Titel:
Antragsgegner, Verwaltungsvollstreckung, Vollstreckbarkeit, Kosten der Ersatzvornahme, Verwaltungsgerichte, Wohnungsdurchsuchung, Vollstreckungsvoraussetzungen, Durchsuchung der Wohnung, Richterliche Anordnung, Durchsuchungsrecht, Durchsuchungsmaßnahme, Durchsuchungsanordnung, Empfangsbekenntnis, Rechtsschutzbedürfnis, Kostenentscheidung, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Zustellung des Beschlusses, Vollziehung, Deklaratorische Feststellung
Schlagworte:
Durchsuchungsanordnung, Verwaltungsvollstreckung, Abgabeverpflichtung, Pyrenäenberghunde, Wohnraumdurchsuchung, Ersatzvornahme, Vollstreckungsvoraussetzungen
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 07.12.2022 – 10 CS 22.2324
VGH München, Beschluss vom 02.01.2023 – 10 CS 22.2520
VGH München, Beschluss vom 20.01.2023 – 10 CS 22.2324
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38930
Tenor
I. Das Betreten und die Durchsuchung der Wohnräume einschließlich sämtlicher dazugehöriger Räume (Garage, Keller, Lager, Dachboden oder dergleichen) der Antragsgegner sowie aller sonst durch die Antragsgegner benutzten Räume im .weg, ... Stadtteil ... zum Zweck der Vollziehung der Anordnungen der Antragstellerin vom 8. April 2022 und 2. Mai 2022 durch Bedienstete der Antragstellerin, des Landratsamts ... und Polizeibeamte wird gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden.
II. Es wird festgestellt, dass die Weidefläche in, Fl.-Nr., ... und die Weidefläche in ... Fl.-Nr. ... zum Zweck der Vollziehung der Anordnungen der Antragstellerin vom 8. April 2022 und 2. Mai 2022 betreten und durchsucht werden dürfen.
III. Die Gestattung gilt für sechs Monate ab Zustellung des Beschlusses und nur zum Zweck der Vollziehung der Anordnungen der Antragstellerin vom 8. April 2022 und vom 2. Mai 2022, soweit diese sofort vollziehbar sind.
IV. Die Entscheidung wird mit der Bekanntgabe an die Antragsgegner wirksam. Die Antragstellerin wird mit der Zustellung des Beschlusses und des Antrags vom 13. Oktober 2022 an die Antragsgegner bzw. an den Bevollmächtigten der Antragsgegnerin im Wege der Amtshilfe beauftragt.
V. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens Au 8 V 22.2010, der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens Au 8 V 22.2011 zu tragen.
Gründe
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Mit Bescheid vom 8. April 2022 an den Antragsgegner bzw. vom 2. Mai 2022 an die Antragsgegnerin untersagte die Antragstellerin den Antragsgegnern unter Anordnung des sofortigen Vollzugs (V.) und Androhung der Ersatzvornahme (IV.) das Halten von Pyrenäenberghunden (I.). Den Antragsgegnern wurde die Verpflichtung auferlegt, die von ihnen gehaltenen Tiere bis spätestens 2. Mai 2022 bzw. 25. Mai 2022 abzugeben (III.). Des Weiteren wurde geregelt, dass die Antragsgegner die Kosten der Ersatzvornahme zu tragen haben. Die Höhe der Kosten wurde je Hund und Tag auf 50 EUR veranschlagt (VI).
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Das Wohnhaus des Anwesens im .weg ... in ... wird von den Antragsgegnern gemeinsam bewohnt. Nach Aktenlage befinden sich auf dem Anwesen bzw. im Wohnhaus der Antragsgegner nach wie vor Pyrenäenberghunde. Nach Angaben der Antragstellerin sind die Antragsgegner Halter der dort gehaltenen Hunde.
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Mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Augsburg,
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die Durchsuchung der Wohnräume einschließlich sämtlicher dazugehöriger Räume (Garage, Keller, Lager, Dachboden oder dergleichen) der Antragsgegner sowie aller sonst durch die Betroffenen benutzter Räume, insbesondere des Wohnhauses im .weg, ... Stadtteil, der Weidefläche in, Fl.-Nr., ... und der Weidefläche in ... Fl.-Nr. ... zum Zweck der Vollziehung der Anordnungen vom 8. April 2022 und 2. Mai 2022 (Haltungsuntersagung der Pyrenäenberghunde) durch Bedienstete der Antragstellerin, des Landratsamts ... und Polizeibeamte ab dem 18. Oktober 2022 um 5:00 Uhr für die Dauer von sechs Monaten anzuordnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen dargelegt, dass die Antragsgegner der Abgabeverpflichtung der Pyrenäenberghunde aus Ziffer III. der Bescheide nicht nachgekommen seien. Es befänden sich nach wie vor Hunde auf dem Anwesen bzw. in deren Wohnhaus. Mittlerweile sei ein weiterer Wurf mit ca. 6 bis 8 Welpen aus eigener Züchtung dazugekommen. Es könne nicht damit gerechnet werden, dass die beiden Hundehalter der Verpflichtung nachkommen würden. In einem anderen Verfahren hätten die Antragsgegner ein Pony versteckt, als das Veterinäramt das Pony im Rahmen der Ersatzvornahme habe wegnehmen wollen. Eine Durchsuchung der Räume in der Nachtzeit sei notwendig. Da der Antragsgegner Recherchen zufolge bereits um ca. 5:30 Uhr das Haus verlasse, bestehe die Gefahr, dass dieser nicht mehr angetroffen werde und in der Zwischenzeit durch eine Benachrichtigung der Antragsgegnerin die Pyrenäenberghunde verstecke oder in anderer Art und Weise den Erfolg der Ersatzvornahme gefährde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichtsakten Au 8 K 22.1028 und Au 8 K 22.1261 sowie den Inhalt des Schreibens vom 13. Oktober 2022 Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
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1. Der Antrag ist gerichtet auf den Erlass einer richterlichen Anordnung, die Wohnräume der Antragsgegner zum Zweck der Verwaltungsvollstreckung betreten und anschließend nach Pyrenäenberghunden durchsuchen zu dürfen. Ausdrücklich wurde zwar lediglich eine Durchsuchungsanordnung beantragt, der Antrag der Antragstellerin ist jedoch dahingehend auszulegen (§ 88 VwGO), dass damit gleichzeitig die Erlaubnis begehrt wird, die Wohnung der Antragsgegner betreten zu dürfen. Das Recht auf Wohnungsdurchsuchung setzt denklogisch voraus, die Wohnung vorher zu betreten.
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2. Der Antrag ist statthaft. Nach Art. 13 Abs. 2 GG bedarf das Betreten und die Durchsuchung einer Wohnung und das Öffnen verschlossener Türen und Behältnisse zum Zwecke der Verwaltungsvollstreckung (Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG) der richterlichen Anordnung (BayVGH, B.v. 23.2.2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn. 23f.; VG Augsburg, B.v. 28.1.2015 – Au 5 V 15.108 – juris Rn. 11).
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Ein Rechtsschutzbedürfnis an der Erwirkung einer richterlichen Durchsuchungsgestattung ist zu bejahen. Aufgrund des bisherigen Verhaltens der Antragsgegner in diesem und auch in anderen Verfahren ist nicht auszuschließen, dass sie nicht kooperativ sind. Es kann der Behörde deshalb nicht verwehrt werden, bereits im Vorfeld eines Versuchs, die Tiere abzuholen, eine richterliche Gestattung zu erwirken, zumal die Vermeidung eines wiederholten Vollstreckungsversuchs und der damit einhergehenden Unannehmlichkeiten und Mehrkosten auch im Interesse der Antragsgegner liegt (VG Augsburg, B.v. 2.1.2014 – Au 7 V 13.2042 – juris Rn. 15).
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3. Rechtsgrundlage für die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner einschließlich deren Nebenräume ist Art. 32, Art. 37 Abs. 1, Abs. 3 VwZVG. Die Durchsuchung ist zu gestatten, da die allgemeinen und die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. allg. BayVGH, B.v. 5.7.2018 – 11 C 18.1220 – juris Rn. 9).
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a) Der Bescheid vom 8. April 2022 ist genauso wie der Bescheid vom 2. Mai 2022 noch nicht rechtskräftig, da gegen beide Bescheide Klage (Au 8 K 22.1028 und Au 8 K 22.1261) erhoben worden ist, über die noch nicht entschieden ist. Die in den Bescheiden verfügte Pflicht, die Hunde abzugeben, ist im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG vollstreckbar, da die sofortige Vollziehung der Bescheide angeordnet wurde (Ziffer V des jeweiligen Bescheidstenors). Die Antragsgegnerin hat kein Rechtsmittel gegen die sofortige Vollziehung des Bescheids eingelegt, so dass die Ablieferungspflicht im oben genannten Sinn vollstreckbar ist. Der Antragsgegner hat einen Eilantrag gestellt, der mit Beschluss 2. Juni 2022 abgelehnt worden ist. Die beim BayVGH eingelegte Beschwerde wurde mit Beschluss vom 8. August 2022 (10 CS 22.1560 und 10 C 22.1562) verworfen bzw. zurückgewiesen. Die Bescheide sind damit gemäß Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG vollstreckbar. Die Antragsgegner sind bisher ihrer Pflicht zur Abgabe der Pyrenäenberghunde nicht nachgekommen (Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Die Antragsgegner haben die ihnen aufgegebenen Handlungen, insbesondere die Abgabe der von ihnen gehaltenen Hunde, innerhalb der gesetzten Fristen nicht vorgenommen. Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass die Antragsgegner zumindest auch einige Hunde im Haus halten, so dass eine Durchsuchung zur Durchsetzung der bislang nicht erfüllten Abgabeverpflichtung notwendig erscheint.
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b) Die Ersatzvornahme wurde den Antragsgegnern gemäß Art. 36 Abs. 1 VwZVG unter Setzung einer Frist ordnungsgemäß angedroht und ist sofort vollziehbar (Art. 21a VwZVG).
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c) Umstände, aufgrund derer das Betretungs- und Durchsuchungsrecht als nicht verhältnismäßig erscheinen würde, sind nicht erkennbar. Insbesondere muss das Recht der Antragsgegner auf die Unverletzlichkeit ihrer Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) angesichts der von der Antragstellerin hier im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzenden Interessen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zurücktreten, zumal die Antragsgegner einer Durchsuchung durch die freiwillige Herausgabe der Hunde jederzeit zuvorkommen können. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wurde der Antrag auch dahingehend ausgelegt, dass die Gestattung des Öffnens verschlossener Türen und Behältnisse ausdrücklich mitbeantragt wurde (Art. 37 Abs. 3 VwZVG), um klarzustellen, dass dies zulässig ist, und der Antragsstellerin ggf. ein mehrfaches Durchsuchen der Wohnung zu ersparen.
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d) Die Antragstellerin hat im Schriftsatz vom 13. Oktober 2022 plausibel dargelegt, warum im Hinblick auf die im Einzelnen erforderlichen Schritte eine Durchsuchung zur Nachtzeit (Art. 37 Abs. 3 Satz 2, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 VwZVG) erforderlich ist. Da offensichtlich bekannt ist, dass der Antragsgegner gewöhnlich um 5:30 Uhr das Haus verlässt, erscheint ein vorheriger Durchsuchungsbeginn sinnvoll.
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e) Außerdem war (rein deklaratorisch) festzustellen, dass auch die Weideflächen betreten und – soweit erforderlich – durchsucht werden dürfen. Eingezäunte Weideflächen zählen nicht zu „Wohnungen“ im Sinne von Art. 13 GG, da es insoweit an einem Privatheitsanspruch des Nutzungsberechtigten fehlt (Kunig/Berger in von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar 7. Aufl. 2021, Rn. 25 zu Art. 13). Eine richterliche Anordnung war deshalb bereits gar nicht erforderlich (VGHBW, U.v. 29.9.2021 – 6 S 124/19 – juris Rn. 47). Die Feststellung ist geeignet, eine reibungslose, effektive Vollstreckung zu gewährleisten, da sie den Antragsgegnern deutlich macht, dass die genannte Durchsuchung zulässig ist. Es drängt sich geradezu auf, dass die Abgabe der Hunde nur zu erreichen ist, wenn nicht nur die Wohnungen, sondern auch die Weideflächen durchsucht werden.
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f) Nicht zu prüfen war im vorliegenden Verfahren, ob neben den Vollstreckungsvoraussetzungen und der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch der zu Grunde liegende vollstreckbare Titel sowie die Androhung der Ersatzvornahme rechtmäßig waren. Unabdingbare Grundlage einer rechtmäßigen Verwaltungsvollstreckung ist allein die Wirksamkeit, nicht aber die Rechtmäßigkeit der zu Grunde liegenden Verfügung (vgl. VG Augsburg, B.v. 28.1.2015 – Au 5 V 15.108 – juris Rn. 17 m.w.N.).
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4. Weil die richterliche Prüfung eines Betretungs- und Durchsuchungsrechts die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht für unabsehbare Zeit gewährleisten kann, war die Anordnung zu befristen (BVerfG, B.v. 27.5.1997 – BVerfGE 96, 44; VG Augsburg, B.v. 28.1.2015 – Au 5 V 15.108 – juris Rn. 19).
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5. Die Gestattung der Wohnungsdurchsuchung kann im Hinblick auf das Verhalten der Antragsgegner in der Vergangenheit ohne Zustellung des Antrags und ohne vorherige Anhörung der Antragsgegner ergehen, da ansonsten die Gefahr besteht, dass sie die ihnen wegzunehmenden Tiere vor der Wohnungsdurchsuchung beiseite schaffen und damit die Vollziehung der Abgabeverpflichtung vereiteln (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.1998 – 4 C 98.2721 – juris Rn. 14; VG Augsburg, B.v. 2.1.2014 – Au 7 V 13.2042 – juris Rn. 20).
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Aus denselben Gründen ist die Antragstellerin zu beauftragen, diesen Beschluss im Weg der Amtshilfe gemäß § 14 VwGO den Antragsgegnern bzw. dem Bevollmächtigten der Antragsgegnerin mit dem Antrag vom 13. Oktober 2022 unmittelbar bei Beginn der Durchsuchungsmaßnahme durch Übergabe zuzustellen (vgl. § 168 Abs. 2 ZPO; VG Augsburg, B.v. 2.1.2014 – Au 7 V 13.2042 – juris Rn. 22). Die Antragstellerin hat das Empfangsbekenntnis beider Antragsgegner an das Gericht zurückzuleiten (Art. 5 VwZVG). Den Antragsgegnern ist – ggf. unter Beobachtung durch die Polizei – Gelegenheit zu geben, vor Beginn der Durchsuchung vom Inhalt des Beschlusses Kenntnis zu nehmen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.