Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.12.2022 – 2 ZB 21.2125
Titel:

Vorbescheid für rückwärtige Bebauung

Normenkette:
BauGB § 30 Abs. 3, § 34
Leitsatz:
Die Frage, ob ein einfacher Bebauungsplan den Willen des Plangebers in ausreichender Weise wiedergibt und ob er möglicherweise obsolet geworden ist, beurteilt sich stets nach den Umständen des Einzelfalls. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Umfang der Bindungswirkung eines Vorbescheids, Überbaubare Grundstücksfläche, einfacher Bebauungsplan, Bauliniengefüge
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 24.03.2021 – M 29 K 19.5525
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38947

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Mit dem Verwaltungsgericht ist - in Ansehung der Zulassungsbegründung - davon auszugehen, dass der Kläger - bei isolierter Betrachtung der geplanten rückwärtigen Bebauung - einen Anspruch auf positive Beantwortung der Frage zwei des streitgegenständlichen Vorbescheidsverfahrens hat.
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1. Zur Klarstellung des Streitgegenstands weist der Senat darauf hin, dass das Verwaltungsgericht die Prüfung der Frage, ob ein Anspruch auf positive Verbescheidung der zweiten Vorbescheidsfrage („Das Vorhaben sieht eine zweigeschossige Bebauung mit einem zurückgesetzten Staffelgeschoss als rückwärtige Bebauung entlang der rückwärtigen Baugrenze vor. Fügt sich die rückwärtige Bebauung gemäß § 34 BauGB in die nähere Umgebung ein?“) unabhängig von den sonstigen gestellten Vorbescheidsfragen und unter isolierter Betrachtung des im rückwärtigen Grundstücksteil geplanten Vorhabens vorgenommen hat. Denn bei der Beurteilung der Frage, ob sich das Vorhaben in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, hat die Kammer ausschließlich auf das im rückwärtigen Grundstücksteil geplante Gebäude abgestellt, nachdem sie von einer Grundfläche von 12 m × 15 m ausgegangen ist (Rn. 45 des erstinstanzlichen Urteils). Ob ein solches Vorgehen unter Berücksichtigung des notwendigen konkreten Vorhabenbezugs eines Vorbescheidsantrags (vgl. BayVGH, U.v. 14.10.2008 - 2 BV 04.863 - juris) und der Tatsache, dass die geplante Tiefgarage die Bebauung im vorderen und jener im rückwärtigen Grundstücksteil zu einer Einheit verzahnt, was darauf schließen lässt, dass das geplante Vorhaben nur insgesamt verwirklicht werden soll, zulässig ist, kann dahingestellt bleiben, da die Zulassungsbegründung dieses Vorgehen nicht infrage stellt. Vor diesem Hintergrund entfaltet die positive Beantwortung der Vorbescheidsfrage zwei auch in Zusammenschau mit der bereits im Verwaltungsverfahren erfolgten positiven Verbescheidung der Vorbescheidsfrage eins, mit der das Einfügen der im vorderen Grundstücksteil geplanten Bebauung nach § 34 BauGB in die nähere Umgebung bejaht wird, keine Bindungswirkung dahingehend, dass ein Einfügen des Gesamtvorhabens nach § 34 BauGB in die nähere Umgebung im Baugenehmigungsverfahren selbst nicht mehr zu prüfen wäre. Hierbei wird insbesondere noch zu klären sein, ob ein Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung im Verhältnis von überbauter Fläche zur verbleibenden Freifläche (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7/15 - NVwZ 2017, 71) gegeben ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist das Gebäude A.weg 2-4, das vom Verwaltungsgericht als Bezugsfall für die Kubatur des im rückwärtigen Grundstücksteil geplanten Gebäudes herangezogen wurde, möglicherweise außen vor zu lassen, da dieses im maßgeblichen Quartier aufgrund seiner Größe einen Fremdkörper darstellen könnte.
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2. So verstanden, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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a) Mit dem Erstgericht ist davon auszugehen, dass die Errichtung des im rückwärtigen Grundstücksteils geplanten Gebäudes bauplanungsrechtlich zulässig ist, da sich die Frage nach der überbaubaren Grundstücksfläche ausschließlich nach § 30 Abs. 3 BauGB nach dem gemäß § 173 BBauG und § 233 Abs. 3 BauGB als einfachen Bebauungsplan übergeleiteten Bauliniengefüge positiv beantwortet, weil die rückwärtige Baugrenze nicht überschritten wird. Insoweit wird der Rechtsbehelf aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses zurückgewiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Soweit die Zulassungsbegründung dem entgegenhält, es sei ein entgegenstehender Wille des Plangebers zu erkennen, dass die rückwärtige Baugrenze nur für Nebengebäude gelten solle, kann dem nicht gefolgt werden. Insoweit bezieht sich die Zulassungsbegründung auf eine Stellungnahme des Kommunalreferats der Beklagten vom 3. Juli 2020, wonach sich aus den vorhandenen Unterlagen gerade kein konkreter Hinweis auf einen entsprechenden Willen des Plangebers im Jahre 1923 ergebe. Im Übrigen beschränkt sich diese Stellungnahme auf Vermutungen, die nicht geeignet sind, die ausdrückliche Festsetzung im Baulinienplan infrage zu stellen, zumal der von der Zulassungsbegründung behauptete Wille des Plangebers, die Baugrenze diene auch der Freihaltung der sich ihr nach Osten hin anschließenden Grünfläche, durch die Festsetzung der Baugrenze gerade gewahrt wird. Es kann entgegen der Zulassungsbegründung auch keine Rede davon sein, dass die rückwärtige Baugrenze obsolet geworden sei, nachdem diese durchgehend eingehalten ist.
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b) Auf die sonstigen Ausführungen der Zulassungsbegründung, dass sich die im rückwärtigen Grundstücksteil geplante Bebauung nach der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die nähere Umgebung einfüge, kommt es danach nicht mehr an, da sich diese Frage nicht nach § 34 BauGB, sondern nach § 30 Abs. 3 BauGB beantwortet.
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c) Soweit die Zulassungsbegründung einwendet, bei Realisierung des Gesamtvorhabens auf dem Baugrundstück werde das im Übrigen im Quartier vorhandene Verhältnis von bebauter zu unbebauter Fläche nicht mehr gewahrt, mag dies zwar zutreffend sein, wurde aber von der Kammer der Entscheidung nicht zugrunde gelegt (vgl. oben 1.). Dass sich das geplante Vorhaben im rückwärtigen Grundstücksteil im Übrigen nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfügt, wird von der Zulassungsbegründung nicht infrage gestellt. Hierfür ist auch die Heranziehung der Bebauung auf dem Grundstück A.weg 2-4 nicht notwendig, da sich im Quartier zahlreiche Hauptgebäude befinden, die der Kubatur des im rückwärtigen Grundstücksteils geplanten Gebäudes entsprechen.
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2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Frage der überbaubaren Grundstücksfläche beantwortet sich aus der einfachen Anwendung des übergeleiteten Baulinienplans. Dass sich das im rückwärtigen Grundstücksteil geplante Vorhaben bei isolierter Betrachtungsweise nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfügt, ist ebenfalls ohne weiteres zu beantworten und wird von der Zulassungsbegründung auch nicht infrage gestellt.
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3. Schließlich hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Die Frage, ob ein einfacher Bebauungsplan den Willen des Plangebers in ausreichender Weise wiedergibt und ob er möglicherweise obsolet geworden ist, beurteilt sich stets nach den Umständen des Einzelfalls.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).