Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 23.12.2022 – 7 UF 741/22
Titel:

Beschwerde gegen Kostenentscheidung: Umfang der Überprüfung durch das Beschwerdegericht

Normenketten:
FamFG § 20, § 58 Abs. 1, § 81, § 166 Abs. 2
ZPO § 147
Leitsätze:
Unabhängig vom Umfang der Anfechtung der Hauptsache unterliegt die erstinstanzliche Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren im vollen Umfang der Überprüfung. (Rn. 11 – 14)
§ 81 FamFG räumt dem Gericht, falls es eine Kostenentscheidung trifft, ein weites Gestaltungsermessen ein; diese Ermessensentscheidung des Familiengerichts unterliegt in vollem Umfang der Überprüfung durch das Beschwerdegericht, dass hierbei sein eigenes Ermessen auszuüben hat (so auch OLG Düsseldorf BeckRS 2020, 37247). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kindschaftssache, Kostenentscheidung, Ermessensentscheidung, Anfechtung, Umfang der Überprüfung, Beschwerdegericht, eigenes Ermessen
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 07.07.2022 – 105 F 1760/21
Fundstellen:
FamRZ 2023, 792
MDR 2023, 532
NJOZ 2023, 249
BeckRS 2022, 40179
LSK 2022, 40179

Tenor

I. Die Verfahren 7 UF 741/22 und 7 UF 742/22 werden zur gemeinschaftlichen Entscheidung verbunden. Das Verfahren mit dem Aktenzeichen 7 UF 741/22 führt.
II. Auf die Beschwerde der Mutter und Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 07.07.2022 im Tenor zu 2 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
„Von der Erhebung der Gerichtskosten des Verfahrens wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden nicht erstattet.“
III. Von der Erhebung der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I.
1
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 07.07.2022 getroffene Kostenregelung.
2
Sie ist die Mutter der vier Kinder T…, N…, B… und C… Mit Beschluss vom 15.05.2018 wurde ihr im Hauptsacheverfahren des Amtsgerichts Nürnberg Az. 105 F 3284/17 gemeinsam mit dem mitsorgeberechtigten Vater das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht, Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern zu beantragen, die Gesundheitsfürsorge und die Vertretung gegenüber Kindergärten, Schulen und Einrichtungen der Nachmittagsbetreuung für alle vier Kinder entzogen. Zu diesem Zeitpunkt lebten die vier Kinder in Nürnberg. Drei von ihnen sind im Oktober 2017 in Obhut genommen worden, die jüngste Tochter C… kurz nach ihrer Geburt. Den Eltern wurde die elterliche Sorge in Teilbereichen vorläufig entzogen. Sodann kamen die Kinder in verschiedene Pflegefamilien.
3
Im Jahr 2019 wurde das Verfahren für die Kinder B. C…, N… und T… jeweils abgetrennt, das Amtsgericht Nürnberg blieb nur noch für das Kind C… zuständig. Auf Anregung des Sachverständigen, der im Rahmen der Überprüfungsverfahren in den Monaten Oktober bis Dezember 2019 vier separate Gutachtensaufträge von vier verschiedenen Familiengerichten erhalten hatte, hat das Amtsgericht Nürnberg im Februar 2020 seine Bereitschaft mitgeteilt, die Verfahren für die drei Geschwister von C… zu übernehmen. Nach der Übernahme wurden die vier Verfahren unter vier verschiedenen, für die drei älteren Kinder neu vergebenen Aktenzeichen des Amtsgerichts Nürnberg fortgeführt. Lediglich das Verfahren für C… ist durchgehend unter dem Aktenzeichen 105 F 2918/19 geführt worden. Am 05.05.2022 sind in der nichtöffentlichen Sitzung diese vier Verfahren zur gemeinschaftlichen Verhandlung verbunden worden (Bl. 60 d.A.). Nach Antragstellung durch die Beteiligten hat das Amtsgericht die vier Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (Bl. 69 d.A.) und sodann in der Sache unter Nennung der vier Aktenzeichen einen einheitlichen Beschluss mündlich verkündet, demzufolge der im Verfahren 105 F 3284/17 getroffene Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg aufrechterhalten wird. Mit schriftlichem Beschluss vom 07.07.2022 hat das Familiengericht unter Heranziehung der vier Aktenzeichen und der vier Rubren eine einheitliche Entscheidung erlassen, welche am 13.07.2022 an die Geschäftsstelle übergeben wurde (Bl. 75/89 d.A.). Die Kostenentscheidung (Tenor zu 2) lautet: „Die Eltern tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens“, die schriftliche Begründung dieser Kostenentscheidung: „Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG. Den Eltern waren die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner aufzuerlegen, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen sind“.
4
Die Mutter hat die von ihr zunächst gegen den erstinstanzlichen Beschluss im Hinblick auf die Verfahren bezüglich T… (zum Aktenzeichen AG Nürnberg 105 F 1760/21) und N… (zum Aktenzeichen AG Nürnberg 105 F 1761/21) eingelegte Beschwerde auf die erstinstanzliche Kostenentscheidung beschränkt.
II.
5
Die Entscheidung über die Verbindung der beiden zunächst getrennt geführten Verfahren für die Kinder T… und N… im Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 FamFG.
6
Eine Verbindung kann sowohl für das gesamte Verfahren als auch für einzelne Abschnitte, z. B. für einen Termin oder eine Beweisaufnahme erfolgen (Feskorn, in: Zöller ZPO 34. Aufl. § 20 FamFG Rn. 2). Mit einer Verbindung (der gesamten Verfahren) verlieren die bisherigen Verfahren ihre Selbstständigkeit; es entsteht ein einheitliches Verfahren (Sternal, in: Sternal - vormals Keidel - FamFG 21. Aufl. § 20 FamFG Rn. 7).
7
Im vorliegenden Fall ist eine Verbindung der beiden Beschwerdeverfahren erforderlich, zumal erstinstanzlich sowohl eine einheitliche Entscheidung in der Hauptsache als auch in der Nebenentscheidung über die Kosten getroffen wurde, so dass auch hier trotz unterschiedlicher Aktenzeichen von einer echten Verfahrensverbindung auszugehen ist (vgl. BGH NJW 1957, 183 zu einer echten Prozessverbindung im Sinne des § 147 ZPO mit der Wirkung, dass auch eine gemeinschaftliche Entscheidung zu erlassen ist).
III.
8
Die Kostenbeschwerde ist zulässig.
9
Kostenentscheidungen sind im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit selbständig, also unabhängig von der Hauptsacheentscheidung, nach § 58 Abs. 1 FamFG anfechtbar. Es handelt sich zwar, soweit - wie hier - in der Hauptsache entschieden wird, bei der Kostenentscheidung (§ 81 FamFG) um eine Nebenentscheidung. Sie ist jedoch wie eine Endentscheidung anfechtbar. Es gibt keine § 99 Abs. 1 ZPO entsprechende Vorschrift (vgl. Althammer, in: Johannsen/Henrich/Althammer 7. Aufl. § 58 FamFG Rn. 11), so dass die Kostenentscheidung auch dann angegriffen werden kann, wenn gegen die Entscheidung in der Hauptsache keine Beschwerde eingelegt wird (Feskorn, in: Zöller ZPO 34. Aufl. § 58 FamFG Rn. 5).
IV.
10
Die Kostenbeschwerde ist auch begründet. Die Kostenentscheidung des ersten Rechtszugs ist auf die Beschwerde hin abzuändern.
11
1. § 81 FamFG räumt dem Gericht, falls es eine Kostenentscheidung trifft, einen weiten Gestaltungsspielraum dahingehend ein, welchem Beteiligten welche Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Es können auch nur bestimmte Kosten einem der Beteiligten auferlegt oder von der Erhebung der Kosten ganz oder teilweise abgesehen werden (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Die Ermessensentscheidung des Familiengerichts unterliegt in vollem Umfang der Überprüfung des Beschwerdegerichts, so dass das Beschwerdegericht sein eigenes Ermessen auszuüben hat (so BGH FamRZ 2017, 97 zu § 18 VersAusglG; Weber, in: BeckOK FamFG Stand 01.10.2022 § 81 FamFG Rn. 36a; Frank, in: Musielak/Borth/Frank FamFG 7. Aufl. § 81 FamFG Rn. 18; differenzierend Schindler, in: MüKoFamFG 3. Aufl. § 81 FamFG Rn. 103 ff.; a.A. Weber, in: Sternal - vormals Keidel - FamFG 21. Aufl. § 81 FamFG Rn. 61; Feskorn, in: Prütting/Helms FamFG 6. Aufl. § 81 FamFG Rn. 36).
12
2. Dass die Ermessensentscheidung des Familiengerichts in vollem Umfang der Überprüfung des Beschwerdegerichts umfasst, führt im vorliegenden Fall dazu, dass das Beschwerdegericht die Kostenentscheidung nicht nur im Hinblick auf die Beschwerdeführerin, die Mutter, überprüft.
13
a) Gegenstand der Beschwerde ist vielmehr die angegriffene Kostenentscheidung insgesamt, also auch, soweit Personen betroffen sind, die ihrerseits keine Beschwerde eingelegt haben, etwa der Vater der Kinder oder die Pflegeeltern.
14
Denn eine falsche Kostenentscheidung darf mangels Antragsbindung selbst bei ansonsten erfolglosem Rechtsmittel immer korrigiert werden. Dies gilt in ZPO-Verfahren sogar für die Korrektur gegenüber einem ausgeschiedenen Streitgenossen (vgl. Heßler, in: Zöller ZPO 34. Aufl. § 528 ZPO Rn. 35). Für die Kostenentscheidung in Familiensachen gilt nichts anderes. Denn gemäß § 81 Abs. 1 S. 3 FamFG ist in Familiensachen stets über die Kosten zu entscheiden. Auf etwaige Anträge kommt es also auch in dieser Hinsicht nicht an.
15
b) Die angegriffene Kostenentscheidung unterliegt der Korrektur durch das Beschwerdegericht auch, soweit sie die Verfahren bezüglich der weiteren Kinder C… und B… betrifft.
16
Da das Amtsgericht mit Beschlüssen vom 05.05.2022 (Bl. 60, 69 d.A.) die vier an diesem Tag verhandelten und geregelten Verfahren zu einem Verfahren verbunden hat, liegt auch in Bezug auf die Nebenentscheidung über die Kosten nur eine Kostenentscheidung vor, welche insgesamt angegriffen worden und damit auch insgesamt durch das Beschwerdegericht zu überprüfen ist. Das Rubrum für das Beschwerdeverfahren ist dementsprechend zu korrigieren.
17
3. In der Sache ist von der Erhebung der Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens und von einer Erstattung außergerichtlicher Kosten abzusehen.
18
a) Nach beinahe allgemeiner Meinung ist im erstinstanzlichen Amtsverfahren bei der Anordnung, außergerichtliche Kosten zu erstatten, besondere Zurückhaltung geboten (vgl. Feskorn, in: Zöller ZPO 34. Aufl. § 81 FamFG Rn. 6 m. w. Nachw.).
19
b) Eine Entscheidung, von der Erhebung der Kosten abzusehen, kommt in Betracht, wenn es nach dem Verlauf oder dem Ausgang des Verfahrens unbillig erscheint, einen der Beteiligten mit den Gerichtskosten zu belasten. Dies kann der Fall sein, wenn der Beteiligte keine eigenen Interessen verfolgt, sondern z.B. die des Kindes (vgl. Feskorn, in: Prütting/Helms FamFG 6. Aufl. § 81 FamFG Rn. 16).
20
Nach Ansicht des Senats ist dies auch der Fall, wenn kinderschutzrechtliche Maßnahmen zu überprüfen sind. Ein Überprüfungsverfahren hat das Familiengericht unabhängig von Anträgen der betroffenen Eltern und von Amts wegen in angemessenen Zeitabständen durchzuführen, § 166 Abs. 2 FamFG. Etwaige Anträge sind ohnehin nur Anregungen im Sinne des § 24 Abs. 1 FamFG (vgl. Döll, in: Johannsen/Henrich/Althammer 7. Aufl. § 166 FamFG Rn. 2).
21
Dementsprechend kommt es auf „Obsiegen“ oder „Unterliegen“ anders als in Antragsverfahren nicht an. § 81 Abs. 2 Nr. 2 FamFG ist auf Amtsverfahren nicht anwendbar (vgl. Feskorn, in: Zöller, ZPO 34. Aufl. § 81 FamFG Rn. 9). Ob mit Anregungen „Erfolg“ erzielt wird oder nicht, verbleibt daher ohne Auswirkungen auf die Kostenentscheidung.
22
c) Gründe dafür, im vorliegenden Verfahren einen Ausnahmefall anzunehmen, namentlich Gerichtskosten zu erheben und die Kosten des Verfahrens den Eltern aufzuerlegen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
V.
23
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, § 20 FamGKG. Der Senat sieht von der Erhebung von Kosten für das Beschwerdeverfahren ab.
24
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren ist nicht veranlasst (vgl. Kostenverzeichnis zum FamGKG Nummer 1912).
25
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Auch ein anderer ordentlicher Rechtsbehelf ist nicht statthaft.