Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 13.12.2022 – AN 17 E 22.50409
Titel:

Folgenbeseitigungsanspruch auf Rückholung eines abgeschobenen Asylbewerbers

Normenketten:
VwGO § 52, § 123
GG Art. 20 Abs. 3
Leitsätze:
1. Existiert ein zugewiesener Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht, ist das Verwaltungsgericht Ansbach für Klagen zuständig, die aus dem Ausland gegen das Bundesamt geführt werden. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Zulässigkeit eines Antrags auf Folgenbeseitigungsanspruchs in Form der (sofortigen) Rückholung eines abgeschobenen Asylantragstellers. (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Versäumt ein Betroffener die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung durch ein Gericht, muss er sich hieran festhalten lassen. Die Bestandskraft kann nicht über den Weg eines Folgenbeseitigungsanspruchs umgangen werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Folgenbeseitigungsanspruch, der einen sekundären Anspruch darstellt, darf nicht zu einem Quasi-Rechtsmittel gegen eine unliebsame unanfechtbare Gerichtsentscheidung gegen den Primärrechtsbehelf verkehrt werden. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuständigkeit des VG Ansbach für einen nach Abschiebung im Ausland befindlichen Asyl- bewerber (bestandskräftig abgeschlossenes Verfahren nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, offenes Verfahren auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich Abschiebungsverbote für Griechenland), Folgenbeseitigungsanspruch auf Rückholung eines abgeschobenen Asylbewerbers nach bereits erfolglos gebliebenem Antrag nach § 123 VwGO vor der Abschiebung (abgelehnt), Folgenbeseitigungsanspruch, zugewiesener Aufenthaltsort, Abschiebungsandrohung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 39201

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt von Griechenland aus im Eilrechtsverfahren die Rückgängigmachung einer vollzogenen Abschiebung aus einem Unzulässigkeitsbescheids nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
2
Der 1995 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger. Er reiste im April 2019 aus seinem Heimatland aus und beantragte in Griechenland internationalen Schutz, der ihm dort am 17. Januar 2020 gewährt wurde. Am 15. Januar 2021 reiste der Antragsteller in die Bundesrepublik Deutschland und stellten am 11. Oktober 2021 einen Asylantrag in Deutschland, nachdem ein Aufenthaltsrecht wegen einer Arbeitsaufnahme nach dem AufenthG scheiterte.
3
Bei Anhörungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 10. Oktober und 2. November 2021 gab der Antragsteller an, in Griechenland zunächst 1,5 Jahre auf … in einem Camp und anschließend ca. 5 Monate in … und … in einer Wohngemeinschaft gelebt und dies selber bezahlt zu haben. Er habe eine Zeitlang als Friseur für Männer gearbeitet und dann in der Landwirtschaft. Das Flugticket nach Deutschland habe 100 EUR gekostet; er habe es von seinem Ersparten gekauft. Das Leben und die Integration in Griechenland sei schwer. Es gebe kaum Arbeitsplätze. Das Geld für seine Flucht stamme aus dem Verkaufserlös seines Geschäftes im Irak. Außerdem habe sein Bruder für ihn Geld, das er anderen geliehen hatte, eingefordert und ihm übermittelt.
4
Mit Bescheid vom 27. April 2022 lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Frist von einer Woche zu verlassen und droht ihm widrigenfalls die Abschiebung nach Griechenland an (Ziffer 3). Weiter ordnete das Bundesamt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an, befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4) und setzte die Vollziehung der Abschiebungsandrohung bis zur Unanfechtbarkeit des Bescheides aus (Ziffer 5). Der Bescheid wurde am 21. Mai 2022 bestandskräftig.
5
Mit Schreiben vom 18. August 2022 stellte der aufgrund behördlicher Zuweisung in … wohnhafte Antragsteller durch seine nunmehrige Bevollmächtigte beim Bundesamt den Antrag, für den Antragsteller ein Abschiebungsverbot für Griechenland festzustellen und begründete diesen damit, dass der Antragsteller in Griechenland nach seiner Anerkennung für ca. vier bis fünf Monate in … gelebt habe, obdachlos gewesen sei, meist auf einem Spielplatz geschlafen, keine Arbeit gefunden, Nahrung nur von Freunden bekommen oder auf einem Müllplatz gefunden habe. Eine notwendige medizinische Versorgung habe er nicht erhalten. Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten trug der Antragsteller am 13. September 2022 vor, dass es bei der Anhörung am 2. November 2021 mit dem Dolmetscher Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe, sodass es dazu gekommen sei, dass die Umstände, die der Antragsteller in Griechenland erlebt habe, nur bruchstückhaft und teilweise fehlerhaft in die Niederschrift aufgenommen worden seien. Tatsächlich habe der Antragsteller Folgendes in Griechenland erlebt: Er habe sich nach der Anerkennung im Januar 2020 noch ca. sechs Monate im Camp auf … versteckt und sei von Freunden dort mit Essen versorgt worden. Anschließend habe er sich fünf Monate in … aufgehalten, zunächst zwei Monate in einer Wohngemeinschaft mit fünf Bekannten, denen er als Gegenleistung für Unterkunft und Essen die Haare geschnitten habe, anschließend wie geschildert mehrere Monate im Freien. Wie es dazu gekommen sei, dass im Bundesamtsprotokoll aufgenommen worden sei, dass der Antragsteller sein Flugtickt vom Ersparten bezahlt habe, könne er sich nicht erklären. Tatsächlich habe ein Verwandter aus Deutschland das Flugticket bezahlt. Seine Angaben versicherte der Antragsteller in Form einer eidesstattlichen Versicherung.
6
Mit Schriftsatz vom 27. September 2022 beantragte der Antragsteller über seine Bevollmächtigte beim Verwaltungsgericht Kassel gemäß § 123 Abs. 1 VwGO die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Mitteilung an die zuständige Ausländerbehörde, dass eine Überstellung des Antragsstellers nach Griechenland aufgrund der Abschiebungsanordnung (richtigerweise: Abschiebungsandrohung) im Bescheid vom 27. April 2022 vorläufig, nämlich bis zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag vom 18. August 2022 nicht durchgeführt werden dürfe. Dies lehnte das Verwaltungsgericht Kassel mit Beschluss vom 19. Oktober 2022 ab, weil die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 VwVfG und § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG nicht glaubhaft gemacht worden seien. Eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO vom 3. November 2022 wies das Verwaltungsgericht Kassel mit Beschluss vom 10. November 2022 zurück.
7
Ebenfalls am 10. November 2022 wurde der Antragsteller nach Griechenland abgeschoben.
8
Mit Schriftsatz vom 15. November 2022 beantragte der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte beim Verwaltungsgericht Ansbach,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Vollziehung der am 10. November 2022 erfolgten Rückführung des Antragstellers nach Griechenland unverzüglich rückgängig zu machen, d.h. die Wiedereinreise von Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland - auch entgegen des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf Kosten der Antragsgegnerin zu ermöglichen und seinen Aufenthalt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme vom 18. August 2022 zu dulden.
9
Zur Begründung wurde u.a. vorgetragen, dass der Antragsteller bei einem Termin bei der Ausländerbehörde am 10. November 2022 von der Polizei festgenommen worden sei, anschließend von der Polizei erniedrigend behandelt worden sei und ihm verwehrt worden sei, mit seiner Bevollmächtigten Kontakt aufzunehmen. Von der bevorstehenden Abschiebung des Antragstellers habe die Bevollmächtigte erst eine halbe Stunde vor Abflug und damit zu spät für einen Eilantrag zum Bundesverfassungsgericht erfahren. Als der Antragsteller mit dem Flugzeug um ca. 1.00 Uhr in der Nacht in Griechenland angekommen sei, habe er dort keine Hilfsorganisation mehr erreichen können. Einen Termin bei einer Hilfsorganisation könne er wegen der Überlastung der Hilfsorganisationen als Nichtvulnerabler nicht bekommen. Ein Bekannter habe ihm mit dem Flugzeug ein paar Sachen und Bargeld aus Deutschland gebracht, so dass er einige Nächte im Hotel habe schlafen können. In Kürze werde der Antragsteller aber wieder obdachlos sein, auch häuften sich Schulden bei ihm an. Eine Arbeit zu finden sei unwahrscheinlich. Die unverzügliche Nachreichung einer eidesstattlichen Versicherung wurde angekündigt, erfolgte bislang aber nicht. Dem Antragsteller stehe ein Folgenbeseitigungsanspruch zu. Der Anordnungsgrund ergebe sich aus der Möglichkeit der Verelendung des Antragstellers in Griechenland wegen Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit und fehlender staatlicher Unterstützung.
10
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 18. November 2022,
den Antrag abzulehnen.
11
Am 21. November 2022 erhob der Antragsteller Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht, über die - soweit bekannt - noch nicht entschieden worden ist.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
13
Für den gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist in der vorliegenden Konstellation das Verwaltungsgericht Ansbach zwar zuständig (1). Der Antrag wird auch als zulässig erachtet (2), er ist aber unbegründet und deshalb abzulehnen.
14
1. Da sich der Antragsteller nach seiner Abschiebung in Griechenland befindet und alle bisher in Deutschland durchgeführten Verwaltungsgerichtsverfahren nach dem AsylG rechtskräftig abgeschlossen sind, ergibt sich die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach aus § 123 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO.
15
Der Antragsteller hat durch die Rückführung nach Griechenland keinen zugewiesenen Wohnsitz mehr in Deutschland, die ehemalige Zuweisung für … endete denknotwendig mit seiner Abschiebung. Damit ergibt sich für das vormals örtlich zuständige Verwaltungsgerichts Kassel keine Zuständigkeit mehr aus § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO. Beim Verwaltungsgericht Kassel ist, soweit bekannt, keine Klage des Antragstellers (mehr) anhängig. Über den Wiederaufgreifensantrag des Antragstellers vom 18. August 2022 hat das Bundesamt bislang noch nicht entschieden, so dass insoweit noch gar kein Bescheid existiert, der beklagt werden könnte. Eine Untätigkeitsklage ist nach Aktenlage vor der Rückführung nicht erhoben worden. Über den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO vom 27. September 2022 ist durch Beschluss vom 19. Oktober 2022 entschieden worden, auch die Anhörungsrüge vom 3. November 2022 ist durch Beschluss vom 10. November 2022 zurückgewiesen worden. Damit existiert im maßgeblichen Zeitpunkt des Antragseingangs kein Hauptsacheverfahren, das nach § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Zuständigkeit für das Eilverfahrens nach sich ziehen würde und kein offener Eilantrag, dem das jetzige Verfahren wegen Sachzusammenhangs zugerechnet werden könnte. Das AsylG und die VwGO kennen keine fortbestehende Gerichtszuständigkeit eines in der Vergangenheit zuständig gewesenen Gerichts, vielmehr richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO grundsätzlich allein nach dem im Zeitpunkt der Klageerhebung zugewiesenen Wohnort und kann deshalb in einem Folge- oder Wiederaufgreifensverfahren eine andere Gerichtszuständigkeit bestehen.
16
Existiert ein zugewiesener Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht, richtet sich die Zuständigkeit nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 1 VwGO grundsätzlich danach, wo der Verwaltungsakt erlassen wurde (bzw. bei der Verpflichtungsklage zu erlassen wäre). Bei Behörden wie dem Bundesamt, dessen Zuständigkeitsbereich sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, ist nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO jedoch der (Wohn-)Sitz des Beschwerten maßgeblich. Fehlt - wie hier - ein solcher Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereich der Behörde, richtet sich die Zuständigkeit über § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO nach § 52 Nr. 5 VwGO. Hiernach bestimmt der Sitz des Beklagten bzw. Antragsgegners - hier Nürnberg - die örtliche Zuständigkeit des Gerichts und führt vorliegend zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach. Wenngleich dies zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach für eine Vielzahl von Asylstreitverfahren, die aus dem Ausland geführt werden, führt und dies der gesetzlichen Intention, eine Konzentration der Verfahren bei einem Gericht zu verhindern, widerspricht, ist aufgrund der insoweit klaren Regelung in § 52 VwGO und wegen des hinter dieser Regelung stehenden verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf den gesetzlichen Richter (§ 101 Abs. 1 Satz 2 GG) eine vom Wortlaut abweichende Auslegung nicht möglich (a.A. offenbar, aber ohne Begründung VG Berlin, B.v. 20.9.2018 - 25 L 338.18 A - juris).
17
2. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist auch zulässig.
18
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist der statthafte Eilantrag zur Durchsetzung eines geltend gemachten Folgenbeseitigungsanspruchs in Form der (sofortigen) Rückholung eines abgeschobenen Asylantragstellers (so auch VG Würzburg, B.v. 15.2.2021 - W 6 E 21.149; VG Saarland, B.v. 15.2.2019 - 3 L 167/19; VG Berlin, B.v. 20.89.2018 - 25 L 338.18 A; VG Gelsenkirchen, B.v. 13.7.2018 - 8 L 1329/18 - jeweils juris). Er kann bereits vor einer Hauptsacheklage und auch ohne eine solche erhoben werden.
19
Dass der Antragsteller vor seiner Abschiebung bereits einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zur vorläufigen Verhinderung seiner Abschiebung gestellt hatte, den das Verwaltungsgericht Kassel abgelehnt hat, steht der Zulässigkeit des erneuten Antrags nicht entgegen. Selbst wenn man im jetzigen Antrag nach § 123 VwGO keinen im Verhältnis zum Antrag auf Verhinderung der Abschiebung beim Verwaltungsgericht Kassel vom 27. September 2022 neuen bzw. anderen Antrag, sondern insgesamt einen einheitlichen Folgeschutzantrag sehen wollte (in diese Richtung OVG Bremen, U.v. 19.5.2022 - 2 B 89/22 Rn. 5), wäre ein - statthafter - Abänderungsantrag in Analogie zu § 80 Abs. 7 VwGO anzuerkennen.
20
Der Antragsteller ist auch antragsbefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO analog; ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sind mit dem Verweis auf die Obdachlosigkeit und die schwierigen Verhältnisse in Griechenland noch ausreichend geltend gemacht. Da der Wiederaufnahme- bzw. Folgeschutzantrag noch vor der Rücküberstellung nach Griechenland am 18. August 2022 in Deutschland gestellt worden ist und der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO an diesen anknüpft, liegt kein Fall eines nicht möglichen Asylantrags vom Ausland aus vor (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 1.7.2012 - 8 ZB 10.30124 - juris Rn. 3; OVG MV, B.v. 13.9.1996 - 3 M 79/96 - juris).
21
Trägt ein Antragsteller vor, keinen festen Wohnsitz zu haben, liegt aber eine rechtsanwaltliche Bevollmächtigung im Inland und damit eine ladungsfähige Adresse vor, ist auch dem Erfordernis der ordnungsgemäßen Antragsstellung nach § 82 VwGO analog, § 253 Abs. 4, § 130 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO Genüge getan (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 82 Rn 4).
22
3. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
23
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
24
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache aber dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers schwer und unzumutbar sind sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 - 6 VR 3/13; B.v. 13.8.1999 - 2 VR 1/99; BVerfG, B.v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 - juris).
25
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ihm steht der geltend gemachte Folgenbeseitigungsanspruch nicht zu.
26
Ein Folgenbeseitigungsanspruch ist ein von der Rechtsprechung entwickelter, auf dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG beruhender Anspruch auf die Rückgängigmachung einer rechtswidrigen Maßnahme. Er setzt voraus, dass durch einen hoheitlichen Eingriff - hier die Abschiebungsmaßnahme - ein subjektives Recht des Antragstellers verletzt worden ist und dadurch für diesen ein andauernder rechtswidriger Zustand entstanden ist, dessen Beseitigung tatsächlich und rechtlich möglich ist (OVG Saarland, B.v. 14.4.2021 - 2 B 54/21; BayVGH, B.v.10.1.2022 - 19 CE 21.2652; VG Wü, B.v.15.2.21 - W 6 E 21.149 - juris Rn. 14 m.w.N.). Die Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, so dass offenbleiben kann, ob ein solcher Folgenbeseitigungsanspruch im Wege des Eilrechtsschutzes durchgesetzt werden kann.
27
Der Antragsteller wurde am 10. November 2022 aus der vollziehbaren und bestandskräftigen Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 27. April 2022 abgeschoben. Darauf ob die Abschiebungsandrohung rechtmäßig ergangen ist, kommt es im Fall des Eintritts der Bestandskraft nicht mehr an. Versäumt der Betroffenen die Überprüfung der Rechtmäßigkeit durch ein Gericht, muss er sich hieran festhalten lassen. Über den Weg eines Folgenbeseitigungsanspruchs kann die Bestandskraft nicht umgangen werden. Der einzige Weg, im Falle des Eintritts der Bestandskraft die Rechtswirkung des vollziehbaren Verwaltungsaktes zu beseitigen, ist die Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens nach § 51 VwVfG oder eines Rücknahme- oder Widerrufsverfahrens nach §§ 48, 49 VwVfG, wobei der Bescheidsadressat auf letzteres aber keinen Anspruch hat, sondern insoweit nur eine Ermessenausübung verlangen kann. § 71 AsylG greift im Fall einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht ein (vgl. VG Ansbach, B.v. 15.4.2020 - AN 17 E 20.50011 - juris Rn. 24 ff.), jedoch kann direkt über § 51 VwVfG das Wiederaufgreifen des Verfahrens beantragt werden, auch allein im Hinblick auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG (zum sog. Folgeschutzantrag vgl. VG Ansbach, B.v. 15.7.2022 - AN 17 E 22.50216 - juris). Nicht aber bereits die Antragstellung setzt die Bestandskraft des Erstbescheides außer Kraft, sondern erst das tatsächliche Wiederaufgreifen des Verfahrens, zu dem es aber bislang nicht gekommen ist. Ein Wiederaufgreifen ist nur unter den Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG möglich und fordert insbesondere entweder eine neue Sach- oder eine neue Rechtslage, § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, oder neue Beweise, § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Hätten die Umstände bereits im Erstverfahren geltend gemacht werden können, scheidet ein Wiederaufnahmeverfahren aus, § 51 Abs. 2 VwVfG.
28
Neue Ausführungen, Klarstellungen und Korrekturen dazu, was der Antragsteller 2020/2021 in Griechenland erlebt hat, sind somit für das Wiederaufgreifen unbehelflich, all dies hätte in einem Klageverfahren gegen den Bescheid vom 27. April 2022 geltend gemacht werden können und müssen und ist deshalb im jetzigen Verfahren ausgeschlossen. Neu i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG sind zwar die Lebensumstände, die der Antragsteller nunmehr, d.h. seit seiner Abschiebung nach Griechenland dort vorfindet, insoweit fehlt es aber an einer konkreten Sachverhaltsschilderung durch den Antragsteller. Es ist nicht erkennbar und schon gar nicht glaubhaft gemacht, dass er derzeit obdachlos ist oder von Obdachlosigkeit konkret bedroht ist. Eine eidesstattliche Versicherung ist insofern gerade nicht abgegeben worden (sondern nur im Hinblick auf die Verhältnisse in Griechenland im Zeitraum 2020/2021); es verblieb insoweit bei einer Ankündigung. Durch die geschilderte Übergabe von Geldmitteln durch einen Bekannten aus Deutschland wurde im Gegenteil die Obdachosigkeit - selbst nach Aussage der Antragstellerseite - abgewendet. Dass eine solche inzwischen eingetreten ist, ist nicht vorgetragen. Auch sonst sind keine Umstände ersichtlich, die ein Leben des Antragstellers in Griechenland unzumutbar machen. Da sich der Antragsteller in Griechenland aufhält, ist nicht wie im Fall einer drohenden Abschiebung nach Griechenland eine Prognose der Lebensumstände vorzunehmen, sondern sind die erlebten Lebensverhältnisse zugrunde zu legen.
29
Unabhängig von den tatsächlichen und aktuell bestehenden Lebensverhältnissen des Antragstellers in Griechenland im Hinblick auf „Brot, Bett und Seife“ greift ein Folgenbeseitigungsanspruch in der vorliegenden Konstellation auch deshalb nicht ein, weil die Rückführung des Antragstellers im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 19. Oktober 2022 als rechtmäßig bestätigt wurde. Dem Antragsteller ist damit ein vorrangiger und wirksamer Primärrechtschutz zuteil geworden. Ein Folgenbeseitigungsanspruch, der einen sekundären Anspruch darstellt, darf nicht zu einem Quasi-Rechtsmittel gegen eine unliebsame unanfechtbare (vgl. § 80 AsylG) Gerichtsentscheidung gegen den Primärrechtsbehelf verkehrt werden. In einer solchen Konstellation liegt gerade kein andauernder rechtswidriger, sondern ein rechtmäßiger und aufgrund der Rechtskraft und Bindungswirkung zu akzeptierender Zustand vor (ähnlich VG Würzburg, B.v. 15.2.21 - W 6 E 21.149; BayVGH, B.v.10.1.2022 - 19 CE 21.2652 - jeweils juris).
30
Da auch keine andere Rechtsgrundlage, auf die der Anspruch gestützt werden kann, nicht existiert - Art. 29 Abs. 3 Dublin III-VO ist nicht einschlägig -, liegt ein Anordnungsanspruch damit nicht vor.
31
4. Die Kostenentscheidung des deshalb erfolglosen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO,
§ 83 b AsylG.
32
5. Die Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.