Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.11.2022 – 9 ZB 22.1378
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen Einfamilienhaus - Befreiung von nicht drittschützender Feststetzung

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4
BauGB § 31 Abs. 2
Leitsatz:
Im Rahmen der nach § 31 Abs. 2 BauGB erforderlichen Würdigung nachbarlicher Interessen und der dabei zu treffenden Abwägung ist nur danach zu fragen, ob ein Vorhaben die gebotene Rücksicht auf den Nachbarn nimmt oder diese Rücksichtnahme vermissen lässt, weil es ihn unzumutbar beeinträchtigt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Bebauungsplan, Drittschutz, Gebot der Rücksichtnahme., Gebot der Rücksichtnahme, Befreiung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 12.05.2020 – AN 17 K 19.917
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38967

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich als Eigentümerin mehrerer Grundstücke (FlNr. …, … und … Gemarkung N.) gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage auf einem Nachbargrundstück (FlNr. …).
2
Das Baugrundstück sowie das südlich angrenzende, im Eigentum der Klägerin stehende unbebaute, bewaldete Grundstück (FlNr. …) liegen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 15 „W.straße …“ der Gemeinde N. Der Beklagte erteilte mit Bescheid vom 3. April 2019 die beantragte Baugenehmigung sowie die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Kniestockhöhe (Überschreitung um 0,5 m auf 1,0 m), der Dachneigung (38 Grad Satteldach statt 42 bis 48 Grad), der Baugrenzen sowie der Schutzbestandszone Wald.
3
Mit Urteil vom 12. Mai 2020 hat das Verwaltungsgericht die vom Rechtsvorgänger der Klägerin gegen den Bescheid erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass die zugunsten der Beigeladenen erteilten Befreiungen keine drittschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans beträfen und dass das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt sei. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Beklagte verteidigt das Urteil. Die Beigeladenen waren im Zulassungsverfahren nicht anwaltlich vertreten.
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Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
5
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin hat das gemäß §§ 239, 246 Abs. 1 ZPO unterbrochene Verfahren als Erbin ihres verstorbenen Ehemannes aufgenommen (§ 250 ZPO). Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen aber nicht vor.
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
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In rechtlich nicht zu beanstandender Weise ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, die erteilte Baugenehmigung verletze den Rechtsvorgänger der Klägerin nicht in eigenen Rechten.
8
Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen deshalb zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils sowie des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. Juli 2019 (Az.: AN 17 S 19.00916), auf den im Urteil zur Begründung ausdrücklich verwiesen wurde, und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das klägerische Vorbringen folgendes zu bemerken:
9
Unter Anwendung der zutreffenden rechtlichen Maßstäbe (vgl. dazu im Einzelnen BayVGH, B.v. 27.7.2022 - 9 ZB 22.376 - juris Rn. 8 m.w.N.) hat das Verwaltungsgericht die streitgegenständlichen Festsetzungen im Bebauungsplan, von denen eine Befreiung erteilt wurde, ausgelegt und ist im Rahmen einer Gesamtschau zum Ergebnis gelangt, dass diese nicht drittschützend sind. Darüber hinaus hat es eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots geprüft und ebenfalls zu Recht verneint. Entgegen dem klägerischen Vorbringen kommt es daher nicht mehr auf die Frage an, ob die Grundzüge der Planung durch die erteilten Befreiungen berührt werden.
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Mit ihrem Einwand, die entsprechenden Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans dienten der Erhaltung des Gebietscharakters und seien daher nachbarschützend, dringt die Klägerin nicht durch. Es erschließt sich nicht, warum diese Festsetzungen nach der Konzeption des Plangebers in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis stehen sollten, wie dies in Bezug auf Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung anzunehmen ist (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 9.8.2018 - 4 C 7.17 - BVerwGE 162, 363 = juris Rn. 15). Insofern wiederholt die Klägerin lediglich ihren erstinstanzlichen Vortrag, ohne sich mit den überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Argumentation, der Bebauungsplan sehe zahlreiche Grünflächen vor. Ebenso wenig hat die Klägerin einen Anspruch darauf, dass die Zahl der Bauplätze östlich der W.straße auf drei begrenzt wird. Ein solcher lässt sich auch dem von ihr vorgelegten Erschließungsvertrag nicht entnehmen. Der Umstand, dass der Plangeber bei Vertragsschluss von einer bestimmten Anzahl an Baugrundstücken ausgegangen sein mag, vermittelt - entgegen dem Vortrag im Zulassungsverfahren - allein noch keine subjektiven Rechtspositionen.
11
Die Klägerin kann auch mit ihrem Einwand nicht durchdringen, nachhaltige negative Auswirkungen eines Vorhabens gingen mit einer Verletzung nachbarschützender Rechte einher. Im Rahmen der nach § 31 Abs. 2 BauGB erforderlichen Würdigung nachbarlicher Interessen und der dabei zu treffenden Abwägung ist vielmehr nur danach zu fragen, ob das Vorhaben die gebotene Rücksicht auf den Nachbarn nimmt oder diese Rücksichtnahme vermissen lässt, weil es ihn unzumutbar beeinträchtigt (vgl. dazu Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand April 2022, § 31 Rn. 69d m.w.N.). Das hat das Verwaltungsgericht mit überzeugender Begründung verneint.
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2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargetan. Dies setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 - 4 B 21.16 - juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 2.4.2019 - 9 ZB 16.597 - juris Rn. 15 m.w.N). Dem genügt das Zulassungsvorbringen nicht, weil lediglich pauschal auf angebliche Abweichungen von einer höchstrichterlichen Entscheidung hingewiesen wird. Es fehlt an der Benennung divergierender, entscheidungserheblicher abstrakter Rechtssätze.
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Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht - entgegen dem Zulassungsvortrag - auch nicht vom zitierten Urteil (BVerwG, U.v. 9.8.2018 - 4 C 7.17 - a.a.O.) abgewichen. Dieses betrifft vielmehr eine andere Fallgestaltung, in der ein besonderes nachbarliches Austauschverhältnis bestand und der Bebauungsplan aus einer Zeit stammte, in der allgemein an einen nachbarlichen Drittschutz noch nicht gedacht wurde.
14
Die Kostenentscheidung des Zulassungsverfahrens ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da sich die Beigeladenen im Zulassungsverfahren nicht durch einen postulationsfähigen Bevollmächtigen haben vertreten lassen und keine rechtlichen Ausführungen gemacht haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
15
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).