Titel:
Zutreffende Verweisung an das Amtsgericht wegen Streitigkeit im Personenstandsrecht
Normenketten:
GVG § 17a
VwGO § 40 Abs. 1 S. 2
PStG § 49 Abs. 1, § 50, § 62 Abs. 1 S. 1
FamFG § 7 Abs. 1, § 51 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Annahme einer ausdrücklichen Sonderzuweisung steht deren Auslegungsbedürftigkeit nicht entgegen. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Tätigkeiten der Standesämter nach dem Personenstandsgesetz sind Amtshandlungen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Beteiligtenstellung iSd Verwaltungsverfahrensgesetzes und der gerichtlichen Verfahrensordnungen beschränkt sich nicht auf Beteiligte, die ein materielles Recht auf Ausstellung einer Personenstandsurkunde haben. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die ausdrückliche Zuweisung an einen anderen Rechtsweg in § 50 Abs. 1 PStG hat nicht zur Voraussetzung, dass der Rechtsstreit im anderen Rechtsweg mit Erfolg geführt werden kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Verweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit, Personenstandsurkunde, Ausweisdokument, Verwaltungsrechtsweg, abdrängende Sonderzuweisung, Beteiligtenstellung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 10.06.2022 – Au 1 K 21.1764
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38961
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Die Klägerin betreibt ein Onlineportal, mit dem Nutzer Anträge auf Erteilung von Personenstandsurkunden erstellen und gegen Gebühr an das jeweilige Standesamt versenden können. Die Beklagte lehnte die Bearbeitung solcher Anträge gegenüber den Nutzern ab. Mit Schreiben vom 17. Mai 2021 forderte die Klägerin die Beklagte daraufhin auf, per Brief oder Fax gestellte Anträge weiterhin zu bearbeiten, was die Beklagte mit Schreiben vom 26. Mai 2021 zurückwies. Eine Bearbeitung der Anträge sei nur möglich, wenn dem Antrag eine Kopie eines Ausweisdokuments beiliege.
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Am 27. August 2021 erhob die Klägerin beim Verwaltungsgericht Klage auf Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, die Erteilung von Personenstandsurkunden auf Antrag der Berechtigten gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 PStG deshalb abzulehnen, weil der Antrag per Telefax bei der Beklagten eingegangen sei und/oder nicht eigenhändig vom Antragsteller unterschrieben worden sei und/oder dem Antrag keine Kopie eines Ausweisdokuments des Antragstellers beiliege.
3
Nach Anhörung der Beteiligten erklärte das Verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Memmingen. Der Verwaltungsrechtsweg sei nicht eröffnet, weil eine abdrängende Sonderzuweisung zu den Amtsgerichten in §§ 49, 50 PStG vorliege. Bei der Erteilung von Personenstandsurkunden handle es sich um eine Amtshandlung im Sinne des § 49 PStG. Hierfür sprächen der Wortlaut der Vorschrift, ebenso wie deren Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck. Auch sei die Klägerin eine Beteiligte im Sinne des § 49 Abs. 1 PStG. Sie sei von der Ablehnung der Amtshandlung materiell in ihren unternehmerischen Interessen betroffen.
4
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Verweisung an das Amtsgericht. Sonderzuweisungen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssten ausdrücklich und eindeutig bestimmt sein. Aufgrund ihres Ausnahmecharakters seien sie restriktiv auszulegen. Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts könnten keine Abweichung von der positiven Rechtslage herbeiführen und überschritten die Grenze des Wortlauts. Es liege keine Amtshandlung im Sinn von § 49 Abs. 1 PStG vor. Sie sei keine „Beteiligte“ im Sinn der Vorschrift, sondern lediglich Botin. Eine weite Auslegung der Norm aufgrund teleologischer oder systematischer Erwägungen sei unzulässig, hinsichtlich letzterer auch anders zu verstehen, als es das Verwaltungsgericht vertrete.
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Die Beklagte hat sich zur Beschwerde nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
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Die zulässige Rechtswegbeschwerde gegen den Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. Juni 2022 gemäß § 173 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 146 Abs. 1, § 147 VwGO bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs zu Recht verneint und die Streitsache an das örtlich zuständige Amtsgericht verwiesen.
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Der Senat verweist gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffende Begründung des Verwaltungsgerichts im seinem Beschluss vom 10. Juni 2022. Ergänzend wird im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ausgeführt:
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Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen sind. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 PStG sind die Amtsgerichte, die ihren Sitz am Ort eines Landgerichts haben, für die in den §§ 48, 49 PStG vorgesehenen Entscheidungen ausschließlich zuständig. Lehnt das Standesamt die Vornahme einer Amtshandlung ab, so kann es auf Antrag der Beteiligten (oder der Aufsichtsbehörde) durch das Gericht dazu angewiesen werden (§ 49 Abs. 1 PStG).
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Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass es gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer ausdrücklichen Sonderzuweisung an ein anderes Gericht durch Bundesgesetz bedarf.
11
Im Interesse des Rechtsschutzsuchenden muss Klarheit über den einzuschlagenden Rechtsweg bestehen, weshalb eine ausdrückliche Sonderzuweisung nicht weg- oder uminterpretiert werden darf. Auch eine Verweisung kraft Sachnähe scheidet aus, doch kann dieser Gesichtspunkt für die Reichweite einer ausdrücklichen Sonderzuweisung bedeutsam sein. Denn der Annahme einer ausdrücklichen Sonderzuweisung steht deren Auslegungsbedürftigkeit nicht entgegen. Sie muss auch nicht eng ausgelegt werden. Bei der Frage, wie weit eine Sonderzuweisung an andere Gerichte reicht, gilt vielmehr der Auslegungsgrundsatz der Spartengerichtsbarkeit, der sich aus Art. 95 Abs. 1 GG ergibt und der besagt, dass einheitliche Rechtsmaterien im Zweifel insgesamt an die für sie errichtete spezielle Gerichtsbarkeit zugewiesen sind und Rechtswegaufsplitterungen und -überschneidungen möglichst zu vermeiden sind (Wöckel in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 40 Rn. 100 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
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Auf der Grundlage dieser Maßstäbe hat der Senat keine Zweifel daran, dass vorliegend gemäß § 50 Abs. 1, § 49 Abs. 1 PStG das Amtsgericht für das Rechtsschutzbegehren der Klägerin zuständig ist (ebenso OVG NRW, B.v. 15.2.2022 - 4 E 802/21 - juris).
13
Der Begriff der Amtshandlung erfasst alle Tätigkeiten, die Behörden in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornehmen (vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 BayKG, § 3 BGebO; vgl. BVerwG, B.v. 1.10.2009 - 7 B 24.09 - juris Rn. 6), hier die Tätigkeiten der Standesämter nach dem Personenstandsgesetz. Die „Vornahme“ einer Amtshandlung dient ebenso wie § 44a VwGO der Abgrenzung zu Zwischenverfügungen der Standesämter, wie der Anforderung von Nachweisen, die nicht selbständig anfechtbar sein sollen. Um eine solche Zwischenverfügung handelt es sich vorliegend nicht. Etwas Anderes folgt auch nicht aus der Systematik des Personenstandsgesetzes, das Berichtigungen und gerichtliches Verfahren schon im Kapitel 8 regelt und die Beweiskraft und die Benutzung der Personenstandsregister erst in dessen Kapitel 9. In der Konsequenz würde die Auffassung der Klägerin bedeuten, dass die Amtsgerichte für Fragen der Benutzung von Personenstandsregistern (§§ 61 ff. PStG) nicht zuständig wären, was soweit ersichtlich, von niemand vertreten wird.
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Die Klägerin ist auch Beteiligte im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Art. 13 BayVwVfG) und der gerichtlichen Verfahrensordnungen (hier gemäß § 51 Abs. 1, § 7 Abs. 1 FamFG; ebenso § 63 Nr. 1 VwGO). Entgegen der Auffassung der Klägerin beschränkt sich die Beteiligtenstellung nicht auf Beteiligte, die ein materielles Recht auf Ausstellung einer Personenstandsurkunde haben (so aber BT-Drs. 16/1831 zu § 49 Abs. 1, Seite 50; anders BT-Drs. 16/6308 S. 178 zu § 7 FamFG). Ein solches Verständnis des Begriffs „Beteiligter“ stünde bereits im Widerspruch zu § 62 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 PStG, wonach andere Personen ein Recht auf Erteilung von Personenstandsurkunden haben, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen können. § 62 Abs. 3 PStG beschränkt auch nicht die Beteiligtenstellung, wie die Klägerin meint: nach dieser Vorschrift genügt für die Benutzung der Personenstandsregister die Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses, wenn seit dem Tod des zuletzt verstorbenen Beteiligten 30 Jahre vergangen sind. Halbs. 2 der Vorschrift definiert lediglich, auf wen für die Berechnung dieser 30-Jahresfrist abzustellen ist.
15
Abschließend ist anzumerken, dass für die Bestimmung des Rechtsweges nicht entscheidend ist, ob die Amtsgerichte auf der Grundlage des Personenstandsgesetzes und des FamFG ein rechtliches Interesse der Klägerin für ihr Feststellungsbegehren annehmen würden. Die ausdrückliche Zuweisung an einen anderen Rechtsweg in § 50 Abs. PStG hat nicht zur Voraussetzung, dass der Rechtsstreit im anderen Rechtsweg mit Erfolg geführt werden kann. Den Rechtswegzuweisungen liegt der Gedanke der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Gerichtszweige zugrunde. Soweit öffentlich-rechtliche Streitigkeiten an andere als die Verwaltungsgerichte zugewiesen sind, obliegt es diesen, etwaige Strukturdefizite der eigenen Verfahrensordnung gegebenenfalls rechtsfortbildend auszugleichen und so etwa dem Bedürfnis der Klägerin nach einer Feststellungsklage Rechnung zu tragen (OVG NRW, B.v. 15.2.2022 - 4 E 802/21 - juris Rn. 12,13; BVerwG, U.v. 23.6.1981 - I C 93.76 - juris Rn. 20 ff.).
16
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung war im Hinblick auf Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zu § 3 GKG entbehrlich.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG liegen nicht vor. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG; vgl. BVerwG, B.v. 16.3.1994 - 4 B 223.93 - NVwZ 1994, 782).