Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 08.08.2022 – 7 UF 99/22
Titel:

Kein Ausschluss des Versorgungsausgleichs trotz begangener Straftat

Normenkette:
§ 27 VersAusglG
Leitsätze:
1. Eine bewusste und in Schädigungsabsicht vorgenommene Verkürzung der erworbenen und im Versorgungsausgleich auszugleichenden Anrechte durch einen Ehegatten zum Nachteil des anderen Ehegatten kann eine grobe Unbilligkeit im Sinn des § 27 VersAusglG darstellen. (Rn. 14)
2. Ein solcher Sachverhalt ist erkennbar nicht gegeben, wenn auszuschließen ist, dass der Ehegatte die Straftaten (zumindest auch) beging, um den anderen Ehegatten in irgendeiner Form - der Versorgungsausgleich war zu jener Zeit kein Thema - zu benachteiligen (OLG Bamberg, B. v. 08.08.2022, 7 UF 99/22). (Rn. 15 – 16)
Schlagworte:
Rentenversicherung, Versorgungsausgleich, grobe Unbilligkeit, Anrechte, Anwartschaftsberechtigtung, treuwidriges Verhalten
Vorinstanz:
AG Würzburg, Endbeschluss vom 20.04.2022 – 3 F 609/18
Fundstellen:
FamRZ 2023, 684
BeckRS 2022, 38981
LSK 2022, 38981

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Würzburg vom 20.04.2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.020 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht - Familiengericht - Würzburg hat mit Endbeschluss vom 20.04.2022 die Ehe der beteiligten Ehegatten geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt.
2
Auf Seiten des Antragsgegners wurde neben einem Anrecht aus einem privaten Altersvorsorgevertrag ein Anrecht bei der Deutschen Rentenversicherung Bund geteilt. Der Antragsgegner war zwar ab November 1984 als Beamter des gehobenen Dienstes beim … Würzburg tätig. Allerdings hatte er dort jahrelang systematisch Akten und Aktenteile der dienstlichen Verfügung entzogen und diese verbotswidrig in seinem Wohnhaus oder einem abgeschlossenen Schrank in seinem Büro versteckt. Im Oktober 2010 wurde er deswegen vorläufig des Dienstes enthoben. Im Dezember 2013 wurde er schließlich unter anderem wegen 40 Fällen des Verwahrungsbruchs in Tateinheit mit Untreue in einem besonders schweren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten mit Bewährung verurteilt. In der Folgezeit wurde er aus dem Beamtenverhältnis entlassen und in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert.
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Bezüglich des Antrags der Antragstellerin, im Hinblick auf diese Geschehnisse von einem Ausgleich der erworbenen Anrechte nach § 27 VersAusglG abzusehen, führte das Familiengericht im Rahmen der Begründung unter anderem aus:
4
Entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin ist das gefundene Ergebnis nicht über § 27 VersAusglG zu korrigieren. Für den vollständigen Ausschluss des Versorgungsausgleichs liegen keine hinreichenden Gründe vor. In Fällen der schuldhaften Verkürzung eigener Versorgungsanwartschaften ist regelmäßig ein im Hinblick auf den anderen Ehegatten bewusst treuwidriges, zielgerichtetes Verhalten des Anwartschaftsberechtigten erforderlich. Ein solches Verhalten ist vorliegend aber nicht ersichtlich. Der Antragsgegner mag schuldhaft und in strafbarer Weise den Verlust seiner Pensionsansprüche herbeigeführt haben. Dass er dies zum Zweck der Schädigung der Antragstellerin getan haben soll, ist allerdings abwegig. Primär ist vielmehr er selbst geschädigt, die Antragstellerin ist lediglich indirekt über einen bloßen Rechtsreflex benachteiligt. Berücksichtigt man, dass ausweislich der diversen gerichtlichen Feststellungen eine krankheitsbedingte (Mit-)Verursachung des beamtenrechtlichen Fehlverhaltens offenkundig erscheint (der Antragsgegner war schlicht überfordert), so widerspricht die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs dem gesetzlichen Grundgedanken keineswegs. Die Antragstellerin hat demnach an der negativen Karriereentwicklung des Antragsgegners zu partizipieren, wie sie gleichermaßen an einer positiven Entwicklung seiner beruflichen Laufbahn partizipiert hätte.
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Gegen diese ihr am 28.04.2022 zugestellte Entscheidung legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 24.05.2022, eingegangen beim Amtsgericht am 25.05.2022, Beschwerde ein. Sie verfolgt den in erster Instanz gestellten Antrag weiter und bringt vor:
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Hätte der Antragsgegner die Straftaten nicht begangen, sondern wäre seiner Pflicht als Beamter nachgekommen, hätte er erheblich höhere Anwartschaften beim Landesamt für Finanzen. Die genaue Ermittlung des Schadens müsse durch ein Sachverständigengutachten ermittelt werden. Sie habe als Beamtin einen Ausgleichswert von 172.863,40 € erwirtschaftet, der Antragsgegner lediglich 138.306,50 €. Durch die Straftaten habe sie einen erheblichen Schaden erlitten. Die Durchführung des Ausgleichs sei deswegen nach § 27 VersAusglG unbillig. Denn der Antragsgegner habe durch sein strafbares Verhalten erreicht, dass nunmehr sie im Rahmen des Versorgungsausgleichs ausgleichspflichtig sei. Es müsse ihm bewusst gewesen sein, dass er durch sein Verhalten seine Ehefrau im Versorgungsausgleich massiv schädige. Soweit das Gericht ausführte, dass eine krankheitsbedingte (Mit) Verursachung des Fehlverhaltens offenkundig erscheint, sei dies nicht zutreffend. Der Antragsgegner sei zu keinem Zeitpunkt erwerbsunfähig oder krank gewesen.
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Der Antragsgegner verteidigt die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung und beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
II.
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Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet und daher zurückzuweisen.
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Von einer mündlichen Erörterung der Sache (§ 221 Abs. 1 FamG) in der Beschwerdeinstanz wurde nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen, da hiervon bei den gegebenen Umständen keine weitergehenden entscheidungserheblichen Erkenntnisse (§ 26 FamFG) zu erwarten waren.
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Zu Recht und auch mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht - Familiengericht - Würzburg zeitgleich mit der Scheidung der Ehe der beteiligten Ehegatten den Versorgungsausgleich durchgeführt, weil die Voraussetzungen des § 27 VersAusglG nicht gegeben sind.
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Der Senat nimmt daher zunächst auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung vom 20.04.2022 Bezug, die durch das Beschwerdevorbringen auch nicht entkräftet werden.
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Zu den Angriffen der Beschwerde sind lediglich die folgenden Anmerkungen veranlasst: 1) Nach § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit die Inanspruchnahme des zum Ausgleich Verpflichteten grob unbillig wäre. Dies ist dann anzunehmen, wenn die rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs dem Grundgedanken des Rechtsinstituts - nämlich: Gewährleistung einer dauerhaften gleichmäßigen Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Anrechten - in unerträglicher Weise widersprechen würde (BGH FamRZ 2007, 1996; BGH FamRZ 2007, 1966).
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2) Hiervon ausgehend muss es bei der gesetzlich vorgegebenen Halbteilung der von beiden Ehegatten erworbenen Anrechte verbleiben:
14
a) Zwar führt die Beschwerde zutreffend aus, dass eine bewusste und in Schädigungsabsicht vorgenommene Verkürzung der erworbenen und im Versorgungsausgleich auszugleichenden Anrechte durch einen Ehegatten zum Nachteil des anderen Ehegatten eine grobe Unbilligkeit im Sinn des § 27 VersAusglG darstellen kann (vgl. BGH FamRZ 1989, 42 und FamRZ 1989, 1058).
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Allerdings ist vorliegend ein solcher Sachverhalt erkennbar nicht gegeben. Der Senat schließt aus, dass der Antragsgegner die Straftaten (zumindest auch) beging, um die Antragstellerin in irgendeiner Form - der Versorgungsausgleich war zu jener Zeit kein Thema - zu benachteiligen.
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Und ganz offensichtlich ging auch die Antragstellerin nach Entdeckung der Taten (sie hatte im September 2010 im Rahmen einer Hausdurchsuchung von den „Schwierigkeiten“ des Antragsgegners erfahren) davon aus, dass diese nicht gegen sie, sondern gegen den damaligen Dienstherren gerichtet waren. Anders wäre es nämlich nicht zu erklären, dass es erst im Mai 2017 und damit viele Jahre nach den Taten und der Verurteilung zur Trennung der Eheleute kam.
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b) Sonstige Umstände, die im Rahmen der nach § 27 VersAusglG vorzunehmenden Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten zu Gunsten der Beschwerdeführerin berücksichtigt werden müssten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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c) Damit verbleibt es im Ergebnis bei dem Grundsatz des § 1 VersAusglG, wonach alle in der Ehezeit (hier: 01.04.1984 bis 31.03.2018) erworbenen Anteile von Anrechten jeweils zur Hälfte zwischen den geschiedenen Ehegatten zu teilen sind.
III.
19
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Die Beschwerde der Antragstellerin blieb ohne Erfolg.
20
Die Festsetzung des Wertes für das Beschwerdeverfahren richtet sich nach §§ 40, 50 Abs. 1 FamGKG. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts betrug das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung 11.700 €. Da in der Beschwerdeinstanz 6 Anrechte zu prüfen waren, ergibt sich ein Wert von (11.700 x 0,6 =) 7.020
€.
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Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben (§ 70 Abs. 2 FamFG). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Grundsätzliche Bedeutung hat die Sache nicht. Auch weicht der Senat nicht in einer Rechtsfrage von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder eines anderen Oberlandesgerichts ab.