Titel:
Begrenzung der Anzahl der Hunde beim Ausführen und Leinenzwang
Normenkette:
LStVG Art. 18 Abs. 2
Leitsatz:
Von in Rudeln ausgeführten Hunden geht eine konkrete Gefahr aus, ohne dass es auf die Gefährlichkeit der einzelnen Hunde ankommt und ohne dass es zuvor zu Beißvorfällen gekommen sein muss. Denn bei einer größeren Anzahl von Hunden ist nicht gewährleistet, dass der Halter im Ernstfall noch Zugriff auf jeden einzelnen Hund hat. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einzelfallanordnung zur Hundehaltung, Begrenzung der Anzahl der Hunde beim Ausführen, Leinenzwang, Bestimmtheit, Aufklärungsrüge
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 11.08.2021 – B 1 K 21.264
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38933
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin verfolgt mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung ihre in erster Instanz ganz überwiegend erfolglose Anfechtungsklage gegen eine sicherheitsrechtliche Anordnung zur Haltung ihrer Hunde (Begrenzung des Ausführens auf vier Hunde gleichzeitig und Leinenzwang) weiter.
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Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), noch die besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeit im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.) oder grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.) ergeben.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Rechtsmittelführer im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist hier nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der angegriffene Bescheid rechtmäßig sei. Die Anordnung, wonach die Klägerin maximal vier Hunde außerhalb der Wohnung in der Öffentlichkeit ausführen darf und auch dies nur an einer jeweils maximal zwei Meter langen reißfesten Leine mit schlupfsicherem Halsband, wobei jeweils maximal einem Hund Freiauslauf von der Leine gewährt werden darf, könne auf Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 LStVG gestützt werden. Zu Zwischenfällen mit körperlichen Schäden müsse es vor dem Erlass einer entsprechenden Anordnung noch nicht gekommen sein. Eine konkrete Gefahr könne deshalb nicht nur dann angenommen werden, wenn ein Hund bereits öfter und gegenüber verschiedenen Personen oder Hunden „auffällig“ geworden sei. Es reiche vielmehr, wenn angesichts der Umstände des Einzelfalls damit gerechnet werden müsse, dass es zu einer Beeinträchtigung der in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter komme. Im vorliegenden Fall ergebe sich eine besondere konkrete Gefährlichkeit sowohl innerhalb als auch außerhalb bebauter Ortsteile aufgrund der Rudelhaltung der sieben Hunde der Klägerin und einem Vorfall vom 14. Februar 2020, bei dem eine Person („Zeuge E.“) von einem der freilaufenden Hunde der Klägerin angesprungen und gebissen worden sei. Auf die Frage, ob es sich bei den Hunden der Klägerin um große, kräftige Hunde im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes handele, komme es daher nicht an.
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Hiergegen wendet die Klägerin ein, im gerichtlichen Verfahren seien keine Zeugen zu dem Vorfall mit dem Zeugen E. gehört und trotz der Rüge der Klägerin kein kynologisches Sachverständigengutachten eingeholt worden. Insofern sei nicht festgestellt worden, ob es sich bei dem Anspringen des Zeugen E. durch einen der acht Hunde überhaupt um ein aggressives Verhalten gehandelt habe und ob dieses Verhalten aus einer Rudelsituation heraus begünstigt worden sei. Ein Hochspringen an einem Menschen könne auch eine Begrüßung darstellen. Auch das Umringen eines Menschen durch mehrere Hunde impliziere nicht notwendigerweise eine aggressive Haltung einer Meute, es könne z.B. eine freundliche Geste gegenüber einem Neuankömmling darstellen. Insofern sei nicht festgestellt, ob von den Hunden der Klägerin überhaupt eine Gefahr ausgehe. Weiter rügt die Klägerin (allerdings zu den Zulassungsgründen der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten bzw. der grundsätzlichen Bedeutung der Sache), das Verwaltungsgericht habe lediglich Annahmen zur Gefährlichkeit eines Hochspringens und zu rudeldynamischem Verhalten formuliert, obwohl für eine Gefahrenprognose eine „gefahrgeeignete Tatsache“ vorliegen müsse. Ob dies bei einer Bagatellverletzung unklaren Ursprungs überhaupt der Fall sei, dürfe bezweifelt werden. Letztlich müsse dem Staat eine gewisse Eingriffsschwelle vorbehalten bleiben. Diese sei vorliegend wegen der Geringfügigkeit der „Verletzung“ nicht überschritten. Ferner werde gerügt, dass es an der gebotenen Bestimmtheit des Verwaltungsaktes fehle. Einem juristischen Laien müsse sich nicht ohne Weiteres erschließen, dass die gegen ihn ergangene Verfügung nur im Freistaat Bayern und nicht generell im gesamten Bundesgebiet gelte.
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Damit werden ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt.
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Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 6.4.2016 - 10 B 14.1054 - juris Rn. 25; B.v. 13.1.2005 - 24 ZB 04.664 - juris Rn. 18; B.v. 11.11.2003 - 24 CS 03.2796 - juris Rn. 9) zu Recht angenommen, dass von in Rudeln ausgeführten Hunden eine konkrete Gefahr ausgeht, ohne dass es auf die Gefährlichkeit oder Größe der einzelnen Hunde ankommt und ohne dass es zuvor zu Beiß- oder sonstigen Vorfällen gekommen sein muss. Bei einer größeren Anzahl von Hunden ist es regelmäßig nicht mehr gewährleistet, dass der Halter im Ernstfall noch Zugriff auf jeden einzelnen Hund hat. Im Falle einer Fehlreaktion von Passanten (insbesondere Kindern), die gerade angesichts einer größeren Hundeschar eher zu erwarten ist als im Falle eines einzelnen Hundes, kann deshalb eine Gefahr für die Gesundheit einer Person nicht mehr mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Insofern kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen werden. Für diese Gefahrenprognose bedarf es keines besonderen Sachverstandes in Bezug auf Hunde und damit - entgegen der Annahme der Klägerin - auch nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens.
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Soweit das Verwaltungsgericht seine Entscheidung ergänzend auch auf den Vorfall vom 14. Februar 2020 gestützt und dabei angenommen hat, bei dem Vorfall sei der Zeuge E. gebissen worden, zeigt das Zulassungsvorbringen auch keine ernstlichen Richtigkeitszweifel auf. Abgesehen davon, dass es der (zusätzlichen) Feststellung eines Beißvorfalls für die Annahme einer konkreten Gefahr - auch nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts - gar nicht bedurft hätte (s.o.), begegnet die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass ein Hund der Klägerin den Zeugen E. gebissen hat, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dass der Zeuge E. durch einen der Hunde der Klägerin tatsächlich eine wie auch immer geartete Verletzung erlitten hat, bestreitet selbst die Klägerin nicht. Soweit sie sich gegen die mangelnde Sachaufklärung im Hinblick auf die von der Beklagten und dem Verwaltungsgericht zu Grunde gelegte Bissverletzung wendet, greift dies nicht durch.
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Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Dass ein Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist dabei nur dann erfolgreich, wenn sie schlüssig aufzeigt, dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen. Außerdem muss darlegt werden, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer anderen Entscheidung geführt hätte (vgl. etwa BVerwG, B.v. 16.3.2011 - 6 B 47/10 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 21.3.2012 - 10 ZB 10.100 - juris Rn. 22).
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Nach diesen Maßstäben hat die Aufklärungsrüge keinen Erfolg. Die Klägerin hatte im erstinstanzlichen Verfahren zum (Nicht-)Vorliegen einer Bissverletzung keinen förmlichen Beweisantrag gestellt. Ihre förmlichen Beweisanträge bezogen sich ausschließlich auf die Deutung des Hochspringens eines Hundes bzw. auf Fragen rudeltypischer Verhaltensweisen. Die Ausführungen zur Bissverletzung im Schriftsatz vom 8. Juli 2021 stellten lediglich formlose Beweisanregungen dar (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2017 - 10 B 24.16 - juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 7.3.2017 - 8 ZB 15.1005 - juris Rn. 21), denen das Gericht nicht ohne Weiteres nachkommen muss. Bei seiner tatrichterlichen Beweiswürdigung, ob der Zeuge E. von einem Hund der Klägerin tatsächlich gebissen wurde, konnte sich das Verwaltungsgericht auf die aktenkundige Aussage des Zeugen E., auf die Einlassung der Klägerin im gegen sie geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft sowie auf die ärztliche Bescheinigung des Hausarztes des Zeugen E. vom 16. März 2020 stützen. Dass sich dem Verwaltungsgericht angesichts dessen unabhängig von einem förmlichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen, wird mit dem Zulassungsantrag nicht dargelegt.
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Das Zulassungsvorbringen zeigt auch keine ernstlichen Richtigkeitszweifel im Hinblick auf die Bestimmtheit des angegriffenen Bescheids auf. Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts bedeutet, dass aus der getroffenen Regelung, d.h. aus dem Entscheidungssatz im Zusammenhang mit den Gründen und sonstigen für die Betroffenen bekannten oder für sie ohne weiteres erkennbaren Umständen die Regelung, die den Zweck, Sinn und Inhalt des Verwaltungsakts ausmacht, so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass sie ihr Verhalten danach richten können. Erkennbarkeit aufgrund der Auslegung des Verwaltungsakts unter Berücksichtigung der weiteren Umstände und nach Treu und Glauben genügt (BayVGH, U.v. 27.1.2003 - 24 B 02.737 - juris Rn. 18). Gemessen daran war die streitgegenständliche Anordnung hinsichtlich der Frage, ob sie nur im Freistaat Bayern oder im ganzen Bundesgebiet gilt, jedenfalls aufgrund einer Auslegung hinreichend bestimmbar. Dass Einzelfallanordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG für das Gebiet des Freistaats Bayern gelten, entspricht seit langem der gefestigten Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 - 10 CS 17.405 - juris Rn. 3; U.v. 6.4.2016 - 10 B 14.1054 - juris Rn. 20; B.v. 7.4.2004 - 24 CS 04.53 - NVwZ-RR 2004, 490; jew. m.w.N.) und bedurfte daher keiner gesonderten Klarstellung im Bescheid der Beklagten.
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Zur näher begründeten Annahme des Verwaltungsgerichtes, die streitgegenständlichen Verfügungen seien auch außerhalb bebauter Ortsteile verhältnismäßig, enthält das Zulassungsvorbringen keine Ausführungen.
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2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten, die die Zulassung der Berufung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigen würden, liegen ebenfalls nicht vor.
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Solche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache dann auf, wenn sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2019 - 10 ZB 18.2455 - juris Rn. 15; B.v. 4.3.2019 - 10 ZB 18.2195 - juris Rn. 17 m.w.N.). Es ist eine Begründung dafür anzugeben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 - 10 ZB 18.2343 - juris 18). Hierzu ist mit dem Zulassungsantrag nichts vorgetragen. Die entsprechenden Ausführungen der Klägerin wenden sich insofern nur - noch einmal - gegen die inhaltliche Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts.
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3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt ebenfalls nicht vor.
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Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2020 - 10 ZB 19.2235 - Rn. 4; B.v. 14.2.2019 - 10 ZB 18.1967 - juris Rn. 10). Diese Darlegungsanforderungen verfehlt das Zulassungsvorbringen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).