Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 29.09.2022 – Au 9 E 22.30912
Titel:

Erfolgreiches Eilverfahren zur Sicherung eines Wiederaufnahmebegehrens gegen Abschiebungsandrohung nach Griechenland

Normenketten:
VwGO § 114, § 123
VwVfG § 48, § 49, § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylVfG § 80
Leitsatz:
Wird in der Hauptsache das Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG begehrt, ist das Wiederaufgreifen in unmittelbarer Anwendung des § 51 VwVfG zu prüfen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Irak, Folgeschutzantrag, Abschiebungsandrohung nach Griechenland, Alleinstehender Mann, Ermessensdefizit, Asylverfahren, Wiederaufgreifen, Eilrechtsschutz, einstweilige Anordnung, summarische Prüfung, Erfolgsaussichten, Anordnungsgrund, Anordnungsanspruch, Abschiebungsandrohung, Griechenland, Abschiebezielstaat, Abschiebeschutz, Ermessen, Ermessensfehler
Fundstelle:
BeckRS 2022, 39599

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einsteiligen Anordnung verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland aufgrund der bestandskräftigen Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. Oktober 2018 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht erfolgen darf.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsandrohung nach Griechenland.
2
Der am ... 1993 in, Irak, geborene Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am 1. September 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10. September 2018 einen Asylantrag. Nachdem eine Abfrage in der EURODAC-Datenbank ergeben hatte, dass der Antragsteller bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt hatte, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 24. September 2018 ein Wiederaufnahmeersuchen an die griechischen Behörden. Diese teilten mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 dem Bundesamt mit, dass dem Antragsteller in Griechenland am 2. April 2018 subsidiärer Schutz gewährt worden sei und er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten habe, die vom 11. April 2018 bis zum 10. April 2021 gültig sei.
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Mit Bescheid vom 8. Oktober 2018 (Gz. ...) wurde daraufhin der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Nr. 1). Weiterhin wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen (Nr. 2). Er wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er nach Griechenland abgeschoben. Er dürfe nicht in den Irak abgeschoben werden (Nr. 3). Das gesetzliche Einreiseund Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz unzulässig, weil ihm ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz gewährt habe. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Weder aufgrund der in Griechenland vorliegenden aktuellen humanitären Bedingungen noch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers sei eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nach Griechenland beachtlich wahrscheinlich.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. Oktober 2018 erhob der Kläger am 19. Oktober 2018 gegen den am 15. Oktober 2018 zugestellten Bescheid beim Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach Klage (Az.: AN 17 K 18.50796). Eine Klagebegründung erfolgte in diesem Verfahren nicht.
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Mit Urteil vom 15. März 2022 wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, das Bundesamt habe den Asylantrag zu Recht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz abgelehnt. Im Rahmen der Unzulässigkeitsentscheidung sei jedoch nach richtlinienkonformer Auslegung zu berücksichtigen, ob dem in einem anderen Mitgliedstaat Anerkannten nach einer Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Unter Berücksichtigung der im einzelnen aufgeführten Schilderung der tatsächlichen Situation für zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte ergebe sich in Zusammenschau mit dem Vortrag des Klägers im hierzu betrachtenden Einzelfall keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verelendung des Klägers bei einer Rückkehr nach Griechenland. Die Lebensverhältnisse von Schutzberechtigten stellten sich nach Auffassung des Gerichts nicht schon allgemein für jedweden Personenkreis als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh dar. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die in der Behörden- und Gerichtsakte enthaltene Entscheidung verwiesen. Die Entscheidung ist seit dem 9. Juli 2022 rechtskräftig.
6
Am 21. Juni 2022 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens mit dem Ziel festzustellen, dass nationale Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz im Hinblick auf Griechenland bestehen. Ausweislich aller vorliegenden Erkenntnismittel drohe jedem nach Griechenland zurückkehrenden Schutzberechtigten unabhängig von dessen Vulnerabilität die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Unter Bezugnahme auf im einzelnen dargestellte Erkenntnismittel und diese Einschätzung bestätigende obergerichtliche Urteile wird ausgeführt, es bestehe keine hinreichende tatsächliche Grundlage für die Annahme, dass anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland nicht in eine existenzielle Notlage geraten. Aufgrund der dargestellten neuen Erkenntnisse hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Griechenland sei das Verfahren wieder aufzugreifen und ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz hinsichtlich Griechenland festzustellen.
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Am 23. Juni 2022 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Verwaltungsgericht Augsburg einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Az.: Au 5 E 22.30699) mit dem Ziel der Antragsgegnerin aufzugeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers bis zur Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht erfolgen darf. Mit Beschluss vom 5. Juli 2022 wurde der Antrag an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Ansbach verwiesen (Az.: AN 17 E 22.50216).
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Mit Beschluss vom 15. Juli 2022 gab das Verwaltungsgericht Ansbach dem Antrag statt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, ein Anordnungsgrund sei gegeben, da nach Auskunft der Ausländerbehörde eine Abschiebung unmittelbar bevorstehe. Bei dem vorliegenden isolierten Folgeschutzantrag sei das Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht durch § 71 Abs. 1 Asylgesetz beschränkt, sondern in unmittelbarer Anwendung des § 51 VwVfG zu prüfen. Eine behördliche Ermessensentscheidung gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG in Verbindung mit §§ 48,49 VwVfG sei eröffnet. Zu Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei eine einstweilige Anordnung zu erlassen, wenn überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen und ohne den Erlass ein äußerst schwerwiegender Nachteil drohe. Überwiegende Erfolgsaussichten würden zwar nicht bestehen, insoweit werde auf die Gründe des Urteils vom 15. März 2022 verwiesen. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes seit dem Antrag jedoch stattzugeben, da im Hinblick auf die de facto irreversiblen Folgen einer Abschiebung und der fehlenden Chance einer weiteren rechtlichen Klärung in der Hauptsache im Eilverfahren eine umstrittene Rechtsauffassung einer Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden könne.
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Mit Bescheid vom 29. Juli 2022 (Gz. ...) lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 8. Oktober 2018 (Az.: ...) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes ab. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Voraussetzungen für ein Aufgreifen im vorliegenden Fall nicht gegeben seien, da die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG nicht vorlägen. Aufgrund des in Griechenland gewährten internationalen Schutzes könne der Antragsteller keine weitere Schutzgewährung verlangen, da auch sein erneuter Antrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wiederum als unzulässig abzulehnen wäre. Eine geänderte Sach- oder Rechtslage läge nicht vor, auch seien keine anderen Wiederaufgreifensgründe ersichtlich. Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG in Verbindung mit § 49 VwVfG im Ermessenswege lägen ebenfalls nicht vor. Zunächst sei auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. März 2022, rechtskräftig seit 9. Juli 2022, zu verweisen. Darüber hinaus werde darauf hingewiesen, dass der Antragsteller nicht glaubhaft vorgetragen habe, dass ihm im Griechenland eine Verletzung im Sinne von Art. 3 EMRK drohe. Es seien keine durchgreifenden Zweifel erkennbar, dass er als junger und arbeitsfähiger Mann seine wirtschaftliche Existenz in Griechenland sichern könne. Ihm sei schließlich möglich und zumutbar, bereits von Deutschland aus Vorkehrungen zu treffen, um die Rückkehr nach Griechenland zu organisieren und sicherzustellen. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die ausführliche Begründung des Bescheids verwiesen.
10
Der Bescheid wurde 2. August 2022 zur Post gegeben.
11
Am 19. August 2022 ließ der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage erheben (Az.: AN 17 K 22.50280) und zugleich einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes stellen (Az.: AN 17 E 22.50279). Mit Beschluss vom 26. August 2022 erklärte sich das Verwaltungsgericht Ansbach in beiden Verfahren für örtlich unzuständig und verwies die Rechtsstreitigkeiten an das Verwaltungsgericht Augsburg.
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Im Rahmen des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt der Bevollmächtigte des Antragstellers,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers auf Grundlage der bestandskräftigen Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Oktober 2018 mit dem Aktenzeichen ... vorläufig bis zur Entscheidung über die Klage nicht erfolgen darf.
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Zur Begründung wird ausgeführt, ausweislich aller vorliegenden Erkenntnismittel drohe jedem nach Griechenland zurückkehrenden Schutzberechtigten unabhängig von dessen Vulnerabilität die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Hiervon gingen auch weite Teile der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung aus. Insbesondere werde auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23 November 2021 (OVG 3 B 53.19 - juris) verwiesen, in dem dieses unter detaillierter Auswertung aktueller Erkenntnismittel zu dem Ergebnis komme, dass jedem anerkannten Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Griechenland eine Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh drohe. Dieser Rechtsprechung habe sich inzwischen auch das Oberverwaltungsgericht Sachsen mit Urteil vom 27. April 2022 (5 A 492/21.A) angeschlossen. Verwiesen wurde zudem auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 21.6.2022 (Az.: M 18 K 20.32727). Schließlich habe auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in mehreren vom Unterzeichner geführten Verfahren die Berufung aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage zugelassen.
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Die Antragsgegnerin legte die elektronischen Behördenakten vor und beantragt,
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den Antrag abzulehnen
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Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
18
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
19
Der zulässige Antrag ist begründet.
20
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Antragsteller etwaigen Abschiebemaßnahmen der Ausländerbehörde entgegenwirken will, statthaft.
21
Die Antragsgegnerin hat den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 8. Oktober 2018 abgelehnt, ohne eine weitere Abschiebungsandrohung zu erlassen. Daher bildet die im Bescheid vom 8. Oktober 2018 enthaltene bestandskräftige Abschiebungsandrohung i.V.m. der Mitteilung an die Ausländerbehörde, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG nicht vorliegen, gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Grundlage für den Vollzug einer Abschiebung des Antragstellers. Da die auf §§ 24 Abs. 3, 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG gestützte Mitteilung an die Ausländerbehörde kein Verwaltungsakt ist (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 31.5.2000 - 2 R 186/00 - juris), somit in der Hauptsache auch nicht mit der Anfechtungsklage angefochten werden kann, ist vorläufiger Rechtschutz nach zutreffender Auffassung nicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, sondern dergestalt zu gewähren, dass der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der nach Ablehnung des Antrags auf Wiederaufgreifen an diese ergangenen Mitteilung eine Abschiebung erfolgen darf (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 16.3.1999 - 2 BvR 2131/95 - InfAuslR 1999, 256; VGH Baden-Württemberg, B.v. 2.12.1997 - A 14 S 3104/97 - InfAuslR 1998, 193; B.v. 13.9.2000 - 11 S 988/00 - EZAR 632 Nr. 35).
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2. Der Antrag ist auch in der Sache begründet.
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a) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).
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Eine derartige einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 54).
26
b) Der Antrag richtet sich gegen das Bundesamt als richtigen Antragsgegner.
27
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde kommt nur in begründeten Ausnahmefällen und etwa dann in Betracht, wenn angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalles zu befürchten ist, dass die Antragsgegnerin gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde nicht mehr rechtzeitig den Vollzug der Abschiebung durch die beschriebene Mitteilung verhindern kann (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 71 AsylG Rn. 49).
28
Dies gilt auch für die Sicherung des Wiederaufnahmebegehrens bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. Nach der Asylantragstellung obliegt dem Bundesamt gemäß § 24 Abs. 2 AsylG die alleinige Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. An diese Entscheidung ist die zuständige Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylG gebunden. Wirkungsvoller Rechtsschutz ist damit im spezifisch asylrechtlichen Verfahren gewährleistet. Das zu sichernde Wiederaufnahmebegehren zielt darauf ab, im Wege der Änderung der frühen Entscheidung nunmehr eine positive Feststellung des Bundesamtes für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses zu erlangen. Dieses Ziel ist nach Erlass eines ablehnenden Bescheides mit der Verpflichtungsklage gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verfolgen (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.1999 - 1 C 6.99 - juris), dementsprechend ist auch hier vorläufiger Rechtschutz durch Erlass einer einstweiligen Anordnung § 123 VwGO gegenüber dem Bundesamt als Antragsgegnerin zu gewähren.
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Die Antragsgegnerin, die über den gestellten Wiederaufgreifensantrag zu entscheiden hat, hat sicherzustellen, dass die Ausländerbehörde bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig von einer Abschiebung absieht. Ein Ausländer, der lediglich ein Wiederaufgreifen bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten begehrt, kann zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) vorläufigen Rechtsschutz gegenüber dem für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots zuständigen Bundesamt beantragen, der im Ergebnis darauf gerichtet ist, sicherzustellen, dass die zuständige Ausländerbehörde vorläufig von einer Abschiebung absieht.
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c) Es ist auch von einem Anordnungsgrund auszugehen. Dem vorangegangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beim Verwaltungsgericht Ansbach (AN 17 E 22.50216) ist zu entnehmen, dass die Ausländerbehörde am 26. Juli 2022 eine Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland geplant hatte, die aufgrund des am 15. Juli 2022 erfolgreichen Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unterblieb. Es muss daher weiterhin davon ausgegangen werden, dass die Ausländerbehörde in naher Zukunft erneut eine Abschiebung des Antragstellers in Betracht zieht.
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d) Ein Anordnungsanspruch ist ebenfalls gegeben.
32
Der Antragsteller begehrt in der Hauptsache das Wiederaufgreifen bezüglich der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG. Wird ein Antrag lediglich bezüglich des Wiederaufgreifens hinsichtlich der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, gestellt, ist das Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht durch § 71 Abs. 1 AsylG beschränkt, sondern ist in unmittelbarer Anwendung des § 51 VwVfG zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor, hat das Bundesamt nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird. Insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (BVerwG, B.v. 15.1.2001 - 9 B 475.00 - juris Rn. 5). Dieser Anspruch verdichtet sich mit Blick auf das Schutzgebot in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dann zu einem Rechtsanspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Prüfung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG und erlaubt damit ein durchentscheiden des Gerichts zugunsten eines Antragstellers, wenn ein Festhalten an der bestandskräftigen negativen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde (BVerwG, U.v. 13.8.2020 - 1 C 23.19 - juris Rn. 19). Das kommt insbesondere in Betracht, wenn ein Antragsteller bei einer Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation ausgesetzt sein würde und das Absehen von einer Abschiebung daher verfassungsrechtlich zwingend geboten ist (BVerwG, U.v. 20.10.2004 - 1 C 15.03 - juris).
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Es spricht zwar einiges dafür, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, da der Antragsteller keine neuen Umstände geltend macht, die erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens entstanden sind. Die Klage gegen den Bescheid vom 8. Oktober 2018, in dem festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bezüglich Griechenland nicht vorliegen, wurde mit Urteil vom 15. März 2022 abgewiesen. Das Urteil ist seit 9. Juli 2022 rechtskräftig. Die vom Antragsteller in seinem Antrag vom 21. Juni 2022 geltend gemachten Gründe für ein Wiederaufgreifen bezüglich der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten beziehen sich ausschließlich auf die prekäre Situation von anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland. Es handelt sich insoweit um keine neuen Gesichtspunkte, die nach Ergehen der gerichtlichen Entscheidung entstanden sind und aus denen zu schließen wäre, dass eine Abschiebung nach Griechenland im konkreten Fall nicht möglich ist.
34
Allerdings sind die Erfolgsaussichten insoweit zumindest als offen anzusehen, als das Bundesamt eine Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens zu entscheiden hat. Im streitgegenständlichen Bescheid verweist das Bundesamt im Rahmen der Ermessensentscheidung auf die bezüglich des Antragstellers ergangene Gerichtsentscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. März 2022, in dem ausführlich auf die Situation Schutzberechtigte in Griechenland und die individuelle Situation des Antragstellers eingegangen worden sei. Das Bundesamt folge dieser Entscheidung vollumfänglich. Ergänzend wird ausgeführt, dass der Antragsteller nicht vorgetragen habe, dass ihm in Griechenland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohe, so dass die Voraussetzungen für eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht vorlägen.
35
Auch unter Berücksichtigung der nach § 114 VwGO nur eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit des dem Bundesamt eingeräumten Ermessens, leidet diese Entscheidung an einem Ermessensfehler. Dem erkennen Gericht ist aus einer Vielzahl von anhängigen Gerichtsverfahren gegen Bescheide des Bundesamts, die im Zeitraum Juli/August 2022 entschieden wurden und deren Gegenstand (auch) die Unzumutbarkeit bzw. Zumutbarkeit einer Abschiebung nach Griechenland war, bekannt, dass die Antragsgegnerin selbst zuletzt davon ausgegangen ist, dass jedem Antragsteller aufgrund der in Griechenland herrschenden Lebensverhältnisse eine Rückkehr dorthin nicht möglich und nicht zumutbar ist. Aus diesem Grund hat es unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 19.3.2019 - C-297/17) trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig und eine Überstellung nach Griechenland für nicht zulässig gehalten. Vielmehr wurde das Asylverfahren in eigener Zuständigkeit inhaltlich vollumfänglich geprüft. Die Antragsgegnerin ist - zumindest in den letzten drei Monaten und somit zu einer Zeit, in der auch über den Antrag des Antragstellers entschieden wurde - ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass angesichts der in Griechenland zu erwartenden Lebensverhältnisse der Eintritt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK beachtlich wahrscheinlich sei und eine Rückkehr dorthin nicht möglich sei. Diese Vorgehensweise erfolgte nicht nur bei sogenannten vulnerablen Personen, sondern grundsätzlich auch bei alleinstehenden und arbeitsfähigen Männern. Eine Begründung, warum im Fall des Antragstellers von der vom Bundesamt in einer Vielzahl von Fällen geübten Entscheidungspraxis abgewichen wurde, enthält der streitgegenständliche Bescheid nicht. Auch hat sich das Bundesamt hierzu im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht geäußert. Die Antragsgegnerin hat daher nicht alle in die Entscheidung einzubeziehenden Gesichtspunkte berücksichtigt, so dass ein Ermessensdefizit vorliegt.
36
Zum anderen ist die Frage, ob jedem nach Griechenland zurückkehrenden Schutzberechtigten unabhängig von dessen Vulnerabilität die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK droht, in der Rechtsprechung umstritten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zu dieser Frage die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (z.B. B.v. 25.5.2022 - 24 ZB 22.30297). Zu einer Entscheidung kam es nicht mehr, weil die Antragsgegnerin das von ihr eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen hatte.
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Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist daher dem Antrag stattzugeben, da der Ausgang eines negativen Rechtsschutzverfahrens dazu führen würde, dass der Antragsteller vor Durchführung des Hauptsacheverfahrens abgeschoben werden dürfte und er eine endgültige Klärung der aufgeworfenen Frage im Klageverfahren von Griechenland aus betreiben müsste. Das würde für ihn eine unzumutbare Hürde für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes darstellen.
38
Dem Antrag ist daher stattzugeben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.