Inhalt

FG München, Urteil v. 26.10.2022 – 4 K 2183/21
Titel:

Abschluss des Mietvertrages, Erbschaftsteuerbescheid, Erbschaftsteuererklärung, Steuerbefreiung, Erblasser, Mietverträge, Zeitmietvertrag, Eigene Wohnzwecke, Miteigentumsanteil, Selbstnutzung, Gesonderte Feststellung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Familienheim, Bundesfinanzhof, Befähigung zum Richteramt, Beendigung des Mietverhältnisses, Steuerbevollmächtigte, Europäische Rechtsanwälte, Steuerpflichtiger Erwerb, Rückwirkendes Ereignis

Normenketten:
ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4c
FGO § 105 Abs. 3 S. 2
Schlagwort:
Erbschaftsteuer
Fundstellen:
ErbStB 2023, 171
EFG 2023, 210
ErbR 2023, 648
StEd 2023, 25
BeckRS 2022, 39743
LSK 2022, 39743
ZEV 2023, 186
DStRE 2023, 541

Tenor

1. Die mit Erbschaftsteuerbescheid vom 20. August 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. September 2021 festgesetzte Erbschaftsteuer wird auf … € herabgesetzt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin …% und der Beklagte …%.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Erbschaftsteuerbescheides, wobei zwischen den Beteiligten nur streitbehaftet ist, ob der Beklagte verpflichtet ist, bei der Steuerfestsetzung die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) zu gewähren.
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Die Klägerin ist lt. Erbschein des Amtsgerichts … vom 2. Mai 2018 (…) Alleinerbin nach ihrer am ... Oktober 1919 geborenen und am ... Februar 2018 verstorbenen Mutter, Frau … (im Folgenden Erblasserin).
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Im Nachlass befand sich neben Geldvermögen auch der 50%-ige Miteigentumsanteil an einem Zweifamilienhaus in … . Die Wohnung im Erdgeschoss des Hauses wurde u.a. von Herrn …, dem Enkel der Erblasserin, genutzt und war im Zeitpunkt des Erbfalls nicht vermietet. Die Wohnung im Obergeschoss wurde zunächst von der Erblasserin bewohnt, stand nach deren Umzug in einer Pflegeeinrichtung seit April 2014 leer und wurde schließlich mit Mietvertrag vom 21. März 2016 an Herrn … befristet für den Zeitraum vom 1. April 2016 bis 31. März 2020 vermietet, um die Kosten für ihre Unterbringung in der Pflegeeinrichtung zu decken. Lt. Mitteilung des Finanzamts … vom 12. November 2016 über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den ... Februar 2018 für Zwecke der Erbschaftsteuer weisen beide Wohnungen eine Wohnfläche von jeweils 92 m² auf. Die Erblasserin war pflegebedürftig und hielt sich seit April 2014 bis zu ihrem Ableben in einer Pflegeeinrichtung auf. Unter dem Datum des 16. Oktober 2018 reichte die Klägerin eine Erbschaftsteuererklärung beim Beklagten ein und beantragte darin die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Mit inzwischen bestandskräftigem Bescheid vom 12. November 2018 über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den ... Februar 2018 für Zwecke der Erbschaftsteuer stellte das Finanzamt … den Grundbesitzwert des streitgegenständlichen Miteigentumsanteils auf … € fest. Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 20. August 2020 setzte der Beklagte gegen die Klägerin Erbschaftsteuer i.H.v. … € fest, wobei er die beantragte Steuerbefreiung nicht gewährte. Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 2. September 2020 Einspruch beim Beklagten ein.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 14. September 2021 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2021, der an demselben Tag bei Gericht einging, Klage, die wie folgt begründet wird:
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Im Streitfall seien die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG erfüllt. Die streitgegenständliche Wohnung sei von der Erblasserin für den Zeitraum vom 1. April 2016 bis 31. März 2020 vermietet worden. Eine ordentliche Kündigung, mithin auch eine Kündigung wegen Eigenbedarfs, sei in diesem Zeitraum ausgeschlossen gewesen. Daher habe die Klägerin die streitgegenständliche Wohnung erst ab dem 1. April 2020 zu eigenen Wohnzwecken nutzen können. Die Klägerin habe die streitgegenständliche Wohnung nach Ablauf des Zeitmietvertrages renoviert und sei anschließend im August 2020 selbst in die Wohnung eingezogen.
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Die Klägerin beantragt,
die mit Erbschaftsteuerbeschied vom 20. August 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. September 2021 gegen die Klägerin festgesetzte Erbschaftsteuer auf … € herabzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage anzuweisen.
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Seiner Ansicht nach sei der klagegegenständliche Erbschaftsteuerbescheid rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG seien nicht erfüllt, weil die Klägerin infolge ihrer Mitwirkung beim Abschluss des Mietvertrages gewusst habe, dass eine Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung nicht vor Ablauf des 31. März 2020 möglich sein würde. Damit habe die Klägerin bewusst in Kauf genommen, dass sie die Wohnung möglicherweise nicht zeitnah zum Erbfall würde zu eigenen Wohnzwecken nutzen können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird nach § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Behördenakte sowie die Gerichtsakte nebst Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist auch begründet.
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1.) Der Erbschaftsteuer unterliegt der Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als Erwerb von Todes wegen gilt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -). Die Steuer entsteht mit dem Tode des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).
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Steuerfrei ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG u.a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) durch Kinder i.S. der Steuerklasse I Nr. 2, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt. Ein Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG setzt zunächst voraus, dass es sich um ein bebautes Grundstück handelt, das die Tatbestandsvoraussetzungen des § 181 Abs. 1, Nr. 1 bis Nr. 5 BewG erfüllt (z.B. Ein- und Zweifamilienhaus oder Wohnungseigentum). Darüber hinaus setzt ein Familienheim nach dem Willen des Gesetzgebers, der mittlerweile gefestigten Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur eine bestimmte tatsächliche Nutzung voraus, nämlich, dass sich in der Wohnung der Mittelpunkt des familiären Lebens befinden muss; der Charakter als Familienheim muss sowohl beim Erblasser als auch beim Erwerber gegeben sein (vgl. BFH-Urteil vom 28. Mai 2019 II R 37/16, BStBl II 2019, 678; Kobor in: Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 7. Auflage, § 13 Rn. 44). Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG wird allerdings auch dann gewährt, wenn der Erblasser aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war. Einen solchen zwingenden Grund stellt u.a. die Pflegebedürftigkeit dar (vgl. Bericht des Finanzausschusses, BTDrucksache 16/11107, 9).
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2.) Bei Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall hat der Beklagte zu Unrecht die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG abgelehnt.
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a) Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten sind im Streitfall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG erfüllt, weil die streitgegenständliche Wohnung im Zeitpunkt des Erbfalls ein Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG gewesen ist und die Klägerin dieses auch unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt hat.
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aa) Die Erblasserin hat durch den Abschluss des Mietvertrages die Wohnung als ihr Familienheim nicht zeitweilig aufgegeben.
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So ergibt sich aus dem vorgelegten Gutachten vom 14. Mai 2014, dass die Erblasserin bereits seit 2014 wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes auf eine vollstationäre Pflege angewiesen war (vgl. Punkt 5.5 des Gutachtens vom 14. Mai 2014) und sich deshalb in einer Pflegeeinrichtung befunden hat. Aus demselben Grund konnte die Erblasserin die Wohnung bereits seit 2014 und insbesondere ab dem 1. April 2016 bis zu ihrem Tod aus zwingenden Gründen i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG nicht nutzen. Die Erblasserin hatte auch ein berechtigtes Interesse an der Vermietung der Wohnung, weil sie mit den Mieteinnahmen die Kosten der Unterbringung mitfinanzieren wollte. Der Umstand, dass die Erblasserin einen für die Dauer von 4 Jahren befristeten Zeitmietvertrag abgeschlossen hat, schließt die Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG nicht aus. Die Festlegung eines bestimmten Zeitraums hatte den Vorteil, dass die Erblasserin während dieser Zeit mit entsprechenden Mieteinnahmen hat rechnen können, sowie, dass das Mietverhältnis nach Ablauf der Befristung endet und anschließend wie im Streitfall gewollt, von einem Familienangehörigen genutzt werden konnte. Die Erblasserin war im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages 96 Jahre alt. Laut der Sterbetafel 2018/2020 des Statistischen Bundesamtes hat die durchschnittliche Lebenserwartung einer 96 Jahre alten weiblichen Person bei 2,65 Jahren gelegen (Fussnote:Quelle: https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?operation=ergebnistabelleUmfang& levelindex=1& levelid=1653481698644& downloadname=12621-0001#abreadcrumb)
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Damit liegt die gewählte Befristung der Mietzeit von 4 Jahren nicht völlig außer Verhältnis zu der im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages voraussichtlichen Lebenserwartung der Erblasserin. Unter diesen Umständen hat die Vermietung der Wohnung während des Zeitraums, in dem die Erblasserin wegen objektiver Hinderungsgründe sie nicht zu eigenen Wohnzwecken nutzten konnte, die Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG nicht ausgeschlossen (vgl. auch R E 13.4 Abs. 6 Sätze 11 und 12 ErbStR 2019).
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bb) Die Klägerin hat die streitgegenständliche Wohnung unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt.
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Nach der Rechtsprechung des BFH ist das Familienheim i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken dann bestimmt, wenn der Erwerber die Absicht hat, es selbst zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, und diese Absicht auch tatsächlich umsetzt. Unverzüglich erfolgt die Umsetzung regelmäßig dann, wenn der Einzug innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach dem Erbfall erfolgt (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 2022 II R 6/21, BFH/NV 2022, 898). Wird die Selbstnutzung der Wohnung - wie im Streitfall - erst nach Ablauf von sechs Monaten aufgenommen, kann ebenfalls eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung vorliegen. Allerdings muss der Erwerber in diesem Fall darlegen und glaubhaft machen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat (BFHUrteil vom 16. März 2022 II R 6/21, BFH/NV 2022, 898).
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(1) Die Klägerin hat sich bereits im Zusammenhang mit dem Abschluss des Mietvertrages dazu entschlossen, die streitgegenständliche Wohnung nach Ablauf der vereinbarten Mietzeit zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen. Dies wird durch die glaubhaften Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie durch den Inhalt des Mietvertrages, bei deren Abschluss die Klägerin als Vertreterin der Erblasserin mitgewirkt hat, belegt. Nach insoweit glaubhaftem, da durch belastbare Unterlagen belegtem Vortrag der Klägerin, ist sie am 21. August 2020 in die streitgegenständliche Wohnung eingezogen, weil sie nach Beendigung des Mietverhältnisses (31. März 2020) noch Renovierungsarbeiten an der Wohnung durchgeführt hat.
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(2) Vor dem 1. April 2020 war der Klägerin der tatsächliche Einzug in die Wohnung nicht möglich. Dem Einzug stand der Mietvertrag vom 21. März 2016 entgegen. Wie die Klägerin zutreffend ausführt, schließt ein Zeitmietvertrag nach § 575 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung während der Vertragslaufzeit aus (vgl. Lützenkirchen in: Erman, BGB, 16. Auflage, 2020, § 575 BGB, Rn. 20). Nach dem Inhalt des Mietvertrages waren im Streitfall die Voraussetzungen des § 575 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfüllt. So sollte die streitgegenständliche Wohnung nach Ablauf des Mietvertrages von der Tochter der Vermieterin, mithin einer Familienangehörigen, genutzt werden, was auch tatsächlich geschehen ist. Hinweise auf eine mögliche Unwirksamkeit der Befristung, sind nach Aktenlage nicht erkennbar. Der Umstand, dass die Erblasserin nur zu einem Anteil von ½ Miteigentümerin der streitgegenständlichen Wohnung war, hat keine Auswirkung auf die Wirksamkeit eines schuldrechtlichen Vertrages über die gesamte Wohnung und hat daher die Wirksamkeit des Mietvertrages nicht berührt. Aufgrund der Befristung war es der Klägerin rechtlich unmöglich, bereits vor Ablauf der vereinbarten Mietzeit in die Wohnung einzuziehen. Die Klägerin ist als Erbin und damit Rechtsnachfolgern ihrer Mutter in den Mietvertrag - als Vermieterin - eingetreten und musste ihn daher auch erfüllen, wozu insbesondere die Zurverfügungstellung des Mietobjekts bis zum 31. März 2020 gehört hat. Der Mietvertrag war damit ursächlich dafür, dass die Klägerin die streitgegenständliche Wohnung nach Ablauf der Mietzeit, mithin erst ab dem 1. April 2020 beziehen und damit erst ab diesem Zeitpunkt zu eigenen Wohnzwecken nutzen konnte.
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(3) Den Grund für die spätere Aufnahme der Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung zu eigenen Wohnzwecken hat die Klägerin nach Ansicht des Senats nicht zu vertreten.
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Die Beteiligung der Klägerin beim Zustandekommen des Mietvertrages vom 21. März 2016 begründet kein Verschulden der Klägerin an einem verspäteten Einzug in die streitgegenständliche Wohnung. Zwar hat die Klägerin bei dem Abschluss des Mietvertrages aktiv mitgewirkt. Der Vertrag ist jedoch zivilrechtlich allein der Erblasserin zuzurechnen. Sie und nicht die Klägerin hat die Wohnung vermietet. Ungeachtet dessen war im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages der Todeszeitpunkt der Erblasserin ungewiss, so dass die Klägerin nicht wissen konnte, dass der Erbfall bereits während der vereinbarten Mietzeit eintreten würde. Für den Senat sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages mit einem baldigen Ableben ihrer Mutter gerechnet hätte. Aus demselben Grund kann der Klägerin auch nicht angelastet werden, dass sie im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages ganz bewusst davon ausgegangen ist und es auch gebilligt hat, dass sie die streitgegenständliche Wohnung erst nach Ablauf der vereinbarten Mietzeit würde nutzen können. Schließlich ist der Senat aufgrund der Äußerungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass steuerliche Aspekte bei der Bestimmung der Länge des Zeitmietvertrages überhaupt keine Rolle gespielt haben. Insbesondere sind für den Senat keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin durch die gewählte vertragliche Gestaltung die Behaltensfrist des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG „verkürzen“ wollte oder eine solche „Verkürzung“ in Kauf genommen hätte. Insoweit hat die Klägerin glaubhaft und nachvollziehbar erläutert, dass der Mieter aufgrund seiner familiären Situation ein starkes Interesse an einer Befristung auf 4 Jahre hatte.
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Nach dem Erbfall war die Klägerin verpflichtet, den Mietvertrag weiterhin zu erfüllen. Die Erfüllung der vertraglichen Pflicht, die Wohnung bis zum vereinbarten Zeitpunkt (31. März 2020) dem Mieter zur Verfügung zu stellen, kann daher der Klägerin nicht als schuldhafte Verzögerung der Nutzungsaufnahme zur eigenen Wohnzwecken angelastet werden. Dies insbesondere, da sie - wie oben bereits ausgeführt - rechtlich keine Möglichkeit hatte, den Mietvertrag noch vor dem 31. März 2020 zu kündigen.
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Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände hat die Klägerin durch ihren Einzug im August 2020 daher in ausreichendem Maße belegt, dass sie die streitgegenständliche Wohnung nach dem Tod ihrer Mutter unverzüglich i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG zur Selbstnutzung bestimmt hat. Diesem Ergebnis stehen auch nicht die Urteile des BFH vom 23. Juni 2015 (II R 13/13; BStBl II 2016, 223) sowie vom 5. Oktober 2016 (II R 32/15; BStBl II 2017, 130) entgegen, weil in den dort entschiedenen Fällen, der Erwerber unstreitig zu keinem Zeitpunkt die Wohnung i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG selbst genutzt hat.
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cc) Auch sind die übrigen Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG erfüllt.
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So handelt es sich lt. aktenkundiger Niederschrift des Amtsgerichts … vom 2. Mai 2018 (Az: …) bei der Klägerin um die Tochter der Erblasserin und daher um ein Kind im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 des § 15 ErbStG. Die streitgegenständliche Wohnung erfüllt die Voraussetzungen des § 181 Abs. 1 Nr. 1 BewG, wie die Mitteilung des Finanzamtes … vom 12. November 2018 belegt. Die Wohnfläche beträgt 92 m² und liegt daher unterhalb von 200 m², so dass auch insoweit keine Kürzung der Steuerbefreiung veranlasst ist.
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3.) Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG ist jedoch gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG um 50% zu reduzieren.
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Nach dem unbestrittenen Vortrag des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, hat die Klägerin die Hälfte ihres Miteigentumsanteils an der streitgegenständlichen Wohnung am 20. Mai 2022 an Herrn … übertragen. Dadurch ist der Tatbestand des § 13 Abs. 4c Satz 5 ErbStG erfüllt worden, denn die Steuerbefreiung für den Erwerb eines Familienheims nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG setzt ihrem Sinn und Zweck nach voraus, dass während eines Zeitraums von zehn Jahren nach dem Erwerb (... Februar 2018) das Familienheim nicht nur vom Erwerber bewohnt wird, sondern auch in dessen Eigentum verbleibt (vgl. Hessisches FG Gerichtsbescheid vom 15. Februar 2016 1 K 2275/15, EFG 2016, 734; Kobor in Fischer/Pahlke/Wacher, ErbStG, 7. Auflage 2020, § 13, Rn. 44). Da die Klägerin nach dem 20. Mai 2022 lediglich über die Hälfte ihres ursprünglich von der Erblasserin erworbenen Miteigentumsanteils verfügt, ist auch die Steuerbefreiung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 4c Satz 5 ErbStG in demselben Verhältnis - mithin um 50% - zu reduzieren. Der Senat hat das rückwirkende Ereignis bei der Bestimmung der zutreffenden Höhe der festzusetzenden Erbschaftsteuer zu berücksichtigen (vgl. Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Auflage, § 100, Rn. 12).
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4.) Der Beklagte gewährte zu Recht für die zweite Wohnung keine Steuerbefreiung nach § 13d Abs. 1, Abs. 3 ErbStG, da diese Wohnung unstreitig nicht vermietet war.
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5.) Unter Berücksichtigung der - aufgrund der Übertragung vom 20. Mai 2022 lediglich teilweisen - Steuerberatung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG ergibt sich im Streitfall die zutreffende Erbschaftsteuer von … €.
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Die Erbschaftsteuer wird wie folgt ermittelt:

Summe Besitzposten

… €

Erbfallkostenpauschale nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG

10.300,00 €

Wert des Erwerbs … €
Abzüglich Freibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG (50%) - … €
Abzüglich Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG - 400.000,00 €
Steuerpflichtiger Erwerb … €
Steuerpflichtiger Erwerb nach § 10 Abs. 1 Satz 6 ErbStG abgerundet … €
Steuersatz nach § 19 Abs. 1 ErbStG … %
Festzusetzende Steuer … €
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6.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die streitbehaftete Steuer hat … € (=100%) betragen. Die Klage hatte i.H.v. … € (=…%) Erfolg.
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7.) Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
35
8.) Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung zugelassen. Zu der Rechtsfrage, ob die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG auch dann zu gewähren ist, wenn die wegen des Umzugs der pflegebedürftigen und hochbetagten Erblasserin in eine Pflegeeinrichtung leerstehende Wohnung (Familienheim) von der Erblasserin für einen festen mehrjährigen Zeitraum - ohne die Möglichkeit einer Eigenbedarfskündigung - vermietet wird, existiert nach Recherche des Senats keine veröffentlichte finanzgerichtliche Entscheidung. Auch in der Literatur ist diese Rechtsfrage noch weitgehend ungeklärt.