Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 22.12.2022 – 7 UF 1036/22
Titel:

Unzulässiger Teilbeschluss in Sorgerechtsverfahren

Normenketten:
BGB § 1666, § 1666a, § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 1671 Abs. 4
FamFG § 69
Leitsatz:
Wird bei konkreten Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung lediglich über die gestellten Sorgeanträge entschieden, liegt ein unzulässiger Teilbeschluss vor. (Rn. 9 – 12)
Schlagworte:
Kindeswohlgefährdung, doppelte Kindeswohlprüfung, Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge, unzulässiger Teilbeschluss, Erziehungsfähigkeit
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 14.10.2022 – 109 F 2424/22
Fundstellen:
FamRZ 2023, 605
NJOZ 2023, 196
LSK 2022, 40178
BeckRS 2022, 40178

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 14./20.10.2022 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Erörterung und Entscheidung, und zwar auch über die außergerichtlichen Kosten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
III. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
IV. Der Beschwerdewert wird auf 2.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller und Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg, mit welchem sein Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für seinen Sohn und auf Herausgabe des Kindes zurückgewiesen worden ist.
2
Das zweijährige Kind F… lebt bei seiner Mutter, der getrennt lebenden Ehefrau des Antragstellers, welche am 16.05.2022 mit ihren insgesamt drei Kindern nach N. verzogen ist, wo sie zunächst im Frauenhaus gelebt hat. Für F… sind die Eheleute gemeinsam sorgeberechtigt. Der Vater war über den Umzug nicht informiert und ist hiermit nicht einverstanden. Der Vater hatte nach deren Umzug keinen Kontakt mehr zur Mutter aufnehmen können und erstattete bei der Polizei Anzeige wegen Kindesentführung. Das Amtsgericht Hameln wies mit Beschluss vom 20.06.2022 (Az. 41 F 50/22 EAHK) seinen Antrag auf Herausgabe des Kindes mit Verweis auf die gemeinsame elterliche Sorge zurück.
3
Nunmehr hat der Vater die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich allein beantragt. Mit Beschluss vom 01.07.2022 (Az. 41 F 58/22 EASO) hat sich das Amtsgericht Hameln für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Nürnberg verwiesen. Das Amtsgericht Nürnberg hat für das Kind einen Verfahrensbeistand bestellt (Beschluss vom 08.07.2022, Bl. 11/13 d.A.) und nach Anhörung der Eltern, des Verfahrensbeistands und des Jugendamts mit Beschluss vom 14.10.2022, welcher am 20.10.2022 erlassen worden ist (Bl. 48/52 d.A.), den Antrag des Vaters zurückgewiesen, ebenso wie den [nicht aktenkundigen] Antrag der Mutter auf Übertragung der elterlichen Sorge. Die Entscheidung beruhe auf § 1671 Abs. 1 BGB. Im Parallelverfahren 109 F 2425/22 werde ein Sachverständigengutachten erholt, um die Erziehungsfähigkeit beider Eltern zu überprüfen. Das Gericht könne im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht zu der Überzeugung kommen, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei einem Elternteil allein dem Kindeswohl am besten entspreche, und habe von Amts wegen ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung eingeleitet, in welchem weiter überprüft werde, ob sorgerechtliche Maßnahmen zu treffen seien. Hierzu sei F… selbst anzuhören.
II.
4
Die gemäß § 57 S. 2 Nr. 1, §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung der Entscheidung des Amtsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache.
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Es liegt eine unzulässige Teilentscheidung vor.
6
1. Nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist einem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Es ist daher in zwei Stufen (sog. „doppelte Kindeswohlprüfung“) zu prüfen, ob (1) die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und (2) die Übertragung gerade auf diesen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht (vgl. Götz, in: Grüneberg 82. Aufl. § 1671 BGB Rn. 12).
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a) Zwar kann auch die gerichtliche Feststellung ergehen, dass das gemeinsame Sorgerecht fortbesteht (vgl. Hennemann, in: MüKoBGB 8. Aufl. § 1671 BGB Rn. 18). Insbesondere muss ein Familiengericht erkunden, ob Chancen bestehen, dass die Eltern in angemessen kurzer Zeit zur Kooperation zurückfinden (können und wollen). In diesem Zusammenhang hat das Familiengericht die Eltern auch auf die Beratungs- und Unterstützungsangebote hinzuweisen (§ 156 Abs. 1 S. 2 FamFG). Es soll auch selbst auf ein Einvernehmen der Eltern „hinwirken“, § 156 Abs. 1 S. 1 FamFG (vgl. Lack, in: Johannsen/Henrich/Althammer/Lack Familienrecht 7. Aufl. § 1671 BGB Rn. 37).
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b) Vorliegend hat das Gericht jedoch die gegensätzlichen Anträge nicht deshalb zurückgewiesen, weil es der Ansicht ist, dass ein zur gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts hinreichendes Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Beteiligten jedenfalls hinsichtlich der Frage der Aufenthaltsbestimmung für das Kind vorliegt, sondern weil es konkrete Anhaltspunkte für eine Regelung der elterlichen Sorge aufgrund anderer Vorschriften sieht, § 1671 Abs. 4 BGB. Denn es hat mitgeteilt, im Parallelverfahren 109 F 2425/22 ein Sachverständigengutachten zur Erziehungsfähigkeit beider Eltern zu erholen und zudem von Amts wegen ein weiteres einstweiliges Anordnungsverfahren nach § 1666 BGB unter dem Aktenzeichen 109 F 3577/22 eingeleitet.
9
Die Voraussetzungen der §§ 1666, 1666a BGB sind jedoch gemäß § 1671 Abs. 4 BGB bereits im Verfahren nach § 1671 BGB zu prüfen. Liegt eine Kindeswohlgefährdung vor, die durch die beantragte Sorgerechtsübertragung nicht abgewendet werden kann, wird daher das Verfahren nach § 1671 Abs. 1 BGB nicht durch Abweisung der Anträge der Eltern abgeschlossen und ein neues Verfahren nach § 1666 BGB eingeleitet, sondern das Familiengericht wechselt von Amts wegen zu der anderen Eingriffsgrundlage (vgl. Götz, in: Grüneberg 82. Aufl. § 1671 BGB Rn. 53).
10
Das Gericht hat jedoch bereits entschieden, obwohl es die seiner Ansicht nach zu prüfende Kindeswohlgefährdung noch nicht vorgenommen und sich noch keinen persönlichen Eindruck von dem Kind verschafft hat.
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2. Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag aber der Erfolg zu versagen wäre (ständige Rechtsprechung). In Sorgerechtsstreitigkeiten ist auch zu berücksichtigen, dass die Abwägung vorrangig am Kindeswohl zu orientieren ist (vgl. BVerfG ZKJ 2022, 227 m.w. Nw.). Für den Erlass einer entsprechenden vorläufigen Maßnahme nach § 49 FamFG sieht das Familiengericht offensichtlich Anhaltspunkte, will aber auch hierüber in einem anderen Verfahren entscheiden.
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3. Hat das Ausgangsgericht noch keine umfassende Entscheidung über die Sache getroffen, so liegt ein verfahrensrechtlich unzulässiger Teilbeschluss vor, welcher zur Folge hat, dass § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG entsprechend anzuwenden ist (vgl. Sternal, in: Sternal - vormals Keidel - FamFG 21. Aufl. § 69 Rn. 20).
III.
13
Die Nichterhebung der Gerichtskosten für die Beschwerdeinstanz beruht auf § 20 FamGKG. Im Übrigen ist die Kostenentscheidung der erstinstanzlichen Schlussentscheidung vorzubehalten.
14
Die Entscheidung über die Festsetzung des Verfahrenswerts beruht auf §§ 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
15
Diese Entscheidung ist mit einem Rechtsmittel nicht anfechtbar, § 70 Abs. 4 FamFG.