Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 19.12.2022 – W 8 K 22.30011
Titel:

Erfolgreiche Klage einer Iranerin auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes

Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 7
VwGO § 108
Leitsatz:
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind oder wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein im Zielstaat zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klagebeschränkung auf nationale Abschiebungsverbote, Iran, alleinstehende Frau, Vergewaltigung durch Vater wegen Beziehung zu anderem Mann, glaubhaftes Vorbringen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr, keine internen Schutzmöglichkeiten, keine inländische Aufenthaltsalternative, Sicherung des Existenzminimums sowie Gewährleistung der notwendigen medizinischen Versorgung für alleinstehende Frau ohne Unterstützung nicht gewährleistet, schwergradige depressive Störung, posttraumatische Belastungsstörung, eingeholtes forensisch-psychiatrisches Gutachten, Asylklage, nationales Abschiebungsverbot, psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Vergewaltigung, Rückkehr, Personenkennziffer (Melli), Existenzminimum
Fundstelle:
BeckRS 2022, 39457

Tenor

I. Die Nrn. 4 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. November 2021 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1. AufenthG vorliegt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
I. Die Klägerin, iranische Staatsangehörige, reiste nach eigenen Angaben am 2. Oktober 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10. Oktober 2020 einen Asylantrag. Zur Begründung ihres Asylantrages gab sie im Wesentlichen an: Ihr Vater habe sie zweimal vergewaltigt, weil sie eine außereheliche Beziehung mit einem Mann eingegangen sei. Er habe sie mit dem Tode bedroht. Außerdem legte sie eine psychotherapeutische Stellungnahme vom 2. November 2021 vor, wonach bei ihr eine schwergradige depressive Störung sowie eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert sei.
2
Mit Bescheid vom 17. November 2021 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat wurde angedroht. Die Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Das Vorbringen sei nicht glaubhaft. Es sei in den entscheidungserheblichen Geschehenskomplexen in der Wortwahl farblos, kurz und ohne Beschreibung von Nebensächlichkeiten gewesen. Auffällig sei, dass die Klägerin durchweg übermäßig geweint habe und regelrecht mehrfach einem vermeintlichen Nervenzusammenbruch nahe gewesen sei, der von ihr derart überzeichnet gewesenen sei, dass er ihr nicht mehr geglaubt werden könne. Wäre ihr emotionale Betroffenheit ernsthaft gewesen, hätte sie die Anhörung nicht bis zu Ende durchstehen können. Das eigentliche Kerngeschehen, die Vergewaltigung, habe die Klägerin nur schlagwortartig abgehandelt. Zeitpunkt und Umstände der zweiten Vergewaltigung seien nicht nachvollziehbar. Wenig überzeugend sei auch das weitere Vorbringen. Selbst bei Wahrunterstellung sei keine Verfolgung nach § 3 AsylG oder § 4 AsylG gegeben. Die Klägerin hätte sich zunächst an ihre Heimatbehörden wenden können. Der iranische Staat sei gewillt und in der Lage, private Übergriffe zu unterbinden. Der Klägerin als junge, gesunde und arbeitsfähige Person sei es auch unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie zumutbar, sich eine wirtschaftliche Grundlage zu verschaffen und ihr Existenzminimum sicherzustellen. Auch aus gesundheitlichen Gründen bestünden keine Bedenken. Die psychotherapeutische Stellungnahme vom 2. November 2021 genüge nicht den Anforderungen. Der psychologische Psychotherapeut sei nicht berechtigt, die Bezeichnung „Arzt“ zu führen. Er sei kein Facharzt. Außerdem sei das Vorbringen der Klägerin nicht glaubhaft. Von einer Retraumatisierung bei einer Rückkehr sei nicht auszugehen. Die Klägerin sei zudem auf die Behandlungsmöglichkeiten in ihrem Heimatland zu verweisen. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen im Iran sei möglich. Die erforderlichen Medikamente seien im Iran erhältlich.
II.
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1. Die am 1. Dezember 2021 entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrungbeim Verwaltungsgericht Bayreuth erhobene Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid wurde mit Beschluss vom 30. Dezember 2021 an das zuständige Verwaltungsgericht Würzburg verwiesen.
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Mit dem Klageschriftsatz vom 1. Dezember 2021 erhob die Klägerin im vollen Umfang Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 17. November 2021. Zur Begründung bezog sich die Klägerin auf ihre bisherigen Angaben.
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Mit Schriftsatz vom 21. März 2022 ließ die Klägerin ein fachärztliches Attest vom 17. März 2022 vorlegen, wonach es sich bei ihr um eine nichtorganische Insomnie (Schlafstörung) bei ängstlich-depressiver Symptomatik handele.
6
Der Klägerbevollmächtigte brachte mit Schriftsatz vom 22. September 2022 weiter vor: Es sei nicht Aufgabe des gerichtlich angeordneten Sachverständigengutachtens (gewesen), die Glaubwürdigkeit der Klägerin und ihres Sachvortrags zu überprüfen. Die ausführliche Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 4. April 2022 - bei dem ein Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht anwesend gewesen sei - habe nach diesseitiger Auffassung die Glaubwürdigkeit des Sachvortrags der Klägerin ergeben.
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2. Die Beklagte beantragte im Schriftsatz vom 7. Dezember 2021,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklage brachte mit Schriftsatz vom 13. April 2022 vor: Eine Abhilfeentscheidung könne nicht ergehen. Die angeblichen Traumen auslösenden Vorfälle könnten der Klägerin auch nach der mündlichen Verhandlung nicht geglaubt werden. Insgesamt sprächen die fehlende Konkretheit, die Widersprüchlichkeit und die Detaillosigkeit gerade nicht dafür, dass sich bei den Angaben der Klägerin um eine Schilderung realer Ereignisse handelt. Selbst bei Wahrunterstellung sei die Klägerin zunächst an ihre Heimatbehörden zu verweisen. Die behauptete posttraumatische Belastungsstörung sei zu keinem Zeitpunkt nachvollziehbar hergeleitet bzw. nachvollziehbar diagnostiziert worden. Die psychologische Stellungnahme vom 2. November 2021 erfülle nicht die erforderlichen Anforderungen. Nur zwei Besuche im Januar und Februar 2021 seien verifiziert. Es stelle sich die Frage, ob die Klägerin zwei Therapeuten parallel in Anspruch genommen habe. Auffällig sei, dass die Klägerin immer wieder ärztliche Atteste nutze, um sich Vorteile zu verschaffen, so um Besuchserlaubnisse zu erwirken. Die Klägerhin habe die vorgehaltenen Widersprüche in der mündlichen Verhandlung nicht überzeugend widerlegen können. Ihr offensichtlich blasser Wortvortrag sei nicht wirklich mit ihrem extrem emotionalen Auftritt in Einklang zu bringen. Auch, dass die Klägerin auf die Suggestivfrage des Gerichts, ob die Bilder von der Vergewaltigung im Kopf habe, zustimmend genickt habe, mache weder das behauptete traumatische Ereignis glaubhaft, noch irgendeine psychische Belastung aus diesem Grund. Vielsagend sei im Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit der Klägerin auch, dass ihre Handyauswertung keinen einzigen Eintrag ergeben habe. Die Klägerin habe ganz offensichtlich ihr Handy gesäubert. Da die behaupteten traumatischen Ereignisse nicht glaubhaft gemacht hätten werden könnten, könnten sie auch nicht ursächlich für eine mögliche psychische Erkrankung sein. Hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeit von psychischen Erkrankungen im Iran sei auf die Bescheidsbegründung zu verweisen.
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Die Beklagte nahm mit Schriftsatz vom 16. September 2022 zum eingeholten forensisches-psychiatrisches Gutachten vom 30. August 2022 dahingehend Stellung, dass dieses Gutachten wenig hilfreich sei, da sämtliche Aussagen nur dann Bestand hätten, wenn die von der Klägerin behaupteten Traumen tatsächlich zuträfen. Eine entsprechende Verifikation habe doch vom Begutachtenden nicht geleistet werden können. Der Begutachtende stelle im Umkehrschluss selbst die Diagnose der PTBS in Frage, sofern die Angaben der Klägerin nicht stimmten. Die Aussagen der Klägerin seien jedoch weiterhin als äußerst ambivalent und letztlich nicht glaubhaft zu bewerten. Das Weinen der Klägerin im Rahmen der Schilderungen scheine eher ein probates Mittel für sie zu sein, ihre Ziele zu verwirklichen, als dass sie eine reale emotionale Bewegtheit/Belastung dokumentierten. Sie habe beispielsweise auch geweint, als sie am 5. August 2022 in den Räumen des Krankenhauses des Gutachters geschildert habe, dass sie ihrer Sozialwohnung habe ausziehen müssen, da diese für ihre einzelne Person zu groß gewesen sei, obwohl sie diese selbst finanziere.
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3. Die Kammer übertrug den Rechtstreit mit Beschluss vom 10. Januar 2022 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
11
In der ersten mündlichen Verhandlung am 4. April 2022 übergab der Klägerbevollmächtigte weitere ärztliche Unterlagen. Des Weiteren nahm er das Klagebegehren, die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 bis 3 des streitgegenständlichen Bescheides vom 17. November 2021 (Asyl, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz) zurück. Das Gericht trennte diesen Klageteil ab, führte ihn unter dem Aktenzeichen W 8 K 22.30261 fort und stellte ihn auf Kosten der Klägerin infolge der Klagerücknahme ein.
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Des Weiteren beantragte der Klägerbevollmächtigte,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 4 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. November 2021 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Irans vorliegen.
13
Das Gericht hörte die Klägerin informatorisch an.
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Das Gericht erhob Beweis durch Einholung eines forensisches-psychiatrisches Gutachten, welches am 30. August 2022 erstattet wurde.
15
In der weiteren mündlichen Verhandlung am 19. Dezember 2022 hörte das Gericht die Klägerin ergänzend informatorisch an und erörterte mit ihr insbesondere das eingeholte Sachverständigengutachten sowie die Kritik der Beklagten.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 22.30261) sowie die beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
18
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. November 2021 ist in seinen Nummern 4 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - wie zuletzt beantragt - einen Anspruch auf Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Infolgedessen war nicht nur die betreffende Nummer 4 des Bescheides, sondern auch dessen Nummern 5 (Abschiebungsandrohung und Ausreiseaufforderung) und 6 (Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots) aufzuheben.
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Die Voraussetzungen für ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen vor.
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Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG). Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 muss der Ausländer eine Erkrankung, die eine Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierende ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich in der ärztlichen Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
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Dabei erfasst die Regelung in § 60 Abs. 7 AufenthG nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein im Zielstaat zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung miteinzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Hierbei muss eine beachtliche Wahrscheinlichkeit bestehen, dass dem Ausländer bei einer Rückkehr die in der Vorschrift genannte Gefahr droht. Dabei ist eine einzelfallbezogene Betrachtung der individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation anzulegen. Eine wesentliche Verschlechterung liegt nicht schon bei jeder zu befürchtenden ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands vor. Erforderlich ist, dass die Gefahr der Krankheitsverschlechterung erheblich und konkret ist. Sie ist erheblich, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, und konkret, wenn der Ausländer alsbald nach seiner Rückkehr in eine solche Lage geriete, weil er keine adäquate Behandlung bzw. sonst keine wirksame Hilfe erlangen kann (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.11.1995 - 9 B 710/94 - Buchholz 310, § 108 VwGO Nr. 266; U.v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris; U.v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - Buchholz 402.240, § 53 AuslG Nr. 66; U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - BVerwG 127, 33 sowie etwa speziell mit Bezug zum Iran zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 12.9.2022 - W 8 K 21.31212 - juris Rn. 19 ff.; VG Minden, U.v. 10.2.2022 - 2 K 41/19.A - juris Rn. 125 ff.; VG Bayreuth U.v. 28.7.2021 - B 8 K 19.31806, 7891734 - juris S. 19).
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Weiter ist festzuhalten, dass eine mögliche Dekompensation mit Suizidalität für sich nicht ausreicht. Der Umstand, dass suizidale Handlungen bei einer Abschiebung bzw. Unterbrechung der Behandlung nicht völlig ausgeschlossen werden können, genügt für sich nicht, sofern keine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht (vgl. schon VG Würzburg, U.v. 24.11.2015 - W 6 K 15.30406 - juris Rn. 25 m.w.N. sowie VG Magdeburg, U.v. 22.1.2019 - 3 A 276/17 - juris Rn. 42).
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Nach diesen Grundsätzen ist hier ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iran anzunehmen, weil nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalles die beachtlich wahrscheinliche Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin bei einer Rückkehr in den Iran alsbald erheblich verschlechtern würde, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie zum einen dauerhaft unentdeckt von ihrem Vater im Iran leben könnte und zum anderen als alleinstehende Frau nicht ihr Existenzminimum sicherstellen und die notwendige medizinische Versorgung gewährleisten könnte, so dass ihr eine Rückkehr in den Iran nicht zumutbar ist.
24
Die Klägerin hat im Gerichtsverfahren, insbesondere im Rahmen der informatorischen Anhörungen in der mündlichen Verhandlung, ihr Schicksal glaubhaft geschildert. Bei der Würdigung der Aussagen der Klägerin ist zu bedenken, dass angesichts des sensiblen Charakters der Informationen, die die persönliche Intimsphäre einer Person, insbesondere ihre Sexualität, betreffen, allein daraus, dass diese Person, weil sie zögert, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren und gewisse Sachverhalte gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht so deutlich bzw. anders angegeben hat, nicht geschlossen werden kann, dass sie deshalb unglaubwürdig ist (vgl. EuGH, U.v. 2.12.2014 - C-148/13 bis 150/13 - ABl. EU 2015, Nr. C 46 S. 4 - NVwZ 2015, 132 - juris Rn 53 ff., 63, 67 ff.; siehe auch Gärlich, Anmerkung, DVBl. 2015, 165, 167 ff.). Weiter ist zu bedenken, dass die sexuelle Entwicklung des Einzelnen und das Offenbaren von geschlechtsbezogenen Erlebnissen - gerade wenn sie traumatisierende Wirkung haben (wie einer erlittene zweifache Vergewaltigung durch den eignen Vater) - individuell sehr unterschiedlich verlaufen und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seiner kulturellen, gesellschaftlichen und auch religiösen Prägung sowie seiner intellektuellen Disposition abhängen (vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 - zur Homosexualität).
25
Das Gericht hat bei der gebotenen richterlichen Beweiswürdigung (§ 108 Satz 1 VwGO) aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass die Klägerin in ihrer Heimat ein traumatisches Ereignis, in Form der zweifachen Vergewaltigung durch ihren Vater, erlebt hat und aufgrund dessen schwer psychisch erkrankt ist. Das Gericht hat nicht den Eindruck, dass die Klägerin ihr Verfolgungsschicksal mit den erfolgten Vergewaltigungen und der daraus resultierenden psychischen Erkrankungen aus asyltaktischen Gründen vorgibt. Vielmehr sprechen ihre Schilderungen nach dem persönlichen Eindruck des Gerichts von einem wirklich erlebten Schicksal.
26
Die Klägerin hat bei ihrem Vorbringen im behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren und insbesondere in der mündlichen Verhandlung nicht bloß abstrakt von einem ausgedachten, flüchtlingsrelevanten Sachverhalt berichtet, sondern in umfangreichen Ausführungen detailreich ihr Schicksal geschildert. Anders als bei einem erfundenen Schicksal erwähnte die Klägerin dabei auch immer wieder nebensächliche Details und lieferte so eine anschauliche Schilderung ihrer Erlebnisse. Hinzu kommen die dabei gebrauchte Wortwahl sowie die gezeigte Mimik und Gestik, auch verbunden mit einem Einblick in ihre Gefühlslage und Gedankenwelt. Gerade die nicht verbalen Elemente bei der Aussage (Körpersprache, Gestik, Mimik usw.) sprechen gewichtig für die Ehrlichkeit der Klägerin und für den wahren Inhalt ihrer Angaben. Dabei kommt das Auftreten der Klägerin in den beiden mündlichen Verhandlungsterminen und die Art und Weise ihrer Aussage in den Protokollen über die mündliche Verhandlung nur ansatzweise zum Ausdruck, zumal kein Wortprotokoll geführt wurde.
27
In dem Zusammenhang merkt das Gericht ausdrücklich an, dass es den Umstand für befremdlich erachtet, dass die Beklagte das häufige Weinen der Klägerin als einen wesentlichen Gesichtspunkt dafür angesehen hat, dass das Vorbringen der Klägerin nicht glaubhaft sei. Das Gericht hat demgegenüber vielmehr den persönlichen Eindruck, dass die Klägerin mit ihrem Weinen nicht simuliert hat, sondern dass das Weinen gerade aufgrund ihrer psychischen Erkrankung bei ihr ausgelöst wurde, wenn sie sich etwa gedanklich mit den erlebten traumatisierenden Ereignissen auseinandersetzen musste bzw. wenn es darum gegangen ist, wieder zurück in den Iran zu müssen. Insofern ist weiter zu betonen, dass in dem eingeholten forensisch-psychatrischen Gutachten vom 30. August 2022 auf Seite 64 und Seite 78 ausdrücklich vermerkt ist, dass es bei der Klägerin keine offensichtlichen Hinweise für eine relevante Aggravation der Symptomangaben gibt. Demnach sieht der medizinische Sachverständige gerade keine Anhaltspunkte für ein bewusstes Übertreiben oder Betonen der Symptome bei der Klägerin, um sich möglicherweise Vorteile zu verschaffen.
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Darüber hinaus ist zu betonen, dass - wie auch schon angeführt - die Reaktionen auf traumatisierte Ereignisse von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind. Das Gericht hat den persönlichen Eindruck von der Klägerin, dass diese gerade nicht künstlich dramatisieren und ihr Schicksal aus asyltaktischen Gründen tränenreich schildern wollte (wie die Beklagte offenbar meint), sondern wie sie selbst angab, nichts für das Weinen könne. Das Weinen komme willkürlich. Sie könne es nicht beeinflussen und sie weine Tag und Nacht. Das Gericht sieht es nicht als Widerspruch an, dass die Klägerin die Verhandlung sowie zuvor auch die Anhörung beim Bundesamt zu Ende durchführen wollte, obwohl sie emotional sehr ergriffen war. Etwa beim zweiten Verhandlungstermins, an dem ihr Bevollmächtigter nicht erschienen war, beharrte sie darauf, die Verhandlung gleichwohl gerade durchzuführen, um nicht länger warten zu müssen und der psychischen Belastung ausgesetzt zu sein. Im Übrigen hat das Gericht weiter nicht den Eindruck, dass die Klägerin den Fragen ausgewichen ist oder diese unzureichend beantwortet hat, wobei - wie schon erwähnt ist - gerade bei der Kernthematik der erlittenen Vergewaltigungen auch eine gewisse Zurückhaltung bei der Fragestellung seitens des Gerichts angezeigt war.
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Die Klägerin schilderte vielmehr im Rahmen ihrer Möglichkeiten glaubhaft ihr Schicksal auch mit Einblick in ihre Gefühlswelt und Erwähnung von Nebensächlichkeiten, ohne künstlich aufzubauschen. Sie lieferte auf Fragen gerade für sie auch ungünstige Antworten. So gab sie etwa in der mündlichen Verhandlung am 4. April 2022 ehrlich an, dass sie nie in einer der …-Kliniken gewesen sei und mit Dr. … öfters nur per Video in Kontakt gestanden habe. Im Rahmen der beiden Gerichtsverhandlungen machte die Klägerin durchaus stimmige Angaben. Sie beschrieb auch die persönlichen Auswirkungen des Erlebten, indem sie auf Schlafstörungen verwies. Sie habe Berührungsängste und habe immer die Bilder von der Vergewaltigung im Kopf. Sie spüre nach wie vor den Atem ihres Vaters. Sie führte weiter aus, dass sie auch schon im Iran oft geweint habe. Die Stimme und der Atem des Vaters kämen immer wieder hoch. Demgegenüber gab sie aber auch an, dass das Hören einer sonstigen männlichen Stimme wie die des Richters sie nicht nachträglich beeinträchtige. In der mündlichen Verhandlung am 19. Dezember 2022 ebenso wie in der Verhandlung vom 4. April 2022 warf die Klägerin die rhetorische Frage in den Raum, wie sie denn reagieren solle, wenn sie der eigene Vater vergewaltige und damit vernichte. Sie müsse die ganze Zeit daran denken und zucke, wenn sie von einer männlichen Hand angefasst werden werde. Die Klägerin räumte in der zweiten mündlichen Verhandlung auch ein, dass sie zwar arbeiten könne und dass ihr die aktuelle Arbeit auch gefalle. Aber ansonsten gehe sie abends in ihr Zimmer, schließe ab und schlafe. Sie berichtete nichts von weiteren Freizeitaktivitäten. Sie wolle auch nicht jetzt oder irgendwann einen Freund haben. Sie könne nicht mehr. Sie habe keine Hobbys und keine Freizeitaktivitäten, da sie psychisch gar nicht in der Lage sei.
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In der mündlichen Verhandlung am 4. April 2022 beschrieb sie anschaulich ihr Vorfluchtschicksal, wobei das Gericht mit Rücksicht auf die Klägerin die Einzelheiten der beiden Vergewaltigungen nicht hinterfragte. Im Gegensatz zu der Auffassung der Beklagten, dass die Klägerin nur auf suggestive Fragen des Gerichts entsprechend geantwortet habe, ist einzuwenden, dass in den beiden mündlichen Verhandlungsterminen kein Vertreter der Beklagten anwesend war, um die von ihr aufgeworfenen vermeintlichen Zweifel selbst hinterfragen zu können. Demgegenüber hat das Gericht der Klägerin wiederholt mögliche Streitpunkte vorgehalten, um sich selbst einen persönlichen Eindruck als Grundlage der Entscheidung verschafft. Die Klägerin hat nach Eindruck des Gerichts offen und ehrlich auf die Fragen geantwortet, ohne in Ausflüchte auszuweichen.
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Die Klägerin machte etwa auch die Geste ihres Vaters nach, so als ob er ihr mit der Hand am Hals schneide, um ihr klarzumachen, dass er sie umbringen wolle. Sie betonte, sie habe die ganze Zeit die Bilder vor Augen. Sie könne sich nicht vorstellen, dass ein Vater seiner Tochter so etwas antue. Mit Gesten unterstrich sie auch, wie ihr Vater sie auf ihren Oberkörper und ihre Brust geschlagen habe, als er sie von der Polizei abgeholt habe. Das Gericht sieht die starke emotionale Betroffenheit der Klägerin - anders als die Beklagte - nicht als Aspekt der gegen ihre Glaubwürdigkeit spricht, sondern der für sie spricht. Die Klägerin beschrieb in den beiden mündlichen Verhandlungen auf entsprechende Nachfragen des Gerichts auch die psychischen Folgen ihrer Erlebnisse und die Auswirkungen auf ihre Lebensführung. Für das Gericht ist auch der Vorwurf der Beklagtenseite nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin keine (weiteren) Details zu den beiden eigentlichen Vergewaltigungen berichtet habe.
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Soweit die Beklagte auch anspricht, dass das Handy der Klägerin den Eindruck gemacht habe, es seien Daten gelöscht worden, gab diese dazu plausibel an, dass sie das Handy so von ihrem Schleuser erhalten habe, sodass es aus Sicht des Gerichts nicht fernliegt, dass dieser eventuell andere Daten zuvor entfernt hatte.
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Nach dem Gesamteindruck bestehen für das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Klägerin zu ihrer Verfolgungsgeschichte, insbesondere zu den erlittenen Vergewaltigungen seitens des Vaters und der daraus resultierenden erheblichen psychischen Leiden. Das Gesamtvorbringen zum Vorfluchtschicksal war stimmig und widerspruchsfrei. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin die Wahrheit gesagt hat.
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Soweit der Gutachter die Angaben der Klägerin seiner Begutachtung zugrunde gelegt und diese nicht weiter hinterfragt hat, ist darauf hinzuweisen, dass der Nachweis der traumatischen Lebensereignisse als Auslöser für die Symptomatik nicht Gegenstand der gutachtlichen (fachärztlichen) Untersuchung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist. Denn es ist ausschließlich Sache des Gerichts, sich selbst nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO die notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivorbringens zu verschaffen. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung umfasst dabei sowohl die Würdigung des Vorbringens im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren einschließlich der vorliegenden ärztlichen Unterlagen sowie der Überprüfung der darin getroffenen Feststellung auf Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit. Die Feststellung der Wahrheit von Angaben des Asylbewerbers oder der Glaubhaftigkeit einzelner Tatsachenbehauptungen unterliegen als solche nicht dem Sachverständigenbeweis (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 17.11.2020 - 13a ZB 19.31718 - juris Rn. 6; B.v. 20.2.2020 - 15 ZB 20.30194 - juris Rn. 16 f. jeweils m.w.N. - letzterer Beschluss ausdrücklich mit Bezug auf ein Gutachten desselben Gutachters wie im vorliegenden Verfahren).
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Auch im Übrigen ist das eingeholte forensisch-psychiatrischen Gutachten vom 30. August 2022 nicht zu beanstanden.
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In dem forensisch-psychiatrischen Gutachten vom 30. August 2022 ist unter anderem ausgeführt, dass bei der Klägerin ein depressives Symptom vorliege. Die Stimmung sei gedrückt, der Antrieb reduziert, Freude könne kaum empfunden werden, sie habe sich sozial zurückgezogen und passive Todeswünsche. Sie könne sich schlecht konzentrieren, habe keine Zukunftspläne und sie habe massive Schlafstörungen. Es sei vom Bestehen einer depressiven Episode auszugehen, wohl mittlerweile chronifiziert. Daneben bestünden nach den von der Klägerin angegeben Vergewaltigungen durch ihren Vater im Iran seit der Flucht auftretende Alpträume, Intrusionen, vermehrte Schreckhaftigkeit, Angespanntheit, Konzentrationsstörungen und massive Schlafstörungen. Auch lägen Triggerreize vor. Ein solches Symbolbild müsse - gerade auch angesichts des angegebenen Traumas - an das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung denken lassen. Nach den ICD-10-Kriterien seien deren Voraussetzungen erfüllt, so dass bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung PTPS vorliege. Die beiden diagnostischen Einschätzungen seien zudem in guter Übereinstimmung mit den Einschätzungen von Dr. … (Befundbericht vom 9.11.2021). Die Schilderung der Symptomatik sei weitgehend deckungsgleich. Sie seien auch von Frau … genannt. Sie stünden aber nicht mit der Übereinstimmung mit dem Attest von Dr. … wobei in diesem Attest auch kein psychopathologischer Befundbericht zu finden sei. Eindeutig sei aber festzustellen, dass die aktuelle Behandlung keinesfalls den beiden schwerwiegenden Erkrankungen der Probandin entsprächen. Es würden wohl sedierende Psychopharmaka verordnet, aber es fehle an einer spezifischen Psychotherapie, die eventuell durchzuführen wäre. Die psychiatrische Diagnosefindung setze voraus, dass die Angaben der Probandin im Wesentlichen stimmten. Eine Glaubhaftigkeitsprüfung seitens des Gutachters erfolge nicht. Offensichtliche Aggravationen lägen aber nicht vor.
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Unter diesen Voraussetzungen kommt das Gutachten zu folgenden Ergebnissen: Bei der Klägerin liegen eine ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Episode, mittlerweile chronifiziert, vor. Die von der Klägerin angeführte zweifache Vergewaltigung durch den eigenen Vater in einer für sie unentrinnbaren Situation ist für die Auslösung PTPS eine geeignete Belastung. Dieses Gutachten ist nicht in der Lage, die Glaubwürdigkeit der Klägerin zu prüfen. Jedoch ergeben sich zumindest zwischen den geschilderten Beschwerden und erhobenen Befunde und den Angaben zu einem Trauma keine Widersprüche aus medizinischer Sicht. Theoretisch könnten zwar auch andere Ursachen für ein solches Störungsbild (außer den angegebenen Vergewaltigungen) in Frage kommen, Anhaltspunkte hierfür haben sich aber nicht ergeben. Auswirkungen auf das Aussageverhalten sind theoretisch durchaus möglich, insbesondere da, wenn sich diese Erkrankungen nicht bestätigen und eine Abschiebung droht, ein erheblicher Druck in Richtung einer Aggravation besteht. Angesichts der weitgehenden Konstanz der Symptomschilderung durch die Klägerin über die Zeit gibt es aber keine offensichtlichen Hinweise auf eine relevante Aggravation der Symptomangaben. Wenn sich die Klägerin darauf verlassen kann, im Iran nicht in die Nähe ihres Vaters zu gelangen, und wenn eine adäquate Versorgung ihrer psychischen Lage möglich ist (, wobei derzeit die Behandlung in Deutschland nicht optimal ist), besteht keine erhebliche Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit. Derzeit geht die Klägerin davon aus, im Iran wieder an ihren Vater übergeben zu werden. Wenn eine PTPS vorliegt und die Probandin sich darauf verlassen kann, nicht erneut in eine gefahrenvolle Situation (Einfluss des Vaters auf ihr Leben) zu gelangen, ist eine Verschlechterung der Symptomatik, wenn dies der Klägerin vermittelt werden kann, nicht zu erwarten.
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Infolgedessen ist nach dem Gutachten davon auszugehen, dass eine erheblich konkrete Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit der Klägerin nur dann nicht besteht, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen, und zwar muss zum einen sichergestellt sein, dass die Klägerin im Iran nicht in die Nähe und unter den Einfluss ihres Vaters gelangt, und zum anderen muss gleichzeitig eine adäquate Versorgung ihrer psychischen Leiden erfolgen. Umgekehrt ist aus dem Gutachten zu schlussfolgern, dass wenn eine dieser beiden Voraussetzungen nicht vorliegt, bei der Klägerin eine erheblich konkrete Gefahr für Leib oder Leben bei einer Abschiebung in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
39
Ausgehend von der nach Überzeugung des Gerichts glaubhaften Angaben der Klägerin und den darauf fußenden plausiblen Ausführungen des Gutachters ist festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Iran vorliegt, weil sich der Gesundheitszustand der Klägerin bei einer Rückkehr in den Iran alsbald erheblich verschlechtern würde, weil schon nicht gewährleistet werden kann, dass die Klägerin nicht in die Nähe und in die Einflusssphäre ihres Vaters gelangt. Aber selbst, wenn dies auf Dauer sichergestellt wäre, könnte für die Klägerin als alleinstehende Frau im Iran nicht die Sicherung ihres Existenzminimums und gleichzeitig die Gewährleistung der erforderlichen medizinischen Behandlung sichergestellt werden.
40
Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass grundsätzlich die Behandlung von psychischen Erkrankungen einschließlich einer posttraumatischen Belastungsstörung auch im Iran möglich und zumutbar ist, wobei kein Anspruch auf eine Behandlung mit einem speziellen Medikament besteht, sofern keine ausdrückliche Kontraindikation für sämtliche anderen zur Verfügung stehenden Alternativ-Medikamente bezüglich des vorliegenden Krankheitsbildes besteht. Nach der vorliegenden Auskunftslage können psychische Erkrankungen sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch im Iran behandelt werden. Obwohl auch kostenlose Gesundheitsleistungen angeboten werden, sind aber selbst bei versicherten Personen immer wieder Zuzahlungen erforderlich. Dies gilt auch für Arzneimittel (vgl. grundsätzlich BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationen der Staatendokumentation - Iran, vom 23.5.2022, S. 90 ff; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran, Stand: 18.11.2022, vom 30.11.2022, S. 24 f.). Einschlägige Medikamente bei psychischen Erkrankungen sind im Iran erhältlich. Weiter sind Psychiater und Psychologen stationär und ambulant mit diversen Arten von Psychotherapien verfügbar. Zusätzlich sind verfügbar: Psychiatrische Kriseninterventionen bei Suizidversuch, psychiatrische klinische Behandlung (kurzfristig) durch einen Psychiater, psychiatrische ambulante Langzeitbehandlungen durch einen Psychiater, psychiatrische klinische Behandlung auf einer geschlossenen Station (nicht unbedingt Zwangseinweisung), aber auch psychiatrische Zwangseinweisung bei Bedarf (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation - Iran, Posttraumatische Belastungsstörung, schwergradige depressive Episode; Medikamente Quetiapin und Mirtazapin, vom 25.6.2021). Demnach sind psychische Erkrankungen im Iran grundsätzlich gut behandelbar jedenfalls, soweit die erforderlichen Eigenmittel aufgebracht werden können.
41
Bei der Klägerin lassen die ärztlicherseits festgestellten Erkrankungen und getroffenen Diagnosen einerseits einen gesundheitlichen Gesamtzustand erkennen, der eine psychiatrische Behandlung zusammen mit entsprechender Medikation zwingend indiziert. Andererseits ist die Klägerin als Frau nicht in der Lage im Iran allein zu leben und damit schon aus finanziellen Gründen nicht in der Lage die notwendige medizinische Behandlung und Medikation auf Dauer zuverlässig ohne fremde Hilfe sicherzustellen.
42
Abgesehen davon ist schon nicht gewährleistet, dass der Klägerin eine dauerhafte Trennung von ihrem Vater im Iran möglich ist. Frauen, die wie die Klägerin im Iran - hier durch die Vergewaltigung seitens des Vaters - häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird (siehe nur Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im islamischen Iran, Stand: 18.11.2022, vom 30.11.2022, S. 13).
43
Die Klägerin hat glaubhaft beschrieben, dass sie bei ihrer ersten Flucht innerhalb Irans von der Polizei aufgegriffen und zu ihrem Vater zurückgebracht haben worden ist. Insofern ist auch bei einer erneuten Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Klägerin über die iranischen Sicherheitskräfte bzw. Behörden wieder ihrem Vater übergeben würde.
44
Zudem werden aus dem Ausland zurückkehrende Personen angesichts der aktuellen Sicherheitslage im Iran (siehe VG Würzburg, U.v. 19.12.2022 - W 8 K 22.30631) verstärkt befragt und überprüft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand: 18.11.2022, vom 30.11.2022, S. 25), sodass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass die iranischen Behörden die Klägerin bei einer Rückkehr dem Vater zuführen würden. Jedenfalls könnte der Vater über die Melli-Nummer der Klägerin von ihrer Rückkehr und ihrem Aufenthalt erfahren.
45
Denn in einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16. September 2022 an das VG Würzburg ist auf Seite 4 ausdrücklich ausgeführt, dass die Möglichkeit des Auffindens einer Person besteht. Denn mit der Geburt erhielt jeder Iraner und Iranerin eine Personenkennziffer (Melli). Diese Kennziffer ist im Alltag ziemlich notwendig (Kontoeröffnungen, Abschluss von Versicherungen, eines Mietvertrages etc.). Diese Nummer wird ab einem bestimmten Zeitpunkt auch mit der Mobiltelefonnummer verknüpft, wenn nicht ohnehin schon bei der verpflichtenden Registrierung beim Abschluss eines Mobilfunkvertrages geschehen. Infolgedessen wäre die technische Möglichkeit des Auffindens über die Ortung eines Mobilfunkgerätes im Abgleich mit der persönlichen Melli-Nummer möglich.
46
Des Weiteren ist in der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16. September 2022 ausgeführt, dass die Aussage der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 2. August 2006 weiterhin Gültigkeit hat, wonach alleinstehende oder geschiedene Frauen auch bei guter Ausbildung äußerst schwer ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können und auch zu wenig Geld haben, um eine Wohnung zu mieten, eine solche auch aus moralischen Gründen selbst bei genügender finanzieller Lage kaum mieten können und als alleinstehende Frauen Stigmatisierungen ausgesetzt sind. Denn grundsätzlich ist es im Iran nicht üblich, dass Frauen alleine wohnen. Dies gilt zum Teil sogar für verwitwete und geschiedene Frauen. Auch Vermieter vermieten in der Regel nicht gerne an alleinstehende Frauen. Dass die Zahl der allein lebenden Frauen im Iran nicht hoch sein kann, zeigt sich auch am Anteil der Frauen am Arbeitsmarkt. Nur wenige Frauen sind überhaupt beruflich tätig und können sich eine Wohnung leisten. Wäre es normal, dass Frauen auch alleine lebten, müsste der Anteil an der Erwerbstätigkeit höher sein. Es ist eine gewisse Tendenz zu erkennen, dass sich die Generation langsam verändert, insbesondere in Großstädten. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes empfinden Frauen, die alleine wohnen, Druck von behördlicher und familiärer Seite. Auch modern wirkende Iraner denken in diesem Bereich häufig noch sehr konservativ. Alleinlebenden Frauen wird „Schlüpfrigkeit“ oder gar Prostitution vorgeworfen. Letztes kann für sie sehr gefährlich sein. Ohne die Einwilligung der Familie ist ein alleinstehendes Leben für Frauen fast undenkbar. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es dann zu massiven Übergriffen durch Familienangehörige kommt, die Angst um die „Familienehre“ oder ihren Ruf haben. Auf dem Land scheint es fast unmöglich, dass Frauen alleine wohnen (siehe Auswärtiges Amt, Auskunft vom 16.9.2022 an das VG Würzburg, S. 5 f.).
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In der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13. April 2022 an das VG Würzburg ist weiter ausgeführt, dass die Familie im Iran die Möglichkeit hat, sich über staatliche Behörden über den Aufenthaltsort zu informieren und es unwahrscheinlich erscheint, dass eine Frau (mit Kindern) von der Familie unentdeckt im Iran leben kann, sofern die Familie aktiv nach ihr suchen würde. Es gibt im Iran keine staatlichen Stellen, die Schutz vor Verfolgung durch Familienangehörige bieten. Die staatlich eingerichteten „Frauenhäuser“ zielen nicht darauf ab, Frauen Schutz vor häuslicher Gewalt oder Zwangsverheiratung zu gewähren (S. 2 und 3). Die Sicherung des Existenzminimums wäre ohne familiäre Unterstützung davon abhängig, welche Erwerbsmöglichkeit der Klägerin offenstehen. Grundsätzlich besteht zudem die Möglichkeit der Behandlung psychischer Erkrankung, wobei die Kosten von der konkreten Therapie abhängen. Eine Behandlung wird in der Regel aber vorab bezahlt. Wenn die Mittel hierfür nicht ausreichen, kann die Behandlung nicht durchgeführt werden (S. 5).
48
Nach dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 23.5.2022, S. 66 ff.) werden Frauen benachteiligt und diskriminiert. Die Erwerbsquote liegt nur bei 12% seit Beginn der Covid-19-Krise. Frauen sind stärker vom Verlust des Arbeitsplatzes betroffen. Aufgrund der von männerdominierten Gesellschaft sind die Möglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt. Bei Frauen mit höherer Bildung sind die Aussichten noch schlechter. Aufgrund der Schwierigkeiten von Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Erhalten Frauen keine familiäre Unterstützung, haben sie oft Schwierigkeiten eine Wohnung oder Arbeit zu finden und werden für Prostituierte gehalten. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt mit dem Ziel der Beschränkung der Rolle von Frauen als Mutter und Ehefrau (siehe auch Österreichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 15 ff.).
49
Auch nach der Rechtsprechung ist es auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse einer alleinstehenden Frau ohne familiärer Unterstützung nicht zuzumuten, in den Iran zurückzukehren und sie darauf zu verweisen, als Alleinstehende sich selbst das Existenzminimum zu sichern und die notwendige medizinische Versorgung zu gewährleisten (vgl. VG Aachen, U.v. 15.12.2022 - 5 K 507/19 A - juris Rn. 30 ff.). Opfer von häuslicher Gewalt können sich nicht an die iranischen Justizbehörden wenden. Sie haben vielmehr auch gesellschaftliche Repressalien und Ächtung zu befürchten. Auch eine innerstaatliche Fluchtalternative ist nicht gegeben. Gerade psychisch beeinträchtigte Personen, wie auch die Klägerin, ist es außerhalb des schützenden Familienverbandes nicht möglich, eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen, gerade angesichts der allgemeinen schwierigen Situation auf dem iranischen Arbeitsmarkt. Finanzielle Unterstützung für alleinstehende Frauen gibt es nicht. Eine Rückkehr der Klägerin zu ihrer Familie ist nicht zumutbar, sondern ist nach den vorliegenden Sachverständigengutachten gerade auszuschließen (vgl. auch VG Berlin, U.v. 18.10.2022 -- VG 3 K 964.19 A, 7656867 - juris S. 6 ff.). Nach häuslicher Gewalt ist der iranische Staat weder Willens noch in der Lage, hinreichenden Schutz zu bieten. Es besteht auch für eine alleinstehende Frau nicht die Möglichkeit, eigenständig zu leben. Alleinstehende Frauen haben im Iran Schwierigkeiten ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Selbst wenn sie über ausreichende finanzielle Mittel verfügen würden, hätten sie Schwierigkeiten, selbstständig eine Wohnung zu mieten und alleine zu wohnen, da die gesellschaftlichen Normen verlangen, dass eine (unverheiratete) Frau im Schutz ihrer Familie oder eines männlichen Familienmitglieds lebt. Hinzukommen gesundheitliche Gründe (VG Frankfurt, U.v. 15.3.2022 - 12 K 1906/20.F.A. - juris S. 7 und 8 f. mit Bezug auf VG Düsseldorf, U.v. 18.11.2020 - 22 K 3635/18 A - juris Rn 62 ff., 117 ff.; siehe auch VG Wiesbaden, U.v. 21.2.2022 - 6 K 667/19.WI.A, 7389746 - juris S. 14).
50
Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Vater der Klägerin nicht in der Lage wäre, diese in einem Landesteil Irans aufzuspüren, wäre sie gleichwohl im Iran erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt, sozial isoliert und ohne Unterstützung eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Des Weiteren ist es im Iran kaum möglich, ohne Mitwirkung einer männlichen Person eine Wohnung zu mieten und zu heiraten und so nach iranischen Maßstäben ein normales Leben zu führen. Der Klägerin wäre es nicht zumutbar, alleine und auf sich gestellt an einem anderen Ort zu leben. Sie wäre damit faktisch doch wieder gezwungen, zu ihrer Familie zurückzukehren (VG Potsdam, U.v. 27.5.2021 - VG 5 K 4045/16 A, 6122138 - juris S. 12 f. m.w.N.).
51
Nach der Erkenntnislage hat eine alleinstehende Frau im Iran Schwierigkeiten den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Selbst wenn es ihr gelingen sollte, eine Beschäftigung zu finden oder sie sonst über ausreichende finanzielle Mittel verfügen würde, hätte sie Schwierigkeiten eine Wohnung zu mieten und alleine zu wohnen, da gesellschaftliche Normen verlangen, dass eine unverheiratete Frau im Schutze ihrer Familie oder eines männlichen Familienmitglieds lebt. Weiterhin dürfen Frauen ihren Wohnsitz nicht selbstständig wählen. Die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen befolgen insgesamt einen bevormundenden Ansatz. Die Klägerin wäre sozial isoliert. Sie könnte ohne Zustimmung des Vaters, die sie nicht zumutbar erreichen kann, keine Wohnung mieten, heiraten und ein normales Leben führen. Sie wäre praktisch gezwungen, zu ihrer Familie - und damit zu ihrem Vater - zurückzukehren, was aus medizinischen Gründen unzumutbar ist (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 18.11.2020 - 22 K 3635/18 A - juris Rn. 62 ff., 117 ff. m.w.N.).
52
Das Gericht merkt ausdrücklich an, dass sich die vorliegende Fallgestaltung einer psychisch schwer kranken alleinstehenden Frau von anderen vom erkennenden Gericht entschiedenen Fällen unterscheidet, bei denen die Frauen in zumutbarer Weise auf Verwandte (Bruder, Sohn bzw. Lebensgefährte, Ehemann) zurückgreifen konnten (vgl. VG Würzburg, U.v. 1.2.2021 - W 8 K 20.31049 - juris Rn. 30 ff.; VG Würzburg, U.v. 30.10.2017 - W 8 K 17.31240 - juris Rn. 35 und 43 ff.; anderer Ansicht offenbar VG Magdeburg, U.v. 22.1.2019 - 3 A 276/17 - juris Rn.24, 42).
53
Nach alledem wäre die Klägerin als alleinstehende Frau im Iran - auch unter Berücksichtigung ihres Krankheitsbildes - nicht in der Lage, in zumutbarer Weise durch eigene Erwerbstätigkeit ihr Existenzminimum zu sichern und sich zusätzlich noch die erforderliche medizinische Behandlung und auch Medikation zu beschaffen, so dass eine Rückkehr der Klägerin in den Iran nicht möglich wäre, selbst wenn man unterstellen wollte, sie könnte in den Iran zurückkehren, ohne Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen und ohne in die Nähe ihres Vaters zu gelangen.
54
Letztlich ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr dauerhaft unentdeckt von ihrem Vater bleiben und leben könnte. Aber selbst wenn sie diese Hürde nehmen könnte, wäre es ihr nicht möglich, ihr eigenes Existenzminimum sicherzustellen und notwendige medizinische Versorgung zu gewährleisten. Damit ist eine Abschiebung der Klägerin in den Iran im Lichte der Feststellungen des eingeholten forensisch-psychiatrischen Gutachtens von Rechts wegen ausgeschlossen, mit der Folge, dass unter Aufhebung der Nummer 4 des streitgegenständlichen Bescheides ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen war.
55
Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und Ausreiseaufforderung samt Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn anders als hier die Voraussetzung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG).
56
Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidung entfallen sind (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
57
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
58
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.