Titel:
Haftung der Audi AG für den von der VW AG hergestellten Motor EA 189
Normenketten:
BGB § 31, § 826
ZPO § 138 Abs. 3, § 286, § 287
Leitsätze:
1. Eine Haftung der Audi AG bejahend: BGH BeckRS 2021, 40781; BeckRS 2021, 40870; BeckRS 2021, 47558; BeckRS 2021, 40834; BeckRS 2021, 40868; BeckRS 2022, 7235; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 47025; OLG München BeckRS 2021, 17910; BeckRS 2021, 47841; BeckRS 2022, 12928; BeckRS 2022, 19243; BeckRS 2022, 19242; BeckRS 2022, 21753; BeckRS 2022, 18973; BeckRS 2022, 36627; mit gegenläufigem Ergebnis: OLG München BeckRS 2021, 47474; BeckRS 2021, 47473; BeckRS 2021, 45190; BeckRS 2021, 42728; BGH BeckRS 2021, 6243. (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenigstens ein Repräsentant von Audi iSv § 31 BGB wusste von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren des Typs EA 189 in Audi-Fahrzeugen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts eines ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der Kenntnis von der Umschaltlogik - einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte - versagt haben sollen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Audi trifft die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren EA 189 in - der naheliegenden - Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, Audi AG, arglistige Täuschung, Sittenwidrigkeit, unzulässige Abschalteinrichtung, Umschaltlogik, Kenntnis eines Repräsentanten, Kontroll- und Berichtspflichten, sekundäre Darlegungslast
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 06.05.2021 – 41 O 1939/19
Fundstelle:
BeckRS 2022, 39454
Tenor
I. 1. Auf die Berufungen der Parteien wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 06.05.2021, Az. 41 O 1939/19, in Ziffer 1 des Tenors dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird an die Klagepartei weitere 12.482,92 € zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.09.2019.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klagepartei hat von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz 45%, die Beklagte 55% zu tragen.
II. Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts in der Fassung, die es in Ziffer I.1. bis I.3 erhalten hat, sind vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht. Von der Darstellung des Tatbestandes im Übrigen wird abgesehen, §§ 540, 313 a ZPO und auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Ersturteil wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S.1 ZPO.
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Gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt richten sich die von dem Kläger und der Beklagten eingelegten Berufungen.
3
Die Beklagte beantragt (Schriftsatz vom 17.08.2021, Bl. 415 ff. d.A.),
das am 06.05.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 41 O 1939/19, im Umfang der Beschwer der Beklagten und Berufungsklägerin abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
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Die Klagepartei beantragt (Schriftsätze vom 09.06.2021, Bl. 391 ff.)
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, 41 O 1939/19, verkündet am 06.05.2021, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 12.482,92 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.09.2019 sowie für 30.149,10 € Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.12.2018 bis zum 12.09.2019 sowie weitere außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.681,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.09.2019 zu zahlen.
das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Ingolstadt Az. 41 O 1939/19, verkündet am 06.05.2021, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurück zu verweisen.
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Beide Parteien beantragen jeweils die Zurückweisung der Berufung der Gegenseite.
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Der Senat hat über den Rechtsstreit am 19.09.2022 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird weiter Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
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Die zulässigen Berufungen der Parteien haben in der Sache teilweise Erfolg.
8
Die Berufung des Klägers hat Erfolg, da die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB wegen des Erwerbs des hier streitgegenständlichen Diesel-Pkws durch die Klagepartei in höherem Umfang als erstinstanzlich tenoriert haftet. Die Berufung der Beklagten hat lediglich hinsichtlich einer Nebenforderung Erfolg, nämlich als dem Kläger der Ersatz außergerichtlicher Kosten nicht zusteht.
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1. Die Beklagte haftet gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die - u.a. im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten - Motoren … samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren … in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in den Verkehr zu bringen. Mindestens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht.
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Sittenwidrig ist nach der nunmehr auch speziell in Bezug auf Dieselfälle seitens des BGH gefestigten Rechtsprechung ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 14 f.).
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Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
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Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 21, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28). a)
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Ein derartiges Vorstellungsbild steht zur Überzeugung des Senats fest im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat. Der Senat ist überzeugt i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik gewusst hat bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten.
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Soweit die Beklagte einwendet, eine Überzeugungsbildung i.S.v. § 286 ZPO verstoße gegen BGH, Urteil vom 26.04.1989, Az.: IVb ZR 52/88, ist festzuhalten, dass sich der BGH in seiner Urteilsserie vom 25.11.2021 u.a. explizit mit der Prüfung der Feststellungen auf der Grundlage einer Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO in den Ausgangsentscheidungen befasst und seine Beurteilung ausführlich begründet hat (Az.: VII ZR 238/20, Rdnr. 29 ff., VII ZR 243/20, Rdnr. 28 ff., VII ZR 257/20, Rdnr. 30 ff. und VII ZR 38/21, Rdnr. 28 ff.; deutlich dazu: BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, Rdnr. 18, und vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Rdnr. 18, und Az.: VII ZR 26/21, Rdnr. 23). Der BGH hat insbesondere auch klargestellt, dass die Tatsachenfeststellung in Dieselfällen nicht beschränkt ist auf Feststellungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 25.11.2021, Az.: VII ZR 243/20, Rdnr. 35).
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Die Beklagte führt aus, im Rahmen der grundsätzlichen Entscheidung über die Verwendung des Motors … in Fahrzeugen ihrer Herstellung durch das Produkt-Strategie-Komitee im Jahr 2005/2006, das sich aus einzelnen Mitgliedern des Vorstands sowie einzelnen Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, und der fortlaufenden nochmaligen Entscheidung zum Einsatz des Motors … jeweils in Bezug auf das konkret entwickelte Modell (Bl. 304 ff. d.A. dort Seite 12, Bl. 432 d.A.), habe man lediglich den serienmäßigen Einsatz des Motors … beschlossen, sich dabei aber nicht mit der konkreten technischen Ausstattung einschließlich der Umschaltlogik befasst, man habe insbesondere im Produkt-Strategie-Komitee nur über den Einsatz des Motorentyps entschieden und dabei nur finanzielle und zeitliche Planungsaspekte einbezogen, nicht jedoch technische Details der streitgegenständlichen Software (Bl. 570 d.A.). Der Senat ist aber davon überzeugt, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik gewusst hat, unabhängig von der Frage der ausdrücklichen Besprechung der Umschaltlogik innerhalb der Erörterungen des Produkt-Strategie-Komitees.
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Beim Motor eines Fahrzeugs handelt es sich um dessen „Kernstück“, nicht bloß um ein untergeordnetes Zuliefererteil. Dies bestätigen auch die Ausführungen der Beklagten, wonach die Entscheidung über den in einen neuen Fahrzeugtyp einzusetzenden Motor im Rahmen des 60-monatigen Zeitraums zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells einen „Meilenstein“ darstellt (Bl. 304 ff. d.A. dort Seite 12 sowie Bl. 431 ff.). Bei den Emissionswerten eines Fahrzeugs handelt es sich wiederum nicht um bloße technische Details und damit Fragen von vollkommen untergeordneter Bedeutung, im Gegenteil. Gleichzeitig handelt es sich um eine Entscheidung von großer Tragweite mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken für die Entscheider.
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Hinzu kommt, dass das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und den durch die nach den gesetzgeberischen Vorgaben zu den Euro-Schadstoffklassen stets strengeren Anforderungen an die Begrenzung der Stickoxidemissionen seinerzeit bei Automobilherstellern allgemein bekannt war. Die Einhaltung der relevanten Stickoxidgrenzwerte für den Motor … stellte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen eine Herausforderung dar, die jedem Kraftfahrzeughersteller, der sich wie die Beklagte selbst mit der Entwicklung von Dieselmotoren befasste, bekannt war. Die Beklagte selbst räumt auch ein, dass bei der Entscheidung über den Einsatz des Motors … finanzielle Aspekte einbezogen wurden.
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In diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen vermag der Einwand der Beklagten, bei den von ihr entwickelten und hergestellten Dieselmotoren handele es sich um ganz andere Motoren (Bl. 566 f. d.A.). Zwar mögen diese Motoren leistungsstärker und die Zylinder anders angeordnet sein. Das grundlegende Problem der Entstehung von Stickoxiden aufgrund höherer Verbrennungstemperaturen stellt sich aber bei jedem Dieselverbrennungsmotor (vgl. etwa den Bericht des KBA zur „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“, Anlage K 21 dort S. 10 f). Auch gelten für alle diese Motoren die gleichen gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte. Die Automobilindustrie arbeitet bereits seit Jahren an Strategien zur Optimierung des Ausstoßes von Stickoxiden, und zwar zunächst im Wesentlichen durch eine Herabsenkung der Verbrennungstemperaturen durch Abgasrückrückführung; dem sind jedoch nach dem Vortrag der Beklagten Grenzen gesetzt, denen durch die Verwendung von sog. Thermofenstern - nach dem Beklagtenvortrag in sämtlichen Dieselfahrzeugen bei allen Herstellern in der EU - begegnet wird (Bl. 512 f. d.A.).
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Ferner sind der Beklagten ausweislich ihres Vortrags durchaus Aspekte der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Motor … bekannt: sie weiß, dass bei den für den deutschen Markt bestimmten Fahrzeugen mit Motor … der Euroschadstoffnorm 4 bis 6 die Abgasreinigung durch Hochdruck-Abgasrückführung, durch einen Dieseloxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter („Hardwarekomponenten“) stattfindet, aber eine Abgasnachbehandlung durch Stickstoffspeicherkatalysator wie bei den für den USamerikanischen Markt bestimmten Fahrzeugen nicht zum Einsatz kommt; mit den unterschiedlichen Hardwarekomponenten gingen Unterschiede bei der Motorsteuerungssoftware einher (Bl. 569 d.A.). Die Beklagte führt außerdem aus, vor der Verwendung der Motoren … habe sie von der … Motoren … erworben - die beiden Motoren unterschieden sich, da die … den Motortyp … weiterentwickelt und die Technik von der Pumpe-Düse-Einspritzung auf die innovative Common-Rail-Einspritzung mit dem Ergebnis des Motortyps … umgestellt habe (Bl. 433 d.A). Die Einspritzcharakteristik ist aber wesentlich für die Optimierung des Verbrennungsprozesses und steht damit im Zusammenhang mit der Abgasreinigung durch Abgasrückführung, auf die Ausführungen der Beklagten zur Funktionsweise des Softwareupdates wird Bezug genommen (Bl. 109 ff. d.A., dort insbesondere S. 10/11).
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Auch angesichts des von der Beklagten beschriebenen ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten (Bl. 304 ff. d.A. dort Seite 36 ff., Bl. 455 ff.) erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der hier inmitten stehenden Kenntnis von der Umschaltlogik - einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte - versagt haben sollen.
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Zwar hat die Beklagte ihren Vortrag zur von ihr behaupteten Unkenntnis in Bezug auf die Umschaltlogik von Personen, deren Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, mittlerweile vertieft. Sie trägt vor, inzwischen seien die internen Untersuchungen abgeschlossen. Danach hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Vorstände im aktienrechtlichen Sinn bzw. andere Repräsentanten die für eine Haftung nach § 826 BGB maßgeblichen Kenntnisse gehabt hätten, und führt dies auch konkret aus in Bezug auf von der Klagepartei benannte Personen.
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Dies überzeugt den Senat jedoch nicht. Denn die Beklagte räumt ein, dass zu der Ebene der Bereichsleiter im Zeitraum von 2006 bis 2015 jeweils ca. 70 Personen gehört hätten. Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien aber weder erforderlich noch praktisch umsetzbar (Bl. 304 ff. d.A. dort Seite 31). Das teilt der Senat nicht, der nicht erkennen kann, dass die Anhörung dieser gleichwohl noch überschaubaren Anzahl von Personen zur Aufklärung dieses für die Beklagte aus dem Tagesgeschäft herausragend bedeutsamen Sachverhalts nicht praktisch umsetzbar sein soll, zumal es nach dem Vortrag der Beklagten auch der zur Untersuchung im …-Konzern eingesetzten Kanzlei … möglich war, mehr als 700 Befragungen durchzuführen einschließlich einer Sicherung von über 21.000 elektronischen Datenträgern bei weltweit über 3.500 Mitarbeitern (Bl. 304 ff. d.A. dort Seite 24, Bl. 443). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nach ihren eigenen Ausführungen im Zeitraum von 2006 bis 2015 streng hierarchisch organisiert war mit Berichts- und Kontrollpflichten. Danach sei die Beklagte von sieben Vorständen geleitet worden und sei in sieben Vorstandsbereiche gegliedert gewesen, welche die erste Berichtsebene darstellten. Der Vorstandsebene nachgelagert gewesen seien Untergliederungen, die als Bereiche bezeichnet worden seien und welche die zweite Berichtsebene darstellten. An ihrer Spitze standen bereits die Bereichsleiter (Bl. 304 ff., dort Seite 37 ff, 456 ff. d.A.). Die Notwendigkeit ihrer Befragung drängt sich auf, zumal der BGH bereits in der Entscheidung vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 33) dem restriktiven Begriffsverständnis des Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB der dortigen Beklagten (und der hiesigen Beklagten explizit in Bezug auf Bereichsleiter, Bl. 304 ff. d.A., dort S. 27 ff., insb. Seite 29, denen aber selbst die Beklagte gleichwohl „eine dem Tätigkeitsprofil der Vorstandsmitglieder angenäherte Funktion innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten“ zubilligt) nicht gefolgt ist. Ob überhaupt wenigstens einzelne und ggfls. welche Bereichsleiter befragt wurden, bleibt aber unklar.
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Eine Indizwirkung im Sinne der Beklagten vermag der Senat schließlich nicht in dem Umstand zu sehen, dass die internen Ermittlungen nicht zu Schadensersatzansprüchen der Beklagten gegen ihre Verantwortlichen bzw. zu weiteren staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Nach den Ausführungen der Beklagten bezogen sich die nach Darstellung der Beklagten umfangreichen internen Ermittlungen der Kanzlei … in Zusammenarbeit mit Deloitte zur Beklagten im Schwerpunkt ohnehin nicht auf den hier inmitten stehenden Sachverhalt der Verwendung der Motoren …, sondern auf Manipulationen bei den von der Beklagten selbst entwickelten 3-l-V6-Motoren (Bl. 304 ff. d.A. dort Seite 24 f., Bl. 443 ff. sowie Anlage B3 und B4) und die Befragung der Bereichsleiter bleibt unklar. Die Staatsanwaltschaft München II hat gegenüber der Beklagten wegen Aufsichtspflichtverletzungen im Bereich „Abgas Service / Zulassung Aggregate“ bei der Prüfung von Fahrzeugen auf ihre regulatorische Konformität u.a. wegen des Einsatzes des Motors … in Fahrzeugen weltweit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren geführt und ein Bußgeld verhängt (Anlage K13). Dies allein und der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, lässt keinen Rückschluss zu auf die dort jeweils bestehenden Kenntnisse und Entscheidungsmotive - erst recht nicht allein im Sinne des Beklagtenvortrags. Die Beklagte selbst legt überdies als Anlage B5 das „Statement of Facts“ vor, aus dem sich ergibt, dass es im Hinblick auf die Vorgänge in den USA u.a. durch Angestellte der Beklagten zur Vernichtung von Unterlagen gekommen ist mit dem Ziel der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen (ebenda, Nr. 73).
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Die umfänglichen Ausführungen - teilweise einschließlich von Beweisangeboten - der Beklagten zur fehlenden Kenntnis ihrer Vorstände im aktienrechtlichen Sinne und sonstiger Repräsentanten mit der Begründung, sie habe den Motor nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt, sei am Homologationsprozess nicht beteiligt gewesen und habe aufgrund des bestehenden Baukastenprinzips mit automatisierten Produktionsprozessen ohne Einwirkungs- oder Überprüfungsmöglichkeit beim Aufspielen der Motorsteuerungssoftware bzw. später bei der Überwachung der Produktion keine Kenntnisse erlangen können, verfangen nicht, da der Senat - bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beklagten insoweit - in der Entscheidung über die Verwendung des Motors … in Kenntnis der Umschaltlogik das deliktische Handeln sieht.
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Diese Wertung liegt bereits den Entscheidungen des Senats zugrunde, zu denen durch den BGH unter dem 25.11.2021 bestätigende Entscheidungen (Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21) ergangen sind. Der Senat hat hierauf mit Beschluss vom 26.07.2022 (Bl. 611 ff. d.A.) hingewiesen. Eine inhaltliche Ergänzung des Vortrags im Sinne dieser Hinweise erfolgte weder schriftsätzlich noch im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat; die Beklagte hat nach wie vor nicht, auch nicht mit dem zuletzt eingereichten Schriftsatz vom 09.09.2022, Bl. 665 ff. d.A., die in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug über den Zukauf des Motors inklusive Software entscheidenden Personen benannt und ebenso wenig konkret zu deren Kenntnisstand - ggfls. nach Befragung im Rahmen der internen Ermittlungen - vorgetragen.
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b) Letztlich ist damit das Bestreiten der Beklagten auch unzureichend im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO.
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Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner - hier die Klagepartei - vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (z.B. BGH, Urteil 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 25 ff.). Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer Repräsentanten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 28).
28
Anders als die Beklagte einwendet, sind die möglichen Anhaltspunkte nicht beschränkt auf die im Urteil des BGH vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 30, genannten Umstände. Maßgeblich bleibt der Vortrag im Einzelfall, was bestätigt wird durch BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Rdnr. 24 ff. und Urteil vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20, Rdnr. 14 f.
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Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren … in Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. Die Umstände, nach denen vorliegend eine Kenntnis der für die Beklagte handelnden und dieser zuzurechnenden Personen naheliegt, ergeben sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Herstellung kostengünstiger Motoren bei gleichzeitiger Einhaltung der gesetzlich weiter verschärften Stickoxidgrenzwerte sowie grundsätzlichem Verbot des Einsatzes von Abschalteinrichtungen war bei Automobilherstellern bekannt. Die Beklagte selbst entwickelt Dieselmotoren. Gleichzeitig waren der Beklagten die Hardwarekomponenten wie auch Aspekte der Funktion der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Einsatz der Motoren … (im Vergleich zu dem bis dahin verwendeten …motor …) bekannt. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten betraf eben nicht bloß ein untergeordnetes Zuliefererteil, sondern den Motor als „Kernstück“ des Fahrzeugs; die Emissionseigenschaften des Fahrzeugs sind für dieses wesentlich und nicht bloß ein technisches Detail. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren … in Fahrzeugen der Beklagten war mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken der entscheidenden Personen verbunden. Eine Unkenntnis des Einsatzes der Umschaltlogik auf Ebene von Personen, die der Beklagten zuzurechnen sind nach § 31 BGB, erscheint ausgeschlossen, zumal in Anbetracht des ausgeklügelten und streng hierarchischen Kontroll- und Berichtswesen innerhalb der Beklagten. Dem ist die Beklagte, wie sich ebenfalls aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht hinreichend entgegengetreten; insbesondere blieben ihre Angaben zu ihren internen Ermittlungen, auf deren negatives Ergebnis die Beklagte sich beruft, unzureichend, jedenfalls im Hinblick auf die Befragung der Bereichsleiter, und der Vortrag zum Kenntnisstand der Beteiligten im Rahmen des Produkt-Strategie-Komitees blieb pauschal.
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2. Vor diesem Hintergrund ist auch der Schädigungsvorsatz zu bejahen. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben; Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Umschaltlogik den serienmäßigen Einsatz der Motoren in ihren Fahrzeugen anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
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3. Die Einwände der Beklagten gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen (Bl. 463 ff d.A.) nicht durch.
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Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen.
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Auch aufgrund der Angaben der Klagepartei persönlich im Rahmen ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 19.09.2022 und des hierbei von ihr gewonnenen Eindrucks ist der Senat vom Bestehen der Kausalität überzeugt. Die Beklagte hat auf die förmliche Parteieinvernahme verzichtet.
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4. Der Schaden ist - anders als die Beklagte meint - auch nicht durch die Inzahlunggabe, also eine Weiterveräußerung, am 01.04.2019 entfallen (BGH, Urteil vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 575/20, Rdnr. 18 ff., vom 20. Juli 2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 23 ff., vom 29.07.2021, Az. VI ZR 1118/20, Rdnr. 45).
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5. Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der „zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre“ (BGH, Urteil vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 575/20, Rdnr. 26). Gleichwohl muss der Geschädigten sich die Vorteile anrechnen lassen, die ihm im Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind, da hier ein gerechter Ausgleich geschaffen werden soll. Letztlich soll der Geschädigte nicht am Ende besser dastehen, als er ohne schädigendes Ereignis dastehen würde (ebenda, Rdnr. 28), d.h. sowohl den Nutzungsausgleich als auch den Veräußerungserlös bzw. der für die Inzahlungnahme angesetzte Preis sind anzurechnen.
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Im Wege der Vorteilsanrechnung ist das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und das Eigentum zu übertragen sowie ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 65 ff.).
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Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Der Senat schätzt in Anbetracht des festgestellten Fahrzeugtyps, des Datums seiner Erstzulassung sowie der konkreten Nutzung die mögliche Gesamtlaufleistung auf 300.000 km. Mit dieser Schätzung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der gesamten Laufleistung (u.a. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 26). Weitere aussagekräftige Umstände, welche die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, sind nicht dargetan (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021, Az.: VIII ZR 111/20, Rdnr. 52 ff., 58).
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Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz des Landgerichts, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen. Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Entgegen dem Einwand der Beklagten ist eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung - etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs - nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 36, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 15, vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 33, vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 46, vom 21.04.2022, Az.: VI ZR 285/21).
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Danach errechnet sich bei Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs, für das der Kläger 43.800 € gezahlt hat, bis zur Inzahlunggabe mit einer Kilometerleistung von insgesamt 93.500 km eine anzurechnende Nutzungsentschädigung i.H.v. 13.650,90 €, so dass ein Erstattungsanspruch von 30.149,10 € gegeben wäre. Hiervon ist der Wert von 14.000 € für die Inzahlunggabe des Fahrzeugs abzuziehen.
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6. Demnach kommt man insgesamt auf einen Erstattungsanspruch i.H.v. 16.149,10 €, von denen das Landgericht dem Kläger bereits mit Urteil vom 06.05.2021 3.666,18 € zugesprochen hatte.
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Noch zuzusprechen waren daher weitere 12.482,92 €.
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7. Der Anspruch ist auch nicht bereits verjährt.
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Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Klagepartei hat zur Überzeugung des Senats nicht bereits im Jahr 2015 Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs erlangt. Die Unkenntnis im Jahr 2015 war auch nicht grob fahrlässig. Vorliegend trat Verjährung frühestens mit Ablauf des 31.12.2019 ein; die Klageerhebung noch im Jahr 2019 erfolgte rechtzeitig, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Im Einzelnen:
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Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es hinsichtlich der Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Dieselfällen darauf an, dass der Käufer Kenntnis erlangt hat vom „Dieselskandal“ allgemein, von der konkreten Betroffenheit seines Wagens hiervon sowie von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung, wobei von letzterem naturgemäß auszugehen ist (BGH, Urteil vom 17.12.2020, Az.: VI ZR 739/20, Rdnr. 5, 8, 17, vom 29.07.2021, Az.: VI ZR 1118/20, Rdnr.14 ff., Beschluss vom 15.09.2021, Az. VII ZR 294/20, Rdnr. 8 f., Urteilsserie vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 24, Az.: VII ZR 717/21, Rdnr. 24, Urteil vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 37). Der Senat hat die Klagepartei hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19.09.2022 befragt. Die Klagepartei hat vom Dieselskandal allgemein noch im Jahr 2015 Kenntnis erlangt, zur Überzeugung des Senats nicht jedoch von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeuges. Die Klagepartei machte auf den Senat einen glaubwürdigen Eindruck und ihre Ausführungen waren in sich widerspruchsfrei sowie überzeugend, auch auf konkrete Nachfrage.
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Zur Überzeugung des Senats war hier auch die Nichtverschaffung der Kenntnis von der konkreten Betroffenheit noch im Jahr 2015 nicht grob fahrlässig i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, und zwar auch unter Berücksichtigung der insofern breiten Medienberichterstattung, Information der Händler wie Servicepartner und Schaffung einer Abfragemöglichkeit im Internet. Der Zeitraum vom Bekanntwerden des „Dieselskandals“ im September 2015 bis zum 31.12.2015 war recht kurz. Auch hat die Klagepartei dargelegt, dass sie dies nicht auf Audi bezogen hat. Ferner hat nach dem Beklagtenvortrag u.a. die …, bei der die Information der Öffentlichkeit bewusst auch für Fahrzeuge der Beklagten gebündelt worden war, innerhalb dieses Zeitraums fortlaufend informiert zur Kooperation mit dem Kraftfahrtbundesamt, den so geplanten Abhilfemaßnahmen und Ankündigungen zu deren Umsetzung (Bl. 109 ff. d.A. dort Seite 15 ff, 22ff, 24 ff). Ein Zuwarten, zumindest bis zum Ende des Jahres 2015 war damit jedenfalls nicht schlechterdings unverständlich; der Senat nimmt Bezug auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 12+35, Urteilsserie vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 396/21, Rdnr. 21 ff., Az.: VII ZR 679/21, Rdnr. 24 ff., Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 25 ff., Urteil vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 38 ff., vom 17.03.2022, Az.: III ZR 226/20, Rdnr. 22).
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8. Der Anspruch ist - wie erstinstanzlich ausgeurteilt - ab Rechtshängigkeit zu verzinsen, mithin ab 12.09.2019, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2, 187 Abs. 1 BGB.
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9. Entgegen dem erstinstanzlichen Urteil besteht allerdings kein Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten.
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Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 25, vom 22.06.2021, Az.: VI ZR 353/20, Rdnr. 5 ff., vom 24.01.2022, Az.: VIa ZR 100/21, Rdnr. 12 f.). Die Rüge der Beklagten zur mangelnden Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit (Bl. 420, 513 ff d.A.) greift in diesem Fall durch. Die in dem vom Klägervertreter in der Email vom 11.12.2018 (Anlage K11) gesetzte Frist bis 14.12.2018, war derart kurz, dass man nicht ernsthaft mit einer außergerichtlichen Beilegung ohne Bemühen des Gerichts rechnen konnte.
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Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die erhobene Forderung von Deliktszinsen ist zu Lasten der Klagepartei zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, Rdnr. 32). Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts ist insoweit zu verweisen, mit der Maßgabe, dass vorliegend eine andere (lineare) Berechnung der gezogenen Nutzungen zu erfolgen hatte (siehe oben unter 5.).
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Die Kostenentscheidung zweiter Instanz beruht auf §§ 97, 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
52
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in Dieselfällen, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB wie auch die Anforderungen an den Vortrag der Parteien sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt (deutlich u.a.: BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 223/20, Rdnr. 8, vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rdnr. 4, 24). Dies gilt auch in Bezug auf eine Haftung der Beklagten bei Fahrzeugen ihrer Herstellung mit Motoren … (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Urteilsserie vom 25.11.2021: Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, Urteil vom 21.12.2021, Az.: VI ZR 875/20, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, vom 27.01.2022, Az.: III ZR 195/20, vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20 und Az.: VII ZR 26/21, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 95/06, Rdnr. 2, deutlich: Beschluss vom 13.10.2021, Az.: VII ZR 99/21, Rdnr. 28).