Titel:
Kein "Nachteil" iSv § 20 WEG bei möglichen Folgekosten einer baulichen Veränderung
Normenkette:
WEG § 14 Abs. 2 Nr. 1, § 20
Leitsatz:
Der aufgrund einer baulichen Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums zu erwartende erhöhte Aufwand bei einer zukünftigen Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums und dadurch verursachte Mehrkosten stellen - anders als nach bisheriger Rechtslage - keinen "Nachteil" iSv § 20 WEG in der seit dem 1.12.2020 geltenden Fassung dar. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentümergemeinschaft, bauliche Veränderung, Markise, Beseitigungsanspruch, Prozessführungsbefugnis, Nachteil
Vorinstanzen:
LG München I, Hinweisbeschluss vom 18.02.2022 – 1 S 3709/21 WEG
AG München, Endurteil vom 24.02.2021 – 482 C 10551/20 WEG
Rechtsmittelinstanz:
VerfGH München, Entscheidung vom 04.01.2023 – 27-VI-22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 39345
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 24.02.2021, Aktenzeichen 482 C 10551/20 WEG, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit i. H. von 110% des vollstreckbaren Betrages aus diesem Beschluss und dem in Ziffer 1 genannten Urteil des Amtsgerichts München abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Parteien sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft .... Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger einen Anspruch auf Beseitigung einer von der Beklagten an der Fassade des gemeinschaftlichen Gebäudes angebrachten Markise geltend.
2
Die im Eigentum der Beklagten stehende Wohnung liegt im Erdgeschoss. Im Jahr 2017 hat die Beklagte oberhalb der Fensterfront ihrer Wohnung an der Außenfassade des Gebäudes eine Markise angebracht, nachdem die Eigentümer ihr das Anbringen einer Markise durch Beschluss gestattet hatten. Wegen der Lage und des Aussehens der Markise wird auf die als Anlage K 2 und B 1 vorgelegten Lichtbilder verwiesen. Bei der streitgegenständlichen Markise handelt es sich dabei um die in der Mitte der Fassade unterhalb des darüber liegenden Balkons angebrachte Markise, während die auf den Bildern rechts vor der Erdgeschosswohnung zu sehende Markise nicht streitgegenständlich ist. Der Beschluss, mit dem der Beklagten das Anbringen einer Markise vor ihrer Erdgeschosswohnung gestattet wurde, wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts München I vom 05.09.2019, Az: 36 S 5002/18 WEG, für ungültig erklärt.
3
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der in 1. Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils verwiesen.
4
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.02.2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig, weil der Kläger aufgrund der durch das WEMoG (Gesetz zur Förderung der Elektromobilität und zur Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes und zur Änderung von kosten- und grundbuchrechtlichen Vorschriften v. 16.10.2020, BGBl. I 2187) zum 01.12.2020 eingetretenen Rechtsänderung, insbesondere durch die Einführung des § 9a II WEG, der mangels einer anderslautenden Übergangsvorschrift auf das vorliegende Verfahren anwendbar sei, für den geltend gemachten Beseitigungsanspruch nicht mehr prozessführungsbefugt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Urteilsgründe verwiesen.
5
Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er seine in 1. Instanz geltend gemachten Ansprüche weiterverfolgt.
6
Der Kläger ist der Meinung, er sei für den Beseitigungsanspruch weiterhin prozessführungsbefugt, weil er die Klage noch vor Eintritt der Rechtsänderung zum 01.12.2020 erhoben habe. Daher sei § 48 V WEG anzuwenden, mit der Folge, dass es bei der Prozessführungsbefugnis des einzelnen Eigentümers verbleibe, soweit kein entgegenstehender Wille der Gemeinschaft geäußert wurde. Weiter ist der Kläger der Auffassung, durch die streitgegenständliche Markise werde jedenfalls auch sein Sondereigentum beeinträchtigt, weil durch das Entstehen einer technischen Schwachstelle auch sein Sondereigentum gefährdet sei, der Verkehrswert seines Sondereigentums durch die von der Beklagten angebrachte Markise vermindert sei und der Ausblick aus seinem Sondereigentum beeinträchtigt werde. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sei die Markise nachteilig i. S. von §§ 22, 14 Nr. 1 WEG aF bzw. §§ 20 I, 14 II Nr. 1 WEG nF. So bestehe ein Nachteil darin, dass durch die Bohrungen zum Zwecke der Befestigung der Markise eine technische Schwachstelle entstanden sei. Insoweit bestehe, anders als es das Amtsgericht sehe, auch nicht lediglich ein Anspruch auf ordnungsgemäße Installation der Markise. Denn die Markise sei ordnungsgemäß installiert, nämlich mit langen, dicken und schweren Schrauben und Dübeln in das Mauerwerk gebohrt. Einen anderen Weg der Befestigung, der nicht in das Mauerwerk eingreife, gebe es nicht. Die technische Schwachstelle könne vielmehr nur durch die Beseitigung der Markise behoben werden. Die Markise führe auch zu einem optischen Nachteil. Sie sei mit den andern an der Südfassade angebrachten Markisen nicht vergleichbar, weil sie mit diesen nicht in einer Flucht liege, sondern am um mehrere Meter vorstehenden Hausvorsprung/Wintergarten angebracht und daher äußerst auffällig sei und unschön hervortrete. Wegen der weiteren Einzelheiten des Klägervortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 17.05.2021 sowie auf den Schriftsatz vom 08.02.2022 verwiesen.
- 1.
-
Das Endurteil des Amtsgerichts München vom 24.02.2021 wird abgeändert.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die vor ihrer EG-Wohnung Nr. 1 gemäß Aufteilungsplan an der Südfassade des Hauses ... vor dem Wintergarten angebrachte Markise zu beseitigen.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 887,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Klageerhebung zu bezahlen.
8
Die Kammer hat am 18.02.2022 einen Hinweis gem. § 522 II ZPO erteilt. Hierzu hat der Kläger mit zwei Schriftsätzen vom 15.03.2022, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, Stellung genommen.
9
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen und alle sonstigen Aktenbestandteile Bezug geonmen.
10
Die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 24.02.2021, Aktenzeichen 482 C 10551/20 WEG, ist gemäß § 522 II ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung der Kammer das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
11
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis der Kammer vom 18.02.2022 Bezug genommen. Die hiergegen seitens der Klagepartei mit den Schriftsätzen vom 15.03.2022 vorgebrachten Einwände geben zu einer Änderung keinen Anlass und rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.
12
Richtig ist dabei, dass das Anbringen der Markise an der Gebäudefassade als bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums zu qualifizieren ist, wie die Kammer bereits in dem Hinweis vom 18.02.2022 ausgeführt hat. Entgegen der Ansicht des Klägers stellt allein der mit der Maßnahme verbundene Eingriff in die Gebäudesubstanz aber noch keine Beeinträchtigung i. S. des § 20 III WEG dar. Richtig ist allerdings, dass nach der bis zum 30.11.2020 geltenden Rechtslage ein aufgrund einer baulichen Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums zu erwartender erhöhter Aufwand bei einer zukünftigen Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums und dadurch verursachte Mehrkosten einen relevanten Nachteil i. S. des § 22 I WEG aF darstellten. Nach den seit dem 01.12.2020 geltenden gesetzlichen Bestimmungen ist das jedoch nicht mehr der Fall. Denn durch die Einführung des § 21 I WEG sollte gerade sichergestellt werden, dass bauliche Veränderung eines Wohnungseigentümers nicht mehr allein wegen der damit verbundenen Kosten einschließlich der Folgekosten verhindert werden können. Daher stellen die Kosten einer baulichen Veränderung einschließlich der Folgekosten keinen Nachteil i. S. der Neuregelung des § 20 III WEG dar (vgl. BR-Drs. 168/20, 71, 74; Wicke in Grüneberg, 81. Aufl., Rn 15 zu § 20 WEG). Soweit daher in früheren gerichtlichen Entscheidungen ein durch eine bauliche Veränderung verursachter Mehraufwand bei der Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums und damit verbundene zusätzliche Kosten als Nachteil i. S. des § 22 I WEG aF angesehen wurden, setzt sich die Kammer hierzu nicht in Widerspruch. Denn die vorangegangenen Entscheidungen konnten die zum 01.12.2020 eingetretene Rechtsänderung noch nicht berücksichtigen.
13
Soweit der Kläger ausführt, Markisen zählten nicht zu den gem. § 20 II WEG privilegierten baulichen Veränderungen, ist dem zuzustimmen. Das ändert aber nichts daran, dass, wie im Hinweis vom 18.02.2022 dargelegt, bei der Beurteilung, ob eine Beeinträchtigung vorliegt, die i. S. des § 20 III WEG über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht und der in diesem Rahmen vom Gericht vorzunehmenden Würdigung auch bauliche Besonderheiten der Wohnanlage sowie das Interesse der Beklagten an einem wirksamen Sonnen- und Wärmeschutz in ihrer Wohnung einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2018, Az: V ZR 56/17, juris Rn 28).
14
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
15
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO i. V. mit § 709 Satz 2 ZPO.
16
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47 I, II, 48 I, 71 I Satz 2 GKG übereinstimmend mit dem nicht angegriffenen Streitwert für die 1. Instanz auf 5.000,00 € festgesetzt.