Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 03.02.2022 – AN 3 K 20.01047
Titel:

Erfolglose Klage auf Erteilung einer isolierten Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hinsichtlich Baugrenzen zur Errichtung eines Abstellraums 

Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 14, § 23 Abs. 5
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Art. 63 Abs. 2 S. 2
Leitsatz:
Regelt ein Bebauungsplan, dass Nebenanlagen außerhalb der Baugrenzen unzulässig sind, so ist Rechtsgrundlage für diese Festsetzung § 23 Abs. 5 BauNVO. Die Funktion einer Festsetzung von § 23 Abs. 5 BauNVO ist damit der gewünschte „Gleichlauf“ von Nebenanlagen und „Hauptanlagen“ im Hinblick auf die Wirkung der festgesetzten Baugrenzen.  (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
isolierte Befreiung, Abwägungsfehler, Funktionslosigkeit, Grundzüge der Planung, Baugrenzen für Nebenanlagen, Offizierssiedlung US-Armee, Denkmalschutz, Baugrenzenfestsetzung, Nebenanlage
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 26.07.2022 – 9 ZB 22.901
Fundstelle:
BeckRS 2022, 3985

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen. 
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. 
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Erteilung einer isolierten Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hinsichtlich der dort festgesetzten Baugrenzen zur Errichtung eines Abstellraums für Gartengeräte und Brennholz auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … … in … Der Kläger ist Eigentümer des eingangs genannten Grundstücks. Das Grundstück befindet sich im Bereich einer ehemaligen Offizierssiedlung der US-Armee. Die Offizierssiedlung mitsamt dem klägerischen Grundstück ist als denkmalrechtliches Ensemble geschützt. Das Grundstück liegt im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten vom 13. Mai 1988. Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans lautet:
„Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO sowie Garagen sind nur innerhalb der Baugrenzen und eingeschossig zulässig.“
2
Mit Ergänzungsbeschluss vom 20. September 1995 wurde ein Änderungsverfahren für den Bebauungsplan eingeleitet, jedoch bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossen. Gegenstand des Änderungsverfahrens war unter anderem folgende Festsetzung:
„8. Nebenanlagen Nebenanlagen gemäß § 14 BauNVO werden im Plangebiet ausgeschlossen. Gartengerätehäuser sind ausnahmsweise in den Bereichen zulässig, die eingefriedet werden können (siehe 9. Einfriedungen). Die maximale Größe beträgt 6 qm (max. 2 x 3 m). Die Gerätehäuser sind mit einem Pultdach (max. 10 Grad) zu versehen und sie sind in naturfarbenem Holz auszuführen. …“
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Das Grundstück liegt darüber hinaus im räumlichen Geltungsbereich der „Satzung zum Schutz der städtebaulichen Struktur der ehemaligen Offizierswohnsiedlung in …“ der Beklagten vom 17. Oktober 1995. Hierbei handelt es sich um eine auf Art. 98 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4 und Abs. 2 Nr. 4 BayBO a.F. (heute: Art. 81 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 BayBO n.F.) örtliche Bauvorschrift der Beklagten. Die Satzung legt in § 2 Abs. 1 Satz 1 fest:
„Zusätzliche Stellplätze (…) und Nebengebäude i.S.v. § 14 BauNVO über den Bestand hinaus sind nicht zulässig. (…)“
4
Mit E-Mail vom 21. Januar 2019 reichte der Kläger zunächst einen Antrag auf isolierte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 436 hinsichtlich der Baugrenze und einen Antrag auf isolierte Abweichung von örtlichen Bauvorschriften hinsichtlich des Verbots der Errichtung von Nebenanlagen an der Nordwestgrenze des klägerischen Grundstücks ein. Gegenstand der Planung damals war eine Gerätehütte mit zwei Räumen und den Ausmaßen von 6,40 m x 3,80 m x 2,80 m. Der Kläger erklärte dabei jedoch, er würde gerne anders planen; nicht so tief, dafür mehr in die Breite gehend.
5
Mit Antrag vom 17. Januar 2019 beantragte der Kläger gleichlautende Befreiungen bzw. Abweichungen für eine geänderte Ausführung der Gartenhütte am gleichen Standort. Gegenständlich für diesen Antrag war nunmehr eine Gartenhütte mit drei Räumen in den Ausmaßen 8,00 m x 3,50 m x 2,67 m.
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Mit Schriftsatz der Beklagten vom 4. Juli 2019 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass seine Planung so wesentlich von den öffentlich-rechtlichen Vorschriften abweiche, dass eine Genehmigung leider nicht erteilt werden könne. Gelegenheit zur Stellungnahme wurde gewährt.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2020 wurde der Antrag auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Errichtung eines Abstellraumes für Gartengeräte und Brennholz auf dem streitgegenständlichen Grundstück abgelehnt.
8
Zur Begründung führt der Bescheid im Wesentlichen aus, dass das geplante Vorhaben gemäß der Stellungnahme des Stadtplanungsamtes den textlichen Festsetzungen unter Nr. 1 des Bebauungsplans widerspreche. Nach dem damaligen und auch derzeit gültigen Planungsstand sollten Gartengerätehäuser ausnahmsweise in bestimmten Bereichen zulässig sein, weitere Restriktionen beträfen unter anderem die Größenbeschränkung auf 6 qm (max. 2 x 3 m). Dem am 21. Februar 2019 bei der Bauaufsicht vorgelegten schriftlichen Antrag auf Befreiung lägen geänderte Pläne des Gartenhauses mit einer Größe von nunmehr 8,00 m x 3,50 m (Gesamtfläche 28 qm bei zulässigen 6 qm) bei. Dieses Vorhaben widerspreche weiterhin der textlichen Festsetzung Nr. 1 des Bebauungsplanes Nr. 436. Als überbaubare Grundstücksflächen seien Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO sowie Garagen nur innerhalb der Baugrenzen und eingeschossig zulässig. Ferner widerspreche das Vorhaben auch dem § 2 Abs. 1 der Satzung zum Schutz der städtebaulichen Struktur der ehemaligen Offizierswohnsiedlung in … vom 17. Oktober 1995. Hier sei festgesetzt, dass zusätzliche Stellplätze, Garagen, Stellplatzüberdachungen und Nebengebäude i.S.v. § 14 BauNVO über den Bestand hinaus nicht zulässig seien. Ausgenommen seien Stellplätze auf Garagenzufahrten, solange ihre Nutzung der selben Wohneinheit wie der dahinterliegende Stellplatz diene.
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Das Vorhaben sei somit in der vorgelegten Form nicht zulässig und demnach abzulehnen.
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Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2020 - hier eingegangen am selben Tag - ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben. Mit Schriftsatz vom 12. August 2020 wurde die Klage weitergehend begründet. Der Klägerbevollmächtigte führt zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Kläger die Erteilung einer isolierten Befreiung zur Errichtung eines Abstellraumes für Gartengeräte und Brennholz auf dem streitgegenständlichen Grundstück begehre. Bereits vor ca. fünf Jahren sei dem Kläger bei einem Ortstermin seitens eines zuständigen Mitarbeiters des Stadtplanungsamtes der Beklagten, Herrn …, mitgeteilt worden, dass einer Genehmigung der geplanten Errichtung eines Abstellraums für Gartengeräte und Brennholz nichts entgegenstünde, da die Gebäude von der Straße aus nicht sichtbar seien. Der Kläger habe darüber hinaus bereits in einem Schreiben im Rahmen der Anhörung dargelegt, dass im Geltungsbereich des vorliegenden Bebauungsplans Nr. 436 zahlreiche Nebengebäude errichtet worden seien. Vom Kläger seien in seiner Wohnsiedlung 104 Nebengebäude gezählt worden, wovon 41 deutlich größer als 6 qm seien. Zudem fänden sich mindestens 14 neu errichtete Gebäude zur Wohnnutzung, die zum Großteil nicht innerhalb der Baugrenzen lägen. Des Weiteren habe der Kläger festgestellt, dass sich auch Pergolen, Stellplätze, Carports, deren Dächer teilweise als Terrasse genutzt würden, Müllbehälter usw. auf den vorgenannten Grundstücken im Plangebiet befänden. Die aufgezeigten „Ausreißer“ vom Bebauungsplan seien auch nur beispielhaft, da viele der Grundstücke vom Kläger bzw. von außen gar nicht einsehbar seien und somit wohl auch eine nicht unbedeutende Dunkelziffer verbleibe. Die vom Kläger festgestellten Abweichungen skizzierte er zur besseren Anschaulichkeit in die entsprechenden Pläne ein, in denen auch bereits mit blauer Markierung die Baugrenzen versehen worden seien. Hieraus werde ersichtlich, dass bereits mehrfach im vorliegenden Plangebiet über die Baugrenzen hinaus Gebäude errichtet worden seien und somit wohl auch entgegen den Festsetzungen des Bebauungsplans Genehmigungen erteilt worden seien. Zumindest die Gebäude in der … seien erst nach Inkrafttreten des Bebauungsplans beantragt und errichtet worden. Es sei dem Kläger auch von einer Vielzahl der Anwohner des Plangebiets bestätigt worden, dass diesen nachträgliche Abweichungen genehmigt worden seien.
11
In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass der Kläger einen Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten isolierten Befreiung habe, da ernstliche Zweifel an der Wirksamkeit des Bebauungsplans bestünden und im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB vorliegend gegeben seien. Beim Antrag des Klägers handle es sich in zutreffender Weise um einen Antrag auf isolierte Befreiung nach § 31 BauGB, da es sich bei dem Vorhaben des Klägers gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO um ein verfahrensfreies Vorhaben handle. Danach seien Gebäude mit einem Brutto-Rauminhalt bis zu 75 m³ von der Verfahrensfreiheit erfasst. Diese Größe unterschreite das vom Kläger geplante Gebäude deutlich. Bei dem Vorhaben des Klägers handle es sich um ein Gebäude mit einer Größe von maximal ca. 64 m³.
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Der Bebauungsplan enthalte Festsetzungen über die Zulässigkeit von Nebenanlagen und Einrichtungen. Die Festsetzung, dass in einem Bebauungsplan die Zulässigkeit von Nebenanlagen und Einrichtungen eingeschränkt bzw. ganz ausgeschlossen werden könne, sei gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO grundsätzlich möglich. Dies sei auch bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans der Beklagten auf der Grundlage der damals geltenden Regelung der BauNVO der Fall gewesen. Von dieser Möglichkeit habe die Beklagte mit der textlichen Festsetzung Nr. 1 Gebrauch gemacht. In der Rechtsprechung sei jedoch allgemein anerkannt, dass ein Gebrauch von dieser Befugnis zum kompletten oder wie hier nahezu kompletten Ausschluss der Nebenanlagen und Einrichtungen i.S.v. § 14 BauNVO regelmäßig das Abwägungsgebot entgegenstehe (unter Verweis auf Rechtsprechung). Gründe für einen Ausschluss - zumindest als Hauptzweck müsse es sich dabei um städtebauliche Gründe handeln - kämen in der konkreten Situation keine in Betracht. Zudem ergebe sich nichts entsprechendes aus dem Bebauungsplan der Beklagten selbst, noch habe die Beklagte anderweitig entsprechende städtebauliche Erwägungen, die einen solchen Ausschluss für Nebenanlagen außerhalb der Baugrenzen ausnahmsweise rechtfertigen könnten, dargetan. Da es sich hierbei um einen Fehler betreffend das Abwägungsergebnis handle, komme weder eine Heilung noch eine Unbeachtlichkeit in Betracht.
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Selbst wenn keine Unwirksamkeit der Festsetzung Nr. 1 im Bebauungsplan Nr. 436 der Beklagten von Anfang an gegeben wäre, wäre diese Festsetzung jedenfalls mittlerweile funktionslos geworden. Eine bauplanerische Festsetzung sei dann funktionslos und unwirksam, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich beziehe, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich sei, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdiene (unter Verweis auf Rechtsprechung). Dies sei in Bezug auf den festgesetzten Ausschluss von Nebenanlagen und Einrichtungen i.S.v. § 14 BauNVO der Fall. Wie sich aus den vorgelegten Planskizzen ergebe, befinde sich im Gebiet des Bebauungsplans tatsächlich eine Vielzahl von entsprechenden Nebenanlagen und Einrichtungen, insbesondere eben auch außerhalb der Baugrenzen. Aufgrund der großen Zahl dieser Nebenanlagen sei es nicht mehr möglich, dass der Ausschluss in der Festsetzung Nr. 1 in tatsächlicher Hinsicht verwirklicht werden könne. Dieser Umstand sei von jedermann bereits mit einem oberflächlichen Betrachten der relevanten Umgebung so offensichtlich, dass ein entsprechendes Vertrauen nicht mehr entstehen könne und erst recht nicht schutzwürdig sei. Die Funktionslosigkeit dieser Festsetzung führe zu ihrer Unwirksamkeit, nicht dagegen dazu, dass deswegen der gesamte Bebauungsplan außer Kraft getreten wäre.
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Im Übrigen seien bei unterstellter Wirksamkeit der streitgegenständlichen Festsetzung die Voraussetzungen für eine isolierte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB gegeben. Eine Befreiung sei möglich, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt würden und die Abweichung städtebaulich vertretbar sei. Diese Befreiungsmöglichkeit käme vor allem bei Bebauungsplänen in bereits länger bebauten Gebieten in Betracht, wobei sowohl die bauliche Entwicklung als auch die bisherige Befreiungspraxis der Gemeinde zu berücksichtigen sei. Wie dargelegt und unter Beweis gestellt, seien im Plangebiet in der Vergangenheit mehrfach und in großzügiger Weise Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans und ggf. Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Vorschriften gewährt bzw. zugelassen worden. Ausweislich der vorgelegten Planskizze seien im Bebauungsplangebiet bereits zahlreiche Nebengebäude vorhanden, für die von der Beklagten jeweils entsprechend der bisherigen Befreiungspraxis die erforderlichen Befreiungen erteilt worden seien. Die Beklagte selbst habe damit zu erkennen gegeben, dass der Ausschluss von untergeordneten Nebengebäuden nicht zu den tragenden Erwägungen der Planung gehöre und damit eventuelle Abweichungen dem planerischen Grundkonzept nicht entgegenstünden (unter Verweis auf BayVGH, Beschluss vom 14.7.2016 - Az.: 1 ZB 15.443). Angesichts der den Grundstücksnachbarn noch in jüngster Zeit gewährten Befreiungen sei das Befreiungsverlangen des Klägers vergleichsweise bescheiden. Durch die begehrte Befreiung würden die Grundzüge der Planung, welche in der Vergangenheit von der Beklagten selbst aufgebrochen worden seien, nicht ernsthaft berührt. Die beantragte isolierte Befreiung sei auch städtebaulich vertretbar.
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§ 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB ermögliche daneben eine Befreiung, wenn die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde. Auch dieser Befreiungsgrund sei hier gegeben. Aufgrund der Aussage des Mitarbeiters der Beklagten, dass einer Genehmigung nichts im Wege stünde, habe der Kläger bereits einen Stromanschluss für den umweltfreundlichen Rasentraktor, der mit einem Akku betrieben werde, an die Stelle des geplanten Gebäudes verlegt. Darüber hinaus müsse ihm die Möglichkeit gegeben werden, Brennholz trocken zu lagern. Die maximale Feuchte für Brennholz dürfe laut Angaben eines Schornsteinfegermeisters 20% nicht überschreiten. Hierfür bedürfe es einer Lagerung von mindestens zwei bis vier Jahren. Sollte dem Kläger demnach die Abweichungen nicht genehmigt werden, so liege hier jedenfalls eine unbeabsichtigte Härte im Einzelfall aufgrund der grundstücksbezogenen Verhältnisse des Klägers vor. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die begehrte Befreiung nicht mit nachbarlichen Interessen vereinbar sei.
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Mit Schriftsatz vom 12. August 2020 beantragt die Klägerseite (sinngemäß),
die Beklagte unter Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Befreiung von der textlichen Festsetzung Nr. 1 des Bebauungsplans Nr. 436 sowie von § 2 Abs. 1 der „Satzung zum Schutz der städtebaulichen Struktur der ehemaligen Offizierswohnsiedlung in …“ zur Errichtung eines Abstellraums für Gartengeräte und Brennholz auf dem streitgegenständlichen Grundstück zu erteilen.
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Mit Schriftsatz vom 30. November 2020 beantragt die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
18
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass am 20. September 1995 durch den Stadtrat der Beklagten die Einleitung des Verfahrens zur Änderung des Bebauungsplans Nr. 436 beschlossen worden sei. Hierbei hätten unter anderem Festsetzungen bezüglich der Nebenanlagen geändert werden sollen, um sowohl die Unterbringung von Gartengeräten als auch das Einstellen von Fahrrädern zu ermöglichen. Als Planungsziel sollten zukünftig Gartengerätehäuser ausnahmsweise in den rückwärtigen Grundstücksbereichen zugelassen werden, sofern sie einheitliche Gestaltungsvorschriften hinsichtlich der Größe und Materialität einhielten. Diese Zielvorgabe sei im Hinblick auf die beschränkten Abstellräume der überwiegend nur teilunterkellerten bestehenden Gebäude gestellt worden. Im Rahmen des nicht abgeschlossenen Änderungsverfahrens seien nachfolgende Parameter als zukünftige Festsetzungen erarbeitet worden (wird weiter ausgeführt). Die Beklagte vertrete die Ansicht, dass die Ausführungen des Klägervertreters zum Rechtsrahmen unzutreffend seien. Die Gestaltungssatzung der Beklagten schließe Nebenanlagen gemäß § 14 BauNVO insgesamt aus. Des Weiteren sei festzustellen, dass abweichend von den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten die Satzung am 17. November 1995 in Kraft getreten sei. Zitiert würden vom Klägerbevollmächtigten die geplanten Festsetzungen eines eingeleiteten Änderungsverfahrens. Hinsichtlich der Aussagen des Klägerbevollmächtigten zum Ortstermin vor ca. fünf Jahren sei mitzuteilen, dass die Aussage des damaligen Mitarbeiters nicht mehr verifiziert werden könne, da sich dieser seit ca. zwei Jahren im Ruhestand befinde (wird weiter ausgeführt). Der Kläger habe bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass im Geltungsbereich des vorliegenden Bebauungsplans Nr. 436 zahlreiche Nebengebäude, viele davon deutlich größer als 6 x 2 m, errichtet worden seien. Seitens der Beklagten könne die genannte Anzahl nicht verifiziert werden. Soweit aus den Planunterlagen des Klägers erkenntlich, lägen etliche dargestellte bauliche Anlagen innerhalb der Baugrenzen und seien somit zulässig. Des Weiteren seien in den letzten Jahren im Rahmen von Befreiungen Nebenanlagen genehmigt worden, die den geplanten Festsetzungen entsprächen. Zu den vom Kläger genannten Anlagen gehörten augenscheinlich auch Wintergärten, die einerseits keine Nebenanlagen darstellten und andererseits auch unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes genehmigungsfähig seien. Unbestritten befänden sich im betreffenden Planbereich auch Nebenanlagen, die ohne entsprechende Genehmigung bzw. Abweichung errichtet worden seien (sogenannte Schwarzbauten). Bezüglich der Schwarzbauten sei auszuführen, dass diese im Stadtgebiet, unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Personals sowie der Gewichtigkeit zu priorisieren seien. Hierbei liege der Fokus derzeit auf Schwarzbauten, die nachbarrechtlich bedenklich seien bzw. das Nachbarrecht offensichtlich verletzten. Im Hinblick auf die klägerseits vorgetragenen Aspekte eines Fehlers im Abwägungsergebnis sei auszuführen, dass die Festsetzungen im Bebauungsplan die Errichtung von Nebenanlagen innerhalb der großzügigen Baugrenzen ermöglichten. Insofern könne von einer unzulässigen Einschränkung von Nebenanlagen nicht ausgegangen werden. Obige Ausführungen führten nicht zur Funktionslosigkeit der Festsetzung. Auch könne aus Sicht der Beklagten die Zulässigkeit von Vorhaben nicht von Schwarzbauten abgeleitet werden.
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Einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans unter Berücksichtigung der Befreiungspraxis der Beklagten stehe nichts im Wege. Diese habe sich immer an den geplanten Festsetzungen der Planänderung orientiert. Das beantragte Nebengebäude gehe jedoch weit darüber hinaus. Der Gebietscharakter und die städtebauliche Ordnung der ehemaligen Offizierssiedlung werde im Wesentlichen durch die unter Ensembleschutz stehenden ehemaligen Bauten der US-Armee geprägt. Diese sollten nicht durch übergroße Nebengebäude überfrachtet werden. Somit werde auch in diesem Zusammenhang auf das als verträglich angesehene Maß, welches dem Ortsbild und dem Gebietscharakter gerecht werde, hingewiesen. Abschließend sei auszuführen, dass die Errichtung eines verkleinerten Gartengerätehauses entsprechend den obigen Ausführungen realistisch erscheine und sich daher nicht ergäbe, inwiefern durch die Ablehnung des beantragten überdimensionierten Gartengerätehauses eine unbeabsichtigte Härte vorliege.
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Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2021 erwiderte die Klägerseite hierauf nochmals. Sie führt aus, dass man selbst bei Beachtung der über 25 Jahre nur angekündigten Planänderung dem Antrag auf Befreiung/Abweichung aus den in der Klagebegründung dargelegten Gründen stattzugeben hätte. Würde man die Regelung der geplanten Änderung anwenden wollen, so müsste man bei den Vorhaben des Klägers streng genommen von drei Gebäudeteilen ausgehen, welche die zulässige Größe von 3 x 2 m jeweils nicht überschreiten würden. Wenn der Kläger diese Gebäudeteile nacheinander und getrennt voneinander errichten würde, so wären diese nach den Ausführungen der Beklagten zulässig.
21
Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die Festsetzungen im streitgegenständlichen Bebauungsplan unwirksam bzw. funktionslos. Die Unwirksamkeit ergebe sich aufgrund des kompletten Ausschlusses von Nebengebäuden sowie der dazu widersprüchlichen Abweichungs-/Befreiungspraxis der Beklagten. Die planerischen Zielvorgaben und damit die Festsetzung des Bebauungsplans und der Ortssatzung seien auch nicht mehr realisierbar, da aufgrund der von der Beklagten unstreitig erteilten Befreiungen und Abweichungen für die Errichtung von Nebengebäuden und der geduldeten „Schwarzbauten“ der mit der Festsetzung bezweckte Grundzug der Planung dauerhaft konterkariert worden sei. Schon alleine die beiden bebauten Grundstücke westlich sowie östlich des klägerischen Grundstücks seien jeweils mit genehmigten Nebengebäuden im rückwärtigen Teil, somit außerhalb der Baugrenzen, bebaut. Beide Nebengebäude seien auch deutlich größer als die von der Beklagten herangezogenen 6 qm (schätzungsweise 12 qm und 15 qm). Wie im vorherigen Schriftsatz bereits dargelegt, seien auch unzählige weitere Grundstücke im Plangebiet mit dieser Art von Nebengebäude ausgestattet.
22
Müsste der Kläger, wie von der Beklagten vorgetragen, den Standort des Nebengebäudes versetzen, so bliebe ihm nur noch eine Aufstellung direkt an seinem Hauptgebäude (Wohnhaus). Der Zuschnitt des klägerischen Grundstücks und des sich dort bereits im Nordosten befindlichen Anbaus sowie der im Osten verlaufenden Grundstücksgrenze samt Fernwärmeleitung erlaubten dem Kläger dann nur noch eine Errichtung des Nebengebäudes vor seinen Fenstern. Um einen batteriebetriebenen Aufsitzmäher samt Zubehör, der einer Grundstücksgröße von 1.645 qm gerecht werden könne, unterbringen zu können, reiche ein Nebengebäude mit den Maßen 2 x 3 m definitiv nicht aus. Hinzukäme darüber hinaus noch die weiteren vom Kläger zu lagernden Gegenstände.
23
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 3. Februar 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber unbegründet, da der streitgegenständliche Ablehnungsbescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der isolierten Befreiung von den Festsetzungen des streitgegenständlichen Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. Art. 63 Abs. 2 Satz 2 BayBO.
25
Die Klage ist unbegründet, da die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 436 der Beklagten nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht vorliegen.
26
Die hier begehrte Errichtung der Gartenhütte bedarf aufgrund ihrer Ausmaße nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit a) BayBO keiner Genehmigung. Die Verfahrensfreiheit nach Art. 57 BayBO entbindet jedoch nicht von der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften gemäß Art. 55 Abs. 2 BayBO. Insofern bedarf es einer isolierten Befreiung, wenn - wie im hiesigen Fall - in Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans gebaut werden soll.
27
1. Der streitgegenständliche Bebauungsplan ist im Hinblick auf die hier in Frage stehende „Baugrenzenfestsetzung“ wirksam und gültig. Er leidet diesbezüglich weder an einem unheilbaren Abwägungsmangel im Abwägungsergebnis (1.1) noch kann von seiner Funktionslosigkeit (1.2) ausgegangen werden.
28
1.1 Rechtsgrundlage für die hier in Streit stehende textliche Festsetzung Nr. 1 im Bebauungsplan Nr. 436 ist nicht § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO, sondern § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO. Hiernach kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass die Ausnahmemöglichkeit des § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO keine Anwendung findet. Damit fallen der Wortlaut der textlichen Festsetzung Nr. 1 und der dieser Festsetzung von der Kammer beigemessene Regelungsgehalt deutlich auseinander. Die textliche Festsetzung regelt hier ihrem Wortlaut nach (u.a.), dass Nebenanlagen i.S.v. § 14 BauNVO außerhalb der Baugrenzen unzulässig sind. Einer solchen textlichen Festsetzung hätte es für diese Wirkung jedoch gar nicht bedurft, da bereits die zeichnerische Festsetzung einer Baugrenze nach der gesetzlichen „Grundkonstruktion“ gemäß § 23 Abs. 3 BauNVO Nebenanlagen außerhalb der Baugrenzen verhindert. § 23 Abs. 3 BauNVO gilt über seinen Wortlaut hinaus grundsätzlich für jede Art von baulicher Anlage (BVerwG, U.v. 21.10.2004 - 4 C 3/04 - juris Rn. 38 m.w.N. = BVerwGE 122, 117). Diese Rechtslage galt auch schon Zeitpunkt der Bekanntmachung des Bebauungsplans.
29
Regelt ein Bebauungsplan, dass Nebenanlagen außerhalb der Baugrenzen unzulässig sind, so ist Rechtsgrundlage für diese Festsetzung § 23 Abs. 5 BauNVO (BVerwG, U.v. 21.3.2013 - 4 C 15/11 - juris Rn. 11 = NVwZ 2013, 1014). Die Funktion einer Festsetzung von § 23 Abs. 5 BauNVO ist damit der gewünschte „Gleichlauf“ von Nebenanlagen und „Hauptanlagen“ im Hinblick auf die Wirkung der festgesetzten Baugrenzen (VGH Mannheim, U.v. 9.4.2019 - 8 S 1527/17 - juris Rn. 48 = NVwZ-RR 2019, 935). Regelungsgehalt der textlichen Festsetzung Nr. 1 ist hier also ausschließlich das Abbedingen der Ausnahmemöglichkeit nach § 23 Abs. 5 BauNVO, welche nur Nebenanlagen offensteht.
30
Mit diesen Feststellungen läuft auch der klägerische Vortrag über die Fehlerhaftigkeit des Abwägungsergebnisses der textlichen Festsetzung ins Leere. Die Frage eines „Totalverbots“ stellt sich insofern nicht, als dass die textliche Festsetzung nur die Ausnahmemöglichkeit von § 23 Abs. 5 BauNVO sperrt. Nicht nur ist diese Möglichkeit ganz eindeutig in der gesetzlichen Ermächtigung genau so vorgesehen, sondern vielmehr ist sie vorliegend schon ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan (Ziffer 4.4) durch städtebauliche Gründe gerechtfertigt. Die Beklagte hat diese Festsetzung gewählt, um die „offene, parkartige Struktur“ der ehemaligen Offizierssiedlung der US-Armee zu bewahren.
31
Aber auch soweit man den klägerischen Vortrag „ummünzt“ und auf die zeichnerische Festsetzung der Baugrenze beziehen will, kann das Gericht keinen Abwägungsfehler erkennen. Die durch die Baugrenzen gewährten Baufelder haben ausweislich der Pläne keine Dimension, die eine unzumutbare Bebaubarkeit begründen könnten. Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass innerhalb der Baufelder auch vom Bauherren eventuell gewünschte Nebenanlagen rechtlich realisiert werden können. Soweit der Kläger sein Baufeld durch andere Anlagen bereits ausgenutzt hat, ist dies keine Frage eines Abwägungsfehlers.
32
1.2 Eine Funktionslosigkeit des Bebauungsplans bzw. seiner „Festsetzungen zur Baugrenze“ kann das Gericht nicht erkennen. Auch insoweit ist auf das unter 1.1 dargelegte Verständnis der Kammer von den im Raum stehenden Festsetzungen hinzuweisen.
33
Die Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans oder einzelner seiner Festsetzungen setzt voraus, dass in tatsächlicher Hinsicht ein erkennbar dauerhafter Widerspruch zwischen den faktischen Gegebenheiten und den Festsetzungen des Bebauungsplans besteht und dass in normativer Hinsicht die Erkennbarkeit des Widerspruchs ein Maß erreicht, dass eine Verwirklichung der Festsetzungen nicht mehr realistisch erscheinen lässt und dem Vertrauen in den Bestand der Festsetzungen die Schutzwürdigkeit nimmt (BVerwG, B.v. 22.7.2010 - 4 B 22/10 - juris Rn. 9 ff. = BauR 2010, 2060). Wann dieser Punkt erreicht ist, ist eine Frage des Einzelfalls.
34
Vorliegend kann eine Funktionslosigkeit der textlichen Festsetzung Nr. 1 mit ihrem oben festgelegten Regelungsgehalt ausgeschlossen werden. Eine solche wäre aufgrund der beschränkten Regelungswirkung überhaupt nur denkbar, wenn Ausnahmen nach § 23 Abs. 5 BauNVO entgegen der Festsetzung gewährt worden wären. Dafür ist nichts ersichtlich.
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Befreiungen von einer solchen Festsetzung sind wiederum nicht denkbar (VGH Mannheim, U.v. 9.4.2019 - 8 S 1527/17 - juris Rn. 48 = NVwZ-RR 2019, 935). Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass die hier im Raum stehenden Befreiungen von der Baugrenze und nicht von der textlichen Festsetzung erteilt wurden.
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Insofern kann eine Funktionslosigkeit auch nur im Hinblick auf die Baugrenze selbst überhaupt angedacht werden. Eine solche liegt jedoch nicht vor. Dass die Baugrenze als solche ihre Steuerungsfunktion durch tatsächliche Entwicklungen im Baugebiet bereits derart eingebüßt hat, dass obiger Maßstab der Funktionslosigkeit in normativer Hinsicht erreicht wäre, kann das Gericht nicht feststellen.
37
Das Gericht verkennt nicht, dass im Baugebiet offensichtlich etliche Nebenanlagen, aber auch Hauptanlagen in Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans errichtet wurden. Die Beklagte hat diese Entwicklung auch schriftsätzlich ebenso wie ihre Befreiungspraxis eingeräumt. Für das Gericht ist jedoch weder die nicht substantiierte Zahl von angeblich 104 Anlagen außerhalb der Baugrenzen nachvollziehbar, noch käme es entscheidend auf die reine Zahl an. Ebenso kann hier dahingestellt bleiben, ob oder unter welchen Bedingungen die von der Beklagten vorgebrachten Schwarzbauten bei dieser Betrachtung eine Rolle spielen (dazu etwa OVG Münster, U.v. 20.2.2015 - 7 D 29/13.NE - juris Rn. 113 = DVBl 2015, 849, BayVGH, B.v. 15.3.2011 - 15 CS 11.9 - juris Rn. 13). Vielmehr ist für das Gericht ausschlaggebend, dass die durch die Baugrenzenfestsetzung vorgegebene Gliederungsstruktur des Baugebiets noch deutlich erkennbar ist. Schon ausweislich der allgemein zugänglichen Satellitenbilder des Baugebiets ist die Struktur der Baufelder als solche immer noch erhalten. Auch die von der Beklagten intendierte Erhaltung der offenen Baustruktur des Baugebiets ist immer noch deutlich gewahrt. Demgegenüber ist auch durch ein (häufiger) anzutreffendes Überschreiten der Baugrenze hier kein Zustand erreicht, der bereits das Vertrauen in den Bestand der gesamten Baugrenzen gänzlich entfallen lassen würde. Dass das Baugebiet derart bebaut ist, dass für jedermann offenkundig wäre, dass jeder Bauherr letztlich auf seinem Baugrundstück den Bauort (abgesehen von Abstandsflächen) frei bestimmen könnte, kann nicht gesehen werden.
38
2. Aufgrund der vom Gericht angenommenen Wirksamkeit des streitgegenständlichen Bebauungsplans kann wegen des gewählten Bauortes außerhalb der Baugrenzen eine Realisierung der Gartenhütte nur dann in Betracht kommen, wenn die Voraussetzungen für eine Befreiung von dieser Festsetzung nach § 31 Abs. 2 BauGB vorliegen. Eine Ausnahme nach § 23 Abs. 5 BauNVO kommt aufgrund obiger Ausführungen nicht in Betracht.
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Vorliegend scheitert die Erteilung einer Befreiung schon daran, dass nach Gerichtsmeinung die Grundzüge der Planung betroffen sind (2.1), hilfsweise aber auch die übrigen Voraussetzungen für eine Befreiung nicht gegeben wären (2.2).
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2.1 Mit dem Begriff der Grundzüge der Planung bezeichnet das Gesetz die durch die Hauptziele der Planung bestimmte Grundkonzeption eines Bauleitplanes. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich jeweils nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Unter welchen Voraussetzungen die Grundzüge der Planung berührt werden, lässt sich dabei nicht allgemeingültig formulieren; maßgeblich ist die jeweilige Planungssituation (vgl. u.a. BVerwG, B.v. 19.5.2004 - 4 B 35.04 - juris). Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Dabei kommt es darauf an, ob die fragliche Festsetzung Bestandteil eines Planungskonzepts ist, das das gesamte Plangebiet oder maßgebliche Teile hiervon gleichsam quasi wie ein roter Faden durchzieht, so dass eine Abweichung zu weit reichenden Folgen führt, oder ob die einzelne Festsetzung entweder gewissermaßen „zufällig“ erfolgt ist oder aber - wird von ihr abgewichen - der damit verbundene Eingriff in das Planungsgefüge eingegrenzt, also quasi „isoliert“ werden kann (BayVGH, U.v. 19.10.1998 - 15 B 97.337 - juris). Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 - 4 B 5.99 - juris; B.v. 19.5.2004 - 4 B 35.04 - juris; U.v. 18.11.2010 - 4 C 10/09 - juris). Mithin scheiden im Allgemeinen Abweichungen von Festsetzungen aus, die diese Grundkonzeption des Bebauungsplanes berühren. Aber auch Festsetzungen, die nicht für die Grundkonzeption maßgeblich sind, können die Grundzüge der Planung bestimmen, wenn ihnen nämlich ein spezifisches planerisches Konzept zugrunde liegt. Dies gilt auch für einzelne Festsetzungen. Denn auch sie können „die Planung tragende Festsetzungen“ sein (BVerwG, B.v. 5.3.1999 - 4 B 5.99 - juris). Entscheidend ist, dass der im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachte planerische Wille der Gemeinde auf eine bestimmte städtebauliche Ordnung gerichtet ist, die der Planung als Grundkonzept zugrunde liegt. Ist dies der Fall, handelt es sich um Grundzüge der Planung. Diese sind berührt, wenn bezogen auf diesen planerischen Willen derart vom Planinhalt abgewichen wird, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Mit anderen Worten muss eine Abweichung - soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein - durch das planerische Wollen noch gedeckt sein; es muss angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (vgl. etwa BayVGH, U.v. 3.11.2010 - 15 B 08.2426 - juris). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung Spannungen hineinträgt oder erhöht, die nur durch eine Planung zu bewältigen sind (vgl. etwa BayVGH, B.v. 17.11.2016 - 15 ZB 15.468 - juris).
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Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend davon auszugehen, dass die Baugrenzenfestsetzung als solche einen Grundzug der Planung darstellt, von dem nicht befreit werden kann. Betrachtet man die Baugrenzenfestsetzung im gesamten Plangebiet, so zeigt sich deutlich, dass sie durchgehend einen gewissen Mindestabstand der Bebauung zur Grundstücksgrenze bezogen sowohl auf die Vorderseite (Straßenseite) als auch die Hinterseite der Gebäude bewahren soll. Dieses Planungskonzept kann auf alle Baufenster übertragen werden. Im Zusammenspiel mit der Begründung des Bebauungsplans unter Ziffer 4.4 wird deutlich, dass dies auch kein „Zufallsprodukt“ darstellt. Vielmehr ist dies offenkundig ein Absicherungsinstrument der Beklagten gewesen, um die „offene, parkartige Struktur“ der ehemaligen US-Armee-Siedlung zu wahren.
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Soweit die Klägerseite unter Verweis auf obergerichtliche Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 14.7.2016 - 1 ZB 15.443 - juris Rn. 6) meint, dass für die Auslegung des Begriffs „Grundzüge der Planung“ auf die Befreiungspraxis der Beklagten abzustellen sei, folgt die Kammer dem nicht und sieht sich ebenso von obergerichtlicher Rechtsprechung gedeckt (BayVGH, B.v. 26.7.2018 - 2 ZB 17.1656 - juris Rn. 3). Bei anderer Betrachtung würde durch die (zunächst nach beiden Ansichten) rechtswidrig erteilten Befreiungen sukzessive ein Zustand geschaffen, der zwischen Funktionslosigkeit einer Festsetzung und Wirksamkeit angesiedelt wäre. Zwar wären dann - auch nach Klägermeinung - die Festsetzungen zwar nicht funktionslos, aber „als Grundzug der Planung“ unwirksam. Die Kammer geht nicht davon aus, dass ein solcher Zwischenzustand existiert, denn die Befreiungen könnten eine solche Wirkung nur aufgrund ihrer faktischen Widersprüche zu den rechtlichen Festsetzungen hervorrufen. Faktische Widersprüche werden allerdings über das Institut der Funktionslosigkeit abgewickelt, die hier (s.o.) nicht vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2018 - 2 ZB 17.1656 - juris Rn. 3).
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Selbst wenn man dies wie die Klägerseite sehen will, meint die Kammer, dass die der Klägerseite günstige Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 14.7.2016 - 1 ZB 15.443 - juris Rn. 6) auch nur soweit gemeint ist, als die Befreiungspraxis der Beklagten geht. Die Beklagte hat vorliegend (nicht nur schriftsätzlich sondern auch im streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid) eingeräumt, dass sie die gescheiterten Planentwürfe von 1995 im Wege einer etablierten Befreiungspraxis umsetzt. Diese Entwürfe (Ziffer 8 des Änderungsentwurfs 1995) sahen Ausnahmen für Gerätehütten im Maß 2 m x 3 m vor. Selbst bei Wahrunterstellung des von Klägerseite schriftsätzlich vorgebrachten Vortrags hat die flächenmäßig größte - angeblich durch die Beklagte formell legalisierte - Nebenanlage eine Grundfläche von nur 15 qm. Die Klägerseite begehrt hier eine Befreiung für eine Grundfläche von 28 qm. Dies stellt ein Vorhaben ohne ersichtlichen Bezugsfall im Baugebiet dar.
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2.2 Hilfsweise wären auch die übrigen Voraussetzungen für eine Befreiung nicht gegeben.
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Nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB kann eine Befreiung nur erteilt werden, wenn sie städtebaulich vertretbar ist. Für die Frage, ob eine Befreiung städtebaulich vertretbar ist, ist in erster Linie darauf abzustellen, ob die Befreiung als Inhalt des konkreten Bebauungsplans abwägungsfehlerfrei festgesetzt werden könnte (BVerwG, U.v. 17.12.1998 - 4 C 16/97 - juris Rn. 36 = BVerwGE 108, 190).
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Eine Befreiung in dieser Dimension wäre hier nicht mehr abwägungsfehlerfrei möglich, da sie dem Plankonzept der „offenen, parkähnlichen Struktur“, welche durch die Beklagte verfolgt wird, deutlich entgegentritt. Eine solche Zielsetzung wäre nicht mehr verwirklichbar, wenn die Baugrenzen allgemein mit Nebenanlagen dieser Dimension bebaut werden dürften. Die von der Beklagten beabsichtigte Erhaltung einer „amerikanisch“ geprägten Siedlungsstruktur lässt sich hiermit nicht vereinen. Vielmehr wäre der Konflikt mit weiterer Grenzbebauung vorprogrammiert.
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Nach § 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB kann eine Befreiung nur erteilt werden, wenn die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde. Eine offenbar nicht beabsichtigte Härte liegt vor, wenn das Baugrundstück in boden-(bebauungs-)rechtlicher Hinsicht Besonderheiten aufweist, die die Gemeinde bei Aufstellung des Bebauungsplans nicht bedacht hat und aufgrund derer der Eigentümer bei einem Festhalten am Bebauungsplan in einer Weise in der baulichen Nutzung beschränkt würde, die vom Ziel geordneter städtebaulicher Entwicklung und von dem im Bebauungsplan getroffenen Interessenausgleich nicht geboten ist (BayVGH, B.v. 14.2.2011 - 9 ZB 10.240 - juris Rn 18). Erforderlich ist mithin eine grundstücksbezogene „Sondersituation“, die den Fall von anderen Fällen unterscheidet und damit auch die beabsichtigte Härte von der unbeabsichtigten Härte abgrenzt.
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Eine solche liegt beim Kläger nicht vor. Soweit auf die Lagerung von Brennholz, die Größe des „Rasenmähertraktors“ und die Unterbringung von Fahrrädern abgestellt wird, liegt keine Besonderheit des klägerischen Grundstücks gegenüber den anderen im Plangebiet vorhandenen Grundstücken vor. Es handelt sich schlichtweg um den Wunsch des Klägers nach einem „größeren Baufeld“. Die Verweigerung dieses Wunsches stellt keine unbeabsichtigte, sondern die beabsichtigte Härte dar, da sie der Regelfall der Baugrenzenfestsetzung ist.
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Soweit die Klägerseite sich auf eine zivilrechtliche Nichtbebaubarkeit des Grundstücks wegen der Leitungsrechte der Stadtwerke der Beklagten auf dem klägerischen Grundstück beruft, kann dies schon deswegen keine unbeabsichtigte Härte begründen, weil diese Leitungsrechte der Beklagten bei Aufstellung des Bebauungsplans bewusst waren. So sind in den zeichnerischen Festsetzungen im Plangebiet auch bereits „mit Leitungsrechten belastete Flächen“ festgelegt worden, die auch auf dem klägerischen Grundstück liegen. Dass deren ggf. zivilrechtlich bedingte Nichtbebaubarkeit der Beklagten also bei Aufstellung bewusst war, ist zu unterstellen. Insofern ist auch dieser Aspekt bei der Festsetzung der Baugrenzen berücksichtigt worden.
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3. Da kein Anspruch auf Befreiung besteht, kann auch dahingestellt bleiben, ob darüber hinaus ein Anspruch auf Abweichung von den Vorschriften der streitgegenständlichen örtlichen Bauvorschrift nach Art. 63 Abs. 1 BayBO gegeben ist, da der Kläger kein Rechtsschutzinteresse an der Erteilung nur einer Abweichung hat, da ihm diese alleine keine Realisierungsmöglichkeit für sein Vorhaben bietet.
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Nach alledem ist die Klage abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.