Inhalt

VGH München, Beschluss v. 13.12.2022 – 15 ZB 22.2149
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag im baurechtlichen Nachbarstreitverfahren hinsichtlich einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Sichtschutzzaunes und Anpassung einer Granitmauer

Normenketten:
BayBO Art. 6 Abs. 1, 4, Abs. 7 S. 1 Nr. 3, Art. 10 S. 3, Art. 59
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a
Leitsätze:
1. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die vom Kläger angeführte Forderung, die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrunds des Nachbargrundstücks nicht zu gefährden, ist hier nicht Gegenstand der Regelungen der angefochtenen Baugenehmigung, weshalb eine Rechtsverletzung schon deswegen ausscheidet. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Sichtschutzzaun, gebäudeähnliche Wirkung, Veränderung der Geländeoberfläche, Erdrückende Wirkung, Standsicherheit, Baurecht, Abstandsfläche nicht verletzt, keine erdrückende Wirkung, Höhenunterschied, Gebot der Rücksichtnahme
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 28.07.2022 – RN 2 K 20.1090
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38941

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selber tragen.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid des Landratsamts P. vom 25. Mai 2020, mit dem den Beigeladenen die Baugenehmigung zur Errichtung eines Sichtschutzzaunes und Anpassung der bestehenden Granitmauer auf ihrem Grundstück genehmigt wurde.
2
Mit Unterlagen vom 10. Januar 2020 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Sichtschutzzaunes an der südlichen Grundstücksgrenze ihres Grundstücks FlNr. … Gemarkung A. … … sowie die Anpassung einer bestehenden Granitsteinmauer. Der Kläger ist Eigentümer des südlich gelegenen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung A. … … Zwischen den Grundstücken besteht ein Höhenunterschied von mehreren Metern, wobei das Grundstück des Klägers unterhalb des Baugrundstücks liegt.
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Mit Bescheid vom 25. Mai 2020 erteilte das Landratsamt P. die beantragte Baugenehmigung. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg, das diese mit Urteil vom 28. Juli 2022 abwies. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass durch das Bauvorhaben weder die Vorschriften des Abstandsflächenrechts verletzt seien noch die Baugenehmigung gegenüber dem Kläger rücksichtslos sei; insbesondere bestehe keine erdrückende oder abriegelnde Wirkung. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Kläger macht allein ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die nach § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO geforderte Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Erstgerichts erfordert dabei eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss konkret dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und / oder Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat. Eine schlichte, unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung genügt nicht. Der Rechtsmittelführer muss vielmehr konkret bei der Berufung auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit falsch ist. „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist eine substantiierte - und auch in sich schlüssige - Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird; der Rechtsmittelführer muss im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen. Mit bloßer Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens wird dem Gebot der Darlegung im Sinn von § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO ebenso wenig genügt wie mit der schlichten Darstellung der eigenen Rechtsauffassung (BayVGH, B.v. 21.9.2022 - 15 ZB 22.1621 - juris Rn. 12). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen hier nicht gerecht.
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1. Der Kläger zeigt mit dem Zulassungsvorbringen keinen Verstoß des genehmigten Sichtschutzzaunes gegen das Abstandsflächenrecht auf.
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Das Verwaltungsgericht kommt unter Bewertung der Höhe (1,55 m) und der Länge (26,29 m) sowie der konkreten örtlichen Lage - unabhängig von Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO - zu der Einschätzung, dass der genehmigte, bereits errichtete Sichtschutzzaun keine gebäudeähnliche Wirkung entfalte (UA S. 8). Eine solche Wirkung (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO) einer Anlage ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Abstandsflächenrechts zu bestimmen (BayVGH, B.v. 19.5.2022 - 15 CS 22.1033 - juris Rn. 24). Das Verwaltungsgericht geht dabei zutreffend davon aus (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020 - 15 CS 20.45 - juris Rn. 30), dass unterer Bezugspunkt für die Bestimmung der abstandsflächenrelevanten Wandhöhe (Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO) die Geländeoberfläche ist, wobei es im Hinblick auf Geländeveränderungen in der Vergangenheit darauf abstellt, dass es entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls ankommt und maßgeblich vermieden werden muss, dass durch Manipulation des Geländes die gesetzlichen Regelungen mit ihrem Schutzbezug im Dienst der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie des Nachbarschutzes unterlaufen werden (UA S. 8f.). Es begründet ferner unter ausführlicher Würdigung des Sachverhalts und der vorgelegten Luftbilder aus verschiedenen Jahren sowie der historischen Abläufe, dass die Geländeoberfläche jedenfalls seit 1993 nicht mehr erhöht worden sei (UA S. 9). Dem tritt das Zulassungsvorbringen mit dem bloßen Hinweis auf eine stetige bauliche Tätigkeit auf dem Grundstück der Beigeladenen seit 1993 nicht substantiiert entgegen. Der Kläger konkretisiert weder örtlich noch legt er sachlich dar, inwieweit die Anlage einer Zufahrt für Schwerlasttransporter, die Aufstockung des Wohnhauses der Beigeladenen und ein Anbau im hinteren Bereich mit Aufschüttungen im Bereich des genehmigten Sichtschutzzaunes in Zusammenhang stehen.
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Soweit der Kläger anführt, es seien seit 1993 noch keine 30 Jahre im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht angenommenen letzten Geländeveränderungen vergangen (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2015 - 15 CS 14.2612 - juris Rn. 7) und ein kürzerer Zeitraum sei angesichts der Vielzahl ungenehmigter Veränderungen nicht hinnehmbar, setzt er sich nicht ausreichend mit der Einzelfallabwägung des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach auch kürzere Fristen genügen können (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020 - 15 CS 20.45 - juris Rn. 30; B.v. 7.11.2017 - 1 ZB 15.1839 - juris Rn. 5). Denn immerhin liegt der vom Verwaltungsgericht angeführte Zeitablauf hier bei 27 Jahren.
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Schließlich berücksichtigt der Kläger nicht, dass zwischen den beiden Grundstücken schon immer ein deutlicher Höhenunterschied bestand. Den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass die Aufschüttungen in der Vergangenheit nicht manipulativ erfolgt seien (UA S. 10; vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020 - 15 CS 20.45 - juris Rn. 29), setzt das Zulassungsvorbringen nichts entgegen. Allein der bloße Hinweis auf mögliche ungenehmigte Bautätigkeiten und Nutzungen der Beigeladenen genügt nicht, Anhaltspunkte für eine manipulative Geländeveränderung aufzuzeigen.
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2. Der Sichtschutzzaun ist im Hinblick auf eine geltend gemachte erdrückende Wirkung gegenüber dem Kläger nicht rücksichtslos.
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Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen (UA S. 7), dass dem Gebot der Rücksichtnahme drittschützende Wirkung zukommt, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2022 - 15 ZB 22.1777 - juris Rn. 6).
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Das Verwaltungsgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen (UA S. 11), dass eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung nur in Betracht kommt, wenn das Vorhaben derart übermächtig ist, dass das Wohngebäude des Klägers nur noch oder überwiegend wie von einem „herrschenden“ Gebäude bzw. einer baulichen Anlage dominiert und ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2022 - 15 ZB 21.2428 - juris Rn. 33; B.v. 13.9.2022 - 15 CS 22.1851 - juris Rn. 17). Das Verwaltungsgericht hat die konkrete örtliche Situation, die Gebäude- und die Zaunhöhe, die tatsächlichen Abstände und die Bebauung auf dem klägerischen Grundstück bewertet (UA S. 11 f.). Hierbei hat das Verwaltungsgericht maßgeblich darauf abgestellt, dass sich die Oberkante des Sichtschutzzaunes zwar aufgrund der Hanglage über der Traufhöhe, jedoch immer noch unterhalb der Firsthöhe des klägerischen Wohngebäudes befindet. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht entgegen, zumal sich der Sichtschutzzaun im Norden des Wohngebäudes des Klägers befindet. Gegenteiliges lässt sich auch nicht den in den Akten befindlichen Lichtbildern entnehmen. Der Vortrag des Klägers, das Verwaltungsgericht verkenne, dass der Zaun direkt an der Grundstücksgrenze errichtet wurde und nur einen geringen Abstand zu seinem Wohngebäude aufweise, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht führt in seinem Urteil aus, dass der Sichtschutzzaun „unmittelbar an der südlichen Grundstücksgrenze“ zwischen dem Wohnhaus der Beigeladenen und dem Wohnhaus des Klägers verläuft (UA S. 3). Es bewertet zudem ausdrücklich auch den Abstand zum klägerischen Gebäude (UA S. 12) und geht hierbei, was das Zulassungsvorbringen nicht angreift, von 5 m Abstand aus.
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3. Der Einwand des Klägers, die Baugenehmigung sei wegen einer Verletzung der nachbarschützenden Vorschriften zur Standsicherheit rechtswidrig, greift nicht durch.
14
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass Fragen der Standsicherheit nicht Gegenstand der präventiven Prüfung im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO sind (UA S. 12). Hiergegen ist nichts zu erinnern (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2019 - 15 CS 18.2487 - juris Rn. 20; B.v. 28.3.2017 - 15 ZB 16.1306 - juris Rn. 15). Die vom Kläger in Art. 10 Satz 3 BayBO angeführte Forderung, die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrunds des Nachbargrundstücks nicht zu gefährden, ist hier - offensichtlich - auch nicht Gegenstand der Regelungen der angefochtenen Baugenehmigung, weshalb eine Rechtsverletzung schon deswegen ausscheidet (vgl. BayVGH, B.v. 28.3.2017 a.a.O. Rn. 20). Unabhängig davon ist weder ersichtlich noch dargelegt, dass die Errichtung des Sichtschutzzaunes zu einer derartigen Gefährdung des Nachbargrundstücks führen kann. Die vom Kläger angeführte Befahrung des Bereichs zwischen Sichtschutzzaun und Wohngebäude der Beigeladenen ist weder Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigung noch zeigt sie einen Zusammenhang mit der Errichtung des Sichtschutzzaunes auf.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladenen im Zulassungsverfahren keinen die Sache förderlichen Beitrag geleistet haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).