Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 17.01.2022 – M 7 K 19.2567
Titel:

Zwangsweise Außerbetriebsetzung eines Kfz, Vollstreckungshilfe, Wohnungsdurchsuchung, Richtervorbehalt, Keine Gefahr im Verzug

Normenketten:
GG Art. 13 Abs. 2
VwZVG Art. 37 Abs. 2
VwZVG Art. 37 Abs. 3
PAG Art. 2 Abs. 4
VwGO § 84
Schlagworte:
Zwangsweise Außerbetriebsetzung eines Kfz, Vollstreckungshilfe, Wohnungsdurchsuchung, Richtervorbehalt, Keine Gefahr im Verzug
Fundstelle:
BeckRS 2022, 396

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das Betreten der Wohnung des Klägers in der D.str., 8. H. unter Anwendung unmittelbaren Zwangs sowie deren Durchsuchung durch Polizeibeamte am 11. Februar 2019 rechtswidrig waren.     
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Durchsuchung seiner Wohnung durch die Polizei zur zwangsweisen Außerbetriebsetzung eines Kraftfahrzeugs.
2
Der Kläger war Halter eines Kraftfahrzeugs BMW, Fahrzeugidentifikationsnummer …, das ehemals durch das Landratsamt Dachau (im Folgenden: Landratsamt) unter dem amtlichen Kennzeichen … … zugelassen war.
3
Dieses Kraftfahrzeug war von einer Rückrufaktion des Fahrzeugherstellers betroffen, da aufgrund eines Fehlers im Gasgenerator des Beifahrerairbags die Gefahr eines unkontrollierten Auslösens bestand. Da eine Mängelbeseitigung in Bezug auf das Fahrzeug des Klägers gegenüber dem Kraftfahrbundesamt nicht nachgewiesen worden war, forderte das Landratsamt den Kläger auf Hinweis des Kraftfahrbundesamts per Schreiben vom 24. Oktober 2018 auf, innerhalb von sieben Tagen eine Bestätigung der ausführenden Werkstatt über die Mängelbeseitigung vorzulegen. Mangels Nachweises über die Mängelbeseitigung wurde dem Kläger per Bescheid vom 7. November 2018 der Betrieb des Kraftfahrzeugs bis zur Beseitigung der Mängel untersagt.
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Am 7. Dezember 2018 erlosch der Haftpflichtversicherungsschutz für das Kraftfahrzeug, worüber die Versicherung die Zulassungsbehörde am 10. Dezember 2018 in Kenntnis setzte.
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Mit Bescheid vom 10. Dezember 2018 forderte das Landratsamt den Kläger auf, binnen dreier Tage nach Zustellung des Bescheids einen Nachweis über das Bestehen einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung zu veranlassen oder das Fahrzeug außer Betrieb zu setzen und die Kennzeichen des Fahrzeugs zur Entstempelung vorzulegen (Nr. 1). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 2). Für den Fall des Nichtfolgeleistens wurde die kostenpflichtige zwangsweise Außerbetriebsetzung durch die zuständige Polizeidienststelle angedroht (Nr. 3).
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Nachdem der Kläger der Verpflichtung in Nr. 1 des Bescheids vom 10. Dezember 2018 keine Folge geleistet hatte, ersuchte das Landratsamt die Polizeiinspektion Dachau (im Folgenden: PI Dachau) mit Schreiben vom 20. Dezember 2018 um Hilfe bei der Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs durch Entstempelung der Kennzeichenschilder und Einziehung der Zulassungsbescheinigung Teil I.
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In der Folge suchten am 10. Februar 2019 gegen 13 Uhr zunächst zwei und, nachdem die Außerbetriebsetzung an diesem Tag mangels Herausgabebereitschaft des Klägers nicht erfolgreich war, am 11. Februar 2019 am frühen Vormittag vier - nach der Erinnerung des Klägers fünf - Polizeibeamten der PI Dachau den Kläger an seiner Wohnanschrift auf, um das Fahrzeug des Klägers außer Betrieb zu setzen. Die Kennzeichenschilder sowie die Zulassungsbescheinigung Teil I konnten bei diesem zweiten Versuch in der Wohnung des Klägers sichergestellt werden.
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Am 27. Mai 2019 hat der Bevollmächtigte des Klägers Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das nicht versicherte Fahrzeug des Klägers auf dem verschlossenen, von dem Kläger gemieteten Privatgelände gestanden habe, als die Polizeibeamten der PI Dachau ihn am 10. Februar 2019 aufgesucht hätten. Die Kennzeichen habe der Kläger entfernt gehabt. Es hätten keinerlei Anzeichen darauf hingedeutet, dass der Kläger das Fahrzeug in der Zeit, zu der es nicht versichert gewesen sei, genutzt hätte oder beabsichtigen würde, es zu nutzen. Als der Kläger sich auf das Herausgabeverlangen der Polizeibeamten hin geweigert habe, die Kennzeichen herauszugeben, seien beide Polizisten über das verschlossene Gartentor gesprungen. Wegen der Weigerung des Klägers die Kennzeichenschilder auszuhändigen, sei er von den Polizisten angeschrien worden. Als die Polizeibeamten am 11. Februar 2019 wiedergekommen seien, habe der Kläger, der zuvor in der Spätschicht gearbeitet habe, noch geschlafen. Bevor dieser sich habe vollständig anziehen können, seien alle Polizeibeamten, durch deren Rufe er geweckt worden sei, über das abgesperrte Gartentor gesprungen gewesen und hätten vor seiner Haustür gestanden. Die Beamten hätten mit den Fäusten gegen die Haustüre geschlagen, sodass eine Stahlverstrebung ausgebrochen sei. Als der Kläger die Tür geöffnet und erklärt habe, dass er die Beamten nicht hineinlassen würde, sei er kräftig in die Wohnung zurückgeschubst worden. Einen Durchsuchungsbefehl hätten die Beamten auf Nachfrage des Klägers nicht gehabt. Die Beamten hätten geäußert, dass sie einen solchen auch nicht benötigen würden. Einer der Beamten habe im Schlafzimmer des Klägers begonnen, alle Türen am Kleiderschrank des Klägers zu öffnen. Um die Durchsuchung zu beenden, habe der Kläger die gewünschten Kennzeichen schließlich übergeben und aufgrund der Androhung einer weiteren Durchsuchung zudem auch den Fahrzeugschein ausgehändigt.
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Der Kläger beantragt (die Feststellung):
Das Betreten der Wohnung des Klägers durch die Polizei am 11.02.2019 sowie die Durchsuchung seiner Wohnung durch die Polizei und die Anwendung von körperlicher Gewalt durch die Polizei gegenüber dem Kläger waren rechtswidrig.
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Der Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
11
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die Polizeibeamten bei dem ersten Versuch die Kennzeichenschilder zu entstempeln am 10. Februar 2019 am Zugang zu dem mit einem Zaun und Gartentor umfriedeten Grundstück keine Klingel und auch kein Namensschild vorgefunden hätten. Auf dem von der Straße einsehbaren Grundstück hätten die Beamten bereits das außer Betrieb zu setzende Kraftfahrzeug des Klägers ausmachen können, bei dem die Kennzeichen abmontiert gewesen seien. Das Fahrzeug habe ihnen in fahrbereitem Zustand erschienen. Als es den Beamten nicht gelungen sei, durch lautes Rufen und Klopfen am Tor auf sich aufmerksam zu machen, hätten sie sich damit behelfen müssen, das Gartentor zu übersteigen, um sicherzustellen, dass es sich bei dem Fahrzeug um den betreffenden PKW gehandelt habe, und um Kontakt mit dem Halter aufzunehmen. Über die Umweltplakette hätten sie sodann das zugehörige Kennzeichen … … ablesen können. Nachdem die Beamten an der Eingangstür zum Haus ebenfalls keine Klingel vorgefunden hätten, habe ein Beamter an die Tür des baufälligen Anwesens geklopft. Dabei habe sich die bereits vorbeschädigte Tür geöffnet. Ein Sachschaden sei dabei nicht entstanden. Kurz bevor die Beamten nach mehreren weiteren Rufen hätten abrücken wollen, habe der Kläger im Flur die eigentliche Tür zu seiner separierten Wohnung geöffnet und durch den Türspalt Kontakt mit den Beamten aufgenommen. Auf die Belehrung und Aufforderung zur Herausgabe der Kennzeichenschilder durch den leitenden Beamten habe der Kläger, der sich durch seinen Ausweis habe ausweisen können, die Herausgabe verweigert. Als die Beamten die Anwesenheit zweier Kinder und einer Frau in dem Zimmer bemerkt hätten, hätten sie zunächst auf weitere Maßnahmen verzichtet und seien wieder abgerückt. Das Landratsamt habe in der Folge die Beamten nochmals dringlich aufgefordert, die Kennzeichenschilder sicherzustellen, da zu befürchten sei, dass der Kläger das Fahrzeug weiter nutzen könnte, indem er kurzfristig und spontan die bei ihm vorhandenen Kennzeichenschilder für Einzelfahrten an das Fahrzeug anbringen würde, und durch ein solches Vorgehen im Übrigen eine Stilllegung vermeiden wolle. Als die Beamten daraufhin am nächsten Tag, dem 11. Februar 2019, die Wohnanschrift des Klägers erneut angefahren seien, seien sie aus Eigensicherungsgründen von einer weiteren Streife begleitet worden. Da eine Kontaktaufnahme anderweitig nicht erfolgversprechend gewesen sei, hätten die Beamten wie am Vortag das Gartentor überstiegen, um an der Tür des Hauses auf sich aufmerksam zu machen. Zu einer Beschädigung der Haustür sei es dabei nicht gekommen. Die angeblich ausgebrochene Stahlverstrebung sei allenfalls eine vorhandene Vorbeschädigung des baufälligen Gebäudes gewesen. Als der Kläger sich nach erneuter Aufforderung zur Herausgabe der Kennzeichenschilder abermals nicht hierzu bereit gezeigt habe, sei ihm die Durchsuchung seiner Wohnung durch den leitenden Beamten angedroht worden, da abgesehen von der Gefahr der Verletzung durch defekte Airbags und einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz der Verdacht bestanden habe, der Kläger könne Kennzeichenschilder oder Fahrzeug umlagern. Zum Betreten der Wohnung habe der Kläger lediglich leicht in die Wohnung zurückgedrängt werden müssen. Im Wohnzimmer befindlich habe der Kläger weiter die Herausgabe verweigert und die Beamten beleidigt und beschimpft. Es sei erneut die Durchsuchung der Wohnung angedroht worden, wobei der leitende Beamte zur Verdeutlichung eine Schranktür geöffnet habe. Daraufhin habe der Kläger sogleich die Kennzeichenschilder hervorgeholt und diese den Beamten einschließlich des Fahrzeugscheins widerstrebend übergeben. Im Übrigen seien weder Räumlichkeiten oder persönliche Gegenstände des Klägers durchstöbert worden.
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Mit Beschluss vom 16. November 2020 hat das Gericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Klägerbevollmächtigten wegen fehlender Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit abgelehnt.
13
Die Parteien wurden mit Schreiben vom 27. Januar 2021 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Mit Schreiben vom 10. Februar 2021 wurde beklagtenseits mitgeteilt, dass einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid zugestimmt werde. Klägerseits ging eine zunächst mit Schreiben vom 23. Februar 2021 angekündigte Stellungnahme nicht ein.
14
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Parteien wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO angehört.
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO oder als allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Es kann letztlich offen bleiben, ob man die streitbefangenen Maßnahmen jeweils als eigenständige polizeiliche Verwaltungsakte mit entsprechendem Regelungsgehalt (etwa des befehlenden Inhalts, diese Maßnahmen oder Beschränkungen zu dulden) i.S.d. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG oder als (bloße) auf einen rein tatsächlichen Erfolg gerichtete Realakte im Rahmen des polizeilichen Handelns einstuft. Denn in jedem Fall, also sowohl mit der Fortsetzungsfeststellungsklage als auch mit der allgemeinen Feststellungsklage, ist ein effektiver nachträglicher gerichtlicher Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) der bereits vor Klageerhebung beendeten Maßnahmen gewährleistet (vgl. BayVGH, U.v. 20.3.2015 - 10 B 12.2280 - juris Rn. 24 f.).
18
Für eine - wie hier - auf die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit bereits vollzogener und damit erledigter (s. auch Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG) polizeilicher Maßnahmen gerichtete Klage ist in jedem Fall ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung erforderlich. Ein solches liegt unabhängig von der hier statthaften Klageart jedenfalls bei Bestehen einer Wiederholungsgefahr oder einer fortwirkenden Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff vor. Darüber hinaus kommt ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe in Betracht. Bei derart schweren Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht ein durch Art. 19 Abs. 4 GG geschütztes Rechtsschutzinteresse u.a. in Fällen angenommen, in denen sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung eröffneten Instanz nicht erlangen kann (vgl. BayVGH, U.v. 20.3.2015 - 10 B 12.2280 - juris Rn. 27 m.w.N.).
19
Ein solcher Fall ist hier gegeben. Während der polizeilichen Maßnahmen in der Wohnung des Klägers am 11. Februar 2019 konnte er keinen gerichtlichen Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen erreichen. Zudem steht vorliegend auch ein tiefgreifender Grundrechtseingriff inmitten. Der Schutzbereich des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung wird bereits durch jedes Betreten der geschützten Räume gegen den Willen des Berechtigten beeinträchtigt (vgl. Kluckert in BeckOK, GG, Stand: 15.11.2021, Art. 13 Rn. 6). Dabei bedeutet schon das Betreten solcher Räume durch Beamte angesichts einer in Aussicht gestellten Durchsuchung eine derart große Bedrohung der Unverletzlichkeit der Wohnung, dass von einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff auszugehen ist (vgl. Wolff in Hömig/Wolff, GG, 13. Auflage 2022, Art. 13 Rn. 9).
20
Die Klage ist auch begründet.
21
Mit seiner Klage richtet sich der Kläger gegen den richtigen Beklagten. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist die Klage gegen den Rechtsträger der handelnden Behörde - hier mithin den Freistaat Bayern - zu richten. Die Beamten der PI Dachau als örtlich zuständige Polizeibehörde sind vorliegend im Wege der Vollstreckungshilfe für das Landratsamt tätig geworden (vgl. Art. 37 Abs. 2 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz - VwZVG - i.V.m. Art. 2 Abs. 4 PAG). Die Durchsuchung der klägerischen Wohnung diente der Maßnahmenrichtung nach allein dem Auffinden der Kennzeichenschilder und der Zulassungsbescheinigung Teil I für die zwangsweise Außerbetriebsetzung des klägerischen Kfz. Insoweit sind die in diesem Zusammenhang getroffenen Maßnahmen der Polizei dem Landratsamt als Vollstreckungsbehörde zuzurechnen. Die Aufgaben der Kraftfahrzeugzulassungsstellen bei den bayerischen Landratsämtern gehören als reine Staatsaufgaben zum Bereich der unmittelbaren staatlichen Verwaltung. In seiner Eigenschaft als Zulassungsstelle handelt das Landratsamt demnach als Staatsbehörde i.S.d. Art. 37 Abs. 1 S. 2 LKrO; der zu verklagende Rechtsträger ist mithin der Freistaat Bayern.
22
Das Betreten und Durchsuchen der Wohnung des Klägers durch die Polizei am 11. Februar 2019 war rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
23
Da die Polizei vorliegend bei der Durchsuchung im Wege der Vollstreckungshilfe für das Landratsamt tätig geworden ist (vgl. Art. 37 Abs. 2 VwZVG i.V.m. Art. 2 Abs. 4 PAG), beurteilt sich die rechtliche Zulässigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen anhand der Art. 34 ff. VwZVG. Nach Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG sind die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde sowie Polizeibeamte befugt, das Anwesen bzw. die Wohnung des Pflichtigen zu betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 und 2 GG dürfen Wohnungsdurchsuchungen außer bei Gefahr in Verzug nur auf Grundlage einer richterlichen Anordnung erfolgen (vgl. BVerfG, B.v. 3.4.1979 - 1 BvR 994/76 - juris Rn. 24 ff. m.w.N.; B.v. 17.3.2009 - 2 BvR 1940/05 - juris Rn. 21). Zwar enthält Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG selbst keinen richterlichen Erlaubnisvorbehalt. Im Hinblick auf die Vorschrift des Art. 13 Abs. 2 GG ist die Vorschrift jedoch verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung des Pflichtigen und das Öffnen verschlossener Türen und Behältnisse nur durch den Richter angeordnet werden darf (vgl. BVerfG, B. v. 3.4.1979 - 1 BvR 994/76 - juris Rn. 24 ff.).
24
Ausgehend hiervon erweisen sich die streitgegenständlichen polizeilichen Maßnahmen als rechtswidrig, weil sie ohne die erforderliche richterliche Anordnung erfolgt sind.
25
Bei dem Zimmer im Anwesen D. …str. …, 8. … H. …, zu dem sich die Polizeibeamten zum Zweck des Auffindens der zu entstempelnden Kennzeichenschilder sowie der Zulassungsbescheinigung Teil I Zutritt verschafft haben, handelt es sich um die Wohnung des Klägers. Der Begriff „Wohnung“ i.S.v. Art. 13 Abs. 1 und 2 GG ist dabei weit auszulegen; er umfasst grundsätzlich auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume, jedenfalls soweit sie der „räumlichen Privatsphäre“ des Betroffenen zuzurechnen sind (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2002 - 2 BvR 495/02 - juris Rn. 2 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - juris Rn. 39 ff.), mithin also auch die Keller-, Garagen- und sonstigen Nebenräume. Das Zimmer, in welchem der Kläger geschlafen und auch Besuch seiner nahen Familienangehörigen empfangen hat, war erkennbar - jedenfalls auch - privaten Wohnzwecken gewidmet und ist daher der räumlichen Privatsphäre des Klägers zuzuordnen.
26
Die Wohnung des Klägers ist am 11. Februar 2019 von den anwesenden Polizeibeamten gegen den Willen des Klägers betreten worden. Dies steht zweifelsfrei fest und wurde auch von Beklagtenseite nicht bestritten. Die Wohnung ist zudem auch durchsucht worden. Durchsuchung ist dabei das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Amtsträger in einer Wohnung, um dort planmäßig etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung nicht von sich aus offenlegen oder herausgeben will (vgl. Papier in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand: Juli 2021, Art. 13 Rn. 23 m.w.N.). Dabei ist auch dann von einer Durchsuchung auszugehen, wenn unmittelbar zur Durchsuchung angesetzt worden ist und der Betroffene das Öffnen seiner Schränke und Schubladen und die Durchsicht seiner Räumlichkeiten und Unterlagen durch die Herausgabe der gesuchten Gegenstände abwenden konnte. Auch wenn es nicht zu einer Durchsuchung im Sinne eines „wahllosen Herumwühlens“ kommt, bedeutet das Eindringen staatlicher Organe regelmäßig einen schweren Eingriff in die persönliche Lebenssphäre des Betroffenen (vgl. BVerfG, B.v. 18.9.2008 - 2 BvR 683/08 - juris Rn. 18). Indem die Beamten dem Kläger vorliegend die Durchsuchung androhten, die Wohnung des Klägers gegen dessen körperlichen Widerstand betraten und unter erneuter Androhung der Durchsuchung zur Verdeutlichung eine Schranktür öffneten, haben sie jedenfalls unmittelbar zum ziel- und zweckgerichteten Suchen angesetzt. Dass es nicht zu einer Fortsetzung der Durchsuchung durch die Beamten kam, war vorliegend allein dem Umstand geschuldet, dass der Kläger unter dem Eindruck der beginnenden Durchsuchung zur Vermeidung des Öffnens weiterer Türen und Behältnisse sowie der Durchsicht seiner persönlichen Gegenstände dazu veranlasst worden ist, die von den Beamten gesuchten Kennzeichenschilder herauszugeben. Dies vermag - wie ausgeführt - den schweren Eingriff in die persönliche Lebenssphäre des Klägers nicht zu mildern.
27
Die Polizeibeamten haben vorliegend die Wohnung des Klägers betreten und durchsucht, ohne dass das Landratsamt zuvor eine richterliche Anordnung hierfür eingeholt hat. Auch die Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand der Gefahr im Verzug waren nicht gegeben.
28
Gefahr im Verzug ist immer dann anzunehmen, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (vgl. BVerfG, B.v. 3.4.1979 - 1 BvR 994/76 - juris Rn. 43). Gefahr im Verzug muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus. Der Begriff „Gefahr im Verzug” in Art. 13 Abs. 2 GG ist eng auszulegen; die richterliche Anordnung einer Durchsuchung ist die Regel, die nichtrichterliche die Ausnahme (vgl. BVerfG, U.v. 20.2.2001 - 2 BvR 1444/00 - juris Rn. 38, 46). Dabei muss regelmäßig versucht werden, eine Anordnung des instanziell und funktionell zuständigen Richters zu erlangen, bevor eine Durchsuchung begonnen wird. Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, darf die Behörde selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen. Dem korrespondiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (vgl. BVerfG, U.v. 20.2.2001 - 2 BvR 1444/00 - juris Rn. 48).
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Die Verweigerung der Herausgabe durch den Kläger am Vortag vermag den erforderlichen Gefahrenverzug hier nicht zu begründen. Nach den Erfahrungen der Polizeibeamten vom Vortag war auch nicht mehr damit zu rechnen, dass der Kläger die gesuchten Gegenstände freiwillig an die Beamten herausgeben würde. Vor der erneuten Anfahrt der Wohnanschrift des Klägers am 11. Februar 2019 wäre es dem Landratsamt daher rechtlich wie zeitlich möglich gewesen, als Vollstreckungsbehörde eine richterliche Anordnung für die Durchsuchung der Wohnung des Klägers einzuholen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die kurzfristige Erlangung einer richterlichen Anordnung nicht möglich gewesen wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Darüber hinaus ist jedoch auch nicht erkennbar, dass das Auffinden der Kennzeichenschilder selbst bei weiterem Zuwarten zur Einholung einer richterlichen Anordnung gefährdet gewesen wäre. Dies gilt insbesondere angesichts der zu diesem Zeitpunkt bereits verstrichenen Zeit seit Erlöschen des Versicherungsschutzes Anfang Dezember 2018. Allein die Befürchtung, der Kläger könnte kurzfristig und spontan die bei ihm vorhandenen Kennzeichenschilder für Einzelfahrten an das Fahrzeug anbringen sowie Kennzeichenschilder oder Fahrzeug umlagern, reicht im Hinblick auf die oben dargelegten Grundsätze nicht aus, um eine Gefahr im Verzug zu begründen. Schließlich bestand auch die abstrakte Gefahr der Verletzung durch defekte Airbags zu diesem Zeitpunkt bereits so lange, dass sich hieraus eine akute Eilbedürftigkeit nicht ableiten lässt. Auch sind gegenüber dem Vortag veränderte Umstände, die sich erstmals im Rahmen des Polizeieinsatzes am 11. Februar 2019 gezeigt hätten und eine Gefahr im Verzug begründen könnten, weder vorgetragen noch ersichtlich. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Betreten und Durchsuchen der Wohnung des Klägers als rechtswidrig.
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Da die Voraussetzungen des Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG wegen Verstoßes gegen den verfassungsmäßig gebotenen Richtervorbehalt mithin vorliegend nicht erfüllt sind, lässt sich auch die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber dem Kläger, sei es durch „leichtes Zurückdrängen“ - so der Beklagte - oder durch „kräftiges Schubsen“ - so der Kläger -, zum Betreten der Wohnung nicht hierauf stützen. Die Anwendung körperlichen Zwangs gegen den Kläger erweist sich somit vorliegend ebenfalls als unrechtmäßig.
31
Durch die Maßnahmen wurde der Kläger in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzt.
32
Daher war der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
33
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.