Titel:
Duldungsanordnungen gegen ein Tierheim nur teilweise rechtmäßig
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146
BayLStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4
BayVwZVG Art. 19 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 688, § 968 Abs. 1
TierschG § 15, § 16 Abs. 3, § 16a, § 17 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 13, Art. 19 Abs. 4
BV Art. 106 Abs. 3
Leitsätze:
1. Für die Rechtmäßigkeit einer auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 BayLStVG gestützten Anordnung, mit dem ein Tierheim zur Duldung des Betretens, der Sedierung und des Abtransports von zwei verwahrten Hunden verpflichtet wird, bedarf es keiner inzidenten Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Halter und Eigentümer der Hunde ergangenen, bestandskräftigen Tötungsduldung. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine auf das LStVG gestützte Duldungsanordnung zum Betreten und Verweilen gegen ein Tierheim verstößt gegen das Beschränkungsverbot des Art. 7 Abs. 4 LStVG in Verbindung mit Art. 13 GG. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Tierheim, Betretensduldung, Öffnungsgebot, Sedierungsduldung, Duldung des Abtransports, Hunde, Bestandskräftige Tötungsduldung, Unverletzlichkeit der Wohnung, Betriebsräume, Duldungsanordnung, Betreten, Verweilen, Öffnen, Sedieren, Abtransport, bestandskräftige Tötungsanordnung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 12.05.2022 – M 22 S 21.6264
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 15.02.2023 – 10 CS 23.65
Fundstellen:
BayVBl 2023, 417
BeckRS 2022, 38928
LSK 2022, 38928
Tenor
I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 12. Mai 2022 wird der Eilantrag der Antragstellerin in Bezug auf die Duldungsanordnungen in den Nrn. 3. und 4. sowie die entsprechenden Zwangsmittelandrohungen in den Nrn. 7. und 8. (jeweils i.V.m. Nr. 9) des Bescheides der Antragsgegnerin vom 29. November 2021 abgelehnt. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
II. In Abänderung von Nr.
II. des vorgenannten Beschlusses tragen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte.
III. In Abänderung von Nr.
III. des vorgenannten Beschlusses wird der Streitwert für beide Instanzen jeweils auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrer Beschwerde, unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 12. Mai 2022 den Eilantrag der Antragstellerin abzulehnen. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Beschluss auf den Antrag der Antragstellerin hin, die ein Tierheim betreibt, in dem zwei sichergestellte Hunde der Rasse Boerboel untergebracht sind, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den − zum Zweck der Durchsetzung der gegenüber dem Halter und Eigentümer der beiden Hunde ergangenen bestandskräftigen Tötungsduldung erlassenen − Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. November 2021 bezüglich der Nr. 1 (Betretensduldung), der Nr. 2 (Gebot d. Öffnung v. Türen u. Zwingern), der Nr. 3 (Sedierungsduldung bzgl. d. Hunde), der Nr. 4 (Duldung d. Abtransports d. Hunde) und der Nr. 9 (Geltung d. Nrn. 1 bis 8 für e. Ersatztermin) wiederhergestellt und bezüglich der Nrn. 5 bis 8 (jeweils Androhung unmittelbaren Zwangs) angeordnet.
2
Die Antragstellerin ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die ein Tierheim betreibt. Ihr einziger Gesellschafter ist der Tierschutzverein … e.V. (im Folgenden: Tierschutzverein). Zwischen dem Tierschutzverein und der Antragsgegnerin besteht seit dem 11. Oktober 2013 ein privatrechtlicher Vertrag (im Folgenden: Vertrag) zur Unterbringung unter anderem von Tieren, die aufgrund von Vorschriften des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) sichergestellt wurden (Verwahrtiere).
3
Mit mündlichen Anordnungen vom 27. Dezember 2019 und 30. Dezember 2019 verfügte die Antragsgegnerin gegenüber dem Halter und Eigentümer der Hunde H. (geboren am ...2018, 65 kg schwer u. 73 cm groß, im Folgenden: Hund) und F. (geboren am 17.4.2019, 50 kg schwer u. 63 cm groß: im Folgenden: Hündin), beide jeweils der Rasse Boerboel, − gestützt auf Art. 18 Abs. 2 LStVG − aufgrund von Beißvorfällen am 4. November 2019 (ohne Verletzungen) sowie am 22. Dezember 2019 (mit Verletzungen an Menschen) bezüglich zweier mit zwei Hunden entgegenkommender Teenager die Leinen- und Maulkorbpflicht, erklärte diese für sofort vollziehbar und traf Freilaufregelungen. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 6. August 2020 bestätigte die Antragsgegnerin gegenüber dem Halter und Eigentümer die Leinenpflicht, widerrief jedoch mit Wirkung für die Zukunft die Maulkorbpflicht und traf abweichende Freilaufregelungen. Am 26. Januar 2021 kam es zu einem weiteren Beißvorfall (mit Verletzungen an Menschen) bezüglich eines Handwerkers in der Wohnung des Hundehalters und Eigentümers.
4
Am 27. Juli 2021 attackierten die beiden Hunde unvermittelt einen Passanten und fügten ihm durch eine Vielzahl von Bissen schwere Verletzungen am ganzen Körper zu, die im Krankenhaus operiert werden mussten, darunter Wunden an den Extremitäten, bei denen das Fleisch teils großflächig offen lag, sowie Wunden am Bauch, der Achsel, am Kopf, an der Schläfe und am Hals. Die beiden Hunde wurden daraufhin aufgrund einer Sicherstellungs- und Unterbringungsanordnung samt Kostentragungspflicht - gestützt auf Art. 7 Abs. 2 LStVG - bei der Antragstellerin untergebracht.
5
Laut dem von der Antragsgegnerin eingeholten Gutachten des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen B. vom 14. September 2021 müssten beide Hunde selbst für Bezugspersonen als äußerst gefährliche und gesteigert aggressive Tiere betrachtet werden, die aufgrund der Wesenseigenschaften, der Erinnerungen und der Beißerfahrungen nicht mehr korrigierbar seien. Es sei berechenbar, dass sie einzeln oder zusammen Personen oder Tiere verletzen oder gar töten würden. Die Antragstellerin legte daraufhin der Antragsgegnerin eine „Beurteilung in Hinblick auf Trainierbarkeit“ vom 20. September 2021 vor.
6
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 6. Oktober 2021 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber dem Eigentümer und Halter der Hunde - unter anderem gestützt auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG − an, deren Euthanasierung zu dulden (im Folgenden: Tötungsduldung). Ebenfalls an diesem Tag teilten die Antragstellerin, und ihr einziger Gesellschafter, der Tierschutzverein, mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2021 der Antragsgegnerin mit, dass sie die Hunde zum Zweck der Tötung nicht herausgeben würden.
7
Mit streitbefangenem Bescheid vom 29. November 2021 ordnete die Antragsgegnerin nach Anhörung darüber hinaus - gestützt auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG - gegenüber der Antragstellerin Folgendes an:
8
„1. Sie sind verpflichtet, am 06.12.2021 zwischen 10.30 Uhr und 12.00 Uhr das Betreten der Grundstücke und Räumlichkeiten im Tierheim … durch Vertreter des Kreisverwaltungsreferats … sowie durch … beauftragte Personen zum Zwecke der Abholung der Verwahrtiere „…“ …, und „…“ … zu dulden.
9
2. Verschlossene Türen und Zwinger sind an dem Termin gemäß Ziffer 1. zum Zwecke der Abholung der Verwahrtiere „…“ … und „…“ … zu öffnen.
10
3. Die Sedierung von „…“, … und „…“ … durch eine … beauftragte Person ist an dem Termin gemäß Ziffer 1. zu dulden.
11
4. Der Abtransport von „…“ … und „…“ … durch die Polizei in Amtshilfe … ist an dem Termin gemäß Ziffer 1. zu dulden.
12
5. Falls Sie gegen Ziffer 1. dieses Bescheids verstoßen, wird das Kreisverwaltungsreferat die Anordnung durch unmittelbaren Zwang vollziehen.
13
6. Falls Sie gegen Ziffer 2. dieses Bescheids verstoßen, wird das Kreisverwaltungsreferat die Anordnung durch unmittelbaren Zwang vollziehen.
14
7. Falls Sie gegen Ziffer 3. dieses Bescheids verstoßen, wird das Kreisverwaltungsreferat die Anordnung durch unmittelbaren Zwang vollziehen.
15
8. Falls Sie gegen Ziffer 4. dieses Bescheids verstoßen, wird das Kreisverwaltungsreferat die Anordnung durch unmittelbaren Zwang vollziehen.
16
9. Für den Fall, dass die Abholung der bezeichneten Verwahrtiere am 06.12.2021 nicht erfolgen kann, gelten die Ziffern 1 bis 8 bis zum Abschluss der Maßnahme an einem Ihnen mit 24 Stunden Vorlauf schriftlich mitgeteilten Ersatztermin entsprechend.
17
10. Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1. bis 4. und 9. dieses Bescheides wird angeordnet.
18
11. Die Kosten des Verfahrens haben Sie zu tragen.
19
12. Die Gebühr für diesen Bescheid wird auf 300,00 € festgesetzt. Über diesen Betrag ergeht eine gesonderte Zahlungsaufforderung.“
20
Hiergegen hat die Antragstellerin am 29. November 2021 Klage erhoben und am 3. Dezember 2021 Eilantrag auf Wiederherstellung beziehungsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt.
21
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht legte die Antragsgegnerin zusätzlich das Gutachten der Tierärztin und zugleich öffentlich beeidigten Sachverständigen Dr. J. vom 3. März 2022 vor, wonach die Hunde keine ausreichende Beißhemmung gegenüber dem Menschen hätten, als „gesteigert aggressive Hunde“ zu qualifizieren und als sehr gefährlich ohne Möglichkeit der Trainierbarkeit einzustufen seien.
22
Mit Urteil vom 12. Mai 2022 (M 22 K 21.6204) hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. November 2021 aufgehoben. Zur Begründung führte es an, dass die in dem streitbefangenen Bescheid getroffenen Duldungsanordnungen und Zwangsmittel rechtswidrig seien, weil sie der Durchführung der bestandskräftigen Tötungsduldung dienten, die sich bei der notwendigen Inzidentprüfung wegen Verletzung des § 17 Nr. 1 TierSchG als rechtswidrig erweise, und außerdem gegen das Beschränkungsverbot des Art. 7 Abs. 4 LStVG bezüglich der Unverletzlichkeit der Wohnung verstießen.
23
Mit angegriffenem Beschluss ebenfalls vom 12. Mai 2022 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. November 2021 hinsichtlich der Nrn. 1 bis 4 und 9 des streitbefangenen Bescheides wiederhergestellt und bezüglich der Nrn. 5 bis 8 angeordnet (Nr. I.), der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. II.) und einen Streitwert in Höhe von 5.000,- Euro festgesetzt (Nr. III). Zur Begründung der Wiederherstellung beziehungsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat es auf seine Entscheidungsgründe in dem Urteil in dem Verfahren M 22 K 21.6204 verwiesen. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde der Antragsgegnerin zusammen mit dem ebenfalls am 12. Mai 2022 ergangenen Urteil am 1. August 2022 zugestellt.
24
Mit der am 10. August 2022 eingelegten Beschwerde beantragt die Antragsgegnerin,
25
unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts den Eilantrag der Antragstellerin abzulehnen.
26
Zur Begründung macht sie geltend, dass die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Tötungsduldung nicht inzident zu prüfen, hilfsweise dass diese rechtmäßig sei, und dass das in Art. 7 Abs. 4 LStVG geregelte Verbot der Beschränkung von auf Art. 7 Abs. 2 LStVG gestützten Anordnungen bezüglich des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG im vorliegenden Fall keine Anwendung finde.
27
Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen und beantragt,
28
die Beschwerde zurückzuweisen.
29
Am 25. August 2022 hat die Antragsgegnerin zudem die Zulassung der Berufung gegen das genannte Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Mai 2022 (M 22 K 21.6204) beantragt (10 ZB 22.1910).
30
Im Übrigen wird auf die vorgelegten Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
31
1. Die - insbesondere infolge des Suspensiveffekts des fristgerechten Zulassungsantrags der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Mai 2022 − zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg. Die zur Begründung dargelegten Gründe, auf die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO seine Prüfung zu beschränken hat, rechtfertigen im Ergebnis eine Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
32
a) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bedarf es für die Rechtmäßigkeit der auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützten Regelungen in Nrn. 1 bis 4 (jeweils i.V.m. Nr. 9) des streitbefangenen Bescheides im vorliegenden Fall keiner inzidenten Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Halter und Eigentümer der Hunde ergangenen, bestandskräftigen Tötungsduldung.
33
aa) Die gegenüber dem Eigentümer und Halter erlassene Tötungsduldung ist mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell und im Übrigen auch materiell bestandskräftig geworden. Materielle Bestandskraft bedeutet, dass die in dem Entscheidungsausspruch des Verwaltungsakts getroffene Regelung zwischen der Behörde und den Beteiligten verbindlich geworden ist. Der Bestandskraft von Verwaltungsakten kommt, wenngleich auf anderer Ebene, eine vergleichbare Bedeutung für die Rechtssicherheit zu wie die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen (vgl. BVerfG, B.v. 20.4.1982 - 2 BvL 26/81 - BVerfGE 60, 253 <270> = juris Rn. 58).
34
Wird ein Verwaltungsakt bestandskräftig, entfaltet er zudem, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hingewiesen hat, eine objektive Tatbestandswirkung dergestalt, dass der nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bestimmender Regelungsgehalt auch von anderen Behörden und Gerichten als gegeben hingenommen werden muss, ohne dessen Rechtmäßigkeit nochmals überprüfen zu müssen oder zu dürfen, solange und soweit der Verwaltungsakt nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf sonstige Weise erledigt ist (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.2022 - 2 B 5.22 - juris Rn. 12; U.v. 28.11.1986 - 8 C 122.84 u. a. - juris Rn. 27; U.v. 4.7.1986 - 4 C 31.84 - juris Rn. 19). Die Tatbestandswirkung steht auch im Einklang mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, B.v. 31.5.2011 - 1 BvR 857/07 - BVerfGE 129, 1 <22> = juris Rn. 73 m.w.N.).
35
bb) Allerdings verhilft die Tatbestandswirkung der gegenüber dem Halter und Eigentümer ergangenen bestandskräftigen Tötungsduldung nicht zu deren zwangsweiser Durchsetzung gegenüber der bislang unbeteiligten Antragstellerin. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang daher vielmehr, worauf die Antragstellerin der Sache nach zutreffend hingewiesen hat, dass sich die Antragsgegnerin in dem streitbefangenen Bescheid im Wesentlichen diesbezüglich sogenannter Duldungsanordnungen bedient hat. Um Konflikte aufzulösen, die sich in der Dreieckskonstellation zwischen der Behörde, dem Adressaten einer (bestandskräftigen) Grundverfügung und einem von dem Regelungsgegenstand der Grundverfügung mitbetroffenen Dritten ergeben, hat sich das gesetzlich nicht kodifizierte Rechtsinstitut der Duldungsanordnung herausgebildet. Dazu hat sich im Baurecht eine Rechtsprechung entwickelt, die sich an der Funktion der Duldungsanordnung orientiert und nach dem Gewicht der betroffenen Interessen differenziert (vgl. OVG SH, B.v. 10.12.2019 - 4 MB 88/19 - juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 13.2.2014 - 2 A 983/13 - juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 2.5.2017 − 22 C 17.636 - juris Rn. 23 a.E.; B.v. 12.3.2012 - 1 CS 12.282 - juris Rn. 16; vgl. auch: Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Art. 76 Rn. 101a m.w.N.).
36
Danach ermöglicht eine Duldungsanordnung die Zwangsvollstreckung der (bestandskräftigen) Grundverfügung. Im baurechtlichen Standardfall ist die gegenüber dem Eigentümer erlassene Beseitigungsanordnung zwar diesem gegenüber nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG vollstreckbar, kann jedoch gegenüber einem privaten Dritten, der in Bezug auf den Regelungsgegenstand dinglich oder obligatorisch berechtigt ist, mangels übereinstimmender Adressatenstellung und damit Vollstreckungsschuldnerschaft nicht vollstreckt werden (vgl. Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG: „Verpflichtung“ u. Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG: „Pflichtigen“). Ohne eine Duldungsanordnung an den Dritten fehlt es diesem gegenüber in der Zwangsvollstreckung an dem erforderlichen zu vollstreckenden Verwaltungsakt, dem Grundverwaltungsakt. Die Duldungsanordnung hat daher den Zweck, tatsächlich und rechtlich den Widerstand zu überwinden, den der Dritte der Durchsetzung der Grundverfügung entgegensetzt. Dabei wird im Falle einer Duldungsanordnung gegenüber einem dinglich Berechtigten nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Beseitigungsanordnung geprüft. Dagegen wird bei einer Duldungsanordnung gegenüber einem lediglich obligatorisch Berechtigten lediglich die Wirksamkeit, nicht aber die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Beseitigungsanordnung geprüft (vgl. grundlegend: BayVGH, B.v. 12.3.2012 - 1 CS 12.282 - juris Rn. 16 unter Verweis auf: BVerwG, B.v. 13.7.1994 - 4 B 129.94 − juris Rn. 4). Diese nach dem Gewicht der betroffenen Interessen differenzierende Auffassung erlaubt es, die verschiedenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Die Auffassungen, wonach stets die Rechtmäßigkeit (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2007 - 14 CS 07.275 - juris Rn. 17) beziehungsweise stets nur die Wirksamkeit der bestandskräftigen Grundverfügung (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 147. EL August 2022, Art. 76 Rn. 415 m.w.N.) zu prüfen ist, haben sich in der Rechtsprechung nicht durchgesetzt.
37
Gegen die Heranziehung dieser Grundsätze streitet nicht die von der Antragstellerin angeführte gerichtliche Entscheidung, da in dem Sachverhalt, welcher dieser Entscheidung zugrunde lag, die Grundverfügung nicht nur keine Bestandskraft erlangt hatte, sondern schon nicht mehr existent war (vgl. SächsOVG, B.v. 29.10.2009 - 1 A 350/09 - juris Rn. 7: „Nutzungsverfügung …, deren Duldung … erzwungen werden sollte, … vom Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben“).
38
cc) Die vorgenannten für baurechtliche Dreieckskonstellationen entwickelten Maßstäbe sind nach Auffassung des Senats auf die vorliegende Konstellation sicherheitsrechtlicher Duldungsanordnungen angesichts der vergleichbaren Interessenlage weitgehend übertragbar. Der gegenüber dem Halter und Eigentümer der Hunde erlassene bestandskräftige Verwaltungsakt ist zwar diesem gegenüber nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG vollstreckbar, kann jedoch gegenüber der Antragstellerin mangels übereinstimmender Adressatenstellung und damit Vollstreckungsschuldnerschaft nicht vollstreckt werden (s.o.). Die sicherheitsrechtlichen Anordnungen haben im vorliegenden Fall den Zweck, den mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2021 angekündigten Widerstand der Antragstellerin, welche die Hunde in tatsächlichem Gewahrsam hat, zu überwinden.
39
Bei summarischer Prüfung ist festzustellen, dass die Antragstellerin aktuell weder dinglich noch obligatorisch zum Besitz der Hunde berechtigt ist und insoweit auch sonst keine schützenswerte Rechtsposition mehr erkennbar ist. Zwar war sie zunächst infolge der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Sicherstellung von dieser abgeleitet sowohl aufgrund des öffentlich-rechtlichen Verwahrverhältnisses entsprechend §§ 688 ff. BGB als auch aufgrund des privatrechtlichen Vertrags als Erfüllungsgehilfin zum unmittelbaren (Fremd-)Besitz der Hunde berechtigt (s.o.). Die Antragstellerin ist jedoch in dem Moment, als sie und ihr einziger Gesellschafter, der Tierschutzverein, mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2021 gegenüber der Antragsgegnerin erklärten, dass sie die Hunde nicht herausgeben würden (vgl. UA S. 4 f.), unter Verletzung der Pflichten aus den vorgenannten Rechtsverhältnissen zum unberechtigten (Eigen-)Besitzer geworden.
40
Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 des Vertrags ist der Auftragnehmer ausdrücklich nicht berechtigt, über sichergestellte Verwahrtiere selbst zu entscheiden. Insbesondere dürfen nach § 6 Abs. 3 Satz 2 des Vertrags Herausgaben nicht verweigert werden. Tierschutzrechtliche Bedenken oder andere Einwendungen, z.B. gegen eine Herausgabe oder Zweifel hinsichtlich der in einem Gutachten getroffenen Feststellungen, können nach § 6 Abs. 3 Satz 3 des Vertrags im Innenverhältnis … erörtert werden. Die Entscheidung … der Sicherheitsbehörde ist gemäß § 6 Abs. 3 Satz 4 des Vertrags für den Auftragnehmer verbindlich zu befolgen (vgl. Behördenakte, Bl. 801 <§ 6 Abs. 3 S. 1 bis 4> u. Bl. 795 <Präambel>).
41
Der Besitz der Antragstellerin an den Hunden ist damit im Sinne von § 986 Abs. 1 BGB unberechtigt. Aus dieser Stellung heraus ist es der Antragstellerin erst Recht verwehrt, sich gegenüber der Antragsgegnerin auf die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der an den Eigentümer und Halter gerichteten Tötungsduldung zu berufen.
42
Dass sich unter den getroffenen Anordnungen in Nr. 2 des streitbefangenen Bescheides mit der Verpflichtung zur Öffnung verschlossener Türen und Zwinger auch ein Handlungsgebot befindet, ändert entgegen der Auffassung der Antragstellerin bei wertender Gesamtbetrachtung an der Übertragbarkeit der dargelegten Grundsätze nichts, da der Schwerpunkt der getroffenen Anordnungen auf dem von der Antragstellerin zu duldenden Verhalten liegt, das der Durchsetzung der bestandskräftigen Tötungsduldung dient. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das geforderte Verhalten aus Gründen der Effektivität der Gefahrenabwehr notwendigerweise auch untergeordnete Handlungselemente wie etwa ein Beseitetreten einschließen muss und dass die in Nr. 2 des streitbefangenen Bescheides getroffene Anordnung der Besonderheit des Falles geschuldet ist, dass die Hunde, das Bezugsobjekt für die Duldung, auf eine spezielle Art und Weise untergebracht sind.
43
dd) Auch über eine anderweitige schützenswerte Rechtsposition im Hinblick auf die Hunde verfügt die Antragstellerin nicht. Eine solche ergibt sich auch nicht, wie die Antragstellerin argumentiert, aus den Vorschriften des Tierschutzgesetzes. Abgesehen davon, dass es sich bei der bestandskräftigen Tötungsduldung um eine sicherheitsrechtliche Anordnung handelt, die unter anderem auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützt wurde (vgl. Behördenakte, Bl. 663), dienen die Vorschriften des Tierschutzgesetzes dem Wohl des Tiers, gewähren aber Dritten kein subjektives Recht auf Durchsetzung der Schutzbestimmungen. Die Durchsetzung der Vorschriften des Tierschutzgesetzes, insbesondere nach den §§ 15 und 16a TierSchG, obliegt den zuständigen Behörden (vgl. OLG München, U.v. 10.4.2019 - 15 U 138/18 − BeckRS 2019, 57657 Rn. 50). Insbesondere die Ermächtigungsnorm des § 16a TierSchG ist ausschließlich dafür geschaffen worden, dem in § 1 TierSchG genannten Zweck, aus der Verantwortung der Menschen für das Tier als Mitgeschöpf das Wohl des Tiers zu schützen, zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen (vgl. VGH BW, B.v. 20.3.1997 − 10 S 3382/96 - NJW 1997, 1798).
44
ee) An der Sache vorbei geht der Einwand der Antragstellerin, der Tierschutz sei, obwohl es sich um ein Rechtsgut der Allgemeinheit handele, strafrechtlich notstands- und nothilfefähig. Die Frage, ob ein Tun oder Unterlassen einer Person nachträglicher strafrechtlicher Sanktionierung unterfällt, stellt ein aliud dar zu der hier zu klärenden Frage der Rechtmäßigkeit einer präventiv zur Gefahrenabwehr erlassenen Duldungsanordnung.
45
ff) Im Übrigen erweist sich die gegenüber dem Halter und Eigentümer getroffene bestandskräftige Tötungsduldung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG - im Rahmen des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO allein zu prüfenden Beschwerdevorbringens, das sich auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme konzentriert − auch als rechtmäßig.
46
(1) Die von der Antragsgegnerin insoweit gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwände greifen durch. Das Verwaltungsgericht hat einerseits bejaht, dass die Hunde hochgradig gefährlich sind und die Gefährlichkeit auf nicht therapierbare Ursachen zurückzuführen ist (vgl. BA S. 3 i.V.m. UA S. 22 f.). Andererseits hat es festgestellt, dass aufgrund der voneinander abweichenden Einschätzungen der Beteiligten zur Gefährlichkeit beziehungsweise dem Gefahrenpotential, den Ursachen und der Wiedererlernbarkeit der Beißhemmung eine abschließende Klärung dieser Fragen nicht möglich sei. Sodann hat es entschieden, dass es auf die Klärung der vorgenannten Fragen nicht ankomme, weil auf der Hand liege, dass sich auch bei der seiner Auffassung nach möglichen Unterbringung in dem Tierheim der zuverlässigen Antragstellerin das beachtliche Restrisiko nicht ausräumen lasse, dass es erneut zu einem vergleichbar gravierenden Vorfall wie am 27. Juli 2021 kommen könnte. Zu der Unterbringung hat es daher eine Reihe von Vorgaben für geboten erachtet (vgl. BA S. 3 i.V.m. UA S. 24).
47
(2) Die vorgenannten Ausführungen halten den im Beschwerdeverfahren von der Antragsgegnerin vorgebrachten Einwänden nicht stand und werden den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG an die im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich gebotene summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht gerecht. Eine substantielle Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Prozessstoff ist dem Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht zu entnehmen. Bei summarischer Prüfung stellen die beiden Hunde eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG dar, ohne dass die Möglichkeit einer Korrektur, einer Therapierbarkeit beziehungsweise einer Antrainierbarkeit der Beißhemmung besteht. Die Antragsgegnerin ist insoweit ihrer Darlegungs- und Beweislast nachgekommen, wie sich aus den herangezogenen Anknüpfungstatsachen, insbesondere dem massiven Beißvorfall am 27. Juli 2021, den vorangehenden Vorfällen am 22. Dezember 2019 und am 26. Januar 2021 sowie den erstellten Gutachten, Beurteilungen und Stellungnahmen und den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung ergibt.
48
(a) Dabei ist der Beweiswert des Gutachtens des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen B. vom 14. September 2021 (im Folgenden: erster Gutachter) als hoch anzusetzen. Die zugrunde gelegten Fakten, insbesondere die Vorfälle, die Methoden der Untersuchung und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind in dem Gutachten plausibel und differenziert beschrieben und für den Senat ohne Weiteres nachvollziehbar (vgl. Behördenakte, Bl. 540 ff., insbesondere: Bl. 543: „fletschte die Zähne und griff hinter dem Gitter sofort bellend an“, „biss auch in die stabilen Gitterstäbe der Tür“ u. „tobte“ sowie Bl. 544: „rammte mir ihren Maulkorb in die linke Hüftgegend“ u. „Anlauf für eine erneut aggressive Attacke“ u. Bl. 546 „F. …mit ihrer niedrigeren Reizschwelle“, „H. mit geringfügig höheren Reizschwelle, aber mit wesentlich mehr Kraft und Dynamik“). Die Bezeichnung der Hunde als „tickende Zeitbomben mit bereits brennenden Lunten“ ist nicht als unsachlich anzusehen, weil es die Ergebnisse des Gutachtens plastisch zusammenfasst und die Ausdrucksweise den sachlichen Feststellungen und Schlussfolgerungen keinen Abbruch tut.
49
(b) Dagegen ist der Beweiswert der „Beurteilung in Hinblick auf Trainierbarkeit“ vom 20. September 2021 durch den sachverständigen Gutachter im Hundewesen B. (im Folgenden: zweiter Gutachter) maßgeblich herabgemindert. Abgesehen davon, dass selbst darin in Bezug auf den Hund festgestellt wird, dass dessen Verhaltensweisen als „offensiv aggressiv bzw. als aversives Aggressionsverhalten“ zu werten sind, zeichnet es sich durch eine Reihe von erheblichen Mängeln aus. So enthält die Beurteilung keine Schilderung des maßgeblichen Sachverhalts, insbesondere der zugrunde gelegten Vorfälle. Die Schlussfolgerungen werden nicht kontextualisiert und schweben gleichsam im Raum. Die „Stresstests“ und „Störreize“ für die Hunde werden in der Beurteilung lediglich erwähnt und angedeutet, nicht jedoch konkret beschrieben und sind daher für den Senat auch nicht nachvollziehbar. Dazu ist das hündische Verhalten teilweise erkennbar beschönigend zur Vermeidung des Wortes „Beißen“ formuliert (vgl. Behördenakte, Bl. S. 709: „mit Perforierungsabsicht“). Auch bleiben die Aussagen zu den beiden Hunden letztlich im Vagen. So wird konstatiert, dass die Art der Hündin zu einer sehr guten Trainierbarkeit beitrage, die konkrete Aussage, dass und wofür sie trainierbar ist, fehlt indes. In Bezug auf den Hund wird angeführt, dass er sich aufgrund seiner Art geradezu anbiete, ohne dass auch hier ausgesprochen wird, dass und wofür dies konkret der Fall sein soll (vgl. Behördenakte, Bl. 710). Ferner operiert der zweite Gutachter mit schlichten Annahmen (vgl. Behördenakte, Bl. 709: „rein hypothetisch von der Annahme aus, dass die Besitzer des Hundes dem Vierbeiner wenig konsequente Erziehung in Konfliktsituationen zukommen ließen“). Aufgrund der genannten Defizite vermag die Beurteilung des zweiten Gutachters, der nach eigenen Angaben unter anderem Teamleitungs-Hundetrainer des Tierschutzvereins, mithin des einzigen Gesellschafters der Antragstellerin, ist, die Feststellungen und Schlussfolgerungen des ersten Gutachtens nicht zu entkräften.
50
(c) Dem Gutachten der Tierärztin und zugleich öffentlich beeidigten Sachverständigen Dr. J. vom 3. März 2022 (im Folgenden: dritte Gutachterin) kommt ebenfalls ein hoher Beweiswert zu. Auch darin sind die Grundlagen für die Prüfung offengelegt, darunter die Vorfälle, aufgeführt und verwertet. Die dritte Gutachterin hat zudem telefonische Stellungnahmen des Halters und Eigentümers eingeholt (vgl. Behördenakte, Bl. 1766). In dem Gutachten wird unter anderem ausgeführt, dass die beiden Hunde bei dem Vorfall am 27. Juli 2021 nach der international anerkannten Einteilung von Hundebissverletzungen nach Dunbar-Yin (Level 1 bis 6) sogenannte Level-5-Verletzungen bei dem Opfer verursacht hätten. Nach dieser Kategorisierung seien Hunde, die solche Verletzungen verursacht haben, als extrem gefährlich einzustufen, weshalb auch ein Zusammenleben in einem Haushalt mit Menschen nicht mehr möglich wäre. Studien zur Prognose für „Level-5-Hunde“ gebe es nicht, da Hunde, die einen Menschen schwer verletzt hätten, in der Regel während oder nach der Attacke getötet würden. Es sei auch unmöglich, sechs Monate nach dem Auftreten eines hochgradig aggressiven Verhaltens rückwirkend eine Diagnose zu stellen, es sei denn, das Verhalten bestehe weiter oder sei aktuell reproduzierbar. Das sei bei beiden Hunden nicht der Fall. Daher könne lediglich durch Ausschluss von Differentialdiagnosen (möglichen Ursachen für das Verhalten) eine Annäherung an die wahrscheinlichste Ursache versucht werden. Bei der Hündin habe sich kein Hinweis auf einen exogenen Auslöser für das aggressive Verhalten ergeben. Daher müsse von endogenen Ursachen ausgegangen werden. Endogene Ursachen seien aber nicht durch Training zu beeinflussen, physische Probleme nur durch Therapie. Außerdem habe bei der Hündin durch Ausleben des massiv aggressiven Verhaltens ein Lerneffekt stattgefunden, und sie habe keine sichere Beißhemmung. Zu dem Hund wird als Ergebnis festgehalten, ein früherer Vorfall (Angriff auf e. Handwerker in d. Wohnung d. Halters) sei als Territorialverhalten zu werten. Territoriale Aggression sei endogen motiviert, sie lasse sich zwar nicht wegtrainieren, aber durch Management im Prinzip kontrollieren. Da der Hund jedoch am 27. Juli 2021 in die Beißattacke eingestiegen sei und unkontrollierbar zugebissen habe, habe er keine ausreichende Beißhemmung, die nach Level-5-Verletzungen auch nicht mehr antrainiert werden könne. Der Senat erachtet die herangezogenen Fakten, Methoden und Schlussfolgerungen ohne Weiteres als nachvollziehbar und schlüssig. Dies gilt insbesondere auch für die Einteilung der schweren Verletzungen des Opfers der Beißattacke vom 27. Juli 2021, die in Fotoaufnahmen im Krankenhaus vor und nach der Operation dokumentiert sind (vgl. Behördenakte, Bl. 382 bis 421). Die Einteilung steht im Einklang mit der Einschätzung der Antragsgegnerin, wonach das Opfer bezüglich der Funktion des rechten Armes und des rechten Beines langfristig eingeschränkt sein wird (vgl. Behördenakte, Bl. 667). Der Antragsgegnerin ist darin zuzustimmen, dass das Gutachten der dritten Gutachterin im Ergebnis dasjenige des ersten Gutachters bestätigt.
51
(d) Das Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren setzt dem nichts an Substanz entgegen. Was die Antragstellerin mit ihrem Einwand im Beschwerdeverfahren meint, dass die „Vorfälle in der Vergangenheit streitig“ seien, legt sie nicht dar. Konkrete Einwände gegen den von dem Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt sind der Beschwerdeschrift nicht zu entnehmen (vgl. BA S. 3 i.V.m. UA S. 2: „wiederholt zu Beißvorfällen gekommen“). Soweit sie darauf anspielen sollte, dass es bei dem Vorfall am 4. November 2019 nicht zu Bissverletzungen kam (vgl. BA S. 3 i.V.m. UA S. 3), so ist im vorliegenden Fall das Element der Steigerung der Vorfälle von Bedeutung, wie in dem Gutachten vom 14. September 2021 ausgeführt ist (vgl. Behördenakte, Bl. 546: „in immer kürzeren Zeitabständen und immer heftigeren Angriffsattacken“). Die Antragstellerin hat ihr Vorbringen auch nicht substantiiert, indem sie moniert, dass die Hunde bei der Begutachtung für das Gutachten vom 3. März 2022 keine Anzeichen von Aggression gezeigt hätten und dass die dritte Gutachterin „bezüglich einiger Umstände keine abschließende Aussage“ habe treffen können. Die dritte Gutachterin hat die Ursachen für die fehlende Aggression der Hunde bei der Begutachtung erläutert, die Grenzen der Erkenntnisgewinnung offengelegt und gleichzeitig die Schlussfolgerungen, die gezogen werden können, plausibilisiert (vgl. Behördenakte, Bl. 1769 ff.). Mit den pauschalen Einwänden der Antragstellerin ist nicht aufgezeigt, dass die Gutachterin fachlich unzutreffend zu den genannten Ergebnissen gelangt ist.
52
Soweit sich die Antragstellerin auf die Aussagen des ersten Gutachters und der dritten Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bezieht, ist festzustellen, dass diese die Position der Antragstellerin nicht stützen. So hat der erste Gutachter wiederholt, dass er beide Hunde wegen der immer größeren Eskalation der Vorfälle für außerordentlich gefährlich erachte, eine solche Entwicklung beziehungsweise ein solches Verhalten definitiv nicht therapierbar sei und er weiterhin wegen des nicht unerheblichen Restrisikos die Tötung empfehle. Die dritte Gutachterin hat erneut die Therapierbarkeit beider Hunde verneint, weil es um nicht reversible Lernprozesse gehe (vgl. VG München, Sitzungsprotokoll, S. 3).
53
Demgegenüber fällt auch die bei der mündlichen Verhandlung vorgelegte Stellungnahme vom 12. Mai 2022, welche der zweite Gutachter angefertigt hat, nicht maßgeblich ins Gewicht. Insbesondere die Einwände gegen die von der dritten Gutachterin angenommenen Ursachen für die fehlende Aggression der Hunde bei der Begutachtung im Zusammenhang mit Reizüberflutung im Tierheim und der Ausschüttung von (bio-)chemischen Botenstoffen greifen nicht durch. Für die von dem zweiten Gutachter als fehlend monierten äußeren Erscheinungsformen für diese Zusammenhänge hat er weder eine Grundlage für Expertise noch Quellen benannt. Einen Widerspruch zwischen dem Verhalten der Hunde bei der Begutachtung und dem Gutachten vermag der Senat nicht zu erkennen, da die dritte Gutachterin von „Reaktionen in reduzierter Form“, nicht jedoch von keinerlei Reaktionen ausgegangen ist. Außerdem nimmt die Stellungnahme auf eigene „Verhaltensanalysen“ Bezug, die der zweite Gutachter nicht offenlegt, und rekurriert pauschal auf die „eigene Erfahrung“. Dies reicht jedoch, insbesondere in Bezug auf den Gesichtspunkt der fehlenden Beißhemmung der Hunde und die Unmöglichkeit einer diesbezüglichen Korrektur, Therapie oder Trainierbarkeit, nicht aus, um die Gutachten vom 14. September 2021 und vom 3. März 2022 und die Aussagen der beiden Gutachter zu entkräften. Gleiches gilt für die Angaben der für die beiden Hunde verantwortlichen Hundetrainer der Antragsgegnerin, wonach diese (sehr) gut trainierbar seien.
54
(3) Die Annahme des Verwaltungsgerichts basierend auf der Argumentation der Antragstellerin, dass die Tötungsduldung nicht erforderlich sei, weil eine dauerhafte - in den Augen der Antragstellerin sichere − Unterbringung der Hunde in ihrem Tierheim das mildere Mittel sei, worauf sich die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren konzentriert, hält der Senat nicht für überzeugend. Das als Alternative angeführte Mittel der Unterbringung im Tierheim ist nicht ebenso wirksam wie die gegenüber dem Eigentümer und Halter angeordnete Tötungsduldung. Eine derartige Unterbringung bietet keine hinreichende Gewähr für die dauerhafte Beseitigung der von den Hunden ausgehenden Gefahren.
55
Erstens ist aus genannten Gründen davon auszugehen, dass die Möglichkeit einer Korrektur, einer Therapierbarkeit beziehungsweise einer Antrainierbarkeit der Beißhemmung der Hunde ausscheidet (s.o.). Zweitens ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass das erforderliche Bewusstsein für die Gefahr und die notwendige erhöhte Aufmerksamkeit des Personals im täglichen Umgang mit den nicht stets aggressiven Hunden über einen Zeitraum wie der Restlebensspanne der Hunde nicht aufrechterhalten werden kann, sondern im Gegenteil im Laufe der Zeit nachlässt, worauf auch die dritte Gutachterin hingewiesen hat (vgl. Behördenakte, Bl. 1778). Dies gilt drittens umso mehr, wenn man Phänomene wie Personalmangel oder Personalfluktuation im privaten Sektor berücksichtigt. Dabei wird nach den unwidersprochenen Angaben der Antragsgegnerin nicht nur Fachpersonal im Tierheim der Antragsteller tätig, sondern auch einfache „Gassigeher“. Viertens ist in der Vergangenheit ein Hund kurz vor dessen bevorstehender Herausgabe von dem Gelände des Tierheims der Antragstellerin gestohlen worden, wie in dem streitbefangenen Bescheid ausgeführt ist.
56
Fünftens tragen die tatsächlichen Verhältnisse der konkreten Unterbringung der Hunde im Tierheim, wie die Antragstellerin sie selbst schildert, entgegen dem Verwaltungsgericht bei summarischer Prüfung der konkreten Gefahr für Leben und Gesundheit nicht Rechnung, sondern stellen sich angesichts aller Umstände eher als ein sorgloser Umgang mit den Hunden dar (vgl. Behördenakte, Bl. 693 ff.: „Pflegerinnen/Pfleger befinden sich bereits im Zwinger. Dabei trägt die Hündin/der Hund keinen Maulkorb, kein Halsband, keine Leine“ sowie „Bindungsförderung … durch Schmusen und Kontaktliegen. Die Hündin/Der Hund trägt dabei keinen Maulkorb“ u. „Reinigung des Innen- und Außenzwingers jederzeit auch im Beisein der Hündin/des Hundes ohne Maulkorb“, „Zeit im Auslauf maulkorbfrei“).
57
Dies deckt sich mit den Beobachtungen des ersten Gutachters, der festgehalten hat, dass am 29. Juli 2021, zwei Tage nach dem Beißvorfall vom 27. Juli 2021, auf dem Gelände der Antragstellerin ein Pfleger die Hündin außerhalb des Hundehauses ohne Maulkorb an der Leine führte (vgl. Behördenakte, Bl. 543). Die dritte Gutachterin fand ebenfalls Hinweise, dass „mit der Hündin ohne Maulkorb interagiert wird“ (vgl. Behördenakte, Bl. 1786). Zu berücksichtigen ist diesbezüglich auch ein Vermerk in der Behördenakte über die Aussage eines vorbeilaufenden Mitarbeiters der Antragstellerin am Tag der Begutachtung, wonach die Hunde in manchen Situationen wirklich nicht zu kontrollieren seien (vgl. Behördenakte, Bl. 534). Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Antragsgegnerin verwendet die Antragstellerin die Hündin sogar für die Hundetrainerausbildung (vgl. Senatsakte, Bl. 28). Die Antragstellerin ist bei summarischer Prüfung entgegen dem Verwaltungsgericht daher nicht als hinreichend zuverlässig anzusehen. Auf den Gesichtspunkt, ob die Hunde dauerhaft tierschutzgerecht im Tierheim der Antragstellerin untergebracht werden könnten, was unter den Beteiligten streitig ist, kommt es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an.
58
(4) Zu den konkreten Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen steht die zu duldende Tötung der Hunde auch nicht außer Verhältnis. Abzuwägen ist die Gefahr, dass die Hunde, auch einzeln und im Tierheim, einen Menschen angreifen, schwer verletzen, entstellen, verstümmeln oder gar töten, gegenüber der angeordneten Rechtsfolge, dem Tod der beiden Hunde. Je höherwertiger das bedrohte Rechtsgut ist, desto geringer sind die Anforderungen an den Grad der Gefahr einer Rechtsgutsverletzung. Bei dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG handelt es sich um ein überragend wichtiges Rechtsgut. Nach summarischer Prüfung ist zur Überzeugung des Senats der Eintritt dieser Gefahr wahrscheinlich. In der Abwägung ist dem Rechtsgut aus Art. 2 Abs. 2 GG ein höherer Wert zuzumessen als dem Leben der beiden Hunde. Dass in dem Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 146 Abs. 1 und 4 VwGO anhand der Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache über die sofortige Vollziehbarkeit auch von Verwaltungsakten entschieden wird, die einen unumkehrbaren Zustand herbeiführen, macht im Falle festgestellter fehlender Erfolgsaussichten die Abwägung nicht unverhältnismäßig, wie die Antragstellerin argumentiert.
59
Zu keinem anderen Ergebnis − sei es auf der Ebene der Erforderlichkeit, sei es auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne − gelangt man, wenn man im Rahmen der Prüfung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG auch den Rechtsgedanken des § 17 Nr. 1 TierSchG einfließen lässt. Auch im Tierschutzrecht ist anerkannt, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hingewiesen hat, dass ein vernünftiger Grund für die Tötung eines Hundes angenommen wird, wenn die Beißvorfälle auf schwere, nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand therapierbare Verhaltensstörungen zurückzuführen sind (vgl. Pfohl in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2022, TierSchG, § 17 Rn. 52).
60
b) Allerdings verstoßen die in den Nrn. 1 bis 2 (jeweils i.V.m. Nr. 9) des streitbefangenen Bescheides getroffenen Regelungen bei summarischer Prüfung gegen das Beschränkungsverbot des Art. 7 Abs. 4 LStVG in Verbindung mit Art. 13 GG.
61
Danach darf durch Maßnahmen auf Grund von Art. 7 Abs. 2 und 3 LStVG unter anderem die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG u. Art. 106 Abs. 3 BV) nicht eingeschränkt werden. Der bayerische Gesetzgeber hat damit die allgemeine Sicherheitsbehörde, die aufgrund von Art. 7 Abs. 2 und 3 LStVG agiert, bewusst von Beschränkungen und Eingriffen in Art. 13 GG ausgeschlossen (vgl. zu Art. 5 Abs. 7 Satz 2 AGStPO, d. Vorgängervorschrift v. Art. 7 Abs. 4 LStVG: BayLT, Entwurf e. Bayerischen Katastrophenschutzgesetzes, Beilage 3250, Nr. B III/3-2122-8-5, S. 9: „Deshalb sollen Maßnahmen, die in diese Grundrechte eingreifen, von der allgemeinen Befugnis des Art. 5 AGStPO ausdrücklich ausgeschlossen werden“, vgl. auch Nr. 7.6.1 d. Bek. d. StMI über d. Vollzug d. Landesstraf- und Verordnungsgesetzes v. 8.8.1986, Az. IC2-2105-1/16, MABl. S. 361 ff., i.d.F.d. Bek. zuletzt v. 5.6.2021, BayMBl. Nr. 456 u. Nr. 476, im Folgenden: VollzBekLStVG). Den Gesetzgebungsmaterialien ist nicht zu entnehmen, dass der bayerische Gesetzgeber die Bezugnahme auf Art. 13 GG und Art. 106 Abs. 3 BV als statischen Verweis auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens herrschende Auslegung dieser Normen verstanden wissen wollte.
62
aa) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist im vorliegenden Fall der Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG eröffnet. Gemäß Art. 13 Abs. 1 GG ist die „Wohnung“ unverletzlich. Der bayerische Verfassungsgeber hat in Art. 106 Abs. 3 BV formuliert, dass die Wohnung für jedermann eine Freistätte und unverletzlich ist.
63
(1) Der persönliche Schutzbereich ist eröffnet. Auch eine juristische Person des Privatrechts kann Träger des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG sein (vgl. BVerfG, B.v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54 <71 f.> = juris Rn. 44 a.E.). Dementsprechend kann sich die Antragstellerin als eine gemeinnützige Gesellschaft auf Art. 13 Abs. 1 GG berufen.
64
(2) Gleiches gilt für den sachlichen Schutzbereich. Der Schutzbereich der Wohnung ist mit Blick auf die Entstehungsgeschichte sowie den Sinn und Zweck der Norm weit auszulegen und umfasst − neben der Wohnung im engeren Sinne − auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume (vgl. BVerfG, B.v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54 <68 ff.> = juris Rn. 38 ff.).
65
(a) Hiervon geschützt sind nach der Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts sowie nach Teilen des Schrifttums auch diejenigen Teile der Betriebsräume oder des umfriedeten Besitztums, die der Inhaber aus eigenem Entschluss der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Auch in diesem Fall gewährleistet das Grundrecht Schutz gegen Eingriffe in die Entscheidung über das Zutrittsrecht im Einzelnen und über die Zweckbestimmung des Aufenthalts (vgl. BVerfG, U.v. 17.2.1998 − 1 BvF 1/91 - BVerfGE 97, 228 <265> = juris Rn. 134; BVerwG, U.v. 25.8.2004 - 6 C 26.03 - juris Rn. 23; Gornig in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 13 Rn. 26; Kluckert in Epping/Hillgruber, GG, 52. Aufl. Stand: 15.8.2022, Art. 13 Rn. 3; Kunig/Berger in von Münch/Kunig, GG, 7. Auflage 2021, Art. 13 Rn. 26 m.w.N.; vgl. zu Art. 106 Abs. 3 BV: Krausnick in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaats Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 106 Rn. 14). Im Rahmen der Prüfung der Rechtfertigung von Eingriffen und Beschränkungen gelten dann allerdings abgestufte Anforderungen. Je größer die Offenheit der Räume nach außen ist und je mehr sie zur Aufnahme sozialer Kontakte für Dritte bestimmt sind, desto schwächer wird der grundrechtliche Schutz. Betretensrechte verstoßen dann nicht gegen Art. 13 Abs. 1 GG, wenn eine besondere gesetzliche Vorschrift zum Betreten ermächtigt, das Betreten einem erlaubten Zweck dient und für dessen Erreichung erforderlich ist, das Gesetz Zweck, Gegenstand und Umfang des Betretens erkennen lässt und das Betreten auf Zeiten beschränkt wird, in denen die Räume normalerweise für die betriebliche Nutzung zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, U.v. 17.2.1998 − 1 BvF 1/91 - BVerfGE 97, 228 <265> = juris Rn. 137 f.).
66
(b) Nach einem Teil der Literatur umfasst der Begriff der „Wohnung“ lediglich diejenigen Betriebs- und Geschäftsräume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch räumliche Abtrennung entzogen sind. Ausschlaggebend ist insoweit der Abschirmungscharakter (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 13 Rn. 5 m.w.N.; Holzner in Möstl/Schwabenbauer, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 19. Aufl., Stand: 1.7.2022, LStVG, Art. 7 Rn. 100 m.w.N.; Kühne in Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 13 Rn. 4; Papier in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 97. EL, Stand: Januar 2022, Art. 13 Rn. 11 f.; Wolff in Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl. 2022, Art. 13 Rn. 5; zu Art. 106 Abs. 3 BV: Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 106 Rn 20).
67
(c) Nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die für sich Flexibilität auf der Schrankenebene beanspruchen kann und der sich der Senat anschließt, sind die durch die Nrn. 1 und 2 des streitbefangenen Bescheides betroffenen Bereiche im Tierheim der Antragstellerin vom Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG umfasst. Offenbleiben kann, ob der Schutzbereich des Art. 106 Abs. 3 BV ähnlich auszulegen ist, wobei die Rechtsprechung zu Eingriffen die Annahme eines Gleichlaufs auch in Bezug auf den Schutzbereich nahelegt (vgl. VerfGH, E.v. 30.1.2006 − Vf. 5-VII-05 - juris Rn. 22 ff.). Im Übrigen ergibt sich aus der Nr. 2 des streitbefangenen Bescheides, dass der Zugang zu den Zwingern, auf welche die Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung besonders abgehoben hat, aber auch zu anderen Räumen im Sinne der soeben unter (b) dargelegten Auffassung „abgeschirmt“ ist.
68
bb) Die in den Nrn. 1 bis 2 des streitbefangenen Bescheides getroffenen Regelungen greifen auch in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ein. Eingriffe und Beschränkungen staatlicher Stellen sind zu bejahen, wenn das Betreten oder Verweilen in der Wohnung beziehungsweise geschützten Räumen und Flächen vom Willen des (zivilrechtlich) Berechtigten nicht gedeckt ist. Die fehlende Einwilligung ist gleichsam ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal (vgl. Gornig in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 13 Rn. 44 m.w.N.). Die Antragsgegnerin erzwingt im vorliegenden Fall Zugang zu den geschützten Bereichen.
69
(1) Soweit die Antragsgegnerin sich in Bezug auf Art. 13 Abs. 1 GG auf die fehlende Eingriffsqualität sogenannter üblicher behördlicher Betretungs- und Besichtigungsrechte beruft (vgl. zu Art. 13 Abs. 3 GG a.F.: BVerfG, B.v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54 <68 ff.> = juris Rn. 52 ff.; BVerwG, U.v. 25.8.2004 - 6 C 26.03 - juris Rn. 28), ist Voraussetzung hierfür eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, an der es indes gerade fehlt, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat (vgl. BA S. 3 i.V.m. S. 27).
70
(2) Der Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 4 LStVG steht in diesem Zusammenhang nicht ein Betretensrecht der Antragsgegnerin aus § 16 Abs. 3 TierSchG entgegen. Zwar kann die zuständige Tierschutzbehörde, die nach § 16a TierSchG eine Duldungsanordnung erlässt, sich auf das Betretensrecht des § 16 Abs. 3 TierSchG berufen (vgl. Metzger in Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz, 7. Aufl. 2019, § 16 Rn. 22). Die Antragsgegnerin hat den streitbefangenen Bescheid jedoch auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützt und hält daran auch offenkundig fest (s.o.). Der konkrete Lebenssachverhalt zeichnet sich im vorliegenden Fall dadurch aus, dass die Antragsgegnerin zur Abwehr von Gefahren durch die Hunde, nicht zur Abwehr von Gefahren für die Hunde, tätig geworden ist, und auch nicht lediglich zur (Routine-)Kontrolle eines Tierheims. Wäre dies anders, ginge das besondere Sicherheitsrecht nach Art. 7 Abs. 2 LStVG der allgemeinen sicherheitsrechtlichen Generalklausel vor, mit der Folge, dass sämtliche getroffenen Regelungen und Zwangsmittel aus diesem Grunde materiell rechtswidrig wären (vgl. zur Abgrenzung: BayVGH, U.v. 25.10.2022 - 10 B 21.2747 - juris Rn. 24 ff.).
71
(3) Unbegründet ist zudem der Einwand der Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin die Verwahrtiere für die Antragsgegnerin auf deren Kosten in ihren Betriebsräumen unterbringt, und zwar aufgrund des zwischen dieser und dem einzigen Gesellschafter der Antragstellerin, dem Tierschutzverein, geschlossenen Vertrags, einschließlich der Klausel, wonach der „Auftragnehmer“ ausdrücklich nicht berechtigt ist, über sichergestellte Verwahrtiere selbst zu entscheiden (s.o.). Damit macht die Antragsgegnerin der Sache nach eine Einwilligung in künftige Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG geltend. Die von der Antragsgegnerin angeführten Umstände sind jedoch nicht geeignet, eine derartige Einwilligung nahezulegen. So ist bereits zweifelhaft, ob in Bezug auf den Vertrag eine Willensäußerung des Grundrechtsinhabers, hier der Antragstellerin, die nicht Vertragspartnerin ist, oder ihres Vertreters, wohl des Geschäftsführers der Antragstellerin, vorhanden ist (vgl. Behördenakte, Bl. 812). Jedenfalls ergibt weder die genannte Klausel noch der übrige Vertrag, dass der Antragsgegnerin ein Recht zum Betreten und Verweilen in den von den Nrn. 1 und 2 des streitbefangenen Bescheides erfassten geschützten Bereichen verliehen werden soll, das von dem Willen der Antragstellerin unabhängig ist.
72
(4) Schließlich kann sich die Antragsgegnerin nicht darauf berufen, dass die in den Nrn. 1 bis 2 des streitbefangenen Bescheides getroffenen Regelungen jedenfalls einen nach Art. 13 Abs. 7 GG zulässigen Eingriff darstellen.
73
Zwar stellt Art. 13 Abs. 7 Alt. 1 GG eine sogenannte verfassungsunmittelbare Schranke, mithin Eingriffsgrundlage, zur Verfügung. Aus dem Wortlaut und der Binnensystematik der Norm, insbesondere dem Vergleich mit Art. 13 Abs. 7 Alt. 2 GG, ist zu schließen, dass Eingriffe und Beschränkungen insoweit auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage zulässig sind (vgl. BVerfG, B.v. 16.3.2018 - 2 BvR 253/18 − juris Rn. 21). Zum einen ändert dies jedoch nichts daran, dass der bayerische Gesetzgeber die allgemeine Sicherheitsbehörde, die aufgrund von Art. 7 Abs. 2 und 3 LStVG agiert, von Beschränkungen und Eingriffen in Art. 13 GG ausgeschlossen hat (s.o.). Zum anderen erfasst Art. 13 Abs. 7 GG lediglich diejenigen Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, die nicht als Durchsuchungen (oder Einsatz technischer Mittel) zu qualifizieren sind. Dies ist indes nicht der Fall.
74
Bei einer Durchsuchung handelt es sich um die ziel- und zweckgerichtete Suche staatlicher Organe nach Personen und Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhaltes. Zweck der Durchsuchung ist es, etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht herausgeben oder offenlegen will. Die Durchsuchung erschöpft sich nicht in einem Betreten der Wohnung, sondern umfasst als weiteres Element die Vornahme von Handlungen (vgl. BVerfG, B.v. 16.6.1987 - 1 BvR 1202/84 − BVerfGE 76, 83 <89> = juris Rn. 26 m.w.N.). Durchsuchungen sind Mittel insbesondere zum Auffinden, Sicherstellen oder zur Beschlagnahme einer Sache (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2006 - 4 B 36.06 - juris Rn. 3).
75
Die in den Nrn. 1 bis 2 des streitbefangenen Bescheides getroffenen Anordnungen entsprechen der Sache nach einer Durchsuchung. Die Antragsgegnerin erzwingt damit das Betreten der geschützten Bereiche und die Öffnung von Verschlossenem mit dem Ziel, die zu tötenden Hunde aufzufinden und mitzunehmen („zur Abholung“).
76
c) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erstreckt sich die festgestellte Rechtswidrigkeit der Betretensduldung und des Öffnungsgebots wegen Verstoßes gegen das Beschränkungsverbot des Art. 7 Abs. 4 LStVG in Verbindung mit Art. 13 GG nicht auf die in den Nrn. 3 und 4 des streitbefangenen Bescheides angeordnete Sedierungsduldung und die Duldung des Abtransportes der Hunde. Der Antragsgegnerin ist darin zuzustimmen, dass diese Duldungsanordnungen, die nicht an die von Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Bereiche anknüpfen, diesbezüglich keine Regelungen treffen. Soweit eine Durchsuchung rechtswidrig ist, folgt hieraus grundsätzlich nichts für die Rechtmäßigkeit von weiteren Maßnahmen (hier: zur Durchsetzung d. bestandskräftigen Tötungsduldung), deren Rechtmäßigkeit selbständig zu prüfen ist. Anhaltspunkte für die Annahme einer Ausnahme sind im vorliegenden Fall nicht dargetan und bei summarischer Prüfung auch nicht anderweitig ersichtlich (vgl. zu polizeirechtlichen Folgemaßnahmen im Zusammenhang mit einer rechtswidrigen Durchsuchung: Schwabenbauer in Möstl/Schwabenbauer, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 20. Aufl. Stand: 1.7.2022, Art. 24 Rn. 27).
77
d) Bei summarischer Prüfung liegen auch die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG für den Erlass der in den Nrn. 3 bis 4 des streitbefangenen Bescheides getroffenen Regelungen gegenüber der Antragstellerin vor. Die Antragsgegnerin hat als gemäß Art. 6 LStVG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b) BayVwVfG zuständige allgemeine Sicherheitsbehörde nach Durchführung einer Anhörung (vgl. Behördenakte, Bl. 1284) in schriftlicher Form die Anordnungen ermessensfehlerfrei verfügt. Im Übrigen verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen entsprechend auf die vorstehenden Erwägungen sowie gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe des streitbefangenen Bescheides. Daher ist in Änderung von Nr. I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts der Eilantrag der Antragstellerin in Bezug auf die Anordnungen in den Nrn. 3. und 4. (jeweils i.V.m. Nr. 9) des Bescheides der Antragsgegnerin abzulehnen. Ob für die zwangsweise Durchsetzung der beiden Duldungsanordnungen in Bezug auf die Vollstreckungsvoraussetzung des Art. 19 Abs. 2 VwZVG ergänzend auch die Herausgabe der Hunde anzuordnen ist, ist nicht Gegenstand des Verfahrens.
78
e) Demgemäß erweisen sich die in den Nrn. 5 bis 6 (jeweils i.V.m. Nr. 9) des streitbefangenen Bescheides angedrohten Zwangsmittel weiterhin als rechtswidrig. Da es - wie dargelegt − bei der von dem Verwaltungsgericht angeordneten aufschiebenden Wirkung gegen die sofortige Vollziehung der in den Nrn. 1 bis 2 (jeweils i.V.m. Nr. 9) des streitbefangenen Bescheides getroffenen Regelungen verbleibt, mangelt es für die entsprechenden Zwangsmittel an der Vollstreckungsvoraussetzung eines Grundverwaltungsaktes im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG.
79
Dagegen erweisen sich bei überschlägiger Prüfung die in den Nrn. 7 bis 8 (jeweils i.V.m. Nr. 9) des streitbefangenen Bescheides angedrohten Zwangsmittel, die sich auf die in den Nrn. 3 bis 4 (jeweils i.V.m. Nr. 9) des streitbefangenen Bescheides angeordneten Duldungsanordnungen beziehen, als rechtmäßig. Auch hier verweist der Senat auf die vorstehenden Erwägungen sowie gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe des streitbefangenen Bescheides. Daher ist in Änderung von Nr. I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts der Eilantrag der Antragstellerin auch in Bezug auf die Zwangsmittelandrohungen in den Nrn. 7. und 8. (jeweils i.V.m. Nr. 9) des Bescheides der Antragsgegnerin abzulehnen.
80
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
81
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5 und 35.1 des Streitwertkatalogs. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts, wonach für jeden der beiden Hunde ein im Eilverfahren zu halbierender Auffangstreit anzusetzen ist (vgl. BA S. 2 i.V.m. UA S. 31), ist zu ändern, weil der Schwerpunkt der in dem streitbefangenen Bescheid getroffenen Regelungen insgesamt auf dem Verhalten liegt, das der Antragstellerin zur Durchsetzung der Tötungsduldung abverlangt wird (s.o.), nicht jedoch auf dem Bezugsobjekt hierfür, so dass es auf die Zahl der Hunde nicht entscheidend ankommt.
82
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.