Titel:
Erfolgreiche Klage gegen die Festsetzung eines Entgelts für die Nutzung einer Obdachlosenunterkunft
Normenketten:
KAG Art. 2, Art. 8
KG Art. 2 Abs. 1, 20
LStVG Art. 6
BGB § 812
Leitsätze:
1. Die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft durch Verwaltungsakt ist Rechtsgrund für die dort empfangenen Leistungen, sodass die Kosten nicht nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen geltend gemacht werden können. (Rn. 3, 12 und 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Anwendung des Bereicherungsrechts scheidet auch deshalb aus, weil angesichts der gesetzlichen Regelungen über die Erhebung von Verwaltungsgebühren und Auslagen sowie von Benutzungsgebühren keine planwidrige Regelungslücke besteht. (Rn. 12 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Obdachlosigkeit, Nutzungsentgelt für eine Notunterkunft, analoge Anwendung des Bereicherungsrechts, Vorrang einer möglichen Benutzungsgebühr, Notunterkunft, Nutzungsentgelt, Benutzungsgebühr, Bereicherungsrecht
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 24.03.2022 – 4 ZB 21.2858, 4 ZB 21.2867, 4 ZB 21.2869
VG Regensburg, Urteil vom 09.08.2021 – RO 4 K 20.3237
VG Regensburg, Urteil vom 09.08.2021 – RO 4 K 20.3241
VG Regensburg, Urteil vom 09.08.2021 – RO 4 K 20.3239
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38956
Tenor
I. In Abänderung der Urteile des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. August 2021 wird die Nr. 4 des Bescheids der Beklagten vom 1. Dezember 2020 aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt bezüglich der Nr. 4 des Bescheids vom 1. Dezember 2020 die Kosten der Verfahren in beiden Instanzen.
III. Der Beschluss ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für die zweitinstanzlichen Verfahren wird für die Zeit vor der Verbindung auf jeweils 150 Euro, nach der Verbindung auf 450 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Kläger wenden sich gegen ein mit dem angefochtenen Bescheid festgesetztes Nutzungsentgelt für eine von der Beklagten vorübergehend bereitgestellte Obdachlosenunterkunft.
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Nachdem die Klägerin zu 1 sich und die Kläger zu 2 und 3 am 29. Oktober 2020 wegen einer bevorstehenden Zwangsräumung als obdachlos gemeldet hatte, erließ die Beklagte am 1. Dezember 2020 einen Bescheid, mit welchem sie den Klägern ab diesem Tag eine Unterkunft zuwies (Nr. 1); die Zuweisung erfolgte befristet bis zum 31. Dezember 2020 (Nr. 2) und unter dem Vorbehalt der jederzeitigen Zuweisung einer anderen Unterkunft (Nr. 3). Unter Nr. 4 des Bescheids wurde ein Nutzungsentgelt für die Unterkunft auf 450 Euro monatlich festgesetzt, wovon 300 Euro auf die Räumlichkeiten und 150 Euro auf den Nebenkostenzuschlag entfielen. Zur Begründung wurde ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Nutzung der Räumlichkeiten in der Notunterkunft sei § 812 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB analog. Der Werteverzehr durch die Benutzung werde als Nutzungsgebühr erhoben.
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Gegen den Bescheid erhoben die Kläger gemeinsam Klage, die als drei gesonderte Klageverfahren erfasst wurde. Nachdem die Beteiligten die Verfahren mit Ausnahme der Nr. 4 des Bescheids übereinstimmend für erledigt hatten, stellte das Verwaltungsgericht mit Urteilen vom 9. August 2021 die Klageverfahren ein, soweit sie für erledigt erklärt worden waren, und wies die Klagen im Übrigen ab. Die Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines Nutzungsentgelts bildeten die §§ 812 ff. BGB analog. Das Gericht teile nicht die in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass es sich selbst bei einmaliger Zuweisung von Räumen als Obdachlosenunterkunft bei dieser um eine öffentliche Einrichtung handle, für die ein Entgelt ausschließlich auf der Grundlage einer kommunalen Satzung erhoben werden könne. Der Begriff der „öffentlichen Einrichtung“ im Sinne der Gemeindeordnung passe hier schon deshalb nicht, weil keine Benutzungsmöglichkeit über die konkrete Zuweisung hinaus eröffnet werden solle, sondern lediglich in einem Einzelfall und ausschließlich für einen begrenzten Zeitraum eine konkrete Gefahr beseitigt werde. Somit liege schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch keine öffentliche Einrichtung vor. Im Übrigen fehle es an einem entsprechenden gemeindlichen Widmungsakt. Selbst wenn man dies anders beurteile, sei nicht nachvollziehbar, weshalb aus der Möglichkeit der Gemeinden, für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen nach Art. 8 KAG Benutzungsgebühren zu erheben, zu folgern sei, dass ein Rückgriff auf bereicherungsrechtliche Vorschriften ausgeschlossen sein solle. Ein anderes Ergebnis sei auch in der Praxis kaum umsetzbar, weil die Gemeinden für jeden möglicherweise vorübergehend als Obdachlosenunterkunft nutzbaren Raum vorbeugend eine Gebührensatzung erlassen müssten. Eine analoge Anwendung der §§ 812 ff. BGB sei hier wegen einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Sach- und Interessenlage möglich. Insbesondere sei der allgemeine Rechtsgedanke einschlägig, wonach derjenige, der durch Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, zur Herausgabe des Erlangten oder, wenn dies nicht möglich ist, zum Wertersatz verpflichtet sei.
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Gegen diese Urteile wenden sich die Kläger mit den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufungen. Sie beantragen,
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unter Abänderung der Urteile des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. August 2021 den Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 2020 in Nr. 4 aufzuheben.
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Mit Beschluss des Senats vom 24. März 2022 wurden die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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1. Über die Berufungen kann durch Beschluss entschieden werden‚ weil der Senat sie gemäß § 130a VwGO einstimmig für begründet erachtet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Parteien wurden hierzu gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört.
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2. Die Berufungen der Kläger gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. August 2021 haben Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage gegen Nr. 4 des Bescheids der Beklagten vom 1. Dezember 2020 zu Unrecht abgewiesen. Für die Erhebung eines Nutzungsentgelts bzw. einer Nutzungsgebühr fehlte es an der erforderlichen Rechtsgrundlage.
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a) Die Kostenforderung der Beklagten ließ sich entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht auf eine analoge Anwendung des § 812 Abs. 1 BGB stützen, weil keine rechtsgrundlos erlangte Leistung vorlag.
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Die Kläger hatten zwar mit der Beklagten weder eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung noch einen privatrechtlichen Mietvertrag abgeschlossen. Sie konnten die ihnen mit Nr. 1 des Bescheids vom 1. Dezember 2020 zugewiesene Unterkunft aber berechtigterweise im Rahmen des durch die Zuweisung begründeten öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses in Anspruch nehmen (vgl. BayVGH, U.v. 17.8.2011 - 4 BV 11.785 - VGH n.F. 64, 195 = BayVBl 2012, 19 Rn. 33 f. m.w.N.). Die Zuweisung stellte einen begünstigenden Dauerverwaltungsakt dar, der ein fortdauerndes Besitz- und Nutzungsrecht an den zugewiesenen Räumlichkeiten begründete und damit den rechtlichen Grund auch für den mit dem Wohnen verbundenen Wärme-, Wasser- und Stromverbrauch bildete (BayVGH, a.a.O.).
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b) Unabhängig von der fehlenden Rechtsgrundlosigkeit der behördlichen Leistung können in solchen Fällen die Bereicherungsvorschriften der §§ 812 ff. BGB auch deshalb nicht analog angewandt werden, weil keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Den Gemeinden stehen vielmehr nach geltendem Recht ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung, um diejenigen Personen, denen sie in Erfüllung der sicherheitsrechtlichen Pflichtaufgabe nach Art. 6 LStVG eine Obdachlosenunterkunft zur Verfügung gestellt haben, zu einem Kostenbeitrag heranzuziehen.
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Da in der Zuweisung einer Notunterkunft eine Amtshandlung liegt, können von den dadurch Begünstigten (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 KG) nach Art. 20 KG Kosten in Form von Verwaltungsgebühren und Auslagen erhoben werden. Hat die Gemeinde zum Zweck der Obdachlosenunterbringung Räume von privaten Dritten angemietet, kann sie auch die dadurch entstehenden Mietkosten nach Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 KG als Auslagen ansetzen (BayVGH, B.v. 7.11.2016 - 4 ZB 15.2809 - BayVBl 2017, 276 Rn. 11 m.w.N.).
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Wird einer obdachlosen Person dagegen wie hier eine gemeindeeigene Räumlichkeit unmittelbar als Notunterkunft (ohne vertragliche Vereinbarung) zur Verfügung gestellt, so kann ein Nutzungsentgelt nur in Form einer Benutzungsgebühr (Art. 8 KAG) gefordert werden (ebenso Ehmann, Obdachlosigkeit in Kommunen, 4. Aufl. 2020, S. 122 f. m.w.N.). Dabei kommt es auf die Frage, ob in der erstmaligen Überlassung von (zuvor anders genutzten) Räumen an einen Obdachlosen eine konkludente Widmung zu einer öffentlichen Einrichtung im Sinne des Art. 21 GO liegt, nicht entscheidend an, da Benutzungsgebühren nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 KAG ebenso für die Benutzung gemeindlichen Eigentums gefordert werden können.
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Macht eine Gemeinde von der Möglichkeit, Benutzungsgebühren nach Maßgabe des Art. 8 KAG zu erheben, keinen Gebrauch, so kann sie die ihr durch die Obdachlosenunterbringung entstehenden Aufwendungen nicht in analoger Anwendung der zivilrechtlichen Bereicherungsvorschriften oder unter Berufung auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ersetzt verlangen, da darin eine unzulässige Umgehung des in Art. 2 KAG zwingend vorgeschriebenen Satzungsvorbehalts läge (BayVGH, U.v. 17.8.2011, a.a.O., Rn. 33 m.w.N.). Die Gemeinden dürfen Abgaben zur Deckung des für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Finanzbedarfs nur nach Maßgabe der Gesetze erheben (Art. 22 Abs. 2 Satz 2 GO); sie können daher öffentlich-rechtliche Nutzungsentgelte für die Inanspruchnahme ihrer Einrichtungen und ihres Eigentums nur nach den speziellen Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes verlangen. Dass sich die Höhe des mit der Obdachlosenunterbringung verbundenen finanziellen Aufwands, wie im erstinstanzlichen Urteil angeführt, im Voraus nur schwer abschätzen lässt, steht dem nicht entgegen; insoweit kann nichts anderes gelten als bei anderen gemeindlichen Einrichtungen, bei denen ebenfalls keine unmittelbaren Ansprüche auf Kostenerstattung bestehen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 i. V. m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Die vom Antragstellervertreter insoweit erwähnte Entscheidung des Senats vom 30. Januar 2017, Az. 4 CE 16.2575, betraf nicht wie hier eine bezifferte Kostenforderung, sondern eine Obdachloseneinweisung, für die der Auffangstreitwert gilt (vgl. Nr. 35.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.