Titel:
Wirksame Anfechtung eines der in § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge
Normenketten:
GrEStG § 1 Abs. 2 bis 3a, § 16, § 18, § 19, § 21
AO § 175 Abs. 2
BGB § 119 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 135 Abs. 1, § 139 Abs. 3 S. 3
Leitsatz:
Nicht nach § 119 Abs. 1 BGB anfechtbar sind Erklärungen, die auf einen im Stadium der Willensbildung unterlaufenen Irrtum im Beweggrund - Motivirrtum oder auf einer Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen beruhen, die sich nicht aus dem Inhalt der Erklärung ergeben, sondern kraft Gesetzes eintreten - Rechtsfolgenirrtum - (vgl. BGH-Beschluss vom 5. Juni 2008, V ZB 150/07, BGHZ 177, 62-69, BeckRS 2008, 13014) (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Grunderwerbsteuer
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – II R 20/23
Fundstellen:
UVR 2023, 167
EFG 2023, 287
ErbStB 2023, 107
ErbR 2023, 247
StEd 2023, 138
LSK 2022, 38990
BeckRS 2022, 38990
DStRE 2023, 1120
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Beteiligten streiten, ob das beklagte Finanzamt (FA) den Antrag der Klägerin, einen Grunderwerbsteuerbescheid aufzuheben, zu Recht abgelehnt hat.
2
Die am ... November 2019 verstorbene M wurde von ihren beiden Kindern, der Klägerin und ihrem Bruder (B) zu je ½ beerbt. In der Erbmasse befanden sich u.a. Anteile an den grundbesitzenden Firmen A GmbH und B GmbH.
3
Im Zeitpunkt des Erbfalles waren am Stammkapital der A GmbH sowohl M als auch die Klägerin zu je ½, am Stammkapital der B GmbH M und B zu je 1/2 beteiligt.
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Mit notarieller Urkunde zur Teilerbauseinandersetzung einer Erbengemeinschaft, bestehend aus der Klägerin und B, vom 27. Oktober 2020 (der Übertragungsvertrag) erwarb die Klägerin den von M hinterlassenen Geschäftsanteil an der A GmbH, B erwarb den von M hinterlassenen Geschäftsanteil an der B GmbH. Eine Gegenleistung war von den Erwerbern nicht zu erbringen. Soweit die Erwerbe nicht wertgleich waren, sollte der Ausgleich unter den Erben im Rahmen der weiteren Erbauseinandersetzung erfolgen. Unter Ziff. 6. b) „Hinweise“ des Vertrages ist Folgendes festgehalten: „Wenn die Gesellschaft Grundbesitz hat oder unmittelbar oder mittelbar an grundstückshaltenden Gesellschaften beteiligt ist, kann Grunderwerbsteuer anfallen. Die Beteiligten geben an, dass die Gesellschaften folgenden Grundbesitz halten: …“
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Der dem FA von der beurkundenden Notarin übersandte Übertragungsvertrag ging am 23. November 2020 beim FA ein. Die der Urkunde beiliegende Anzeige des Erwerbsvorgangs durch das Notariat trägt das Datum des 12. November 2020. In der Beiakte des Notariats zur Urkunde vom 27. Oktober 2020 ist als Tag der Versendung an das FA der 16. November 2020 vermerkt.
6
Mit Schreiben vom 25. November 2020 teilte das FA der Klägerin mit, dass der Erwerbsvorgang vom 27. Oktober 2020 gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) der Grunderwerbsteuer unterliegt.
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Mit notariell beurkundetem Aufhebungs- und Rückerwerbsvertrag vom 18. Dezember 2020 (der Rückerwerbsvertrag) hoben die Klägerin und B den Übertragungsvertrag auf. In Abschnitt 2 des Vertrages ist festgehalten, dass die Beteiligten im Nachgang zur Beurkundung des Übertragungsvertrages festgestellt hätten, dass die erfolgte Erbauseinandersetzung nicht dem Willen der Erblasserin M entsprochen habe.
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Mit Fax vom 21. Dezember 2020 teilte die Klägerin dem FA mit, dass sie und B den Übertragungsvertrag aufgehoben und die Anteile rückerworben hätten. Die Sache habe sich damit erledigt. In der Anlage übersandte sie dem FA den Rückerwerbsvertrag.
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Der dem FA von der beurkundenden Notarin übersandte Rückerwerbsvertrag ging am 4. Januar 2021 beim FA ein. Ausweislich der Beiakte zum Rückerwerbsvertrag wurde dieser am 22. Dezember 2020 vom Notariat versandt. Die der Urkunde beiliegende Anzeige des Rückerwerbsvertrages durch das Notariat trägt das Datum des 21. Dezember 2020.
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Mit Schreiben vom 1. Februar 2021 teilte das FA der Klägerin mit, dass von einer Festsetzung der Grunderwerbsteuer nicht gem. § 16 Abs. 2 GrEStG abgesehen werden könne, weil der Erwerbsvorgang nicht, wie von § 16 Abs. 5 GrEStG gefordert, dem FA fristgerecht angezeigt worden sei. Die Klägerin habe den Erwerbsvorgang nicht, die beurkundende Notarin erst nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG dem FA angezeigt.
11
Mit Schreiben vom 10. Februar 2021, eingegangen beim FA am 12. Februar 2021, beantragte die beurkundende Notarin die Wiedereinsetzung in die Frist des § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG bzw. eine rückwirkende Verlängerung der Anzeigefrist gem. § 109 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Sie habe die Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG unverschuldet versäumt. Ihre Mitarbeiter seien angewiesen, alle Anzeigen an das FA spätestens binnen drei Tagen nach der Beurkundung anzufertigen und sodann spätestens in der Folgewoche der Beurkundung zu versenden. Auch unvollständige Anzeigen seien innerhalb der Frist zu versenden. Diese Organisation werde von ihr überwacht und regelmäßig neu im Rahmen von Mitarbeitergesprächen betont. Mit Schreiben vom 24. Februar 2021 lehnte das FA die Anträge der Notarin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 Abs. 1 AO und rückwirkende Verlängerung der Anzeigefrist gem. § 109 Abs. 2 AO ab. Den Einspruch der Notarin gegen die Ablehnung der Anträge wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2021 als unbegründet zurück.
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Mit Fax vom 1. März 2021 zeigte die Klägerin dem FA den Erwerbsvorgang vom 27. Oktober 2020 an, stellte Anträge auf Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuer gem. § 16 Abs. 2 GrEStG, auf Wiedereinsetzung in die Frist des § 19 Abs. 3 GrEStG gem. § 110 AO, hilfsweise auf rückwirkende Fristverlängerung gem. § 109 Abs. 1 AO. Sie habe erst durch das Schreiben des FA vom 1. Februar 2021 erfahren, dass die Notarin dem FA den Übertragungsvertrag nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 18 GrEStG übersandt habe. Die beurkundende Notarin, welche der Klägerin aus vorausgegangenen Beurkundungen bekannt sei, habe gleichgelagerte Vorgänge bisher immer ordnungsgemäß innerhalb der Frist des § 16 Abs. 5 GrEStG dem FA angezeigt. Hierauf habe sich die Klägerin verlassen.
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Mit Verwaltungsakt vom 10. März 2021 lehnte das FA die Anträge auf Wiedereinsetzung gem. § 110 Abs. 1 AO, sowie auf rückwirkende Fristverlängerung gem. § 109 Abs. 1 AO ab.
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Zur Begründung des Einspruchs vom 9. April 2021 gegen die Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung trug die Klägerin vor, die Voraussetzungen des § 110 AO seien im Streitfall erfüllt. Sie habe erst mit Schreiben des FA vom 1. Februar 2021 von der verspäteten Anzeige der Notarin erfahren und innerhalb eines Monats den Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Der Bundesfinanzhof (BFH) erkenne die Anwendbarkeit des § 109 Abs. 1 AO an. Gleiches müsse für die Wiedereinsetzung gelten. Die Klägerin treffe für die verspätete Anzeige der Notarin kein Verschulden. Aufgrund ihrer Erfahrungen in der Vergangenheit habe sie davon ausgehen können, dass die Notarin ordnungsgemäß handle.
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Nachdem die Klägerin dem FA mit Schreiben vom 7. April 2021 den von ihr ermittelten Bedarfswert des Grundvermögens der A GmbH i.H.v. 5.000.000 € mitgeteilt hatte, setzte das FA mit Bescheid vom 30. April 2021 Grunderwerbsteuer i.H.v. 175.000 € gegen die Klägerin fest.
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Zur Begründung des Einspruchs gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 27. Mai 2021 trug die Klägerin Folgendes vor: Der nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verwirklichte Erwerbsvorgang sei gem. § 3 Nr. 2 GrEStG steuerfrei. Die auf die Klägerin übertragenen Anteile an der A GmbH seien bereits in den vorangegangenen Erbfällen mit Erbschaftsteuer belegt worden. § 3 Nr. 2 GrEStG wolle eine Doppelbesteuerung vermeiden. Auch sei der Vertrag rückabgewickelt worden. Da im Nachgang zur Beurkundung der Teilerbauseinandersetzung festgestellt worden sei, dass die Teilerbauseinandersetzung nicht dem Willen der M entsprochen habe, sei diese mit Aufhebungs- und Rückabwicklungsvertrag vom 18. Dezember 2020 rückübertragen worden. Den Wiedereinsetzungsanträgen sei stattzugeben. Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 GrEStG seien daher erfüllt.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2021 verband das FA den Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung vom 10. März 2021 und den Einspruch gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 30. April 2021 zur gemeinsamen Entscheidung und wies sie als unbegründet zurück.
18
Zur Begründung der fristgerecht eingereichten Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: Es läge bereits kein grunderwerbsteuerbarer Vorgang vor. Das Verpflichtungs- und das Verfügungsgeschäft seien wirksam angefochten. Die Klägerin habe sich über die erhebliche steuerliche Belastung geirrt. Hierbei handle es sich um einen Inhaltsirrtum oder einen Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Anteile. Bei Kenntnis der Sachlage hätten weder sie, noch B die Teilerbauseinandersetzung in dieser Weise durchgeführt. Die Klägerin und B seien ca. ein Jahr nach dem Tod der M übereingekommen, dass B Alleingesellschafter der B GmbH, die Klägerin Alleingesellschafterin der A GmbH werden sollten. Sie hätten den Erbauseinandersetzungsvertrag aber nur schließen wollen, wenn keine Steuer - insbesondere keine Grunderwerbsteuer - anfallen würde. Ihre Annahme, dass keine Grunderwerbsteuer entstehen würde, habe auf ihrer Erfahrung aus vorausgegangenen Übertragungen von Anteilen an der A GmbH und der B GmbH nach dem Tod des Vaters gegründet. Hätten sie gewusst, dass die Teilerbauseinandersetzung zum Anfall von Grunderwerbsteuer führt, hätten sie den Vertrag nicht geschlossen. Während des Beurkundungstermins seien die Klägerin und B auf den Hinweis im Vertrag, wonach die Anteilsabtretungen Grunderwerbsteuer auslösen könnten, aufmerksam geworden. Sie hätten deshalb die Beurkundung unterbrochen, bei ihrer langjährigen Steuerberaterin angerufen und um Prüfung der Rechtslage gebeten. Nach einstündiger Prüfung habe diese zurückgerufen und mitgeteilt, sie sei der Ansicht, dass die Teilerbauseinandersetzung keine Steuer auslöse, weil bereits Erbschaftsteuer angefallen sei. Daraufhin sei die Beurkundung fortgesetzt und der Vertrag unterzeichnet worden. Am 4. November 2020 habe die beurkundende Notarin dem B einen elektronischen Scan der Erbauseinandersetzung übersandt. Die Klägerin sei davon ausgegangen, dass die Notarin auch die übrigen Abschriften des Vertrages ordnungsgemäß versandt habe. In der Beiakte der Notarin sei als Datum des Postausgangs der 16. November 2020 verzeichnet. Auch könne sie sich nicht vorstellen, dass die Anzeige erst am 23. November 2020 beim FA eingegangen sei.
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Nachdem dem B das Schreiben des FA vom 25. November 2020 zugegangen sei habe er die Klägerin informiert. Ein Rechtsanwalt, habe dann die Transaktion überprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Erbauseinandersetzung Grunderwerbsteuer ausgelöst habe. Die Klägerin habe sich mit B am Wochenende vom 28. und 29. November 2020 getroffen, sie und B hätten am 29. November 2020 persönlich die Anfechtung ihrer jeweiligen Willenserklärung im Zusammenhang mit dem Erbauseinandersetzungsvertrag erklärt, da sie bei Kenntnis der Steuerpflicht die Teilerbauseinandersetzung so nicht vorgenommen hätten.
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Vorsorglich und unter Beachtung der Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG hätten sie dann am 18. Dezember 2020 einen notariell beurkundeten Aufhebungs- und Rückerwerbsvertrag geschlossen. Sollte der Grunderwerbsteuerbescheid nicht gem. § 175 Abs. 2 Satz 1 AO aufzuheben sein, so sei die Steuerfestsetzung jedenfalls gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG aufzuheben. Bei einer geringen Fristüberschreitung - wie im Streitfall - sei § 16 Abs. 5 GrEStG teleologisch zu reduzieren, mit der Folge, dass die Norm nicht zur Anwendung komme. Darüber hinaus habe die Notarin die Veräußerung fristgerecht gem. § 18 GrEStG angezeigt, weil ihr hinsichtlich der Zweiwochenfrist des § 18 GrEStG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei.
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Die Klägerin beantragt,
1. Der Bescheid über Grunderwerbsteuer vom 30. April 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2021 wird aufgehoben.
Hilfsweise, für den Fall der Abweisung des Antrages zu 1,
2. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 10. März 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2021 verpflichtet, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 AO, hilfsweise eine nachträgliche Fristverlängerung gemäß § 109 Abs. 1 S. 2 AO hinsichtlich der Anzeigefrist gemäß § 18 zu gewähren und die Grunderwerbsteuer nach § 16 GrEStG nicht festzusetzen.
Hilfsweise, für den Fall der Abweisung des Antrages zu 2,
3. Der Beklagte wird unter Aufhebung Ablehnungsbescheids vom 10. März 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2021 verpflichtet, die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 AO, hilfsweise eine nachträgliche Fristverlängerung gemäß § 109 Abs. 1 S. 2 AO hinsichtlich der Anzeigefrist gem. § 18 GrEStG und auf Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 16 GrEStG vom 1. März 2021 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Hilfsweise, für den Fall des Unterliegens,
4. Die Revision wird zugelassen.
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Das FA ist der Ansicht, es habe die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG zu Recht abgelehnt, weil es an einer ordnungsgemäßen Anzeige des Erwerbsvorgangs gefehlt habe (§ 16 Abs. 5 GrEStG).
24
Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Grunderwerbsteuer- bzw. Rechtsbehelfsakte des FA, die Gerichtsakte, sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2022 Bezug genommen.
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1. Die zulässige Klage ist sowohl hinsichtlich des Hauptantrags, als auch hinsichtlich der beiden Hilfsanträge unbegründet.
26
Die von der Klägerin unter Nr. 2. und Nr. 3. des Klageantrags gestellten Hilfsanträge legt das Gericht dergestalt aus, dass die Klägerin jeweils Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie rückwirkende Fristverlängerung hinsichtlich der Anzeigefrist gem. § 19 Abs. 3 GrEStG und nicht - wie im Klageantrag formuliert - hinsichtlich der Anzeigefrist gem. § 18 Abs. 3 GrEStG beantragt. Die Klägerin bezieht sich in ihren Hilfsanträgen jeweils auf den Ablehnungsbescheid vom 10. März 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2021, mit dem das FA die Anträge der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO sowie rückwirkende Fristverlängerung gem. § 109 AO hinsichtlich der Anzeigefrist gem. § 19 Abs. 3 GrEStG abgelehnt hat. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie rückwirkende Fristverlängerung hinsichtlich der Anzeigefrist gem. § 18 Abs. 3 GrEStG hat die Klägerin gegenüber dem FA nicht gestellt.
27
a) Der mit Abschluss des Übertragungsvertrages verwirklichte Erwerbsvorgang unterliegt nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer.
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aa) Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95% der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt.
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bb) Im Streitfall wurde der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG somit am 27. Oktober 2020, mit Abschluss des Übertragungsvertrages verwirklicht. Dadurch wurden 100% der Anteile an der A GmbH in der Hand der Klägerin vereint.
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b) Der streitgegenständliche Grunderwerbsteuerbescheid ist weder gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG, noch gem. § 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG aufzuheben, weil es an einer ordnungsgemäßen Anzeige des Erwerbsvorgangs fehlt (§ 16 Abs. 5 GrEStG).
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aa) Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, so wird auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang u.a. dann die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet (§ 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG) oder wenn das dem Erwerbsvorgang zugrundeliegende Rechtsgeschäft nichtig oder infolge einer Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG). Diese Vorschriften betreffen über ihren Wortlaut hinaus nicht nur den Rückerwerb des Eigentums an einem veräußerten Grundstück, sondern auch Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG. Wird ein Erwerbsvorgang i.S. des § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG zwar innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht, war er aber nicht ordnungsgemäß angezeigt (§§ 18, 19 GrEStG) worden, schließt § 16 Abs. 5 GrEStG den Anspruch auf Aufhebung der Steuerfestsetzung aus. Gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG haben Notare dem zuständigen FA schriftlich Anzeige zu erstatten über Vorgänge, die die Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft betreffen, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein im Geltungsbereich dieses Gesetzes liegendes Grundstück gehört. Die Anzeigen sind gem. § 18 Abs. 3 GrEStG innerhalb von zwei Wochen nach der Beurkundung zu erstatten. Die Anzeigepflicht ist hier mithin von der Entstehung der Steuerschuld unabhängig. Für den Steuerschuldner kodifiziert § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG für die Fälle des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG eine Anzeigepflicht gegenüber der für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörde. Die Anzeigepflichten sind gem. § 19 Abs. 3 GrEStG innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnisnahme vom anzeigepflichtigen Vorgang zu erfüllen. In den Fällen des § 19 Abs. 1 Satz 1 GrEStG besteht die Anzeigepflicht der Beteiligten auch dann, wenn der Erwerbsvorgang im Einzelfall nach § 18 GrEStG -z.B. durch einen Notaranzuzeigen ist, und zwar unabhängig davon, ob Letzteres geschehen ist (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1996 II R 69/94, BStBl II 1997, 85). Ein Steuerpflichtiger, der dieser Pflicht nicht nachkommt, kann sich nicht dadurch entlasten, dass der Notar die Erfüllung seiner Anzeigepflicht zugesagt und man übereinstimmend eine nochmalige Anzeige durch den Steuerpflichtigen selbst für entbehrlich gehalten hat (BFH-Urteil vom 4.März 1999 II R 79/97, BFH/NV 1999, 1301). Für die Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG ist unerheblich, aus welchen Gründen ein von dieser Vorschrift erfasster Erwerbsvorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde. Denn die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Beteiligten zur Anzeige der der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgänge ist objektiver Natur und besteht unabhängig von subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten. Daher ist die Anzeigepflicht der Beteiligten nicht davon abhängig, ob und inwieweit diese die Grunderwerbsteuerpflichtigkeit eines Rechtsvorgangs erkannt haben bzw. wussten, dass insoweit eine Anzeigepflicht bestand (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492). § 16 Abs. 5 GrEStG dient der Sicherung der Anzeigepflichten aus §§ 18 und 19 GrEStG und wirkt dem Anreiz entgegen, durch Nichtanzeige einer Besteuerung der in dieser Vorschrift genannten Erwerbsvorgänge zu entgehen (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492; BFH-Urteil vom 3. März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777). Insbesondere soll die Vorschrift den Beteiligten die Möglichkeit nehmen, einen dieser Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben zu können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt wird (BFH-Beschluss vom 2. März 2011 II R 64/08, BFH/NV 2011, 1008; BFH-Urteil vom 3. März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777). Soweit eine Anzeigepflicht sowohl nach § 18 GrEStG als auch nach § 19 GrEStG besteht, ist dem Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG schon dann genügt, wenn nur einer der Anzeigeverpflichteten seiner Anzeigepflicht ordnungsgemäß nachkommt (BFH-Urteil vom 18. April 2012 II R 51/11, BStBl II 2013, 830; BFH-Urteil vom 3. März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777).
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bb) Der Grunderwerbsteuerbescheid ist im Streitfall bereits deshalb nicht gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG bzw. § 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG aufzuheben, weil der Erwerbsvorgang vom 27. Oktober 2020 weder von Klägerin, noch von der beurkundenden Notarin ordnungsgemäß angezeigt worden ist (§ 16 Abs. 5 GrEStG).
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(1) Die Klägerin selbst hat den Erwerbsvorgang entgegen ihrer Pflicht aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 13 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuerstelle des FA erstmals mit Fax vom 1. März 2021 und damit lange Zeit nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 19 Abs. 3 GrEStG angezeigt. Darauf, dass die Klägerin darauf vertraut hatte, dass die beurkundende Notarin ihrer Anzeigepflicht rechtzeitig nachkommen würde, kommt es in diesem Zusammenhang ebenso wenig an, wie darauf, dass die Klägerin nicht die Absicht hatte, den Erwerbsvorgang zu verschleiern. Denn für die Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG ist es unerheblich, aus welchen Gründen ein von dieser Vorschrift erfasster Erwerbsvorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492).
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Auch scheidet bei Versäumung der Anzeigefrist regelmäßig eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) aus. Es kann offenbleiben, ob bei Versäumung der Frist zur Anzeige nach § 19 Abs. 3 GrEStG wegen ihrer Ausgestaltung als Steuererklärungsfrist überhaupt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO in Betracht kommt (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492). Jedenfalls scheitert im Streitfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an einem Verschulden der Klägerin. Diese hat, trotz Kenntnis ihrer Pflicht zur Anzeigeerstattung gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG, dem FA den Übertragungsvertrag nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 19 Abs. 3 GrEStG angezeigt. § 19 Abs. 5 Satz 1 GrEStG stellt ausdrücklich klar, dass die Anzeigen gem. § 19 GrEStG Steuererklärungen i.S.d. § 149 ff AO sind. Bei der Pflicht des Steuerpflichtigen zur Anzeigeerstattung gem. § 19 Abs. 3 GrEStG handelt es sich demzufolge um eine eigene gesetzliche Pflicht des Steuerpflichtigen, die unabhängig von der Pflicht des beurkundenden Notars zur Anzeigeerstattung gem. § 18 Abs. 3 GrEStG besteht. Die Klägerin kann sich daher u.a. nicht dadurch entlasten, dass sie wegen der Übersendung eines Scans des Übertragungsvertrages durch die Notarin am 4. November 2020 im Hinblick auf § 21 GrEStG davon ausgegangen sei, dass die Notarin ihre Anzeigepflicht bereits ordnungsgemäß erfüllt habe. Im Ergebnis hat die Klägerin ihre eigenständige Anzeigepflicht als Steuerschuldnerin in der irrigen Annahme bewusst verletzt, die Notarin würde die sie - unabhängig von ihr - treffende Anzeigepflicht schon erfüllen; dies ist zumindest als fahrlässig, und damit als schuldhaft i.S.d. § 110 Abs. 1 Satz 1 AO anzusehen.
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(2) Die fehlende Anzeige der Klägerin wurde auch nicht durch eine ordnungsgemäße, d.h. den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Anzeige der Notarin (§ 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG) ersetzt. Die Anzeige der Notarin ist dem FA erst am 23. November 2020 und damit acht Tage Werktage nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 18 GrEStG zugegangen. Selbst wenn man -unter Berücksichtigung der Zweifel der Klägerindavon ausgeht, dass der Vertrag dem FA schon vor dem 23. November 2022 zugegangen ist, so kann der Zugang dennoch nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist erfolgt sein. Nach Aktenlage ist der Vertrag frühestens am 16. November 2022 (Vermerk in der Beiakte der Notarin) und damit erst zwei Werktage nach Ablauf der Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG vom Notariat versandt worden.
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Wiedereinsetzung in die Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG gem. § 110 AO war der Notarin auf deren Antrag hin nicht zu gewähren. Die Notarin war nicht Beteiligte eines Hauptsacheverfahrens, in dessen Rahmen über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte entschieden werden können, und damit nicht „jemand“ i.S.d. § 110 Abs. 1 AO. Zwar war die Notarin im Streitfall gem. § 18 Abs. 3 GrEStG verpflichtet, dem FA den Erwerbsvorgang vom 27. Oktober 2020 innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Beurkundung anzuzeigen. Die Anzeigeerstattung der Notarin ist jedoch nicht im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens erfolgt. Grund hierfür ist, dass der Anzeigeerstattung durch die Notarin keine nach Außen wirkende Tätigkeit des FA in Form eines Verwaltungsaktes zugrunde gelegen ist. Vielmehr hat sich die Pflicht der Notarin zur Auskunftserteilung allein aus dem Gesetz ergeben. Die Notarin ist auch nicht Beteiligte am Verwaltungsverfahren „Festsetzung der Grunderwerbsteuer“. Beteiligte dieses Verwaltungsverfahrens sind allein die Klägerin und B, in deren Sache das Verfahren durchgeführt worden ist. Eine rückwirkende Verlängerung der Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG zur Anzeigeerstattung durch die Notarin gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 AO kommt nicht in Betracht. Weder ist die Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG eine von einer Finanzbehörde gesetzte Frist, noch handelt es sich hierbei - anders als bei der Frist des § 19 Abs. 3 GrEStG - um eine Steuererklärungsfrist.
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cc) Eine rückwirkende Fristverlängerung gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 AO zur erstmaligen Erstattung der Anzeige nach § 19 GrEStG durch die Klägerin selbst kommt nach Ablauf der Anzeigefrist ebenfalls nicht in Betracht (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492). Bei der Ermessensentscheidung über eine rückwirkende Fristverlängerung ist maßgeblich der Zweck der Frist zu berücksichtigen (Tipke/Kruse, AO/FGO, § 109 AO Tz. 4). Der Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG, die Beteiligten durch die hier angeordneten nachteiligen Folgen einer Verletzung der Anzeigepflicht zur ordnungsgemäßen -insbesondere auch fristgerechtenAnzeigeerstattung anzuhalten, steht einer Verpflichtung der Finanzbehörde zur rückwirkenden Fristverlängerung für die erstmalige Erstattung der Anzeige entgegen (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492).
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b) Der Grundstückskaufvertrag ist auch nicht gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen der von der Klägerin behaupteten Anfechtung des Übertragungsvertrages aufzuheben.
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aa) Gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Was unter einem rückwirkenden Ereignis zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher bestimmt. Es genügt aber nicht, dass das spätere Ereignis den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestaltet. Die Änderung muss sich auch steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1993 VIII R 69/88, BStBl II 1994, 648). Wäre ein Ereignis, das nach § 16 Abs. 1 bis 3 GrEStG die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung begründet ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, liefe § 16 Abs. 4 GrEStG ausnahmslos leer. Eine Auslegung, mit der eine gesetzliche Vorschrift jeglichen Anwendungsbereich verlöre, widerspräche der gesetzlichen Systematik, kann von Gesetzes wegen nicht gewollt sein und wäre offenkundig unzutreffend (BFH-Beschluss vom 4. November 2019 - II B 48/19 -, BFH/NV 2020, 182).
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bb) Im Streitfall ist der Erwerbsvorgang nach Ansicht des Senats weder von der Klägerin, noch von B wirksam angefochten worden. Es fehlt zumindest an einem Anfechtungsgrund. Der Irrtum der Klägerin und des B, das Erwerbsgeschäft löse keine Grunderwerbsteuer aus, stellt im Streitfall einen unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum dar.
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(1) Nach § 119 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) kann derjenige, der bei der Abgabe seiner Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum) die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte. Nicht nach § 119 Abs. 1 BGB anfechtbar sind dagegen Erklärungen, die auf einen im Stadium der Willensbildung unterlaufenen Irrtum im Beweggrund - Motivirrtum - Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 7. Juli 1998 (X ZR 17/97, BGHZ 139, 177-190) oder auf einer Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen beruhen, die sich nicht aus dem Inhalt der Erklärung ergeben, sondern kraft Gesetzes eintreten - Rechtsfolgenirrtum - (BGH-Beschluss vom 5. Juni 2008 V ZB 150/07, BGHZ 177, 62-69; BFH-Urteil vom 15. Dezember 1994, IX ZR 252/93, NJW 1995, 1484, 1485). Gem. § 119 Abs. 2 BGB gilt als Irrtum über den Inhalt der Erklärung auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren, die dem Gegenstand unmittelbar anhaften, nicht jedoch der Wert der Sache selbst.
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(2) Bei Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall konnten weder die Klägerin noch B den Übertragungsvertrag vom 27. Oktober 2020 wegen Inhaltsirrtums anfechten.
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Es kann dahinstehen, ob die Klägerin bzw. B tatsächlich am 29. November 2020 mündlich eine Anfechtung ihrer jeweiligen Willenserklärungen im Zusammenhang mit dem Übertragungsvertrag erklärt haben. Schon daran bestehen erhebliche Zweifel. So nimmt bspw. der Rückerwerbsvertrag vom 18. Dezember 2020 keinerlei Bezug auf eine - erstmals im Klageverfahren vorgetragene - bereits erfolgte Anfechtung des Übertragungsvertrages; die Aufhebung des Übertragungsvertrages wird im Rückerwerbsvertrag vielmehr damit begründet, dass die erfolgte Erbauseinandersetzung nicht dem Willen der Erblasserin entsprochen habe.
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Im Streitfall fehlt es in jedem Fall an einem Anfechtungsgrund. Die Fehlvorstellung der Klägerin bzw. des B bei Unterzeichnung des Übertragungsvertrages, dass der Erwerb der Anteile an der A GmbH keine Grunderwerbsteuer auslöse, stellt keinen Irrtum über den Inhalt des Rechtsgeschäfts, der nach § 119 Abs. 1 BGB zur Anfechtung einer Willenserklärung berechtigt, sondern einen unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum dar. Denn der Irrtum der Klägerin und des B hat sich nicht auf die rechtliche Bedeutung ihrer Erklärungen (Übertragung der Anteile an der A GmbH an die Klägerin, sowie Übertragung der Anteile an der B GmbH an B), sondern lediglich auf nicht erkannte und nicht gewollte Nebenwirkungen (das Entstehen der Grunderwerbsteuer) bezogen. Auch stellt die Fehlvorstellung der Klägerin über die durch die Anteilsvereinigung ausgelöste Entstehung der Grunderwerbsteuer - anders als die Klägerin meint - keinen gem. § 119 Abs. 2 BGB zur Anfechtung berechtigenden Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Anteile an der A GmbH dar. Die beim Erwerb der Anteile entstandene Grunderwerbsteuer ist kein wertbildender Faktor, der den von der Klägerin erworbenen Anteilen an der A GmbH unmittelbar anhaftet, sondern die steuerrechtliche Folge aus der Veräußerung dieser Anteile, die zur Verwirklichung eines Erwerbstatbestandes gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG geführt hat.
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cc) Ginge man mit der Klägerin davon aus, sie hätte den Übertragungsvertrag wirksam angefochten, so wäre die Anfechtung im Streitfall darüber hinaus auch kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, aufgrund dessen der Grunderwerbsteuerbescheid aufzuheben wäre. Nach Ansicht des Senats ermöglicht die Anfechtung nach der insoweit zwingenden gesetzlichen Systematik im Streitfall lediglich eine Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids gem. § 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG und nicht dessen Aufhebung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das folgt im Streitfall nicht nur aus § 16 Abs. 4 GrEStG in Zusammenschau mit § 175 Abs. 1 Satz 2 AO (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 22. Juli 2020 II R 15/18, BFH/NV 2020, 182, Rz. 19), sondern darüber hinaus auch aus § 16 Abs. 5 GrEStG und entspricht dem Grundsatz, dass die steuerrechtliche Wirkung für die Vergangenheit autonom für das jeweilige materielle Steuergesetz zu beurteilen ist.
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Würde man in der wirksamen Anfechtung eines der in § 1 Absatz 2 bis 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge zugleich ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sehen, so liefe § 16 Abs. 5 GrEStG in diesen Fällen leer, weil es in diesem Zusammenhang auf die fristgerechte Anzeige des Erwerbsvorgangs nicht mehr ankäme. Eine Auslegung, mit der eine gesetzliche Vorschrift jeglichen Anwendungsbereich verlöre, widerspräche der gesetzlichen Systematik, kann von Gesetzes wegen nicht gewollt sein und wäre offenkundig unzutreffend (BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 182, Rz 19).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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3. Über den Antrag der Klägerin, die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO) entscheidet der Senat nach entsprechender Antragstellung durch eigenständigen Beschluss im Kostenverfahren.
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4. Die Revision zum BFH wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Die Streitsache hat weder grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, noch sind die tatbestandlichen Merkmale des § 115 Abs. 2 Nr. 2 bis 3 FGO erfüllt.