Titel:
Erfolgreiche Klage gegen Kostenbeitrag für Jugendhilfemaßnahme mangels korrekter Aufklärung
Normenketten:
SGB VIII § 10 Abs. 2 S. 2, § 35a Abs. 2 Nr. 2, Nr. 4, § 40, § 91, § 92 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3, § 94 Abs. 3, Abs. 4
VwGO § 74 Abs. 1 S. 1
VwZG § 7 Abs. 1 S. 2, § 8
KostenbeitragsV § 7
Leitsätze:
1. Die Klagefrist des § 74 VwGO beginnt erst mit der Zustellung an den Bevollmächtigten, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat und die Vorlage dem die Zustellung veranlassenden Bediensteten bekannt war oder ihm hätte bekannt sein müssen. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Jugendhilfeträger ist nicht zur Erhebung von Kostenbeiträgen für eine Jugendhilfemaßnahme berechtigt, wenn er dem Kostenpflichtigen nicht hinreichend die Leistungsgewährung mitteilt und ihn über die unterhaltsrechtlichen Folgen gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 SGB VIII aufklärt. (Rn. 59 – 77) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenbeitrag aus dem Einkommen für teilstationäre Eingliederungshilfe, Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes für stationäre Eingliederungshilfe, keine ordnungsgemäße Aufklärung über die Folgen der Leistungsgewährung für die Unterhaltspflicht, Eingliederungshilfe, Jugendhilfe, Kostenbeitrag, Unterhaltspflicht, Naturalunterhalt, Aufklärung, Klagefrist, Zustellungsmangel, Zustellung, Vollmacht
Fundstelle:
BeckRS 2022, 39510
Tenor
I.Ziffer II. des Kostenbeitragsbescheids des Beklagten vom 9. Mai 2017 sowie der Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 10. Mai 2017, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. September 2018, werden aufgehoben.
II.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag aus dem Einkommen (für den Hilfezeitraum 1. Januar bis 12. August 2016) sowie in Höhe des Kindergeldes (für den Hilfezeitraum 12. September 2016 bis 31. August 2018) für die seinem Sohn bewilligte Eingliederungshilfe.
2
Der Kläger hat einen am 30. November 2004 geborenen Sohn L.
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Mit Bescheid des Beklagten vom 4. September 2012 wurde für L. aufgrund des Antrags vom 30. März 2012 teilstationäre Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII für den Besuch einer heilpädagogischen Tagesstätte (im Folgenden: HPT) für die Jahre 2012/2013 (Eintrittstag: 10. September 2012) und 2013/2014 bewilligt.
4
Mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass für die teilstationäre Eingliederungshilfe ein Kostenbeitrag aus dem Einkommen erhoben werden könne.
5
Mit bestandskräftigem Kostenbeitragsbescheid vom 10. Januar 2014 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger einen Kostenbeitrag aus dem Einkommen für den Zeitraum vom 10. September 2012 bis 15. Oktober 2013 sowie vom 6. Dezember 2013 bis 31. Dezember 2013 fest.
6
Mit weiterem Schreiben vom selben Tag mit der Bitte um Selbstauskunft zu den Einkommensverhältnissen zur Berechnung des Kostenbeitrags für das Jahr 2014 wies der Beklagte u.a. den Kläger (erneut) darauf hin, dass für die teilstationäre Eingliederungshilfe ein Kostenbeitrag aus dem Einkommen zu leisten sei und machte Ausführungen zur Ermittlung von dessen Höhe.
7
Der Kläger und seine Ehefrau beantragten am 3. Juni 2014 die Weitergewährung der teilstationären Eingliederungshilfe. In dem von ihnen unterschriebenen Antragsformular waren insbesondere folgende Hinweise enthalten:
8
„Für vollstationäre Hilfen hat der kindergeldberechtigte Elternteil in jedem Fall einen Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes zu leisten (…).
9
Sofern Sie bisher nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften Unterhalt für die o.g. Person gezahlt haben, die nun Leistungen oder vorläufige Maßnahmen vom Jugendamt erhält, so zahlen Sie den bisher von Ihnen geleisteten Unterhalt zunächst direkt an das Kreisjugendamt München. Bei den jeweiligen Überweisungen auf unser unten genanntes Konto bei der Kreissparkasse München Starnberg geben Sie bitte folgenden Verwendungszweck an: (…) Nach Berechnung des Kostenbeitrags erfolgt dann eine Verrechnung mit den von Ihnen bereits an das Jugendamt geleisteten Zahlungen.
10
Soweit die Zahlung des Kostenbeitrags Ihre finanzielle Leistungsfähigkeit mindert oder der unterhaltsrechtliche Bedarf des jungen Menschen durch die vom Jugendamt gewährten Leistungen oder vorläufigen Maßnahmen nach dem SGB VIII gedeckt ist, ist dies bei der Berechnung des von Ihnen nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu leistenden Unterhalts zu berücksichtigen.
12
Sollte der bürgerlich-rechtliche Unterhalt weiterhin an den gesetzlichen Vertreter des unterhaltsberechtigen Kindes geleistet werden, so hätte dies hinsichtlich Ihrer Kostenbeitragsverpflichtung keine befreiende Wirkung. Diese Zahlungen können nicht mindernd auf Ihren Kostenbeitrag angerechnet werden.“
13
Mit Bescheid des Beklagten vom 22. Juli 2014 bewilligte dieser L. teilstationäre Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII für das HPT-Jahr 2014/2015.
14
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2014 mit der Bitte um Selbstauskunft zu den Einkommensverhältnissen zur Berechnung des Kostenbeitrags für das Jahr 2015 wies der Beklagte den Kläger u.a. (erneut) darauf hin, dass für die teilstationäre Eingliederungshilfe ein Kostenbeitrag aus dem Einkommen zu leisten sei und machte Ausführungen zur Ermittlung von dessen Höhe.
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Der Kläger und seine Ehefrau beantragten am 26. Mai 2015 die Weitergewährung der teilstationären Eingliederungshilfe für L. In dem von ihnen unterschriebenen Antragsformular waren ebenfalls die beim Antrag vom 3. Juni 2014 dargestellten Hinweise (s.o.) enthalten. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 1. September 2015 teilstationäre Eingliederungshilfe für L. gemäß § 35a SGB VIII für das HPT-Jahr 2015/2016.
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Mit bestandskräftigem Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 7. September 2015 wurden gegenüber dem Kläger Kostenbeiträge aus dem Einkommen für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2015 festgesetzt.
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Mit Schreiben des Beklagten vom 10. Dezember 2015 mit der Bitte um Selbstauskunft zu den Einkommensverhältnissen zur Berechnung des Kostenbeitrags für das Jahr 2016 wurden dem Kläger (erneut) Hinweise zur Kostenbeitragspflicht und zur Ermittlung der Höhe eines Kostenbeitrags aus dem Einkommen gegeben.
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Der Kläger und seine Ehefrau beantragten am 22. Februar 2016 für L. erstmalig stationäre Eingliederungshilfe. In dem von ihnen unterschriebenen Antragsformular waren wiederum die beim Antrag vom 3. Juni 2014 dargestellten Hinweise (s.o.) enthalten.
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Mit Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 13. Mai 2016 wurde der vom Kläger zu leistende Kostenbeitrag aus dem Einkommen für die teilstationäre Eingliederungshilfe für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis 31. August 2016 vorläufig festgesetzt.
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Mit Bescheid des Beklagten vom 4. Juli 2016 wurde für L. stationäre Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form der Unterbringung in dem Landschulheim E. für die Zeit vom 1. September 2016 bis 31. August 2018 gewährt. In diesem Bescheid waren insbesondere folgende Hinweise enthalten:
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„Sofern Sie bisher nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften für Ihr o.g. Kind, welches nun Leistungen oder vorläufige Maßnahmen vom Jugendamt erhält, gezahlt haben, so zahlen Sie den bisher von Ihnen geleisteten Unterhalt zunächst direkt an das Kreisjugendamt München. Nach Berechnung des Kostenbeitrages erfolgt dann eine Verrechnung mit den von Ihnen bereits an das Kreisjugendamt geleisteten Zahlungen.
22
Soweit die Zahlung des Kostenbeitrags Ihre finanzielle Leistungsfähigkeit mindert oder der unterhaltsrechtliche Bedarf des jungen Menschen durch die vom Kreisjugendamt gewährten Leistungen oder vorläufigen Maßnahmen nach dem SGB VIII gedeckt ist, ist dies bei der Berechnung des von Ihnen nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu leistenden Unterhalts zu berücksichtigen.“
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Mit Schreiben vom 14. Juli 2016 bat der Beklagte den Kläger und dessen Ehefrau um die Vorlage von Einkommensnachweisen zur Berechnung des Kostenbeitrags betreffend die stationäre Eingliederungshilfe ab dem 1. September 2016.
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Laut Austrittsmeldung der HPT vom 5. September 2016 trat L. am 12. August 2016 aus der Einrichtung aus. Laut Eintrittsanzeige des Landschulheims vom 19. September 2016 wurde L. am 12. September 2016 als Internatsschüler aufgenommen.
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Mit Schreiben vom 12. Oktober 2016 erteilte der Beklagte dem Kläger u.a. Hinweise zur Kostenbeitragspflicht bezüglich stationärer Eingliederungshilfe und zur Ermittlung der Höhe eines diesbezüglichen Kostenbeitrags aus dem Einkommen.
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Mit E-Mails vom 21. Oktober 2016, vom 28. Oktober 2016 und vom 3. November 2016 erörterten die Parteien rechtliche Fragen betreffend die Berechnung und Höhe eines künftigen Kostenbeitrags aus dem Einkommen für die stationäre Eingliederungshilfe.
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Mit streitgegenständlichem Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 9. Mai 2017 wurde in Ziffer II. hinsichtlich der teilstationären Unterbringung von L. der vom Kläger zu leistende Kostenbeitrag aus dem Einkommen für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis zum 12. August 2016 auf monatlich 490,00 € festgesetzt. In Ziffer III. dieses Bescheides wurde insbesondere geregelt, dass hierdurch der vorläufige Bescheid vom 13. Mai 2016 ersetzt werde. In der Begründung des Bescheids wurden überwiegend Ausführungen zu den rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen der Berechnung der Höhe des Kostenbeitrags gemacht. Der Bescheid wurde dem Kläger am 12. Mai 2017 per Postzustellungsurkunde zugestellt.
28
Mit Schreiben vom 10. Mai 2017 informierte der Beklagte den Kläger hinsichtlich der stationären Eingliederungshilfe insbesondere über die Kostenbeitragspflicht aus dem Einkommen sowie in Höhe des Kindergeldes.
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Mit ebenfalls streitgegenständlichem Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 10. Mai 2017 wurde hinsichtlich der stationären Unterbringung von L. der vom Kläger zu leistende Kostenbeitrag für die Zeit vom 12. September 2016 bis zum 31. August 2018 auf 5/7 vom Kindergeld in der jeweils gültigen Höhe (ab 12. September 2016 monatlich 135,71 € und ab 1. Januar 2017 monatlich 137,14 €) festgesetzt. In der Begründung des Bescheids wurden insbesondere Ausführungen zur Kostenbeitragspflicht und zur Berechnung der Höhe des Kostenbeitrags gemacht. Der Bescheid wurde dem Kläger am 12. Mai 2017 per Postzustellungsurkunde zugestellt.
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Mit Schreiben vom 18. Mai 2017 - eingegangen beim Beklagten als Anlage einer E-Mail am 18. Mai 2017 -, legte der Kläger Widersprüche gegen die Bescheide vom 9. Mai 2017 und vom 10. Mai 2017 ein.
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Mit Schreiben des Beklagten an den Kläger vom 23. Mai 2017 wurde der fristgerechte Eingang der o.g. Widersprüche bestätigt und um Widerspruchsbegründung gebeten. Mit Schreiben vom 15. September 2017 bat der Beklagte erneut um Widerspruchsbegründung.
32
Mit Kostenbeitragsbescheids des Beklagten vom 18. September 2017 (streitgegenständlich im Verfahren M 18 K 18.4907) wurde hinsichtlich der stationären Unterbringung von L. der vom Kläger zu leistende Kostenbeitrag aus dem Einkommen für die Zeit vom 12. September 2016 bis zum 31. Dezember 2016 auf monatlich 2.094,99 € festgesetzt.
33
Die Klägerbevollmächtigte legte mit Schreiben vom 23. Oktober 2017 an den Beklagten Widerspruch gegen den Kostenbeitragsbescheid vom 18. September 2017 ein und legte eine Vollmacht „in Sachen M. ./. Landratsamt München wegen Jugendhilfe für L., geb. …, Kostenbeitrag“ vor.
34
Mit Schreiben vom 31. August 2018 - beim Beklagten am selben Tag per Fax eingegangen - begründete die Klägerbevollmächtigte u.a. die Widersprüche betreffend die Bescheide vom 9. Mai 2017 und vom 10. Mai 2017. Sie führte im Wesentlichen aus, dass die Erhebung eines Kostenbeitrags für Jugendhilfemaßnahmen gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII insbesondere voraussetze, dass der Pflichtige über die Folgen der Leistungsgewährung für seine Unterhaltsverpflichtung aufgeklärt werde, und wies auf § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII hin.
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Mit streitgegenständlichem Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 4. September 2018 wurden die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 9. Mai 2017 und vom 10. Mai 2017 zurückgewiesen. In den Gründen des Widerspruchsbescheids wurde nicht auf die Mitteilungs- und Aufklärungspflicht gemäß § 92 Abs. 3 SGB VIII eingegangen. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 5. September 2018 per Postzustellungsurkunde zugestellt.
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Der Beklagte übermittelte der Regierung von Oberbayern mit E-Mail vom 6. September 2018 die Widerspruchbegründung der Klägerbevollmächtigten vom 31. August 2018. Mit Schreiben vom selben Tag informierte er die Klägerbevollmächtigte hierüber und wies sie insbesondere darauf hin, dass die Widerspruchsbegründung wegen Erlasses des Widerspruchsbescheids am 4. September 2018 nicht mehr habe berücksichtigt werden können. Es werde auf die Klagemöglichkeit gegen den Widerspruchsbescheid hingewiesen. Die von der Klägerbevollmächtigten im Schreiben vom 3. September 2018 geäußerte Rechtsauffassung werde nicht geteilt. Denn bereits mit Schreiben vom 10. Dezember 2015 sei die Mitteilung der Leistungspflicht erfolgt. Auch die vom Kläger unterschriebenen Anträge vom 26. Mai 2015 und vom 22. Februar 2016 hätten ausführlich die gesetzlichen Grundlagen gemäß §§ 91 ff. SGB VIII erläutert. Ebenso sei in den Hilfebescheiden vom 1. September 2015 sowie vom 4. Juli 2016 auf die Kostenbeitragspflicht hingewiesen worden. Im Schreiben des Beklagten vom 10. Mai 2017 sei ebenfalls darauf hingewiesen worden.
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Die Klägerbevollmächtigte erwiderte hierauf mit Schreiben vom 28. September 2018, dass eine Widerspruchsentscheidung bezüglich der Bescheide vom 9. Mai 2017 und vom 10. Mai 2017 bislang nicht ergangen sei, so dass es nicht zutreffe, dass die Widerspruchsbegründung nicht mehr habe berücksichtigt werden können.
38
Daraufhin teilte der Beklagte ihr mit Schreiben vom 23. Oktober 2018 mit, dass der Widerspruchsbescheid bereits am 4. September 2018 ergangen sei.
39
Die Klägerbevollmächtigte bat mit Schreiben vom 16. November 2018 die Regierung von Oberbayern um ordnungsgemäße Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids an sie, falls ein solcher bereits ergangen sein sollte.
40
Die Regierung von Oberbayern teilte der Klägerbevollmächtigten mit E-Mail vom 19. November 2018 mit, dass die vom Kläger selbst eingelegten Widersprüche vom 18. Mai 2018 mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 2018 zurückgewiesen worden seien, der dem Kläger per Postzustellungsurkunde am 5. September 2018 zugestellt worden sei.
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Nach Hinweis der Klägerbevollmächtigten auf § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG übersandte die Regierung von Oberbayern mit Schreiben vom 30. November 2018 den Widerspruchsbescheid vom 4. September 2018 an die Klägerbevollmächtigte, bei der er laut Empfangsbekenntnis am 3. Dezember 2018 einging.
42
Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2018 - bei Gericht eingegangen am 27. Dezember 2018 - erhob die Klagepartei Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,
43
Ziffer II. des Bescheids des Beklagten vom 9. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 4. September 2018, sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 4. September 2018, aufzuheben.
44
Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Heranziehung des Klägers zu einem Kostenbeitrag für eine Jugendhilfemaßnahme nicht vorlägen. Denn die Erhebung eines solchen Kostenbeitrags setze gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII insbesondere voraus, dass der Pflichtige über die Folgen der Leistungsgewährung für seine Unterhaltspflicht aufgeklärt werde. Insoweit werde auch auf § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII hingewiesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handele es sich bei der Aufklärung über die unterhaltsrechtlichen Folgen um eine Tatbestandsvoraussetzung der Kostenbeitragserhebung. Das Fehlen der entsprechenden Aufklärung oder die unzureichende Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung stehe der Erhebung eines Kostenbeitrags entgegen. Die Mitteilungs- und Aufklärungspflicht gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII treffe den Kostenbeitragsgläubiger ungeachtet des Umstands, ob der Kostenbeitragsschuldner vor Maßnahmenbeginn an den Hilfeempfänger Bar- oder Naturalunterhalt geleistet habe. Sie bestehe ferner unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Kostenbeitragspflichtige die Maßnahme kenne bzw. inwieweit er Kenntnisse über die unterhaltsrechtlichen Folgen der Jugendhilfegewährung besitze. Ausgehend vom Gesetzeszweck, nämlich einerseits den Kostenbeitragsschuldner vor möglichen Doppelleistungen zu schützen, ihm andererseits die Möglichkeit zu eröffnen, sich durch entsprechende finanzielle Dispositionen auf die Erhebung des Kostenbeitrags einzustellen, sei die Aufklärung über die unterhaltsrechtlichen Folgen der Kostenbeitragserhebung auf den einzelnen Hilfefall abzustimmen. Jedenfalls sei die Aufklärung des Kostenbeitragspflichtigen dahingehend erforderlich, dass die Jugendhilfemaßnahme unterhaltsrechtlich entlastende Wirkung besitze. Im Bescheid über die Gewährung der teilstationären Eingliederungshilfe vom 1. September 2015 finde sich zu den Auswirkungen der Hilfegewährung auf die Unterhaltspflicht des Klägers kein Hinweis. Der im Bescheid vom 4. Juli 2016 enthaltene Hinweis richte sich offensichtlich an einen bisher barunterhaltspflichtigen Elternteil und erfülle die Anforderungen des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII an die Aufklärung des Klägers über die Folgen der Leistungsgewährung für seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Sohn nicht. Denn die Formulierung erwecke die unzutreffende Annahme, dass trotz der übernommenen Vollzeitpflege weiterhin eine Unterhaltspflicht des Klägers bestehe, obgleich der Beklagte ihn darauf hätte hinweisen müssen, dass dies nicht der Fall sei. Denn wenn - wie im vorliegenden Fall - der Kostenbeitragserhebung eine Vollzeitpflegemaßnahme zugrunde liege, müsse der Unterhalt des Hilfeempfängers gemäß §§ 39 Abs. 1, 40 SGB VIII vom Jugendhilfeträger sichergestellt werden, was regelmäßig dazu führe, dass infolge der Bedarfsdeckung beim Hilfeempfänger kein zivilrechtlicher Unterhalt vom Unterhaltsschuldner mehr zu leisten sei. In einem solchen Fall sei der Kostenbeitragspflichtige darüber aufzuklären, dass der zivilrechtliche Unterhalt durch die Jugendhilfemaßnahme entfalle. Es wurde zudem darauf hingewiesen, dass der Kläger Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für L. zahle, die sich im Jahr 2016 auf insgesamt 2.010,18 € und im Jahr 2017 auf 2.082,45 € belaufen hätten.
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Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 4. Januar 2019,
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und führte zur Begründung seines Antrags insbesondere aus, dass die Klage unbegründet sei, insbesondere sei der Beklagte seiner Mitteilungs- und Aufklärungspflicht in den vergangenen Jahren ausreichend nachgekommen. Denn der Kläger sei regelmäßig darüber aufgeklärt worden, dass und inwieweit die für L. gewährte Jugendhilfe kostenbeitragspflichtig sei. Hinsichtlich der teilstationären Eingliederungshilfe sei mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 die erste Mitteilung über die Leistungspflicht an den Kläger erfolgt. Mit Schreiben vom 10. Januar 2014 und vom 10. Dezember 2014 sei erneut eine Mitteilung über die Kostenbeitragspflicht an den Kläger ergangen. Bereits in dem von den Eltern von L. unterschriebenem Jugendhilfeantrag vom 3. Juni 2014 seien Hinweise und Informationen zur Kostenbeitragspflicht enthalten gewesen. Auch der von ihnen unterschriebene Antrag vom 26. Mai 2015 beinhalte die Mitteilung über die Leistungspflicht. Zudem sei mit Schreiben vom 10. Dezember 2015 eine Mitteilung der Leistungspflicht erfolgt. Hinsichtlich der stationären Eingliederungshilfe für L. beinhalte der von dessen Eltern unterschriebene Antrag vom 22. Februar 2016 ebenfalls die erforderlichen Informationen zur Kostenbeitragspflicht. Mit Schreiben vom 14. Juli 2016 sei den Eltern von L. erläutert worden, dass zur Berechnung des künftig zu zahlenden Kostenbeitrags ab September 2016 noch der Einkommenssteuerbescheid 2015 vorzulegen sei. Es seien dann einige klärende E-Mails zwischen dem Kläger und dem Beklagten erfolgt. Somit hätten die vom Kläger unterschriebenen Anträge die erforderlichen Hinweise über die Leistungspflicht mit Angabe der Rechtsgrundlagen enthalten und auch in sämtlichen Kostenbeitragsbescheiden der Vorjahre seien die gesetzlichen Grundlagen der Leistungspflicht immer erläutert worden. Die im Bescheid zur Hilfegewährung vom 4. Juli 2016 gemachten Angaben zur Unterhaltspflicht würden lediglich besagen, dass ein kostenbeitragspflichtiger Elternteil, sofern er bisher Unterhalt gezahlt habe, diesen zunächst an das Kreisjugendamt und nicht mehr an den anderen Elternteil zahlen solle und dass der bezahlte Betrag dann auf den noch festzusetzenden Kostenbeitrag angerechnet werde.
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Am 16. November 2022 fand mit den Beteiligten eine mündliche Verhandlung statt. Zu deren Verlauf wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Behördenakten auch in den Verfahren M 18 K 18.4907 und M 18 K 18.5667 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet. Ziffer II. des Kostenbeitragsbescheids des Beklagten vom 9. Mai 2017 sowie der Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 10. Mai 2017, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. September 2018, sind rechtswidrig und der Kläger wird dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgemäß erhoben.
51
Die Klageerhebung mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2018 - bei Gericht eingegangen am 27. Dezember 2018 - erfolgte i.S.v. § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats nach wirksamer Zustellung des Widerspruchsbescheids und daher fristgemäß.
52
Eine wirksame Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2018 erfolgte erst durch dessen Zustellung an die Klägerbevollmächtigte am 3. Dezember 2018. Die zuvor am 5. September 2018 erfolgte Zustellung des Widerspruchsbescheides an den Kläger persönlich ist hingegen wegen Verstoßes gegen § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG unwirksam. Denn gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 2 BayVwZVG bzw. § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG sind Zustellungen an den allgemeinen oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten zu richten, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Allerdings muss die Vorlage auch dem die Zustellung veranlassenden Bediensteten bekannt gewesen sein oder ihm bekannt sein müssen. Hat die Behörde entgegen § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG an den Vollmachtgeber selbst zugestellt, ist die Zustellung unwirksam. Auch die Klagefrist des § 74 VwGO beginnt erst mit der Zustellung an den Bevollmächtigten (vgl. NdsOVG, B.v. 13.3.2009 - 11 PA 157/09 - juris Rn. 2; Schlatmann in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG - VwZG, 12. Auflage 2021, § 7 VwZG, Rn. 7 f.; Ronellenfitsch in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand: 1.10.2019, § 7 VwZG, Rn. 22).
53
Die Klägerbevollmächtigte hatte sich bereits mit Schreiben vom 23. Oktober 2017 unter Vollmachtsvorlage als anwaltliche Vertreterin des Klägers bestellt (s.o.). Für Inhalt und Umfang einer solchen Vollmacht ist maßgebend, wie sie der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Sie muss sich auf die Angelegenheit erstrecken, in der zugestellt wird, also wenigstens auch auf das betreffende Verfahren (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.1988 - 8 C 8/86 - NJW 1988, 1612; Ronellenfitsch in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand: 1.10.2019, § 7 VwZG, Rn. 5; Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG - VwZG, 12. Auflage 2021, § 7 VwZG, Rn. 3).
54
Die mit Schreiben vom 23. Oktober 2017 vorgelegte Vollmacht bezieht sich bei objektiver Würdigung nicht nur auf die Vertretung des Klägers in Bezug auf den Kostenbeitragsbescheid vom 18. September 2017, hinsichtlich dem in diesem Schreiben Widerspruch eingelegt wurde, sondern auf alle Widerspruchsverfahren/Rechtsstreitigkeiten bzgl. sämtlicher Kostenbeitragsbescheide betreffend Jugendhilfe für L., die zwischen dem Kläger und dem Beklagten strittig sind. Denn der „Betreff“ der vom Kläger unterschriebenen „Prozessvollmacht/Verfahrensvollmacht“ ist sehr weit gefasst, indem dort „in Sachen M. ./. Landratsamt München“ und „wegen Jugendhilfe für L., geb. …, Kostenbeitrag“ aufgeführt wird. Eine Beschränkung auf das Widerspruchsverfahren betreffend den Kostenbeitragsbescheid vom 18. September 2017 lässt sich der Vollmacht nicht entnehmen. Sie ermächtigt auch ausdrücklich zur „Entgegennahme von Zustellungen“. Daher ist sie dahingehend zu verstehen, dass der Kläger von seiner Bevollmächtigten ab dem 23. Oktober 2017 auch hinsichtlich der streitgegenständlichen Bescheide vom 9. Mai 2017 und vom 10. Mai 2017 vertreten werden wollte. Dies gilt umso mehr, als die Klägerbevollmächtigte im Schreiben vom 23. Oktober 2017 ausdrücklich auf die Widersprüche vom 18. Mai 2017 Bezug nahm.
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Der die Zustellung veranlassende Bedienstete bei der Regierung von Oberbayern wusste auch seit dem Vorlageschreiben des Beklagten vom 24. August 2018 (mit Aktenvorlage) von der Bestellung der Klägerbevollmächtigten zur anwaltlichen Vertreterin des Klägers.
56
Der Zustellungsmangel wurde gemäß § 8 VwZG erst mit der Zustellung an die Klägerbevollmächtige geheilt.
57
Gemäß § 8 VwZG gilt ein Dokument, wenn sich dessen formgerechte Zustellung nicht nachweisen lässt oder es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Empfangsberechtigter ist derjenige, an den die Zustellung nach dem Gesetz zu richten war oder gerichtet werden konnte. Darunter fallen auch Zustellungsbevollmächtigte i.S.v. § 7 VwZG. Die fehlende Übergabe an den Bevollmächtigen, der es jedoch später erhält, ist ein heilbarer Zustellungsmangel (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.1988 - 8 C 8/86 - NJW 1988, 1612; Ronellenfitsch in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand: 1.10.2019, § 8 VwZG, Rn. 8, 13; Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG - VwZG, 12. Auflage 2021, § 8 VwZG Rn. 3). Im vorliegenden Fall kann nicht nachgewiesen werden, dass der Widerspruchsbescheid vom 4. September 2018 der Klägerbevollmächtigten im Nachgang zur o.g. Zustellung am 5. September 2018 vom Kläger oder von dritter Seite übermittelt wurde und diese daher von dessen Inhalt Kenntnis nehmen konnte. Eine Heilung des Zustellungsmangels ist daher erst mit der Zustellung des Widerspruchsbescheids an die Klägerbevollmächtigte, die laut Empfangsbekenntnis am 3. Dezember 2018 erfolgte (s.o.), eingetreten, so dass der Widerspruchsbescheid gemäß § 8 VwZG als an diesem Tag wirksam zugestellt gilt.
58
Die Klage ist auch begründet.
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Mangels hinreichender Mitteilung und Aufklärung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII war der Beklagte nicht zur einer Erhebung der streitgegenständlichen Kostenbeiträge berechtigt.
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Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Kostenbeitragsbescheide sind § 92 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 SGB VIII i.V.m. § 91 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII sowie § 94 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 SGB VIII i.V.m. § 7 KostenbeitragsV.
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Demnach werden unterhaltspflichtige Personen gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zwar nach Maßgabe der §§ 90 ff. SGB VIII an den Kosten für Leistungen nach dem SGB VIII beteiligt. Somit durfte der Beklagte den Kläger im Hinblick auf die seinem Sohn L. im, im vorliegendem Verfahren streitgegenständlichen, Zeitraum von 1. Januar 2016 bis 12. August 2016 gemäß § 35a Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII gewährte teilstationäre Eingliederungshilfe gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 SGB VIII i.V. m. § 91 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII grundsätzlich aus seinem Einkommen zu einem Kostenbeitrag heranziehen. Zudem durfte der Beklagte den Kläger im Hinblick auf die seinem Sohn L. im, im vorliegendem Verfahren streitgegenständlichen, Zeitraum von 12. September 2016 bis 31. August 2018 gewährte stationäre Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 SGB VIII grundsätzlich zu einem Kostenbeitrag in Höhe von 5/7 des Kindergeldes heranziehen.
62
Jedoch kann gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ein Kostenbeitrag u.a. bei Eltern erst ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt wurde und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde (sog. „informierter Kostenbeitrag“; vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2018 - 12 C 15.2631 - juris Rn. 6; Kunkel/Kepert in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Auflage 2022, § 92, Rn. 17). Der Beklagte hatte den Kläger im Vorfeld der Bescheide vom 9. Mai 2017 und vom 10. Mai 2017 zwar im Sinne von § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB VIII hinreichend über die Gewährung der Leistung informiert. Jedoch hat er ihn nicht i.S.v. § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII ordnungsgemäß über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn L. aufgeklärt, so dass die Bescheide materiell rechtswidrig sind.
63
Denn bei der Mitteilung der Leistungsgewährung und der Aufklärung über die unterhaltsrechtlichen Folgen gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII handelt es sich um eine materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung der Kostenbeitragserhebung, da das Recht zu seiner Erhebung an die Mitteilung an den Beitragspflichtigen anknüpft, die des Weiteren um einen deutlichen Hinweis auf die mögliche Erhebung eines Kostenbeitrags ergänzt werden muss. Das Fehlen der entsprechenden Mitteilung bzw. Aufklärung oder die unzureichende Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung steht der Erhebung eines Kostenbeitrags entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 - 5 C 22/11 - juris Rn. 9 ff.; BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 17.7.2018 - 12 C 15.2631 - juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 8.12.2014 - 4 LA 46/14 - juris Rn. 2; VGH BW, U.v. 15.9.2021 - 12 S 487/19 - juris Rn. 47). Das Gericht hat dies von Amts wegen zu prüfen (vgl. OVG NW, B.v. 28.11.2018 - 12 A 2855/17 - juris Rn. 9; VG Würzburg, U.v. 24.10.2019 - W 3 K 17.1353 - juris Rn. 33). Unterbleibt die Mitteilung oder erfolgt sie nicht unverzüglich, ist die Erhebung eines Kostenbeitrags erst mit dem Zeitpunkt möglich, zu dem diese nachgeholt wird. Ein Kostenbeitrag kann also für einen vor der Mitteilung liegenden Zeitraum nicht rückwirkend erhoben werden. Eine Heilung oder Unbeachtlichkeit nach §§ 41, 42 SGB X analog scheiden daher aus (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2018 - 12 C 15.2631 - juris Rn. 6; VGH BW, U.v. 15.9.2021 - 12 S 487/19 - juris Rn. 47; Kunkel/Kepert in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Auflage 2022, § 92 Rn. 17).
64
Da es sich bei der Belehrung nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII somit um eine allgemein geltende Tatbestandsvoraussetzung für die Beitragserhebung handelt, die nicht nach dem individuellen Kenntnisstand und der Vorbildung des Kostenbeitragspflichtigen differenziert, besteht sie unabhängig davon, ob und in welchem Umfang dieser die Jugendhilfemaßnahme bereits kennt bzw. inwieweit er bereits Kenntnisse über die unterhaltsrechtlichen und beitragsrechtlichen Folgen der Jugendhilfegewährung besitzt (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 28; VGH BW, U.v. 15.9.2021 - 12 S 487/19 - juris Rn. 51; für einen Volljuristen als Kostenbeitragspflichtigen: NdsOVG, B.v. 8.12.2014 - 4 LA 46/14 - juris Rn. 10).
65
Die Mitteilungs- und Aufklärungspflicht gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ist auch nicht nur auf den Kostenbeitrag aus dem Einkommen gemäß §§ 91 ff. SGB VIII anwendbar, sondern ist aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts („ein Kostenbeitrag“), der nicht zwischen dem Kostenbeitrag aus dem Einkommen und dem Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes differenziert, auch materielle Tatbestandsvoraussetzung für die Erhebung eines Kostenbeitrags in Höhe des Kindergeldes i.S.v. § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII (vgl. BVerwG, U.v. 21.10.2015 - 5 C 21/14 - juris Rn. 11, 26 ff.; VGH BW, U.v. 15.9.2021 - 12 S 487/19 - juris Rn. 46; OVG RhPf, B.v. 24.10.2014 - 7 D 10511/14 - juris Rn. 10, 13; VG Dresden, U.v. 1.4.2020 - 1 K 5201/17 - juris Rn. 24; VG Berlin, U.v. 7.12.2011 - 18 K 204.09 - juris Rn. 17 ff.). Dies gilt umso mehr, als der Wortlaut des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII dahingehend zu verstehen ist, dass sich die Belehrung über die Folgen für die Unterhaltpflicht nicht auf die unterhaltsrechtlichen Folgen der Kostenbeitragspflicht, sondern auf diejenigen der Leistungsgewährung, also der Jugendhilfemaßnahme, bezieht. Denn die Aufklärung über die Folgen für die Unterhaltspflicht i.S.v. § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII setzt zumindest voraus, dass der Betreffende über die in § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII benannten Folgen der Gewährung von Jugendhilfe für den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch belehrt wird (vgl. OVG NW, U.v. 1.4.2011 - 12 A 1292/09 - juris Rn. 81 f.; OVG NW, B.v. 9.9.2010 - 12 A 1567/09 - juris Rn. 4 f.). Somit kommt es auch bezüglich des Kostenbeitrags in Höhe des Kindergeldes hinsichtlich des Inhalts der Belehrung nicht darauf an, ob die Erhebung dieses Kostenbeitrags (unmittelbare) Folgen für die zivilrechtliche Unterhaltspflicht des unterhaltspflichtigen Elternteils gegenüber dem Kind hat. Maßgeblich ist vielmehr auch insoweit eine ordnungsgemäße Aufklärung über die Folgen der Gewährung der Jugendhilfemaßnahme auf die o.g. Unterhaltspflicht.
66
§ 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII legt fest, dass, soweit die Zahlung eines Kostenbeitrags die Leistungsfähigkeit der Unterhaltspflichtigen mindert oder der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen der Jugendhilfe gedeckt ist, dies bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen ist. Allein die Wiedergabe des Normtextes von § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII ist aber nicht ausreichend für die Annahme einer ordnungsgemäßen Aufklärung i.S.v. § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII, weil es in diesem Fall an jeglicher Konkretisierung der abstrakten Norm mit Blick auf die Verhältnisse des unterhaltspflichtigen Elternteils fehlt. Denn ob und inwieweit sich dessen Unterhaltspflichten durch die Leistung eines Kostenbeitrags und die Gewährung von Jugendhilfe verändern, lässt sich allein aus dem abstrakten Normtext nicht ableiten (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 20, 22; VGH BW, U.v. 15.9.2021 - 12 S 487/19 - juris Rn. 48; Nds OVG, B.v. 21.11.2011 - 4 LA 40/11 - juris Rn. 4 ff.; OVG NW, U.v. 1.4.2011 - 12 A 1292/09 - juris Rn. 84). Ausgehend vom Gesetzeszweck der Hinweis- und Aufklärungspflicht, nämlich einerseits den Kostenbeitragsschuldner vor möglichen Doppelleistungen zu schützen, ihm andererseits die Möglichkeit zu eröffnen, sich durch entsprechende finanzielle Dispositionen auf die Erhebung des Kostenbeitrags einzustellen, ist die Aufklärung über die unterhaltsrechtlichen Folgen der Kostenbeitragserhebung vielmehr auf den einzelnen Hilfefall abzustimmen. Dabei hat sich der Umfang der Informationspflicht - ausgehend vom o.g. Schutzzweck der Norm - an den jeweiligen wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten der Kostenbeitragspflichtigen zu orientieren. Den Betroffenen sind somit in erster Linie die für sie relevanten Informationen zu vermitteln, um vermögensrechtliche Fehldispositionen im Zusammenhang mit der Entstehung der Kostenbeitragspflicht zu vermeiden (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 - 5 C 22.11 - juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 17.7.2018 - 12 C 15.2631 - juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 7.7.2014 - 12 A 149/14 - juris Rn. 15 f.; VGH BW, U.v. 15.9.2021 - 12 S 487/19 - juris Rn. 48).
67
Angesichts dessen trifft die Mitteilungs- und Aufklärungspflicht gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII den Träger der Jugendhilfe ungeachtet des Umstands, ob der Kostenbeitragsschuldner vor Maßnahmebeginn an den Hilfeempfänger Bar- oder - wie im vorliegenden Fall - Naturalunterhalt geleistet hat. Denn auch Elternteile, die mit dem nunmehr in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebrachten Kind zusammengelebt haben und Naturalunterhalt gewährt haben, müssen im Hinblick auf eine drohende Kostenbeitragspflicht vermögensrechtliche Dispositionen treffen, z.B. mit den durch die auswärtige Unterbringung des jungen Menschen einhergehenden Ersparnissen Rücklagen für die Beitragszahlung bilden. Sollten sie Sozialleistungen beziehen, müssen sie ggf. Ersatz für das durch den Kostenbeitrag nach § 94 Abs. 3 SGB VIII beanspruchte Kindergeld beantragen (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 - 5 C 22/11 - juris Rn. 10 ff.; BVerwG, U.v. 21.10.2015 - 5 C 21/14 - juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 17.7.2018 - 12 C 15.2631 - juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 8.12.2014 - 4 LA 46/14 - juris Rn. 6 ff.; VGH BW, U.v. 15.9.2021 - 12 S 487/19 - juris Rn. 48).
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§ 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII gebietet allerdings nicht, dass Bar- und Naturalunterhaltspflichtige in gleich intensiver Weise über alle anzusprechenden Fragen rechtlich aufgeklärt werden. Da Barunterhaltspflichtige durch Kürzung des Barunterhalts Vorsorge für die Kostenbeitragszahlung treffen können, steht bei ihnen die Belehrung über die Folgen der Jugendhilfemaßnahme für die Unterhaltspflicht im Vordergrund. Bei Naturalunterhaltspflichtigen, die aus ersparten Aufwendungen Rücklagen bilden können, haben der Hinweis auf das Entstehen der Kostenbeitragspflicht und die Information über das zeitliche Einsetzen der Kostenbeitragspflicht besondere Bedeutung. Ihnen obliegt es, aus ersparten Aufwendungen Rücklagen zur Bestreitung des Kostenbeitrags zu bilden. Bei Empfängern von Sozialleistungen ist der Hinweis über die Beanspruchung des Kindergeldes für deren Belange besonders wichtig, weil sie durch eine geänderte Antragstellung reagieren müssen. Da der naturalunterhaltspflichtige Elternteil - wie hier der Kläger - in Bezug auf den Unterhaltsanspruch keine besonderen vermögensrechtlichen Dispositionen treffen muss, kann sich bei ihm die unterhaltsrechtliche Aufklärung entsprechend dem Wortlaut des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII darauf beschränken, dass die Jugendhilfeleistung unterhaltsrechtlich entlastende Auswirkungen hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 - 5 C 22/11 - juris Rn. 13 ff.; BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 19; NdsOVG, B.v. 8.12.2014 - 4 LA 46/14 - juris Rn. 6; VGH BW, U.v. 15.9.2021 - 12 S 487/19 - juris Rn. 48). Ausreichend ist insoweit, wenn der Unterhaltspflichtige über den Umstand informiert wird, dass ein möglicher Kostenbeitrag auf eine bestehende Unterhaltsverpflichtung anzurechnen sei (vgl. BVerwG, U.v. 21.10.2015 - 5 C 21/14 - juris Rn. 29). Der den unterhaltspflichtigen Schuldner schützenden Funktion des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kommt der öffentliche Träger der Jugendhilfe im Hinblick auf die Aufklärung über die Folgen für die Unterhaltspflicht somit ausreichend nach, wenn er ihn darüber aufklärt, dass und in welchem Umfang der Lebensunterhalt des Maßnahmeempfängers im Einzelfall durch die Jugendhilfeleistung abgedeckt ist, sodass sich in Folge dessen die Unterhaltspflicht reduziert bzw. im Fall einer vollstationären Unterbringung (vorübergehend) ganz entfällt (vgl. VGH BW, U.v. 15.9.2021 - 12 S 487/19 - juris Rn. 48; NdsOVG, U.v. 21.11.2011 - 4 LA 40/11 - juris Rn. 4 ff.).
69
Eine diesen Ansprüchen genügende Aufklärung des Klägers ist vorliegend nicht erfolgt.
70
Bei teilstationärer Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII, die dem streitgegenständlichen Bescheid vom 9. Mai 2017 zugrunde liegt, folgt aus § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII („soweit“), dass diese Hilfe den unterhaltsrechtlichen Bedarf des Leistungsempfängers teilweise deckt, so dass sich die Unterhaltspflicht des unterhaltspflichtigen Elternteils ihm gegenüber entsprechend reduziert. Daher muss der unterhaltspflichtige Elternteil in diesem Fall nach § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII darüber aufgeklärt werden, dass seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem Kind für den Zeitraum der Gewährung der teilstationären Eingliederungshilfe im Umfang der Bedarfsdeckung durch die Jugendhilfemaßnahme reduziert ist, dass er also gegenüber seinem Kind nicht unterhaltspflichtig ist, soweit dessen Bedarf durch die teilstationäre Eingliederungshilfe gedeckt wird (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 23.11.2011 - 4 LA 41/11 - juris Rn. 4 ff., 8).
71
Bei stationärer Eingliederungshilfe gemäß § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII, die dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10. Mai 2017 zugrunde liegt, muss nach § 39 Abs. 1 SGB VIII im Zuge der Jugendhilfemaßnahme der notwendige Unterhalt des Hilfeempfängers außerhalb des Elternhauses vom Jugendhilfeträger vollständig sichergestellt werden, was regelmäßig dazu führt, dass infolge dieser vollständigen Bedarfsdeckung beim Hilfeempfänger kein zivilrechtlicher Unterhalt vom Unterhaltsschuldner mehr gegenüber seinem Kind zu leisten ist, dass also der Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern während der Gewährung der vollstationären Eingliederungshilfe entfallen ist bzw. sich auf 0,- Euro reduziert. Unterhaltspflichten sind gegenüber Leistungen nach dem SGB VIII somit grundsätzlich nicht vorrangig. Dadurch wird eine doppelte Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen mittels Kostenbeitrags einerseits und Unterhaltsanspruchs andererseits ausgeschlossen (vgl. BGH, U.v. 6.12.2006 - XII ZR 197/04 - juris Rn. 26 ff.; BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 20; NdsOVG, B.v. 21.11.2011 - 4 LA 40/11 - juris Rn. 4 ff.; OVG NW, B.v. 9.9.2010 - 12 A 1567/09 - juris Rn. 6).
72
Infolgedessen muss der unterhaltspflichtige Elternteil bei einer vollstationären Jugendhilfemaßnahme gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII im Regelfall darüber aufgeklärt werden, dass seine zivilrechtliche Unterhaltspflicht gegenüber seinem Kind aufgrund der Gewährung der vollstationären Eingliederungshilfe entfällt, für den Zeitraum dieser Hilfegewährung also nicht besteht (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 20; NdsOVG, B.v. 21.11.2011 - 4 LA 40/11 - juris Rn. 4). In Fällen, in denen sich der Leistungsempfänger - wie vorliegend - nicht an sieben Tagen pro Woche in der Einrichtung aufhält, sondern beispielsweise die Wochenenden bei seinen Eltern verbringt, führt stationäre Eingliederungshilfe allerdings - anders als im oben dargestellten Regelfall - nicht zu einer vollständigen Bedarfsdeckung. In einem solchen Fall erfolgt daher auch bei stationären Jugendhilfemaßnahmen kein vollständiger Wegfall, sondern lediglich eine Reduzierung des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs (vgl. Wortlaut von § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII: „soweit“; siehe dazu auch: BGH, U.v. 6.12.2006 - XII ZR 197/04 - juris Rn. 27; NdsOVG, B.v. 21.11.2011 - 4 LA 40/11 - juris Rn. 4 ff.; OVG NW, B.v. 9.9.2010 - 12 A 1567/09 - juris Rn. 6 f.). In einem solchen Fall muss der unterhaltspflichtige Elternteil daher nach § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII darüber aufgeklärt werden, dass der Unterhaltsanspruch des Kindes ihm gegenüber lediglich für den Zeitraum des jeweiligen Aufenthalts in der Einrichtung entfällt, da der Bedarf lediglich in diesem Umfang durch den Jugendhilfeträger gedeckt ist.
73
Gemessen an diesem Maßstab erfüllen sämtliche im Vorfeld der streitgegenständlichen Bescheide vom 9. Mai 2017 und vom 10. Mai 2017 ergangenen Hinweise des Beklagten an den Kläger nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße, auf den Einzelfall bezogene (s.o.), Aufklärung über die Folgen der Gewährung der teilstationären bzw. stationären Eingliederungshilfe für seine Unterhaltspflicht gegenüber L.
74
Im Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 1. September 2015 (betreffend die Gewährung teilstationärer Eingliederungshilfe für L.) finden sich keine Hinweise zu den Auswirkungen der Hilfegewährung auf die Unterhaltspflicht des Klägers. Im Antragsformular vom 26. Mai 2015 (betreffend die teilstationäre Eingliederungshilfe) und im Antragsformular vom 22. Februar 2016 sowie im Bescheid vom 4. Juli 2016 (die beide die stationäre Eingliederungshilfe betreffen) sind zwar Hinweise hierzu enthalten, diese entsprechen jedoch nicht den obigen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung.
75
Soweit dort jeweils der Gesetzestext des § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII wiedergegeben wird, reicht dies für die Annahme einer ordnungsgemäßen Aufklärung des Klägers nicht aus (s.o., insbesondere: BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 22).
76
Die weiteren Ausführungen in den o.g. Antragsformularen und im Bescheid vom 4. Juli 2016 erweisen sich, soweit sie sich mit der Unterhaltspflicht befassen, als unklar bzw. missverständlich. Denn der Beklagte hätte den Kläger zumindest darauf hinweisen müssen, dass und in welchem Umfang durch die gewährte Eingliederungshilfe der Unterhaltsbedarf von L. gedeckt wird und dementsprechend die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber L. im Umfang der Bedarfsdeckung durch die Jugendhilfemaßnahme reduziert ist. In den o.g. Antragsformularen und im Bescheid vom 4. Juli 2016 wurde der Kläger hingegen stattdessen darüber belehrt, dass er, sofern er bisher nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften Unterhalt für L. gezahlt habe, den bisher geleisteten Unterhalt zunächst direkt an das Jugendamt zahlen solle und dass nach Berechnung des Kostenbeitrags eine Verrechnung mit den von ihm bereits an das Jugendamt geleisteten Zahlungen erfolge. Dieser Hinweis erscheint allein schon deshalb verwirrend, weil er ganz offensichtlich auf zuvor barunterhaltpflichtige Elternteile zugeschnitten ist, was vorliegend nicht gegeben war. Vielmehr lebte L. mit beiden Elternteilen unter einer gemeinsamen Wohnanschrift zusammen. Der Kläger kann aus dem obigen Hinweis zudem gerade nicht ersehen, dass angesichts der (zumindest teilweisen) Bedarfsdeckung durch die Jugendhilfemaßnahmen der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch seines Sohnes L. (zumindest teilweise) nicht mehr bestanden hat, sodass er unterhaltsrechtlich (zumindest teilweise) entlastet wird. Vielmehr deutet diese Formulierung - wohl orientiert an der Rechtslage bis zum 30. September 2005 - darauf hin, dass die zivilrechtliche Unterhaltspflicht jeweils in voller Höhe bestehen bleibt und der bisher gewährte Unterhalt nunmehr in Erfüllung dieser Pflicht in voller Höhe an den Beklagten zu zahlen ist und lediglich später, nach Berechnung des Kostenbeitrags, eine Verrechnung erfolgt. Ebenfalls unklar bleiben die in den Antragsformularen vom 26. Mai 2015 und vom 22. Februar 2016 enthaltenen Hinweise darauf, dass weitere Zahlungen des Klägers an den gesetzlichen Vertreter des unterhaltsberechtigten Kindes hinsichtlich seiner Kostenbeitragsverpflichtung keine befreiende Wirkung hätten und dass solche Zahlungen daher nicht mindernd auf seinen Kostenbeitrag angerechnet werden könnten. Denn dass die Unterhaltsberechtigung des jungen Menschen durch die Jugendhilfeleistungen (zumindest teilweise) entfallen ist bzw. sich reduziert hat, drängt sich bei der o.g. Formulierung mit Blick darauf, dass der Beklagte ausdrücklich vor weiteren Unterhaltsleistungen an den gesetzlichen Vertreter des unterhaltsberechtigten Kindes warnt, wiederum nicht unmittelbar auf. Auch, dass die unterhaltsrechtlichen Folgen ungeachtet der Erhebung oder Nichterhebung eines Kostenbeitrags schon infolge der bloßen Leistungsgewährung eintreten, kann diesem Hinweis wiederum nicht entnommen werden. Den o.g. „Aufklärungsschreiben“ des Beklagten lässt sich somit letztlich nicht hinreichend konkret entnehmen, wem der Kläger künftig nach welcher Rechtsgrundlage was schuldet bzw. wie es sich zukünftig mit den Unterhaltsansprüchen seines Sohnes L. verhält. Sie verwirren daher mehr als dass sie aufklären und eine vernünftige Grundlage für zukünftige finanzielle Dispositionen bieten. Die obigen Hinweise des Beklagten können daher den Zweck der Aufklärung über die Wirkungen der Jugendhilfeleistung auf die Unterhaltspflicht, insbesondere, den Kostenbeitragspflichtigen vor finanziellen Fehldispositionen zu schützen, nicht erfüllen (zum Ganzen: BayVGH, B.v. 13.4.2015 - 12 CS 15.190 - juris Rn. 5, 23 - zu einer fast inhaltsgleichen Mitteilung; siehe auch: OVG NW, B.v. 9.9.2010 - 12 A 1567/09 - juris Rn. 3, 8; NdsOVG, B.v. 23.11.2011 - 4 LA 41/11 - juris Rn. 4 ff.; NdsOVG, B.v. 21.11.2011 - 4 LA 40/11 - juris Rn. 4 ff.).
77
Daher kann auch dahinstehen, ob - wie die Bevollmächtigte des Klägers dies in der mündlichen Verhandlung vertreten hat - die Belehrung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VIII so detailliert sein muss, dass auch ein Hinweis darauf erfolgen muss, dass die Krankheitskosten über § 40 SGB VIII durch die Jugendhilfe übernommen würden, sodass es keiner Krankenversicherung mehr bedürfe.
78
Die vom Beklagten inzwischen, beispielsweise im Schreiben vom 28. Dezember 2020 verwendeten detaillierteren Aufklärungsschreiben können die materielle Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Bescheide nicht beseitigen, da ein Kostenbeitrag für einen vor der Mitteilung liegenden Zeitraum nicht rückwirkend erhoben werden kann und eine Heilung oder Unbeachtlichkeit nach §§ 41, 42 SGB X analog ausscheiden (s.o.).
79
Ausnahmen von der Aufklärungspflicht gemäß § 92 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII wurden von den Parteien nicht vorgetragen und sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
80
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
81
Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
82
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war i.S.v. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig. Im streitgegenständlichen Verfahren erscheint für die Klärung des Umfangs der behördlichen Aufklärungspflicht ebenso wie für eine ggf. im Folgenden erforderliche Auseinandersetzung mit den Berechnungsmodalitäten des Kostenbeitrags die Zuziehung eines Rechtsanwalts bereits im Vorverfahren als notwendig, da sie wegen der Schwierigkeiten der Rechtsmaterie vom Standpunkt einer verständigen, nicht umfassend rechtskundigen Partei als erforderlich anzusehen ist.
83
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
84
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).