Titel:
Fernwärmelieferung an US-Streitkräfte
Normenketten:
EnergieStG § 38 Abs. 3, § 58, § 105a, § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 18 Buchst. a
AO § 89 Abs. 1, § 150 Abs. 2, § 171 Abs. 3
MinöStG § 25a
RL 92/12/EWG Art. 23 Abs. 1 S. 1
RL 2008/118/EG Art. 12 Abs. 1 Buchst. c
UStG § 19
MinöStV § 47 Abs. 2 S. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 151, § 155
Leitsatz:
Zweck der Regelung einer nachweislichen Versteuerung ist es, Vergütungsansprüche für steuerfrei bezogene Energieerzeugnisse auszuschließen, wobei Umstände hinzutreten müssen, welche die Steuerentstehung verifizieren (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 2021 - VII R 26/20, BFH/NV 2022, 511). (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fernwärmelieferung an US-Streitkräfte, keine Festsetzungsverjährung aus Vertrauenschutzgründen, Festsetzungsverjährung, Aufhebung, Mitgliedstaat, Steueranmeldung, Steuerbefreiung, Steuerfestsetzung, Vertrauenschutzgründe, Festsetzungsfrist, Energieversorgungsunternehmen, Entlastungsbeträge, Billigkeitsgründe, Steuerbegünstigung, Schutzbedürfnis, Erdgas, Steuervergütungsanspruch
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VII R 39/22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38988
Tenor
1. Das Hauptzollamt wird verpflichtet, unter Aufhebung der Bescheide vom 17. Dezember 2015 und der Einspruchsentscheidung vom 30. November 2018, eine Energiesteuerentlastung nach § 105a Energiesteuerverordnung für November und Dezember 2009 in Höhe von … € und für das Kalenderjahr 2010 in Höhe von … € (insgesamt … €) festzusetzen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleitung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen, deren Rechtsvorgängerin die Stadtwerke A ab 1991 die Liegenschaften der amerikanischen Streitkräfte in A mit Wärme belieferte, für deren Erzeugung Erdgas zum Verheizen verwendet wurde. Das Versorgungskonzept sah den Betrieb von mehreren zentralen Wärmeerzeugungseinheiten auf dem Gelände der Kasernenanlage vor, die sowohl mit Erdgas als auch mit Heizöl betrieben werden konnten.
2
Zur Durchführung der Fernwärmeversorgung schlossen die damaligen Stadtwerke einen Fernwärmeversorgungsvertrag mit den amerikanischen Streitkräften ab. Abwicklungsscheine und Rechnungen hierzu liegen vor. Im Rahmen der Ermittlung der Kostenfaktoren war vereinbart, die Erdgassteuer auszunehmen. Außerdem schloss die Klägerin u.a. Verträge mit der F-GmbH über die Betriebsführung der Fernwärmeerzeugungsanlage und der E AG über die Betriebsführung der Heizwerke.
3
Die Klägerin meldete sich gemäß § 38 Abs. 3 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) als Erdgaslieferer an. Für die Zeiträume vor 2009 gab sie Steueranmeldungen für Erdgaslieferungen ab. Das zur Erzeugung der Fernwärme eingesetzte Erdgas versteuerte die Klägerin gemäß Art. 67 Abs. 3 des Zusatzabkommens vom 3. August 1959 zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen - Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut - NATOTrStatZAbk - (BGBl II 1961, 1218) in der Fassung des Abkommens vom 18. März 1993 zur Änderung des NATOTrStatZAbk (vgl. Gesetz vom 28. September 1994, BGBl II 1994, 2594 und Bekanntmachung vom 30.06.1998, BGBl II 1998, 1691) nicht und beantragte deshalb auch keine Entlastung für das zur Erzeugung der Fernwärme eingesetzte Erdgas.
4
Mit Steueranmeldung vom 3. März 2010 meldete die Klägerin für das Jahr 2009 eine Energiesteuer für Erdgas in Höhe von insgesamt 3.637.457,01 € beim Beklagten (dem Hauptzollamt - HZA -) zur Versteuerung an. Der Steueranmeldung war eine „Zusammenfassung der Energiestatistik Gas“ beigefügt. Daraus ergab sich, dass die Klägerin das Erdgas, welches sie an die F-GmbH zur Erzeugung von Fernwärme für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten geliefert hatte (aufgeführt als „an US Streitkräfte F“ gelieferte Menge), nicht versteuerte.
5
Mit Steueranmeldung vom 23. März 2011 meldete die Klägerin für das Jahr 2010 eine Energiesteuer für Erdgas in Höhe von 4.089.825,06 € beim HZA zur Versteuerung an. Der Anmeldung war eine „Zusammenfassung der Energiestatistik Gas“ beigefügt. Daraus ergab sich, dass die Klägerin das Erdgas, welches sie an die F-GmbH bzw. deren Nachfolgerin zur Erzeugung von Fernwärme für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten geliefert hatte (aufgeführt als „an die F-Verwaltungs GmbH“ bzw. ab dem 17. August 2010 „an die G GmbH“), nicht versteuerte.
6
Nach Prüfungsmaßnahmen bei der Klägerin wurde mit Steueränderungsbescheid vom 23. Dezember 2011 die Steuer für das in 2009 zur Erzeugung von Wärme an die ausländischen Streitkräfte verwendete Erdgas in Höhe von 3.672.023,84 € und mit Steueränderungsbescheid vom 19. Dezember 2011 die Steuer für das in 2010 verwendete Erdgas in Höhe von 4.224.372,80 € neu festgesetzt. In beiden Bescheiden fügte das HZA ergänzend hinzu: „Eine gleichzeitige Entlastung nach § 105a Energiesteuer-Durchführungsverordnung (EnergieStV) ist derzeit nicht möglich, da die Entlastung nach § 105a EnergieStV nicht für Wärme, sondern nur für nachweislich versteuerte Energieerzeugnisse gewährt wird, die an ausländische Streitkräfte oder Hauptquartiere geliefert wurden.“
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Da die Klägerin gegen die Steuerbescheide Einspruch einlegte und klagte, wurden diese erst aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Finanzgerichts München vom 19. April 2018 (14 K 583/15) bestandskräftig.
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Mit Schreiben vom 17. Oktober 2014 teilte das HZA der Klägerin mit, dass es seine Rechtsauffassung dahingehend geändert habe, dass grundsätzlich eine Entlastungsmöglichkeit hinsichtlich der Energieerzeugnisse bestehe, die für die Erzeugung von an ausländische Streitkräfte gelieferte Wärme verwendet wurden, und wies die Klägerin im Schreiben vom 5. November 2014 darauf hin, dass es sich bei dem Steuerfestsetzungsverfahren (in dem Einspruch erhoben war) und dem Entlastungsverfahren um separate Verfahren handele.
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Daraufhin beantragte die Klägerin (hilfsweise) am 10. Dezember 2014 die Steuererstattung der für die Jahre 2009 und 2010 gezahlten Erdgassteuer in Höhe von 169.114,57 € - ohne den für den Steuerentlastungsantrag nach § 105a der EnergieStV in der ab dem 30. September 2011 geltenden Fassung (EnergieStV 2011) amtlich vorgeschriebenen Vordruck zu verwenden.
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Die Anträge wurden mit Bescheiden vom 17. Dezember 2015 mit der Begründung abgelehnt, dass sie jeweils nach Ablauf der Frist in § 105a Abs. 4 EnergieStV 2011 gestellt worden seien. Die dagegen eingelegten Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 30. November 2018 als unbegründet zurückgewiesen Zusätzlich zu den Rechtsbehelfen gegen die abgelehnte Steuerentlastung beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 31. August 2018 und 12. März 2019 die Gewährung der Entlastungsbeträge aus Billigkeitsgründen.
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Mit Bescheiden vom 17. Juli 2019 lehnte das HZA die Anträge ab. Der dagegen eingelegten Sprungklage stimmte das HZA nicht zu und wies die Rechtsbehelfe mit Einspruchsentscheidung vom 30. November 2018 als unbegründet zurück. Es führte aus, dass sachliche Billigkeitsgründe nicht vorlägen. Weder gegen die Amtsermittlungspflicht noch die Fürsorgepflicht sei verstoßen worden, da die Entlastungsfähigkeit von Fernwärmelieferungen nicht offensichtlich gewesen und auch vom HZA nicht erkannt worden sei. Die Mitteilung der damaligen Rechtsauffassung des HZA habe keinen Vertrauenstatbestand schaffen können, da die Klägerin auch eine andere Rechtsauffassung hätte vertreten und Entlastungsanträge hätte stellen können. Zudem sei ein Entlastungsanspruch für 2009 im Zeitpunkt des Hinweises bereits verjährt gewesen. Im Übrigen handele es sich bei der Entlastung von Fernwärmelieferungen nicht um eine obligatorische Steuerbefreiung.
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Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, für die fristgerechte Geltendmachung der Entlastung nach § 105a EnergieStV in der bis zum 29. September 2011 geltenden Fassung (EnergieStV 2009), die im Streitfall anwendbar sei, sei die Verwendung eines amtlichen Vordrucks nicht erforderlich gewesen, sondern nur eine Erklärung, von der energiesteuerrechtlichen Begünstigung für an ausländischen Streitkräfte oder Hauptquartiere geliefertes Erdgas Gebrauch machen zu wollen. Solche Erklärungen seien mit den Steueranmeldungen vom 3. März 2010 und vom 23. März 2011 abgegeben worden, da darin die Erdgasmengen, die (steuerfrei) an die NATO-Truppen geliefert wurden, von den (übrigen) zu versteuernden Erdgasmengen abgezogen wurden. Auf die Differenzierung zwischen „Befreiung“ und „Entlastung“ könne es für die Auslegung der Erklärungen nicht ankommen. In diesem Sinne habe auch das HZA die Erklärungen verstanden, da es ausdrücklich darauf hinwies, dass eine Entlastung nicht möglich sei.
13
Die Rechtsprechung, dass kein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) vorliege, wenn die Abgabe von Steuererklärungen gesetzlich vorgeschrieben sei, gelte im vorliegenden Fall nicht. Zweck der Rechtsprechung sei es, die Verwaltung vor „unspezifischen“ Anträgen zu schützen. Ein solches Schutzbedürfnis bestehe hier nicht, da sich das HZA bereits in der Sache zu der Steuerbegünstigung eingelassen habe.
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Aufgrund der (zunächst) weiterhin gewährten Steuerbefreiung, obwohl seit dem 1. November 2009 eine Begünstigung nur im Wege der Steuerentlastung gewährt werden konnte, sei davon auszugehen, dass das HZA den Sachverhalt entgegen § 88 Abs. 1 AO nicht von Amts wegen ermittelt habe. Dieses Vorgehen könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen.
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Gleiches gelte für die durch das HZA verletzte Fürsorgepflicht, da das HZA nach § 89 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet gewesen sei, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass die Begünstigung nicht mehr in der Form der Steuerbefreiung geltend zu machen sei. Die Prüf- und Erkenntnisanforderungen des HZA könnten insofern nicht geringer als die an die Klägerin gestellten sein.
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Im Übrigen dürfe allein aufgrund der Verletzung formeller Voraussetzungen, die Energiesteuerbegünstigung nicht versagt werden. Bei der Regelung handele es sich um eine obligatorische Steuerbefreiung.
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Das HZA habe durch seinen Hinweis in den Änderungsbescheiden einen Vertrauenstatbestand geschaffen, denn es habe sich um eine verbindliche Rechtsauskunft gehandelt, auf die die Klägerin insbesondere deswegen vertrauen habe können, da diese unaufgefordert erfolgt sei. Eine darüberhinausgehende Informationspflicht der Klägerin habe danach nicht bestanden.
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Schließlich sei eine Billigkeitsmaßnahme geboten, da sich dem HZA hätte aufdrängen müssen, dass von einer Steuerbegünstigung Gebrauch gemacht werden sollte, und trotzdem keine Anregung bzw. Hinweis vom HZA erfolgt sei. Außerdem habe das HZA durch die Erteilung der Auskunft in den Steuerfestsetzungsbescheiden eine besondere Vertrauenssituation geschaffen.
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Die Klägerin beantragt,
die Bescheide vom 17. Dezember 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 30. November 2018 aufzuheben und das Hauptzollamt zu verpflichten, eine Energiesteuerentlastung nach § 105 a Energiesteuerverordnung für November und Dezember 2009 in Höhe von … € und für das Kalenderjahr 2010 in Höhe von … € (insgesamt … €) festzusetzen,
hilfsweise das Hauptzollamt zu verpflichten, eine Energiesteuerentlastung für November und Dezember 2009 in Höhe von … € und für das Kalenderjahr 2010 in Höhe von … € (insgesamt … €) aus Billigkeitsgründen festzusetzen.
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Das HZA macht geltend, der Entlastungsanspruch sei durch Verjährung erloschen. Die Klägerin habe vor Ablauf der Festsetzungsfrist spätestens mit dem Ablauf des Jahres 2012 keinen Entlastungsantrag gestellt, so dass keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO eingetreten sei.
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Die Erklärungen in den Erdgassteueranmeldungen vom 3. März 2010 für 2009 bzw. vom 23. März 2011 für 2010 seien nicht als Antrag im Sinne des § 105a EnergieStV 2009 zu werten, da die Steuererklärung gesetzlich vorgeschrieben sei. Außerdem ergebe sich aus der Anmeldung nicht einmal, dass die Klägerin Fernwärme an die amerikanischen Streitkräfte lieferte. Zudem habe die Klägerin zu dem Zeitpunkt noch eine Rechtsauffassung vertreten, wonach keine Veranlassung bestanden hätte, einen Entlastungsantrag zu stellen. Dementsprechend habe das HZA die Anmeldung auch zu keinem Zeitpunkt als (hilfsweisen) Antrag auf Entlastung gewertet. Im Übrigen seien die Entlastungsanträge auch nicht in der von § 105a EnergieStV 2011 vorgesehenen Form und Frist gestellt worden.
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Die Voraussetzungen für eine sog. Emmott´sche Fristenhemmung lägen nicht vor. Es läge in der Kompetenz der Mitgliedstaaten das Verfahren für die Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung - durch Steuerbefreiung oder -erstattung - zu regeln und auch entsprechende Antragsfristen festzulegen. Insofern entspräche die Gewährung der Steuerbefreiung im Rahmen eines Entlastungsverfahrens ab dem 1. November 2009 dem Gemeinschaftsrecht. Die Anwendbarkeit der Festsetzungsfristen sei verhältnismäßig, denn allein deren Beachtung mache die Steuerbegünstigung nicht unmöglich.
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Das HZA habe nicht gegen seine Amtsermittlungspflicht nach § 88 AO verstoßen. Da die von der Finanzbehörde im Internet zur Verfügung gestellten Vordrucke sämtliche erforderlichen Angaben und Erläuterungen enthielten, sei es nicht verpflichtet, jede einzelne Angabe in den Anlagen zu den Steueranmeldungen zu prüfen. Das HZA habe seine Fürsorgepflicht nach § 89 AO nicht verletzt, da es zunächst selbst nicht die Problematik der Fernwärmelieferungen erkannt habe und die Entlastungsfähigkeit aus dem Wortlaut heraus auch nicht offensichtlich gewesen sei. Im Übrigen sei die Verletzung dieser Pflichten für die Verjährung unerheblich.
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Das HZA habe auch keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, der für die versäumte Antragstellung ursächlich gewesen sei, denn die Mitteilung einer für die Klägerin negativen Rechtauffassung habe einen solchen nicht erzeugen können. Die Klägerin hätte insofern auch eine andere Rechtsauffassung vertreten und Entlastungsanträge stellen können. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Hinweises der Überzeugung gewesen, dass eine Steuerbefreiung zu gewähren sei und habe sich nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage dafür entschieden, sich gegen die Steuerfestsetzung (auch gerichtlich) zu wehren. Auch die Billigkeitsmaßnahme sei aus diesen Gründen zu Recht abgelehnt worden.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze, auf die vorgelegten Unterlagen und Akten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2022 verwiesen.
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Die Klage ist begründet. Der Klägerin ist die Steuerentlastung nach § 105a EnergieStV 2011 zu gewähren, da sich das HZA zumindest aus Vertrauensschutzgründen nicht auf Verjährung mangels rechtzeitig gestellter Entlastungsanträge berufen kann.
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1. Nach § 105a Abs. 1 Satz 1 EnergieStV 2011 wird eine Steuerentlastung auf Antrag für nachweislich versteuerte Energieerzeugnisse, die an die ausländischen Streitkräfte oder Hauptquartiere geliefert werden, gewährt.
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a) Die in § 105a Abs. 1 Satz 1 EnergieStV 2011 erfasste Lieferung von Energieerzeugnissen umfasst auch die Verwendung von Energieerzeugnissen zur Erzeugung von an ausländische Streitkräfte gelieferter Wärme, wovon mittlerweile auch das HZA ausgeht (vgl. auch VSF V82 45-9 I. und V).
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aa) Art. 67 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i NATOTrStatZAbk ordnet an, dass - unter den dort näher aufgeführten Voraussetzungen - für Lieferungen und sonstige Leistungen an eine Truppe oder ein ziviles Gefolge die unter den Ziff. ii und iv genannten Abgabenvergünstigungen gewährt werden und dass die Abgabenvergünstigungen bei der Berechnung des Preises zu berücksichtigen sind. Nach Art. 67 Abs. 3 Buchst. a Ziff. iv NATOTrStatZAbk werden für Waren, die aus dem zollrechtlich freien Verkehr an eine Truppe oder ein ziviles Gefolge geliefert werden, die Abgabenvergünstigungen gewährt, die in den Zoll- und Verbrauchsteuergesetzen für den Fall der Ausfuhr vorgesehen sind. Mit dieser Bestimmung ist auf Grundlage internationalen Rechts eine eigenständige Regelung hinsichtlich der einer ausländischen Truppe und des zivilen Gefolges zu gewährenden Verbrauchsteuerbefreiung getroffen worden. Es handelt sich um eine Sondervorschrift, die den allgemeinen Vorschriften des Verbrauchsteuerrechts vorgeht. Nach Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (vgl. auch Gesetz zu dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 3. August 1985, BGBl II 1985, 926) ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zwecks auszulegen (vgl. insgesamt Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Mai 2020 - VII R 41/18, BFHE 269, 472, Rn. 11, m.w.N.).
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Den Vorgaben aus Art. 67 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i NATOTrStatZAbk wurde insofern Rechnung getragen, als gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. c der RL 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der RL 92/12/EWG (RL 2008/118/EG) verbrauchsteuerpflichtige Waren von der Verbrauchsteuer befreit sind, wenn sie zur Verwendung durch die Streitkräfte der Vertragsparteien des Nordatlantikpakts mit Ausnahme des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Verbrauchsteueranspruch entsteht, und zwar für den Gebrauch oder Verbrauch dieser Streitkräfte oder ihr ziviles Begleitpersonal oder für die Versorgung ihrer Kasinos oder Kantinen bestimmt sind.
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Auf der Grundlage des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 18 Buchst. a EnergieStG wurde durch Art. 6 des Gesetzes zur Änderung truppenzollrechtlicher Vorschriften und anderer Vorschriften vom 19. Mai 2009 (BGBl I 2009, 1090) die Entlastungsregelung des § 105a EnergieStV 2009 zur Umsetzung der Richtlinie eingeführt, wobei Art. 67 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i NATOTrStatZAbk ausdrücklich auch für diese Abgabenvergünstigung gilt (BFH-Urteile vom 26. Mai 2020 - VII R 41/18, BFHE 269, 472, Rn. 13, und vom 26. Mai 2020 - VII R 17/19, BFHE 269, 464, Rn. 11).
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bb) Aufgrund dieser Entstehungsgeschichte und des Zwecks von Art. 67 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i Satz 2 NATOTrStatZAbk ist davon auszugehen, dass die Steuervergünstigung für jegliche mit Energiesteuer belasteten Waren und damit auch für Wärme gilt, die unter Verwendung von belasteten Energieerzeugnissen erzeugt wurde, denn die Begünstigten, nämlich die Truppe, das zivile Gefolge, ihre Mitglieder oder deren Angehörige, sollten nicht mit Energiesteuer belastet werden (vgl. bzgl. der Weitergabeverpflichtung des Steuervorteils BFH-Urteil vom 26. Mai 2020 - VII R 41/18, BFHE 269, 472, Rn. 14).
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cc) Für eine Anwendung bereits des § 105a EnergieStV 2009 auch auf gelieferte Fernwärme spricht im Übrigen auch die Gesetzesbegründung betreffend die Einführung des ab dem
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1. Juli 2022 geltenden § 58 EnergieStG. So ist nunmehr in § 58 Abs. 2 Satz 1 EnergieStG in der Fassung vom 30. März 2021 geregelt, dass die Verwendung von Energieerzeugnissen zur Erzeugung von Wärme zur Lieferung an den begünstigten Personenkreis der Lieferung von Energieerzeugnissen nach Absatz 1 gleichsteht. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass die bisher in der EnergieStV verortete Steuerentlastung für NATO-Streitkräfte aus rechtssystematischen Gründen als Anspruchsnorm in das Energiesteuergesetz überführt werde (BR-Drs. 681/20, S. 84). Von einer Erweiterung des Entlastungsumfangs wird nicht ausgegangen.
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dd) Im vorliegenden Fall lieferte die Klägerin an die amerikanischen Streitkräfte in A Wärme, für deren Erzeugung Erdgas zum Verheizen verwendet wurde. Die streitgegenständlichen Erdgasmengen unterfielen somit bei Lieferung dem Anwendungsbereich der Entlastung des § 105a EnergieStV 2009.
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b) Bei dem zur Wärmeerzeugung verwendeten Erdgas handelt es sich frühestens seit der Steuerfestsetzung in 2011 und spätestens seit der rechtskräftigen Entscheidung über die nicht zu gewährende Steuerbefreiung mit Urteil des FG München vom 19. April 2018 (Az.: 14 K 583/15) um nachweislich versteuerte Energieerzeugnisse.
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c) Auch die weiteren materiellen Voraussetzungen nach Art. 67 Abs. 3 Buchst. a Ziff. i Satz 1 NATOTrStatZAbk für die Gewährung der Steuerentlastung: die Weitergabe der Steuervergünstigung an den Empfänger (vgl. BFH-Urteile vom 26. Mai 2020 - VII R 41/18, BFHE 269, 472, Rn. 14 ff, und vom 3. November 2010 - VII R 4/10, BFHE 231, 457, Rn. 21), das Bestehen eines Auftragsverhältnisses mit einer amtlichen Beschaffungsstelle (vgl. BFH-Urteil vom 26. Mai 2020 - VII R 17/19, BFHE 269, 464, Rn. 16), sowie Leistungen, die für den Verbrauch der Truppe bestimmt sind, hat die Klägerin erfüllt.
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d) Schließlich hat die Klägerin auch den jeweils nach § 105a Abs. 1 EnergieStV 2011 erforderlichen Antrag auf Steuerentlastung im Schreiben vom 10. Dezember 2014 - nicht jedoch bereits konkludent mit der jeweiligen Steueranmeldung - gestellt. Alle für die Bemessung der Steuerentlastung erforderlichen Angaben waren dem HZA zu diesem Zeitpunkt gemacht worden und die Klägerin hatte die Steuerentlastung selbst berechnet.
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aa) Ob ein Entlastungsantrag, eine empfangsbedürftige Verfahrenserklärung gegenüber der Zollbehörde, vorliegt, ist erforderlichenfalls entsprechend §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen (FG Hamburg, Urteil vom 1. Februar 2019 - 4 K 58/15, juris, Rn. 27; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Februar 2016 - 6 K 1482/13 Z, juris, Rn. 43; vgl. auch BFH-Urteil vom 15. Mai 2013 - IX R 5/11, BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143, Rn. 22). Voraussetzung für eine Auslegung ist, dass die (Verfahrens-) Erklärung überhaupt auslegungsbedürftig ist. Hieran fehlt es, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat (BFH-Urteil vom 24. Mai 2012 - III R 95/08, BFH/NV 2012, 1658, Rn. 43, m.w.N.).
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Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände verstehen musste (Empfängerhorizont). Grundsätzlich sind die Begleitumstände und die Interessenlage des Erklärenden zu berücksichtigen (ständige Rspr. vgl. BFH-Urteile vom 16. Juni 2021 - X R 29/19, BFH/NV 2022, 577, Rn. 25, und vom 4. Februar 2020 - IX R 18/19, BFH/NV 2020, 867, Rn. 21, m.w.N.). Bei der Ermittlung des in dem Antrag verkörperten Willens können aber nur solche Umstände berücksichtigt werden, die für den Empfänger im Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung erkennbar waren (BFH-Urteil vom 24. Mai 2012 - III R 95/08, BFH/NV 2012, 1658, Rn. 42) und aufgrund derer der Empfänger z. B. den Inhalt einer Steuererklärung zweifelsfrei zugleich als Erklärung zur Ausübung des steuerrechtlichen Gestaltungsrechts auffassen kann (vgl. zum Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung nach § 19 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - konkludent durch Abgabe einer Steuererklärung: BFH-Urteil vom 24. Juli 2013 - XI R 14/11, BFHE 242, 421, BStBl II 2014, 210, Rn. 21 ff). Das Erklärungsbewusstsein des Steuerpflichtigen ist kein notwendiger Bestandteil der Willenserklärung, d.h. sein schlüssiges Verhalten kann auch dann als Willenserklärung gewertet werden, wenn er an die Möglichkeit einer solchen Wertung nicht gedacht hat (BFH-Urteil vom 24. Juli 2013 - XI R 14/11, BFHE 242, 421, BStBl II 2014, 210, Rn. 31).
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bb) Die Steueranmeldungen der Klägerin vom 3. März 2010 und vom 23. März 2011 sind - unabhängig davon, ob es sich überhaupt um auslegungsbedürftige Erklärungen handelt - nach diesen Grundsätzen nicht bereits als konkludent gestellte Anträge auf Steuerentlastung auszulegen.
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Ob die Klägerin, die davon ausging, dass ihre Lieferungen steuerbefreit seien, selber nicht von der Notwendigkeit eines Antrags ausging, ist aufgrund der Maßgeblichkeit des Empfängerhorizonts zwar unerheblich. Entscheidend ist jedoch, dass das HZA zum Zeitpunkt der Steueranmeldungen jedenfalls nicht von der Möglichkeit einer Steuerentlastung ausging. Dementsprechend musste es auch bei rechtsschutzgewährender Auslegung der Erklärungen und obwohl die Entlastungsanträge für die Klägerin ausschließlich günstige Rechtswirkung entfaltet hätten, mithin auch aus Sicht des HZA keine erheblichen Umstände gegen den Antragstellungswillen der Klägerin gesprochen hätten, nicht von einer gleichzeitigen konkludenten Antragstellung ausgehen.
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Zwar hatte es der Gesetzgeber bis zur Ergänzung des § 105a EnergieStV 2009 durch
§ 105a Abs. 4 bis 7 EnergieStV 2011 versäumt, nähere Bestimmungen über die Form und den Inhalt eines Antrags nach § 105a EnergieStV 2009 festzulegen (vgl. BFH-Urteil vom 8. Juni 2010 - VII R 37/09, BFH/NV 2010, 2122, Rn. 16). Allerdings waren seit Einführung des § 105a EnergieStV 2009 das Steuerfestsetzungsverfahren und das Entlastungsverfahren als eigenständige Verfahren geregelt, so dass es - anders als die Option zur Regelbesteuerung nach § 19 UStG - eines gesonderten Antrags zur Einleitung des Entlastungsverfahrens bedurfte.
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2. Der Gewährung der Steuerentlastung steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihren Antrag nicht nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck und ohne die darin vorgesehene Versicherung, dass die Angaben wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen gemacht wurden, gestellt hat.
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a) Nach § 105a Abs. 4 Satz 1 EnergieStV 2011 ist die Steuerentlastung bei dem für den Antragsteller zuständigen Hauptzollamt mit einer Anmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck zu beantragen.
§ 105a Abs. 4 Satz 1 EnergieStV 2011 ist auf den Streitfall anwendbar, denn im vorliegenden Fall ist zwar die Energiesteuer im Zeitpunkt der Verwendung des Erdgases in 2009 bzw. 2010 entstanden. Entscheidend dafür, welche Fassung des § 105a EnergieStV für die Stellung des Entlastungsantrags anwendbar ist, ist jedoch, wann der Entlastungsanspruch entstanden ist (vgl. auch FG Hamburg, Urteil vom 22. Mai 2020 - 4 K 85/19, ZfZ 2020, 311, Rn. 67). Dieser entstand im vorliegenden Fall zumindest nicht vor Festsetzung der jeweiligen Energiesteuer am 23. Dezember 2011 bzw. 19. Dezember 2011.
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aa) Ein Steuervergütungsanspruch entsteht mit der Verwirklichung des Entlastungstatbestands (§ 38 AO). Voraussetzung für die Entstehung eines Entlastungsanspruchs nach § 105a EnergieStV ist nach dem Wortlaut u.a. die nachweisliche Versteuerung der Energieerzeugnisse, die an die ausländischen Streitkräfte oder Hauptquartiere geliefert werden. Allein die Lieferung der Energieerzeugnisse zu begünstigten Zwecken in 2009 bzw. 2010 lässt den Entlastungsanspruch somit noch nicht entstehen.
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bb) Was unter einer nachweislichen Versteuerung zu verstehen ist, definieren das EnergieStG und die EnergieStV nicht. Sinn und Zweck der Regelung ist es aber, Vergütungsansprüche für steuerfrei bezogene Energieerzeugnisse auszuschließen. Allein die Steuerentstehung ist dafür nicht ausreichend. Insofern verlangt der BFH in ständiger Rechtsprechung, dass Umstände hinzutreten, welche die Steuerentstehung verifizieren (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 2021 - VII R 26/20, BFH/NV 2022, 511, Rn. 39, m.w.N.). Wann eine derartige verifizierte Steuerentstehung vorliegt, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt.
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cc) Bieten im Zeitpunkt der Verwendung des Energieerzeugnisses die vom Lieferer zu führenden Aufzeichnungen hinreichende Gewähr für die Durchsetzung des Steueranspruchs soll die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der nachweislichen Versteuerung nicht von der Festsetzung der Steuer durch einen Steuerbescheid oder der Abgabe einer Steueranmeldung durch den Stromversorger oder Lieferer von Energieerzeugnissen abhängig sein (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2021 - VII R 26/20, BFH/NV 2022, 511, Rn. 42, m.w.N.). Im vorliegenden Fall waren die für Fernwärme verwendeten Lieferungen nach den Aufzeichnungen der Klägerin nicht versteuert worden.
50
Bei einem unversteuerten Bezug von Energieerzeugnissen, kann von einer nachweislichen Versteuerung jedenfalls nicht vor der Festsetzung der Steuer ausgegangen werden (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2021 - VII R 26/20, BFH/NV 2022, 511, Rn. 43). Insofern ist der Entlastungsanspruch zumindest nicht vor Festsetzung der jeweiligen Energiesteuer am 23. Dezember 2011 bzw. 19. Dezember 2011 entstanden.
51
Ob es außerdem noch erforderlich ist, dass die Steuer entrichtet worden ist (vgl. dahingehend Jesse, BB 2015, 2711, 2714 zur Stromsteuerentlastung) oder zumindest bei Streit über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung - wie hier - nur dann von einer verifizierten Steuerentstehung auszugehen ist, wenn die Festsetzung bestandskräftig ist, kann hier offenbleiben. Denn der Entlastungsanspruch ist jedenfalls nach Einführung des Formularerfordernisses des § 105a Abs. 4 Satz 1 EnergieStV 2011 entstanden, so dass dieses grundsätzlich von der Klägerin zu beachten war.
52
b) Obwohl die Klägerin das amtlich vorgeschriebene Formular nicht verwendete, führt dies nicht zur Unwirksamkeit ihres Antrags.
53
aa) Nach Art. 12 Abs. 2 RL 2008/118/EG legt der Aufnahmemitgliedstaat Voraussetzungen und Grenzen der Steuerbefreiung fest (zuvor geregelt durch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 3. Anstrich RL 92/12/EWG, vgl. BFH-Urteil vom 26. Mai 2020 - VII R 17/19, BFHE 269, 464). Dies entspricht Art. 67 Abs. 3 Buchst. c NATOTrStatZAbk, wonach die Art des Nachweises der Begünstigungsvoraussetzungen durch Vereinbarungen zwischen den deutschen Behörden und den Behörden des betreffenden Entsendestaats festgelegt werden. Dementsprechend konnte der Verordnungsgeber in § 105a Abs. 4 EnergieStV 2011 (ermächtigt durch § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 18 Buchst. a EnergieStG) ein Formularerfordernis vorgeben.
54
bb) Auch wenn die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Wahl der Maßnahmen zur Sicherstellung der genauen Erhebung der Steuern und der Vermeidung von Steuerhinterziehung einen weiten Gestaltungsspielraum haben, müssen sie jedoch bei der Ausübung ihrer Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören.
55
So verstößt es gegen Unionsrecht, wenn die Verletzung nationaler formeller Anforderungen dadurch sanktioniert wird, dass eine obligatorische Steuerbegünstigung verweigert wird. Denn die nationalen Regelungen dürfen nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um eine korrekte und einfache Anwendung solcher Befreiungen sicherzustellen und Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Missbrauch zu verhindern (Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - Petrotel-Lukoil vom 7. November 2019 - C-68/18, ECLI:EU:C:2019:933, Rn. 53 ff; Turbogas vom 27. Juni 2018 - C-90/17, ECLI:EU:C:2018:498, Rn. 43 f; Vakarų Baltijos laivų statykla vom 13. Juli 2017 - C-151/16, ECLI:EU:C:2017:537, Rn. 45 ff; Polihim-SS vom 2. Juni 2016 - C-355/14, ECLI:EU:C:2016:403, Rz 59 ff; BFH-Urteil vom 19. Oktober 2021 - VII R 26/20, BFH/NV 2022, 511, Rn. 27 f; BFH-Beschluss vom 8. Juni 2021 - VII R 44/19, BFHE 272, 568, Rn. 27 f).
56
cc) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann der Klägerin der Entlastungsanspruch allein deswegen, weil sie das amtliche Formular für ihren Antrag nicht verwendet hat, nicht verwehrt werden.
57
aaa) Bei der Entlastung für Lieferungen an ausländische Streitkräfte und Hauptquartiere handelt es sich um eine obligatorische Steuerbegünstigung. Dies ergibt sich aus Art. 67 Abs. 3 Buchst. a NATOTrStatZAbk und Art. 12 Abs. 1 Buchst. c RL 2008/118/EG. Lediglich hinsichtlich der Art der Umsetzung als Steuerbefreiung oder -vergütung und des Entlastungsverfahrens ist der Mitgliedstaat frei. Dem steht nicht entgegen, dass nach Art. 12 Abs. 2 RL 2008/118/EG die „Voraussetzungen und Grenzen“ der Steuerbefreiung in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats fallen, denn es steht nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten, ob sie überhaupt oder in welchem Umfang sie eine Steuerentlastung für Lieferungen an die Begünstigten gewähren.
58
bbb) So wie der Antrag auf Entlastung von der Energiesteuer keine materiell-rechtliche, sondern lediglich eine formelle Voraussetzung des Steuerentlastungsanspruchs darstellt (BFH-Beschluss vom 8. Juni 2021 - VII R 44/19, BFHE 272, 568, Rn. 31; so auch bzgl. Antrag nach § 96 EnergieStV: BFH-Urteile vom 19. Oktober 2021 - VII R 26/20, BFH/NV 2022, 511, Rn. 34, und vom 18. Februar 2020 - VII R 39/18, BFHE 268, 391, Rz 32), stellt auch die damit im Zusammenhang stehende Vorgabe, dafür ein amtliches Formular verwenden zu müssen, eine formelle Voraussetzung dar.
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Die Nichtverwendung des Vordrucks kann insofern zwar durch andere Instrumente sanktioniert werden, jedoch nicht dazu führen, dass die Steuerbegünstigung verweigert wird.
60
Dem steht auch nicht die ältere Rechtsprechung des BFH zum Vordruck nach § 25 bzw. § 25a MinöStG bzw. § 47 Abs. 2 Satz 1 MinöStV entgegen (vgl. BFH-Urteile vom 8. Juni 2010 - VII R 37/09, BFH/NV 2010, 2122, Rn. 10, und vom 1. Juli 2008 - VII R 37/07, BFH/NV 2008, 2062), denn diese erging vor der oben genannten EuGH-Rechtsprechung. Außerdem wog der Gedanke der Verwaltungsvereinfachung im Rahmen des Massenverfahrens der Agrardieselentlastung schwerer als in den Einzelfällen, die die hier anzuwendende Regelung betrifft.
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c) Zum Zeitpunkt der Antragstellung lagen dem HZA alle Angaben vor, die für die Bemessung der Steuerentlastung erforderlich waren. Dass die Klägerin nicht die im Formular vorgesehene Versicherung abgab, dass die Angaben wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen gemacht wurden, steht der Wirksamkeit des Antrags nicht entgegen, denn in diesem Fall steht nicht in Frage, dass wahrheitsgemäße Angaben von der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Entlastungsantrag gemacht wurden.
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aa) Zwar sieht § 150 Abs. 2 der Abgabenordnung in der in 2011 gültigen Fassung (AO a.F.) vor, dass die Angaben in den Steuererklärungen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen sind und dies, wenn ein Vordruck dies vorsieht, schriftlich zu versichern ist.
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bb) Allerdings hat die Regelung über das Wahrheitserfordernis nach § 150 Abs. 2 Satz 1 AO a.F. hinaus keine eigenständige rechtliche Bedeutung (vgl. BT-Drucks. 18/7457, 78; FG Hamburg, Urteil vom 1. Februar 2019 - 4 K 58/15, juris, Rn. 38).
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Darüber hinaus handelt es sich - wie das Formularerfordernis insgesamt - um eine formelle Voraussetzung, deren Verletzung beim Vorliegen der materiellen Voraussetzungen die Gewährung der Steuerentlastung nicht in Frage stellen kann (vgl. oben).
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3. Gleiches gilt auch für die versäumte Antragsfrist nach § 105a Abs. 3 EnergieStV 2011.
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a) Nach § 105a Abs. 4 Satz 3 EnergieStV 2011 (ebenso wie nach der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung der EnergieStV - EnergieStV 2018 -) wird die Steuerentlastung nur gewährt, wenn der Antrag spätestens bis zum 31. Dezember des Jahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Energieerzeugnisse geliefert oder abgegeben worden sind, beim Hauptzollamt gestellt wird.
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Nach § 105a Abs. 4 Satz 4 EnergieStV 2011 wird abweichend von Satz 3 die Steuerentlastung gewährt, wenn der Antrag spätestens bis zum 31. Dezember des Jahres gestellt wird, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer festgesetzt worden ist, wenn die Festsetzung der Steuer erst erfolgt, nachdem die Energieerzeugnisse geliefert oder abgegeben worden sind. Diese Regelung des Abs. 4 Satz 4 ist in der EnergieStV 2018 nicht enthalten.
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b) Unabhängig davon, ob die Entlastungsansprüche bereits mit Steuerfestsetzung im Dezember 2011 entstanden sind oder erst am 19. April 2018, als über den Steuerfestsetzungsbescheid rechtskräftig entschieden wurde, hat die Klägerin die nach der jeweiligen Fassung der EnergieStV anwendbare Antragsfrist versäumt: Die Frist nach § 105a Abs. 4 Satz 4 EnergieStV 2011 lief nach Festsetzung der Steuer im Dezember 2011 am 31. Dezember 2012 und damit vor Stellung des Antrags ab. Wäre die Antragsfrist nach § 105a Abs. 4 Satz 3 EnergieStV 2018 zu beachten gewesen, wäre hierfür nur der Lieferzeitpunkt des Energieerzeugnisses entscheidend, so dass nach § 105a Abs. 4 Satz 3 EnergieStV 2018 die Antragsfrist aufgrund der Lieferungen in 2009 bzw. 2010 bereits am 31. Dezember 2010 bzw. 31. Dezember 2011 abgelaufen wäre.
69
c) Unabhängig davon, dass Zweifel bestehen, ob die Frist nach § 105a Abs. 4 Satz 3 EnergieStV 2018 mit dem Grundsatz der Effektivität (vgl. EuGH-Urteil Valoris vom 14. Oktober 2020 - C-677/19, ECLI:EU:C:2020:825, Rn. 21, m.w.N.) vereinbar ist, weil die Antragsfrist danach ausnahmslos mit Lieferung des Energieerzeugnisses zu laufen beginnt, während der Entlastungsanspruch erst frühestens mit der Steuerfestsetzung entsteht und damit ggfs. erst nach Ablauf der Antragsfrist, steht die Versäumnis der Antragsfrist dem Entlastungsanspruch nicht entgegen. Denn bei der Antragsfrist handelt es sich um eine formelle Voraussetzung für eine obligatorische Steuerbegünstigung (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juni 2021 - VII R 44/19, BFHE 272, 568, Rn. 31; so auch bzgl. Antrag nach § 96 EnergieStV: BFH-Urteile vom 19. Oktober 2021 - VII R 26/20, BFH/NV 2022, 511, Rn. 34; vom 18. Februar 2020 - VII R 39/18, BFHE 268, 391, Rz 32). Da die materiellen Voraussetzungen des Entlastungsanspruchs aber vorliegen, folgt aus dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit (vgl. oben), dass eine verspätete Antragstellung dem Entlastungsanspruch nicht entgegensteht.
70
4. Zudem wurden die weiteren formellen Voraussetzungen - unabhängig davon, ob die Anforderungen der EnergieStV 2011, die an Lieferungen vor Geltung der Verordnungsfassung anknüpfen, anwendbar sind - in Form des Belegnachweises durch Abwicklungsscheine (§ 105a Abs. 6 EnergieStV 2011) und des buchmäßigen Nachweises (§ 105a Abs. 7 EnergieStV 2011) von der Klägerin jedenfalls erfüllt.
71
5. Würde man davon ausgehen, dass die Entlastungsansprüche erst mit Bestandskraft der Steuerfestsetzung in 2018 entstanden sind, konnten sie bei Antragstellung (2014) noch nicht verjährt sein. Der Antrag hätte somit nach § 171 Abs. 3 AO eine Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist und damit ein Hinausschieben des Eintritts der Festsetzungsverjährung zur Folge gehabt und der Entlastungsanspruch wäre nicht verjährt.
72
Anderes gilt, wenn man davon ausgeht, dass die Ansprüche nach § 105a EnergieStV 2011 mit der Steuerfestsetzung im Dezember 2011 entstanden sind. In diesem Fall käme es darauf an, ob der Ablauf der Festsetzungsfrist bezüglich der jeweiligen Entlastungsansprüche aufgrund einer Außenprüfung nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt war bzw. ob die vorgenommenen Prüfungshandlungen auch die Entlastung von der Steuer auf Erdgas umfassten.
73
Diese Fragen können im vorliegenden Fall jedoch offenbleiben, denn das HZA kann sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben jedenfalls nicht auf Verjährung berufen.
74
a) Eine Berufung auf die Grundsätze von Treu und Glauben gilt auch im Steuerrecht (BFH-Urteile vom 6. Juli 2016 - X R 57/13, BFHE 256, 1, BStBl II 2017, 334, Rn. 16, und vom 13. Juli 1995 - VII R 3/95, BFH/NV 1996, 278, Rn. 16) und ist (bereits) gegenüber einer Steuerfestsetzung möglich; eines gesonderten Billigkeitsverfahrens bedarf es dazu nicht (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 2011 - XI R 30/09, BFHE 233, 18, BStBl II 2011, 613, Rn. 27, m.w.N.).
75
b) Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder Beteiligte auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich zu seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Er bringt keine Steueransprüche und -schulden zum Entstehen oder Erlöschen, sondern kann allenfalls ein bestehendes konkretes Steuerrechtsverhältnis dahingehend modifizieren, dass eine Forderung nicht mehr geltend gemacht bzw. ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann (BFH-Urteil vom 6. Juli 2016 - X R 57/13, BFHE 256, 1, BStBl II 2017, 334, Rn. 16, m.w.N.).
76
c) Dabei kann die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben nur in besonders gelagerten Fällen in Betracht kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach dem allgemeinen Rechtsgefühl in einem so hohen Maße schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen. Hierzu verlangt der Grundsatz von Treu und Glauben einen Vertrauenstatbestand, aufgrund dessen der Steuerpflichtige disponiert hat (BFH-Urteile vom 6. Juli 2016 - X R 57/13, BFHE 256, 1, BStBl II 2017, 334, Rn. 17, und vom 12. März 2020 - VI R 35/17, BFH/NV 2020, 849, Rn. 22).
77
aa) Ein Vertrauenstatbestand besteht in einem bestimmten Verhalten des einen Teils, aufgrund dessen der andere bei objektiver Beurteilung annehmen konnte, jener werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten (BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2019 - XI R 31/17, BFH/NV 2020, 565, Rn. 22; BFH-Urteil vom 30. März 2011 - XI R 30/09, BFHE 233, 18, BStBl II 2011, 613, Rn. 36). Dazu zählen nicht unverbindliche Empfehlungen, da diese nicht Grundlage schützenswerten Vertrauens bilden können (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juli 1995 - VII R 3/95, BFH/NV 1996, 278, Rn. 16). Eine aus Empfängersicht verbindliche Auskunft kann dagegen Grundlage eines Vertrauenstatbestands sein. Maßgeblich ist der jeweilige objektive Erklärungswert (BFH-Urteil vom 30. März 2011 - XI R 30/09, BFHE 233, 18, BStBl II 2011, 613, Rn. 32). So ist nach der EuGH-Rechtsprechung beim Vorliegen besonderer Umstände eine Berufung auf den Ablauf der Verjährungsfrist verwehrt. Solche liegen vor, wenn der Steuerpflichtige zunächst von der rechtzeitigen Einlegung einer Klage abgehalten und ihm später der Einwand der verspäteten Klageerhebung entgegengehalten wird, da ihm damit jede Möglichkeit genommen wird, seine Rechte geltend zu machen (EuGH-Urteile Barth vom 15. April 2010 - C-542/08, ECLI:EU:C:2010:193, Rn. 36; Levez vom 1. Dezember 1998 - C-326/96, ECLI:EU:C:1998:577, Rn. 34; Emmott vom 25. Juli 1991 - C-208/90, ECLI:EU:C:1991:333).
78
bb) Der Zusatz des HZA in den Steueränderungsbescheiden vom 23. Dezember 2011 und 19. Dezember 2011 war nach Würdigung des Senats nicht als unverbindliche Empfehlung zu verstehen. Vielmehr müsste man ihm - hätte es einen vorangegangenen Entlastungsantrag gegeben - Regelungscharakter zuerkennen, da er ohne Vorbehalte konstatiert, dass eine Entlastung nicht möglich sei. Allenfalls der Zusatz der zeitlichen Begrenzung „derzeit“ kann auf eine auf den Dezember 2011 bezogene eingeschränkte Gültigkeit einer Rechtsmeinung hindeuten. Gleichermaßen kann er jedoch auch dahingehend zu verstehen sein, dass im Dezember 2011 Entlastungsanträge abgelehnt würden, spätere Entlastungsanträge aber als möglicherweise erfolgsversprechend eingestuft werden. Insofern konnte aus Empfängersicht mit der Auskunft die Handlungsempfehlung verbunden sein, mit einem Antrag noch zu warten. Damit war ein Vertrauenstatbestand zumindest dahingehend gesetzt, dass einem späteren Antrag nicht Verfristung oder Verjährung entgegengehalten würde.
79
cc) Indem die Klägerin aufgrund der Ausführungen des HZA in den Steueränderungsbescheiden keinen Entlastungsantrag stellte, traf sie letztendlich auch eine wirtschaftliche Disposition, die tauglicher Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Vertrauensschutz ist.
80
Insbesondere aufgrund des als Verweis in die Zukunft auslegbaren „derzeit“ konnte die Klägerin darauf vertrauen, das HZA werde sich künftig nicht mehr in Widerspruch zu seiner im Dezember 2011 getroffenen Aussage setzen, indem es sich dann auf Verjährung beruft. Nach Überzeugung des Senats war das Vertrauen hierauf auch ursächlich dafür, dass die Klägerin ihre Rechtsauffassung, wonach die jahrelang erfolgte Praxis der Begünstigung der Fernwärmelieferungen an die US-Streitkräfte ohne Änderungen der zu Grunde liegenden Rechtsgrundlagen des NATOTrStatZAbk und der RL 2008/118/EG in jedem Falle fortzusetzen sei, zunächst nur im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die Steuerfestsetzung geltend machte. Auf die Möglichkeit, vorsorglich und trotz bereits „derzeit“ signalisierter Ablehnung einen Antrag stellen zu können, mit dem ein paralleles Rechtsbehelfsverfahren zu der gleichen Problematik losgetreten würde, war die Klägerin nicht zu verweisen (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 12. Juli 2006 - IV B 9/05, BFH/NV 2006, 2028, Rn. 6, wonach eine Bindung der Finanzbehörde möglich ist, wenn in einer Situation ein Rechtsbehelf angesichts der vom Finanzamt vertretenen Rechtsauffassung aussichtslos erscheint).
81
Im Übrigen wäre eine solche vorsorgliche Antragspflicht angesichts der unklaren Rechtlage nicht nur hinsichtlich der Begünstigung von Fernwärme, sondern auch hinsichtlich des Entstehungszeitpunkts des Anspruchs bzw. der jeweils anwendbaren Regelungen zur Antragsfrist nicht zumutbar gewesen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, gebietet, dass Rechtsvorschriften - vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können - klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein müssen, damit die Einzelnen ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und sich somit in ihrem Verhalten darauf einstellen können (EuGH-Urteil VYSOČINA WIND vom 25. Januar 2022 - C-181/20, ECLI:EU:C:2022:51, Rn. 47).
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6. Da die Klage daher schon mit dem Hauptantrag Erfolg hat, muss der Senat nicht mehr über den Hilfsantrag der Klägerin entscheiden.
83
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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8. Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).