Titel:
Keine Befangenheit wegen Hinweises zum Umfang eines Schriftsatzes
Normenkette:
ZPO § 42 Abs. 2, § 253 Abs. 2 Nr. 2
Leitsatz:
Der Hinweis einer Richterin, bei einem Schriftsatz mit einem Umfang von 1856 Seiten handele sich nicht um eine übersichtliche und verständliche Darstellung, rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Befangenheit, Schriftsatz, Übersichtlichkeit, Verständlichkeit
Vorinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 25.08.2022 – 16 T 10239/22
AG München, Beschluss vom 25.08.2022 – 1537 M 30975/21
AG München, Beschluss vom 15.08.2022 – 1537 M 30975/21
AG München, Beschluss vom 28.03.2022 – 1537 M 30975/21
Rechtsmittelinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 16.09.2022 – 16 T 10239/22
LG München I, Beschluss vom 30.09.2022 – 16 T 10239/22
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 20.06.2023 – 2 BvR 1851/22
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 17.08.2023 – 2 BvR 1851/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 39424
Tenor
Das Gesuch vom 08.09.2022 auf Ablehnung von Frau Richterin am Landgericht von … wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit eines Richters findet gem. § 42 Abs. 2 ZPO nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei muss es sich um einen objektiven Grund handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus die Befürchtung erwecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Antragstellers scheiden als Ablehnungsgrund aus. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (vgl. BVerfG, NJW 1993, 2230 m.w.N; BGH, NJW-RR 2003 1220, 1221, st. Rspr.).
2
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Ablehnungsverfahren nicht dazu geeignet ist, auf das gerichtliche Verfahren und auf die richterlichen Entscheidungen im Sinne einer Partei einzuwirken. Behauptete Verfahrensfehler, falsche Rechtsanwendung bzw. Beweiswürdigung oder die Verletzung rechtlichen Gehörs stellen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar, weil das Ablehnungsverfahren keine weitere Instanz eröffnet. Derartiges Vorbringen kann grundsätzlich nur im dafür vorgesehenen Rechtsmittelweg geltend gemacht werden.
3
Gegenstand des Ablehnungsgesuchs ist eine nach Auffassung der Ablehnenden schlechthin unvertretbare Würdigung des Sachverhalts durch die abgelehnte Richterin.
4
Der ordentliche Rechtsbehelf gegen Gehörsverstöße ist die - ebenfalls erhobene - Anhörungsrüge, im Falle des Verstoßes gegen Grundsätze der Verfassungsordnung steht noch die - angekündigte - Verfassungsbeschwerde zur Verfügung. Entsprechend zitiert der Ablehnungsantrag auch Verfassungsrechtsprechung. Gerechtfertigt ist die Ablehnung jedoch dann, wenn die richterliche Entscheidung oder Handlung ausreichender gesetzlicher Grundlage entbehrt, offensichtlich unhaltbar, so grob fehlerhaft ist, dass sie als Willkür erscheint (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 42 Rn. 47). Erscheint die Rechtsanwendung des Richters vertretbar, so scheidet Ablehnung aus, falls nicht weitere Umstände auf parteiliche, unsachliche Einstellung schließen lassen (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 42 Rn. 48).
5
Das Gesuch hält die Würdigung der abgelehnten Richterin, wonach der Antrag im Schriftsatz vom 09.03.2022 auch die eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit der mit den Anlagen K 18 und K 19 erteilten Auskünfte umfasse, für unvertretbar. Allerdings war der Antrag zumindest nicht eindeutig formuliert. Zwar enthält er die Wörter „ergänzend“ und „auch“, die eidesstattliche Versicherung selbst bezieht sich demnach aber nur noch darauf, dass ergänzend zu den Anlagen K 18 und K 19 auch weitere Angaben vollständig seien. Die grammatikalische Auslegung ergibt zunächst, dass sich die Versicherung auf die Ergänzung bezieht, nicht auf die ursprüngliche Auskunft. So wie der Antrag formuliert ist, hätte er nämlich vorausgesetzt, dass die eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit der bereits erteilten Auskünfte schon erfolgt ist. Sollte die Auslegung, welche die Ablehnende in ihrem Gesuch vom 8.09.2022 vornimmt überhaupt auch vertretbar sein, wäre sie keinesfalls eindeutig, so dass die Auslegung der abgelehnten Richterin zumindest vertretbar, wenn nicht näherliegend, ist.
6
Die abgelehnte Richterin hat den Tenor der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf so gewürdigt, dass, nachdem das Hauptsacheverfahren der Auskunft erledigt war, nunmehr nur noch die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte aus den Anlagen K 18 und K 19 zu versichern sei. Selbst wenn es nach dieser Würdigung noch darauf ankäme, dass auf Seite 120 des Schriftsatzes vom 09.03.2022 auch eine Empfängerin genannt ist, welche nicht unter eine dieser Kategorien fällt, würde deren fehlende Einordnung durch die abgelehnte Richterin einen unbeteiligten Dritten nicht zu dem Verdacht verleiten, sie sei ihm gegenüber voreingenommen. Ein unbeteiligter Dritter würde angesichts des Umfangs der Angaben von einem einfachen Übersehen ausgehen, zumal es für die Entscheidung der abgelehnten Richterin auf die Versicherung hinsichtlich dieser Empfängerin nicht angekommen wäre. Dies folgt auch schon daraus, dass die Ablehnende in ihrem Schriftsatz vom 09.03.2022 selbst nicht davon ausging, zu einer Information über diese Empfängerin verpflichtet zu sein. Die Ausführungen sind von der Ablehnenden ausdrücklich und hervorgehoben als überobligatorisch bezeichnet.
7
Die von der Ablehnenden zitierte Rechtsprechung hinsichtlich eines Hinweises zum Seitenumfang betraf einen Fall, in welchem der abgelehnte Richter in einem Hinweis die Auffassung vertrat, die Klagebegründung stehe nicht im Einklang mit § 253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO, und der Klägerin eine sehr kurz bemessene Frist setzte, in welcher er die Seitenzahl des noch einzureichenden Schriftsatzes vorgab und dazu u.a. ausführte: „Verhindert der Anspruchsteller faktisch ein Tätigwerden des Gerichts, indem er Eingaben einreicht, die die Arbeitskraft eines jeden Gerichts weit überfordern, so kann er vernünftigerweise nicht mit einer Bearbeitung rechnen, …“ (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. September 2007 - 22 W 41/07 -, Rn. 6, juris). Im Beschluss vom 25.08.2022 dagegen wird unter Bezugnahme auf die Kommentarliteratur festgestellt, dass es sich bei einem Schriftsatz mit einem Umfang von 1856 Seiten nicht um eine übersichtliche und verständliche Darstellung handeln würde. Der Sachbezug ist hier offensichtlich. Kein objektiver Dritter würde den bloßen Hinweis auf die Vorgaben der Rechtsprechung als Voreingenommenheit betrachten.
8
Die Auslegung des Urteilstenors durch die abgelehnte Richterin ist nicht erkennbar willkürlich und auch nicht widersprüchlich. Dass nach der im Beschluss zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unvollständige Auskünfte nachgebessert werden können, lässt keinen Rückschluss darauf zu, wie weit der Umfang des Tenors der konkreten Entscheidungen von Oberlandesgericht und Landgericht Düsseldorf reicht. Es kann dahinstehen, ob die Auslegung der abgelehnten Richterin die einzig vertretbare oder auch nur die richtige Auslegung ist, nachdem das Ablehnungsverfahren nicht der inhaltlichen Fehlerkorrektur dient, der behauptete Widerspruch aber nicht besteht und eine völlige Unvertretbarkeit der Rechtsauffassung weder vom Ablehnungsgesuch aufgezeigt noch sonst erkennbar ist.
9
Eine dienstliche Äußerung nach § 44 Abs. 3 ZPO konnte unterbleiben, nachdem das Gesuch lediglich auf Gründe gestützt wird, welche sich ohne Schwierigkeiten aus den Akten entnehmen lassen (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 44). Umstände außerhalb des Inhalts der Entscheidung werden nicht benannt.