 50 Abs. 1 S. 1 FamGKG, wobei von zwei abzuändernden Anrechten ausgegangen wurde.
V.
26
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 70 Abs. 2 Nr.2 FamFG). Die Frage, ob ein in der abzuändernden Entscheidung vorbehaltener schuldrechtlicher Teilausgleich nach Versterben der Ausgleichsberechtigten bei der Gesamtbetrachtung des Ausgleichsergebnisses einzustellen ist, um die Vorteilhaftigkeit der Abänderung für den Ausgleichsverpflichteten festzustellen, hat der BGH bislang nicht entschieden.