Titel:
Besteuerung von Restgasen
Normenketten:
EnergieStG § 1 Abs. 2 u. 3,§ 1a S. 1 Nr. 2, § 9 Abs. 1, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2,§ 26 Abs. 2, § 28 S. 3, § 47 Abs. 1 Nr. 4
FGO § 74, § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 135 Abs. 1
StromStG § 9
Leitsatz:
Verbrauchsteuern setzen den Übergang des Verbrauchsgutes aus einem steuerlichen Nexus in den steuerlich nicht gebundenen allgemeinen Wirtschaftsverkehr voraus (BverfG Beschluss vom 13. April 2017 - 2 BvL 6/13, BVerfGE 145; BeckRS 2017, 112123) (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Besteuerung von Restgasen, Steuerbefreiung, Festsetzungsbescheid, Erlaubnis, Ausschluss, Zeitpunkt der Antragstellung, Auslegung, Restgasen, Abtrennungsverfahren, mehrstufiges Steamreforming-Verfahren, Erdgas, Restgasgemisch, Warengruppe, Energieerzeugnis, Energieerzeugnisse
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VII R 37/22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38927
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin, …, betreibt an verschiedenen Standorten Anlagen, in denen unterschiedliche technische und medizinische Gase produziert und eingesetzt werden. Die produzierten Industriegase wurden weder als Kraftstoff verwendet noch als Kraftstoff bestimmt.
2
Streitgegenständlich ist ein mehrstufiges Steamreforming-Verfahren, bei dem Erdgas zur Herstellung von Wasserstoff (an den Standorten A, B, C, D, E und F) bzw. Kohlenmonoxid (D und F) verwendet wird. Für die Herstellung wird reines schwefelfreies Erdgas (als „Prozessgas“) verwendet, das endotherm in ein Gasgemisch aus Wasserstoff, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und geringen Anteilen von Wasser, Methan und Stickstoff umgesetzt wird. Die Zielprodukte werden durch unterschiedliche Verfahren abgetrennt: Wasserstoff in der Druckwechseladsorptionsanlage (DWA) und Kohlenmonoxid durch die Coldbox. Je nach Abtrennungsverfahren beinhaltet das Restgasgemisch unterschiedliche Anteile von chemischen Reststoffen. Als Heizstoffe zur indirekten Befeuerung der Reformreaktoren dienen Erdgas (als „Heizgas“) und das aus der Produktion entstehende „Restgasgemisch“, das dem Herstellungsverfahren dahingehend wieder zurückgeführt wird, als die erforderliche Wärmeenergie für das Verfahren auch durch das Verheizen der Restgase gewonnen wird.
3
Im Einzelnen entstanden laut Prüfungsbericht vom 29. Januar 2018 im Streitjahr an den unterschiedlichen Standorten Restgasgemische mit folgender Zusammensetzung und Brennwerten: … Die in diesen Anlagen entstandenen Restgase werden im Folgenden als „energiereiche“ Restgase bezeichnet.
4
Außerdem entstanden in den weiteren Anlagen Restgase, die sich folgendermaßen zusammensetzen: … Die in diesen Anlagen entstandenen Restgase werden im Folgenden als „energiearme“ Restgase bezeichnet.
5
Im Allgemeinen liegt der Brennwert der Restgase ca. 10% über dem Heizwert (vgl. Gutachten vom 12. Juli 2018). Damit ergeben sich bei überschlägiger Berechnung folgende Heizwerte der Restgase: … Die Klägerin gab mit Schreiben vom 20. März 2017 eine Energiesteueranmeldung für Heizstoffe ohne Erdgas und Kohle für 2016 ab und meldete damit insgesamt … MWh „Restgase“ als gasförmige Kohlenwasserstoffe zur Versteuerung mit einem Steuersatz von 5,50 €/MWh an, obwohl sie der Ansicht war, dass die Restgase keiner Besteuerung unterlagen.
6
Dem entsprechend setzte der Beklagte (das Hauptzollamt - HZA) mit Bescheid vom 21. Juni 2017 die Energiesteuer für das Kalenderjahr 2016 in Höhe von … € fest.
7
Der dagegen eingelegte Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
8
Mit Schreiben vom 19. September 2017 beantragte die Klägerin die Erlaubnis nach § 24 Abs. 2 i.V.m. § 26 Abs. 2 des Energiesteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EnergieStG) rückwirkend zum 1. Januar 2014. Mit Bescheid vom 29. November 2018 lehnte das HZA den Antrag auf Erteilung der Erlaubnis vollumfänglich ab, da die Herstellung von Restgasen von untergeordneter Bedeutung sei und nicht mitgeteilt worden sei, in welchem Umfang aus den anfallenden Restgasen Nicht-Energieerzeugnisse hergestellt wurden.
9
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 17. September 2021 eine Mengenabgrenzung für den Anteil des Restgases vor, der zur Herstellung von Restgas - entsprechend der Auffassung des HZA - verwendet wurde. Danach wurden von den insgesamt … MWh Restgas, die zur Unterfeuerung verwendet wurden, ein Anteil von … MWh zur Herstellung von Energieerzeugnissen (Restgas) in 2016 verwendet.
10
Durch Teilabhilfe hat das HZA daraufhin die Erlaubnis rückwirkend zum 1. Januar 2018 für den so ermittelten Anteil der Restgase, der wiederum zur Erzeugung von Energieerzeugnissen verwendet wird, erteilt. Das Einspruchsverfahren ruht derzeit.
11
Die Klägerin macht mit ihrer Klage im Wesentlichen geltend, die streitgegenständlichen Restgase stellten aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung und gasförmigen Aggregatzustands keine Verbrauchsgüter dar, die als Ware gehandelt werden könnten; sie könnten deswegen nicht Gegenstand der Energiesteuer sein. Allein, dass das Restgas durch Rohrleitungen transportiert werde, mache es noch nicht am Markt handelbar.
12
Hilfsweise käme bei den Restgasen allein eine Einreihung in die Position 3825 der Kombinierten Nomenklatur in der am 1. Januar 2002 geltenden Fassung (KN, vgl. § 1a Satz 1 Nr. 2 EnergieStG) in Betracht. Ähnlich dem „Siedlungsabfall“ und dem „Klärschlamm“ sei das Restgas ein Rückstand aus einem chemischen, industriellen Verfahren. Dies entspräche dem vorrangig zu berücksichtigenden Überschriften und Wortlaut der KN. Damit handele es sich nicht um ein Energieerzeugnis nach § 1 Abs. 2 EnergieStG. Die Restgase seien nicht solche der Position 2705. Insbesondere führe der unspezifische Begriff „Schwachgas“ nicht zu einer inhaltlichen Erweiterung, wonach jeder gasförmige Stoff mit niedrigem Brennwert umfasst würde. Außerdem sei zum richtigen Verständnis die Verwendung der Bezeichnungen in Industrie und Wirtschaft im 20. Jahrhundert heranzuziehen, als die Position 2705 formuliert worden sei. Dabei handele es sich bei allen aufgezählten Gasen um Produkte, die gezielt für private und insbesondere wirtschaftliche Verwendungen (u.a. Beleuchtung) der damaligen Zeit als höherwertige Produkte hergestellt worden seien. Es habe sich nicht um Nebenprodukte gehandelt. Es seien nur Gase aus Kohlevergasungsverfahren gemeint. Der niedrige Brennwert der Gase sei weder im Wortlaut der KN noch in den Erläuterungen als charakteristisch aufgeführt.
13
Die Restgase seien auch nicht solche der Unterposition 3824 9099, da es sich hierbei um einen Auffangtatbestand auf der 5. Ebene der KN-Ordnung handele. Diese Warengruppe könne daher allenfalls einschlägig sein, wenn keine andere passende gefunden werden könne.
14
Die Restgase der Position 3825 seien keine Energieerzeugnisse im Sinne des EnergieStG, da der Auffangtatbestand des § 1 Abs. 3 EnergieStG i.V.m. § 1b Abs. 1 Nr. 4 der Energiesteuer-Durchführungsverordnung in der im Streitjahr anwendbaren Fassung (EnergieStV) nicht erfüllt sei, denn sie hätten einen durchschnittlichen Heizwert von weniger als 18 MJ/kg und seien nach umweltrechtlichen Vorgaben zu behandeln. Bei der Heizwertermittlung sei zu berücksichtigen, dass sich diese nur auf den Kohlenwasserstoffanteil beziehen dürfe, da nur solche Waren, die als Heizstoff verwendet werden, der Energiesteuer unterliegen sollen. Dementsprechend würden auch die Restgase aus der Produktionsanlage F mit insgesamt hohen Brennwerten aufgrund hoher Wasserstoffanteile bei Betrachtung des zutreffend ermittelten Heizwerts (allein auf die Kohlenwasserstoffe abstellend) nicht unter den Auffangtatbestand fallen. Bei den Restgasen aus der Anlage in D sei zu berücksichtigen, dass die Restgase aus der DWA und der Coldbox als Gemisch zur Unterfeuerung des Produktionsprozesses eingesetzt würden, so dass der Heizwert durch eine gewichtete Gesamtbetrachtung zu ermitteln sei. Der so ermittelte Heizwert liege bei … MJ/kg und damit unter 18 MJ/kg. Die Restgase, die nicht im Rahmen des Produktionsprozesses verwendet würden, würden in der Regel durch eine Fackel thermisch behandelt. Dies betreffe aber nur geringe Mengen, wenn die Produktion z. B. aufgrund von Wartungsarbeiten oder im Störungsfall nicht laufe und Restgas im Zusammenhang mit An- und Abfahrvorgängen der Produktion in der Fackel verheizt werden musste. Bei stark kohlenmonoxidhaltigen Restgasen bestehe umso mehr die immissionsschutzrechtliche Notwendigkeit der thermischen Behandlung.
15
Sollten die Restgase in Position 2705 einzureihen sein, sei jedenfalls die Verwendung nach § 28 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG von der Steuer befreit, da sie verheizt würden und die Einschränkung durch § 28 Satz 3 EnergieStG nicht anwendbar sei, da - bei zutreffender Auslegung - das streitgegenständliche Restgas nicht als aus Erdgas erzeugt gelte. Denn nach dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang (mit „Beimischen“) solle nur die gezielte direkte Herstellung aus Erdgas erfasst werden. Bei dem streitgegenständlichen Restgas handele es sich jedoch um ein Abfallprodukt, dessen Anfall so gering wie möglich gehalten werde. Bei historischer Betrachtung sei die Ausnahmeregelung des § 28 Satz 3 EnergieStG eng auszulegen.
16
Außerdem stehe der Klägerin die Steuerbefreiung nach § 26 Abs. 2 EnergieStG für das gesamte zur Unterfeuerung eingesetzte Restgas zu, da die Energiezufuhr sich prozesstechnisch nicht aufteilen lasse. Würde weniger Restgas zur Unterfeuerung verwendet, entstehe - bei gleichem Einsatz von externem Brennstoff - auch weniger Restgas. Was die Erforderlichkeit einer förmlichen Einzelerlaubnis angehe, dürfe diese nicht zur Versagung der zu gewährenden (obligatorischen) Steuerbefreiung führen, da die materiell-rechtlichen Voraussetzungen vorlägen.
17
Die Klägerin beantragt,
den Festsetzungsbescheid vom 21. Juli 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 18. April 2019 aufzuheben.
18
Der Beklagte beantragt,
19
Er macht geltend, bei den streitgegenständlichen Restgasen handele es sich um Waren i. S. des EnergieStG, da deren körperliche Bestimmtheit sich durch den Transport in Rohrleitungen ergebe und sie in ihrer Zusammensetzung einen Geldwert hätten, so dass sie grundsätzlich Gegenstand von Geschäften sein könnten. Dass ein Verkauf nicht wirtschaftlich sinnvoll und die Eigennutzung durch die Klägerin vorgezogen werde, sei unerheblich.
20
Die „energiearmen“ Restgase seien als „ähnliche Gase“ der Position 2705 zuzuordnen. Die Ähnlichkeit der Restgase zu den in Position 2705 genannten ergebe sich daraus, dass sie als Nebenprodukte beim Reformieren aus Erdgas im Beisein von Wasserdampf entstünden, einen den Schwachgasen vergleichbaren niedrigen Heizwert aufwiesen, die typischen Inhaltsstoffe Wasserstoff, Kohlenmonoxid, Methan und einen hohen Anteil an Inertgas (Kohlendioxid) enthielten und aufgrund ihres Energiegehalts zu Heizzwecken verwendet würden. Von Position 2705 erfasst würden auch Nebenprodukte. Die „energiereichen“ Restgase seien der Position 3824 9099 zuzuordnen. Hiervon würden nach den Erläuterungen auch „Nebenerzeugnisse“ erfasst, die keine chemisch einheitlichen Verbindungen seien. Eine Einreihung unter Position 3825 käme nicht in Betracht, da die streitgegenständlichen Restgase keine „Rückstände der chemischen Industrie“ seien. Insofern seien solche in den Erläuterungen zu der Position erschöpfend aufgezählt. Die Restgase seinen mit Rückständen bei der Verarbeitung eines Aluminiumerzes, wie der als Rückstand in den Erläuterungen aufgezählten Gasreinigungsmasse, nicht gleichzustellen. Außerdem sei eine Einreihung als Rückstand gegenüber der Einreihung in Position 2705 nachrangig. Es käme zwar „andere Abfälle der chemischen Industrie oder verwandter Industrien“ in Anmerkung 6 Buchst. d zu Kapitel 38 in Betracht, allerdings handele es sich vorliegend nicht um Abfall, sondern um Nebenprodukte eines Herstellungsverfahrens, da die Restgase nicht entsorgt, sondern anderweitig verwertet werden oder werden können. U.a. die Rückgewinnung von Wasserstoff oder Methan würden möglich scheinen und die Verwendung als Brennstoff sei sogar vorgesehen. Die Restgase seien in jedem Fall Energieerzeugnisse nach § 1 EnergieStG. Für die Restgase der Position 2705 ergebe sich das aus § 1 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG; für die Restgase der Unterposition 3824 9099 aus § 1 Abs. 2 Nr. 6 EnergieStG, da sie von der Klägerin als Heizstoff bestimmt seien und zur Unterfeuerung des Reformreaktors verwendet würden.
21
Der Ausschluss in § 1b Abs. 1 Nr. 4 EnergieStV erfasse nur Abfälle, die hier jedoch nicht vorlägen. Im Übrigen sei eine Aufspaltung oder anteilige steuerliche Betrachtung der nach der KN eingeordneten Restgase nicht hinsichtlich der Heizwertbestimmung vorgesehen, so dass der Heizwert nach § 1b Abs. 1 Nr. 4 EnergieStV nicht nur für den Kohlenwasserstoffanteil gelte.
22
Eine Steuerbefreiung für die Restgase der Position 2705 ergebe sich nicht nach § 28 EnergieStG, denn es habe der Handlungswille zur Erzeugung der Restgase aus Erdgas bestanden, da der Ablauf des Steamreforming-Verfahrens sowie die dabei erzeugten Haupt- und Nebenprodukte bekannt und gewollt gewesen seien.
23
Auch eine Steuerbefreiung nach § 26 EnergieStG könne nicht gewährt werden. Eine rückwirkende Erteilung der erforderlichen Erlaubnis sei in den einzelsteuerlichen Bestimmungen nicht vorgesehen und daher unzulässig. Sie könne allenfalls auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückbezogen werden, dies reiche aber nicht bis ins Streitjahr. Im Streitjahr habe außerdem alternativ auf Antrag eine vollständige Entlastung der zu den Zwecken des § 26 EnergieStG verwendeten Energieerzeugnisse nach § 47 Abs. 1 Nr. 4 EnergieStG gewährt werden können. Insofern verstoße das Erlaubniserfordernis der Steuerbefreiung nicht gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Im Übrigen sei eine vollumfängliche Steuerbefreiung nach § 26 EnergieStG für die Restgase ausgeschlossen, denn diese seien anteilig zur Erzeugung von Nicht-Energieerzeugnissen verwendet worden.
24
Es liegen spanische verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) ES BTI ESBTI2021SOL874 und ES BTI ESBTI2021SOL994 zu jeweils gasförmigen Nebenprodukten aus Produktionsprozessen, die als Brennstoff verwendet werden, vor. Diese wurden jeweils der Unterposition 3825 9090 zugeordnet. Auf den Inhalt der vZTA, die Übersetzung durch das HZA und der daraus abgeleiteten Zusammensetzung der Gasgemische (Schriftsatz vom 28. Juni 2022, Dok. Nr. 69) wird Bezug genommen.
25
Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten auf die eingereichten Schriftsätze, die vorgelegten Unterlagen und Akten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2022 verwiesen.
26
Die Klage ist unbegründet. Die bei der Klägerin entstehenden Restgase sind Energieerzeugnisse i. S. des EnergieStG, deren Verwendung nicht steuerfrei erfolgte.
27
1. Das EnergieStG ist auf die streitgegenständlichen Restgase grundsätzlich anwendbar. Dem steht nicht der Einwand der Klägerin entgegen, dass die Restgase keine im Wirtschaftsverkehr handelbaren Verbrauchsgüter darstellten.
28
Zwar setzen Verbrauchsteuern regelmäßig den Übergang des Verbrauchsgutes aus einem steuerlichen Nexus in den steuerlich nicht gebundenen allgemeinen Wirtschaftsverkehr voraus (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BverfG - vom 13. April 2017 - 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171, Rn. 131). Allerdings schließt dies im Einzelfall eine Besteuerung von „Produktionsmitteln“ nicht aus, wenn es sich um zumindest auch konsumtiv nutzbare Güter handelt bzw. diese im produktiven Bereich eingesetzt werden (BVerfG-Urteil vom 20. April 2004 - 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274-304, Rn. 68).
29
Im vorliegenden Fall werden die Restgase zur Wärmeproduktion im Rahmen des Produktionsprozesses der Klägerin eingesetzt und dort verbraucht. Aufgrund ihrer Nutzbarkeit zu Heizzwecken und ihrer zwischenzeitlichen Absonderung im Prozess in Leitungen wäre ein Verbrauch in einem prozessfremden Zusammenhang jedoch denkbar. Ob es hierfür einen Markt gäbe, ist für die Frage, ob die Restgase Gegenstand einer Verbrauchsteuer wie der Energiesteuer sein können, unerheblich.
30
2. Bei den an den Standorten A, B, C, D, E und F entstandenen „energiearmen“ Restgasen handelt es sich um Energieerzeugnisse nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG.
31
a) Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG sind Energieerzeugnisse im Sinne des EnergieStG Waren u.a. der Position 2705. Danach umfasst Position 2705 Steinkohlengas, Wassergas, Generatorgas, Schwachgas und ähnliche Gase, ausgenommen Erdgas und andere gasförmige Kohlenwasserstoffe.
32
aa) Die von der Klägerin produzierten Restgase fallen nicht unter die genannten Gase, da es sich nicht um aus Steinkohle gewonnenes Steinkohlegas, kein durch Einsatz von Wasserdampf erzeugtes Wassergas und auch kein Generatorgas handelt, da im Rahmen des Produktionsprozesses keine Luft eingeblasen wird.
33
bb) Ob es sich deshalb bei den „energiearmen“ Restgasen der Klägerin um „Schwachgase“ handelt, da dazu alle Gasgemische mit niedrigem Brennwert gehören, kann offenbleiben, denn in jedem Fall handelt es sich bei den energiearmen Restgasen um „ähnliche Gase“ im Sinne der Position 2705.
34
b) Das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der KN-Position und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Zudem kann der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er dieser Ware innewohnt, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen muss (Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - Vogel Import Export vom 15. April 2021 - C-62/20, ECLI:EU:C:2021:288, Rn. 33f, und KAHL, Roeper vom 28. Oktober 2021 - C-197/20 und C-216/20, ECLI:EU:C:2021:892, Rn. 31, jeweils m.w.N.).
35
Die von der Kommission zur KN ausgearbeiteten und die von der Weltzollorganisation zum Harmonisierten System (HS) erlassenen Erläuterungen tragen erheblich zur Auslegung der einzelnen Tarifpositionen bei, ohne jedoch rechtsverbindlich zu sein. Die Erläuterungen zur KN, die nicht die HS-Erläuterungen ersetzen, sind als deren Ergänzung zu betrachten und zusammen mit ihnen heranzuziehen. Somit stellen die Erläuterungen zum HS wichtige Hilfsmittel für die Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs dar und liefern als solche wertvolle Hinweise für dessen Auslegung (vgl. EuGH-Urteile Vogel Import Export ECLI:EU:C:2021:288, Rn. 31f, und KAHL, Roeper, ECLI:EU:C:2021:892, Rn. 32, jweils m.w.N.).
36
c) Zwar sind die energiearmen Restgase aufgrund ihrer Zusammensetzung und ihres höheren Heizwertes nicht unmittelbar vergleichbar mit dem bei der Eisenverarbeitung entstehenden Hochofengas, das als Beispiel für ein vergleichbares Gas in Randziffer 02.0 der Erläuterungen zum HS genannt wird. Die „energiearmen“ Restgase sind jedoch nach objektiven Merkmalen und Eigenschaften vergleichbar mit den in Position 2705 benannten Gasen.
37
aa) So ergibt sich die Ähnlichkeit dadurch, dass es sich bei allen Gasen um Stoffgemische mit den typischen Bestandteilen Wasserstoff, Kohlenmonoxid, Methan und einem hohen Anteil an Inertgas (Kohlendioxid) handelt.
38
Dass die Zusammensetzung der von Position 2705 erfassten Gase eine Rolle spielt, ergibt sich auch aus Randziffer 02.0 der Erläuterungen zum HS. Danach sind die erfassten Mischungen in der Zusammensetzung dem Steinkohlengas ähnlich. Und da auch Steinkohlengas eine komplexe Mischung aus Wasserstoff, Methan, Kohlenmonoxid usw. ist (Randziffer 01.0 der Erläuterungen zum HS), sind die „energiearmen“ Restgase nach der Zusammensetzung vergleichbar mit den unter Position 2705 genannten.
39
Dieses gilt auch bei einer historischen Betrachtung. So waren sowohl nach dem Deutschen Gebrauchszolltarif als auch dem Gemeinsamen Zolltarif zunächst unter Position 2705 nur Stadtgas, Ferngas, Wassergas, Generatorgas und ähnliche Gase genannt. Charakteristisch für die in Position 2705 erfassten Gase war ein verhältnismäßig geringer Gehalt an gasförmigen Kohlenwasserstoffen und zwar vorwiegend an Methan, sowie ein wesentlicher, im einzelnen wechselnder Gehalt an Luft, Stickstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlendioxid und ggfs. weiteren Gasen (Schädel/Langer/Gotterbarm, Mineralölsteuer und Mineralölzoll, 4. Aufl., S. 359).
40
bb) Außerdem ergibt sich eine Ähnlichkeit aus dem alle Gase auszeichnenden niedrigen Brennwert. So haben die in Position 2705 genannten Gase Brennwerte, die 18 MJ/kg nicht wesentlich übersteigen. Dies ist auch bei den streitgegenständlichen „energiearmen“ Restgasen der Fall.
41
aaa) Dafür, dass auf den Brennwert als Vergleichsmerkmal abzustellen ist, spricht der in Position 2705 genannte Begriff „Schwachgas“, der auch nach Auffassung der Klägerin kein klar bestimmbares Gasgemisch bezeichnet und somit zur Charakterisierung der umfassten Gase herangezogen werden kann.
42
bbb) Dafür sprechen auch die englische und die französische Sprachfassungen der KN, die bei der Auslegung heranzuziehen sind (vgl. EuGH-Urteile KAHL, Roeper, ECLI:EU:C:2021:892, Rn. 33, und I (Exonération de TVA des prestations hospitalières) vom 7. April 2022 - C-228/20, ECLI:EU:C:2022:275, Rn. 46f, m.w.N.).
43
Position 2705 lautet in der englischen Fassung: „Coal gas, water gas, producer gas, lean gas and similar gases (excl. petroleum gases and other gaseous hydrocarbons)“ und in der französischen Fassung: „Gaz de houille, gaz à l´eau, gaz pauvre et gaz simil. (à l´excl. des gaz de pétrole et autres hydrocarbures gazeux)“.
44
Dabei ist zu berücksichtigen, dass „lean gas“ kein konkretes Gasgemisch bezeichnet, sondern das Adjektiv lean in diesem Zusammenhang die Eigenschaft des Gases im Hinblick auf den Brennwert beschreibt. Gleiches gilt für die französische Begrifflichkeit des „gaz pauvre“. So wird zwischen gaz pauvre und gaz riche danach unterschieden, ob die erzeugbare Flamme eine hohe oder niedrigere Temperatur hat.
45
ccc) Auch eine historische Betrachtung der Position 2705 legt nahe, dass eine Zuordnung von Gasgemischen - insbesondere soweit es sich um Restgase aus der Verarbeitung von gasförmigen Kohlenwasserstoffen handelt - aufgrund des Energiegehalts erfolgen sollte.
46
Während zunächst das „Schwachgas“ in der Aufzählung von Gasen der Position 2705 fehlte, ergab sich aus den Erläuterungen zum Zolltarif (Ziff. 5), dass „Restgase“ aus der Verarbeitung von Mineralölen oder gasförmigen Kohlenwasserstoffen mit einem unteren Heizwert von nicht mehr als 7000 Wärmeeinheiten je m³ dazu gehören sollten, während „Restgase“ mit einem darüber liegenden Heizwert nicht dazu gehören sollten (Erläuterungen zum Zolltarif Tarifnummer 27.05 nach Schädel/Langer/Gotterbarm, Mineralölsteuer und Mineralölzoll, 4. Aufl., S. 358; vgl. auch Handbuch zur Mineralölsteuer, 2. Aufl. 1973 unter „Restgase“). Diese Grenze nach dem Heizwert galt nur für die sogenannten Restgase aus der Mineralölverarbeitung (Schädel/Langer/Gotterbarm, Mineralölsteuer und Mineralölzoll, 4. Aufl., S. 359).
47
Mit Aufnahme der „Schwachgase“ in Position 2705 wurden die Restgase aus der Verarbeitung von Mineralölen oder gasförmigen Kohlenwasserstoffen mit niedrigem Energiegehalt bezeichnet, die bereits zuvor unter die Position einzureihen waren.
48
cc) Soweit von der Klägerin angeführt wird, dass es sich historisch gesehen bei allen in Position 2705 genannten Gasen um solche aus der Kohleveredelung handelt und im vorliegenden Fall Erdgas als Ausgangsprodukt eingesetzt wird, ist dies für die Einreihung unerheblich, da insofern die Erläuterungen zum HS zu berücksichtigen sind, aus denen abzuleiten ist, dass auch Gase aus anderen Ausgangsprodukten - insbesondere Erdgas - erfasst werden sollen. Nach Randziffer 02.0 der Erläuterungen zum HS gehören zu der Position 2705 nämlich auch Gasmischungen, die aus Mineralölen oder Erdgasen durch Kracken oder Reformieren, in der Regel im Beisein von Wasserdampf, hergestellt werden.
49
d) Auch eine Vergleichbarkeit des Verwendungszwecks der Waren ist insofern gegeben, als die klägerischen Restgase zum Heizen eingesetzt werden und dieser Verwendungszweck einer der typischen Verwendungszwecke der in Position 2705 aufgezählten Gase ist (vgl. Randziffer 02.0 der Erläuterungen zum HS).
50
e) Dagegen ist es entgegen der Auffassung der Klägerin für die Einreihung unerheblich, ob die Restgase Zielprodukt, Nebenprodukt oder Abfallprodukt des Herstellungsprozesses sind, da der Prozess weder ein objektives Merkmal oder Eigenschaft der Ware, noch deren Verwendungszweck darstellt. Nur in Fällen, in denen die KN ausnahmsweise auf die Art und Weise der Herstellung einer Ware abstellt, kann es auf das Herstellungsverfahren einer Ware ankommen (EuGH-Urteil Jepsen Stahl vom 2. August 1993 - C-248/92, ECLI:EU:C:1993:347, Rn. 10). Ein solcher Ausnahmefall ist in Position 2705 nicht gegeben.
51
Im Übrigen spricht viel dafür, dass auch Nebenprodukte von Position 2705 erfasst werden, denn das in den Erläuterungen zum HS als Beispiel genannte Hochofengas ist ein Nebenprodukt der Metallverarbeitung. Ebenso ist bei einer historischen Betrachtung zu beachten, dass nach den Erläuterungen zum vormaligen Zolltarif ausdrücklich als „Restgase“ und damit als Abfallprodukte gekennzeichnete Gase hierunter fallen sollten und auch in der Literatur ausgeführt wurde, dass hierunter Gasgemische aus der Mineralölverarbeitung fallen sollten, die als Nebenprodukte von stark variierender Zusammensetzung nach Entzug oder Verlust von einzelnen oder mehreren Bestandteilen aus Verarbeitungsprozessen der Raffinerien und der petrochemischen Anlagen anfallen (Schädel/Langer/Gotterbarm, Mineralölsteuer und Mineralölzoll, 4. Aufl., S. 359).
52
f) Unabhängig davon, dass die energiearmen Restgase auch dem Wortlaut der Position 3825 als „anderer Abfall der chemischen Industrie oder verwandter Industrien“ oder der Position 3824 als „chemisches Erzeugnis der chemischen Industrie oder verwandter Industrien“ entsprechen können (vgl. dazu unten), ist die Einreihung nach der Allgemeinen Vorschrift für die Auslegung der KN (AV) 3 Buchst. a dahingehend vorzunehmen, dass die Einreihung in Position 2705 vorgeht.
AV 3 Buchst. a sieht vor, dass die Position mit der genaueren Warenbezeichnung den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vorgeht.
53
Die Warenbezeichnung der Position 2705 ist dadurch genauer, dass sie eine Anzahl von Gasen mit niedrigem Brennwert, die zu Heizzwecken genutzt werden, und aus Gemischen von Wasserstoff, Kohlenmonoxid, Methan und einem hohen Anteil an Inertgas bezeichnet. Dagegen ist die Warenbezeichnung der Position 3825 bzw. der Position 3824 weniger genau, insbesondere was die Zusammensetzung, Eigenschaften und Zweck der Waren angeht. Lediglich der „Herstellungsprozess“ wird insofern definiert.
54
3. Die „energiereichen“ Restgase stellen Energieerzeugnisse nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG dar.
55
a) Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG gelten als Energieerzeugnisse i. S. des Gesetzes auch andere als die in Absatz 2 genannten Waren, ganz oder teilweise aus Kohlenwasserstoffen, die zur Verwendung als Heizstoff bestimmt sind oder als solche zum Verkauf angeboten oder verwendet werden.
56
b) Unabhängig davon, ob und wie eine quantitative Grenze hinsichtlich des notwendigerweise erforderlichen Anteils an Kohlenwasserstoffen gezogen werden muss, damit es sich um Waren handelt, die teilweise aus Kohlenwasserstoffen i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG bestehen (vgl. zur Diskussion: Falkenberg in EnergieStG - eKommentar, Rn. 45; Milewski in Möhlenkamp/Milewski, § 1 EnegieStG, Rn. 21; Schröer-Schallenberg, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern - ZfZ - 2011, 253), reicht der Gehalt an Kohlenwasserstoffen der energiereichen Restgase der Klägerin hierfür aus. So enthält das in der Coldbox in D gewonnene Gas … % Methan und das in der Coldbox in F gewonnene Restgas … % Methan. Das in der DWA gewonnene Restgas aus F enthält zwar nur ca. … % Methan. Dieser Anteil hat jedoch noch ausreichend Relevanz für die Verwendung des Restgases als Heizstoff, soweit es hierauf ankommt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Juli 1988 - VII R 8/85, BFHE 154, 295, Rn. 7).
57
c) Bei den vorliegenden „energiereichen“ Restgasen handelt es sich nicht um in § 1 Abs. 2 EnergieStG genannte Waren.
58
aa) So fallen sie nicht unter Waren der Position 2705, die von § 1 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG erfasst werden, da es sich nicht um Steinkohlengas, Wassergas oder Generatorgas handelt (vgl. oben). Es handelt sich auch nicht um Schwachgase oder ähnliche Gase, da der Energiegehalt der Restgase jeweils weit über 18 MJ/kg liegt.
59
bb) Auch Waren nach § 1 Abs. 2 Nr. 6 EnergieStG liegen - entgegen der Auffassung des HZA - nicht vor. Darunter fallen Waren der Unterposition 3824 90 99, die dazu bestimmt sind, als Kraft- oder Heizstoff verwendet zu werden. Position 3824 erfasst u.a. chemische Erzeugnisse und Zubereitungen der chemischen Industrie oder verwandter Industrien (einschließlich Mischungen von Naturprodukten), anderweit weder genannt noch inbegriffen.
60
Eine Einreihung unter diese Auffangposition scheidet aber aus, da die energiereichen Restgase nach Ansicht des Senats unter Position 3825 als „anderer Abfall“ fallen.
61
aaa) Position 3825 umfasst Rückstände der chemischen Industrie oder verwandter Industrien, anderweit weder genannt noch inbegriffen; Siedlungsabfälle; Klärschlamm; andere in Anmerkung 6 zu diesem Kapitel genannte Abfälle. Unterposition 3825 61 erfasst andere Abfälle der chemischen Industrie oder verwandter Industrien und Unterposition 3825 90 „andere“. Anmerkung 6 zu Kapitel 38 zählt auf, was als „andere Abfälle“ im Sinne der Position 3825 gilt. Dazu gehören nach Buchst. d auch andere Abfälle der chemischen Industrie oder verwandter Industrien (vgl. auch Erläuterungen zum HS unter 19.0). Insofern wird zwischen Rückständen, die nur dann unter Position 3825 fallen, wenn sie anderweitig nicht genannt sind, und Abfällen unterschieden.
62
bbb) Unter „Abfall“ sind nach allgemeinem Sprachverständnis unbrauchbare Überreste zu verstehen, die bei der Herstellung, Bearbeitung oder Zubereitung von etwas entstehen. Davon zu unterscheiden ist ein aus Abfällen hergestelltes neues Erzeugnis, also ein Abfallverwertungsprodukt. Dementsprechend kann ein aus Abfällen im Wege des Recyclings gewonnenes neues Produkt seinerseits nicht mehr als Abfall angesehen werden (vgl. BFH-Urteil vom 15. November 2005 - VII R 66/04, BFH/NV 2006, 637, Rn. 11; BFH-Beschluss vom 10. Juni 2020 - V R 6/18, BStBl II 2021, 890, Rn. 26).
63
Bei den Restgasen handelt es sich um Überreste aus der Produktion von Wasserstoff bzw. Kohlenmonoxid, denn Zielprodukt des chemischen Prozesses der Klägerin sind nicht die Restgase, deren Entstehung aber nicht verhindert werden kann. Eine Aufbereitung der Restgase in der Form, dass ein neues Produkt entstünde, erfolgt nicht. Der Einordnung der Restgase als „Abfall“ steht nicht entgegen, dass sie insofern „brauchbar“ sind, als sie noch Heizzwecken dienen (können). Denn ein so verstandener Abfallbegriff würde § 1b Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 EnergieStV entgegenstehen, da dort gerade für Abfälle, denen ein - wenn auch geringer - Heizwert zukommt, Regelungen getroffen werden.
64
d) Die Restgase sind sowohl zur Verwendung als Heizstoff bestimmt als auch als solche verwendet worden.
65
aa) Nach § 1a Abs. 1 Nr. 12 EnergieStG ist Verheizen i. S. des Gesetzes das Verbrennen von Energieerzeugnissen zur Erzeugung von Wärme. Bezüglich dieses Kriteriums kommt es - anders als nach der Auffassung der Klägerin - nicht darauf an, wann die Entscheidung zur Verwendung als Heizstoff getroffen wird oder ob die Restgase entstanden, ohne dass es auf deren anschließende Verwendung als Heizstoff ankam. Maßgeblich ist allein, dass die Energieerzeugnisse zur Erzeugung von Prozesswärme eingesetzt wurden (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 2019 - VII R 13/18, BFHE 264, 550, Rn. 14). Es genügt, dass die Wärme gewollt herbeigeführt wurde, wovon auszugehen ist, wenn die Wärme - wie hier - zur Erzeugung der Produktionswärme im Rahmen des Steamreforming-Verfahrens genutzt wird (vgl. Milewski in Möhlenkamp/Milewski, § 1a EnegieStG, Rn. 43).
66
bb) Eine Verwendung zum Verheizen i. S. des Gesetzes ist auch nicht nach § 1b Abs. 2 EnergieStV ausgeschlossen. Danach liegt eine solche nicht vor, wenn das Energieerzeugnis ausschließlich zur Beseitigung seines Schadstoffpotenzials oder aus Sicherheitsgründen verbrannt wird, oder wenn Energieerzeugnisse ausschließlich aus Sicherheitsgründen zum Betrieb von Zünd- oder Lockflammen verwendet werden.
67
Zwar müssen die Restgase verbrannt werden, um immissionsschutzrechtlichen Auflagen zu genügen (was bei Stillstand der Produktion durch Abfackelung geschieht), jedoch dient die Verbrennung lediglich beim Abfackeln ausschließlich der Beseitigung des Schadstoffpotenzials. Hierbei handelt es sich um vernachlässigbare Mengen und Zeiten. Ganz überwiegend werden die Restgase verbrannt, um hierbei auch Wärme zu erzeugen, so dass § 1b Abs. 2 EnergieStV nicht erfüllt ist.
68
e) Ein Ausschluss der Restgase nach § 1b Abs. 1 Nr. 4 EnergieStV liegt nicht vor.
69
aa) Nach § 1b Abs. 1 Nr. 4 EnergieStV gelten nicht als andere Waren im Sinn des § 1 Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG gasförmige Abfälle der Positionen 3824 und 3825, die im Durchschnitt einen Heizwert von höchstens 18 MJ/kg haben und nach umweltrechtlichen Vorschriften behandelt werden müssen.
70
bb) Die energiereichen Restgase der Klägerin haben einen Heizwert von mehr als 18 MJ/kg, so dass der Ausschluss nach § 1b Abs. 1 Nr. 4 EnergieStV nicht anwendbar ist.
71
cc) Für eine Heizwertermittlung unter Berücksichtigung allein der kohlenwasserstoffhaltigen Bestandteile der Restgase - wie von der Klägerin vertreten - finden sich in der Verordnung keine Anhaltspunkte. Vielmehr sind die Regelungen des § 1b Abs. 1 Nr. 4 EnergieStV, die vorsehen, dass die Ermittlung des durchschnittlichen Heizwerts monatlich je Verbrennungslinie oder rechnerisch auf der Grundlage von Analysen repräsentativer, durch mengenproportionale Probeentnahme gewonnener Sammelproben erfolgen soll, darauf ausgerichtet, bei unterschiedlich zusammengesetzten Abfallmischungen einen Heizwert zu ermitteln. Eine Herausrechnung des auf die Kohlenwasserstoffe in den Abfällen entfallenen Heizwerts steht diesen Ermittlungsmethoden entgegen. Dafür spricht auch, dass die Herausnahme bestimmter Abfälle aus dem Anwendungsbereich des EnergieStG die jeweilige Ware in ihrer Gesamtheit betrifft, denn auch wenn diese nur teilweise aus Kohlenwasserstoffen besteht, stellt doch nach § 1 Abs. 3 EnergieStG das Gemisch insgesamt ein Energieerzeugnis dar (vgl. Milewski in Möhlenkamp/Milewski, § 1 EnegieStG, Rn. 22).
72
dd) Auch eine gewichtete Heizwertberechnung unter Einbeziehung der gleichzeitig zur Unterfeuerung mit genutzten energiearmen Gase - wie in D - ist nicht vorzunehmen.
73
Zwar wird insofern ein Gasgemisch verwendet, das - möglicherweise - im Rahmen einer Gesamtbetrachtung einen Heizwert unter 18 MJ/kg hat, jedoch würde eine solche Heizwertberechnung voraussetzen, dass das zur Unterfeuerung genutzte Gasgemisch als eigenständiges Energieerzeugnis i.S. des § 1 Abs. 3 EnergieStG anzusehen wäre. Denn nur für diese Energieerzeugnisse gilt der Ausschluss nach § 1b EnergieStV. Unabhängig davon, ob eine solche Behandlung als eigenständiges „Restgasgemisch“ allein aufgrund der gleichzeitigen Verwendung zum Heizen gerechtfertigt wäre, würde dieses Restgasgemisch objektive Eigenschaften - insbesondere einen niedrigen Brenn- und Heizwert - aufweisen, die eine Einreihung in Position 2705 als „ähnliches Gas“ nach sich ziehen würde. Als solches wäre es jedoch bereits nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG ein Energieerzeugnis und der Ausschluss nach § 1b EnergieStV nicht anwendbar.
74
Bei gesonderter Betrachtung der eingesetzten Restgase wäre im Rahmen der Heizwertermittlung das energiearme Restgas unberücksichtigt zu lassen. Denn dieses ist als „ähnliches Gas“ der Position 2705 nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG ein Energieerzeugnis und kann aufgrund des § 1b EnergieStV vom Anwendungsbereich des EnergieStG nicht ausgeschlossen werden (vgl. Milewski in Möhlenkamp/Milewski, § 1 EnegieStG, Rn. 34). Dafür spricht nicht zuletzt, dass sonst das „Verdünnen“ mit Energieerzeugnissen nach § 1 Abs. 2 EnergieStG mit niedrigem Heizwert die Folge hätte, dass Waren, die die Voraussetzungen nach Abs. 3 erfüllen, nicht mehr vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst würden.
75
Dementsprechend ist bei Prüfung des Ausschlusstatbestands auch in Bezug auf die Restgase aus der Coldbox in D maßgeblich, dass diese (gesondert) einen Heizwert von … MJ/kg haben.
76
f) Damit stellen auch die „energiereichen“ Restgase Energieerzeugnisse i.S. des EnergieStG dar. Dies würde selbst dann gelten, wenn man die Restgase - anders als der Senat - nicht als Abfall einordnen würde, denn in diesem Fall würde die Qualifikation als „chemische Erzeugnisse und Zubereitungen der chemischen Industrie oder verwandter Industrien“ „andere“ der Unterposition 3824 90 99 zu einer Erfassung als Energieerzeugnis nach § 1 Abs. 2 Nr. 6 EnergieStG führen.
77
aa) Nach den Erläuterungen zum HS (Allgemeines 01.0) gehören zu dem Kapitel 38 eine beträchtliche Anzahl von Erzeugnissen aus dem Bereich der chemischen Industrie oder verwandter Industrien. Entsprechend den Erläuterungen der HS zu Position 3824 Randziffer 08.0 sind die hierzu gehörenden chemischen Erzeugnisse keine chemisch einheitlichen Verbindungen. Sie können als Nebenerzeugnis bei der Herstellung anderer Stoffe anfallen, wie die Naphthensäuren, oder auch als Haupterzeugnisse gewonnen sein.
78
bb) Diesen objektiven Kriterien genügen die Restgase, die Erzeugnisse der chemischen Erzeugung von Kohlenmonoxid und Wasserstoff durch das Steamreforming-Verfahren sind. Dass der Prozess nicht auf das Erzeugen der Restgase als Zielprodukt abzielt, spielt aufgrund der Auslegungshinweise in Form der Erläuterungen keine Rolle, da auch Nebenprodukte von der Position erfasst werden.
79
cc) Da die Restgase dazu bestimmt sind, als Heizstoff verwendet zu werden (vgl. oben) und ein Ausschluss der Restgase nach § 1b Abs. 1 Nr. 4 EnergieStV nicht in Betracht kommt, da § 1b EnergieStV nur auf Energieerzeugnisse nach § 1 Abs. 3 EnergieStG anwendbar ist, steht einer Erfassung unter 1 Abs. 2 Nr. 6 EnergieStG - bei enger Auslegung des Abfallbegriffs - nichts entgegen.
80
Im Ergebnis würde eine solche Auslegung somit lediglich zu unterschiedlichen Steuerentstehungszeitpunkten (bei Einreihung unter Position 3824 90 99 nach § 9 Abs. 1 EnergieStG mit Herstellung) führen, die im vorliegenden Fall jedoch nicht entscheidungserheblich sind.
81
4. Die Steuer ist mit Verwendung der Restgase als Heizstoff im Steamreforming-Verfahren nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG im festgesetzten Umfang entstanden. Zwar entsteht die Steuer nicht, wenn die Voraussetzungen eines Verfahrens der Steuerbefreiung vorliegen (§ 23 Abs. 1 Satz 3 EnergieStG), dies war jedoch weder nach § 26 EnergieStG noch nach § 28 EnergieStG der Fall.
82
5. Die Voraussetzungen eines Verfahrens der Steuerbefreiung nach § 26 EnergieStG lagen für Restgase im Umfang von … MWh zwar materiell vor, jedoch fehlt es an der Verwendererlaubnis.
83
a) Auf dem Betriebsgelände eines Betriebes, der Energieerzeugnisse herstellt und nicht von Absatz 1 erfasst wird, dürfen gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 EnergieStG auf dem Betriebsgelände hergestellte Energieerzeugnisse vom Inhaber des Betriebes steuerfrei zur Aufrechterhaltung des Betriebes verwendet werden.
84
Die auf den Betriebsgeländen der Klägerin hergestellten Restgase stellen Energieerzeugnisse i. S. des § 1 EnergieStG dar (vgl. oben) und wurden durch ihren Einsatz als Heizstoff im Rahmen des Steamreforming-Verfahrens unstreitig zur Aufrechterhaltung des Betriebes verwendet. Allerdings sind die Restgase nur anteilig steuerbefreit.
85
aa) Nach Art. 21 Abs. 3 Satz 3 RL 2003/96/EG ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, eine Steuerbegünstigung auch für solche Energieerzeugnisse zu gewähren, deren Verwendung nicht mit dem eigentlichen Herstellungsprozess zusammenhängt. Demensprechend ist die Begünstigungsnorm restriktiv auszulegen, so dass die Steuerbefreiung nur für die Herstellung von Energieerzeugnissen in Anspruch genommen werden kann (BFH-Urteil vom 19. März 2019 - VII R 13/18, BFHE 264, 550, Rn. 16, 18, m.w.N.). Eine vollumfängliche Begünstigung der eingesetzten Energieerzeugnisse bei einer gemischten Produktion wie hier (Herstellung von Energieerzeugnissen in Form der Restgase und anderen Waren: Wasserstoff und Kohlenmonoxid) würde nämlich gegen Unionsrecht verstoßen (vgl. auch Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski, EnergieStG/StromStG, § 26 EnergieStG, Rn. 14). Da es somit nicht lediglich auf den Einsatz eines Energieerzeugnisses als Kriterium für die Gewährung der Steuerbefreiung ankommt, kann auf eine Quotenermittlung nicht verzichtet werden (vgl. BFH-Urteil vom 29. Oktober 2013 - VII R 26/12, BFHE 242, 454, Rn. 9; Pohl in EnergieStG - eKommentar, § 26, Rn. 10). Anderenfalls könnte durch eine verhältnismäßig geringe Produktion von Energieerzeugnissen eine Steuerbegünstigung auch für die Herstellung anderer Produkte erlangt werden (BFH-Urteil vom 19. März 2019 - VII R 13/18, BFHE 264, 550, Rn. 18).
86
Dementsprechend kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht darauf an, dass bei Verwendung von weniger Restgas zur Unterfeuerung - bei gleichem Einsatz von externem Brennstoff - auch weniger Restgas entsteht.
87
bb) Im vorliegenden Fall wurden von den insgesamt … MWh Restgas, die zur Unterfeuerung verwendet wurden, ein Anteil von … MWh zur Herstellung von Energieerzeugnissen (Restgas) in 2016 verwendet, während der Rest auf die Erzeugung von Wasserstoff und Kohlenmonoxid und damit auf die Erzeugung von Energieerzeugnissen i. S. des EnergieStG entfiel. Damit liegen nur für Restgase im Umfang von … MWh die materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 26 EnergieStG vor.
88
b) Der Steuerbefreiung steht jedoch entgegen, dass die Klägerin keine Erlaubnis als Verwender hatte.
89
aa) Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 EnergieStG bedarf der Erlaubnis als Verwender, wer Energieerzeugnisse steuerfrei in den Fällen der §§ 25 bis 29 EnergieStG verwenden will. Diese wird gemäß § 24 Abs. 5 EnergieStG auf Antrag Personen erteilt, gegen deren steuerliche Zuverlässigkeit - wie bei der Klägerin - keine Bedenken bestehen und soweit die materiellen Voraussetzungen der begehrten Steuerbefreiung vorliegen.
90
bb) Nach der Rechtsprechung des BFH kommt einer Erlaubnis nach § 24 EnergieStG eine konstitutive Wirkung zu. Das Fehlen einer Erlaubnis führt zum Ausschluss der Steuerbegünstigung, auch wenn das Energieerzeugnis zu begünstigten Zwecken verwendet worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 5. Mai 2015 - VII R 58/13, BFH/NV 2015, 1234, Rn. 26, und vom 31. Juli 1990 - VII R 3/89, BFH/NV 1991, 487, Rn. 9; BFH-Beschlüsse vom 26. Oktober 2011 - VII R 64/10, BFH/NV 2012, 71, Rn. 11, und vom 8. März 2004 - VII B 150/03, BFH/NV 2004, 981, Rn. 8). Dementsprechend kann eine Erlaubnis nicht rückwirkend erteilt werden. Allerdings ist eine Erteilung zum Zeitpunkt der Antragstellung möglich (zur Erlaubnis nach § 139 des Branntweinmonopolgesetzes: BFH-Urteil vom 23. Mai 2000 - VII R 78/99, BFHE 191, 473, Rn. 12).
91
cc) Der Klägerin wurde bisher keine Erlaubnis für die steuerfreie Verwendung im Streitjahr erteilt. Da sie den Antrag auf Erlaubnis auch erst mit Schreiben vom 19. September 2017 gestellt hat, ist nach der bestehenden Rechtsprechung die Erlaubnis - weder teilweise noch vollumfänglich - rückwirkend zu erteilen.
92
dd) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Insbesondere führt dieser im Ergebnis nicht dazu, dass auf eine Erlaubnis nach § 24 Abs. 2 EnergieStG gänzlich verzichtet, oder diese - aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung - rückwirkend über den Zeitpunkt der Antragstellung hinaus erteilt werden könnte.
93
aaa) Zwar setzt § 26 Abs. 2 EnergieStG die nach Art. 21 Abs. 3 Satz 3 RL 2003/96/EG obligatorische Steuerbefreiung um, so dass grundsätzlich zu beachten ist, dass zwar die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Wahl der Maßnahmen zur Sicherstellung der genauen Erhebung der Steuern und der Vermeidung von Steuerhinterziehung einen weiten Gestaltungsspielraum haben, sie jedoch bei der Ausübung ihrer Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten müssen, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören.
94
So verstößt es gegen Unionsrecht, wenn die Verletzung nationaler formeller Anforderungen dadurch sanktioniert wird, dass eine obligatorische Steuerbegünstigung verweigert wird. Denn die nationalen Regelungen dürfen nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um eine korrekte und einfache Anwendung solcher Befreiungen sicherzustellen und Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Missbrauch zu verhindern (EuGH-Urteile Petrotel-Lukoil vom 7. November 2019 - C-68/18, ECLI:EU:C:2019:933, Rn. 53 ff; Turbogas vom 27. Juni 2018 - C-90/17, ECLI:EU:C:2018:498, Rn. 43 f; Vakarų Baltijos laivų statykla vom 13. Juli 2017 - C-151/16, ECLI:EU:C:2017:537, Rn. 45 ff, und Polihim-SS vom 2. Juni 2016 - C-355/14, ECLI:EU:C:2016:403, Rz 59 ff; BFH-Urteil vom 19. Oktober 2021 - VII R 26/20, BFHE 274, 380, Rn. 27 f; BFH-Beschluss vom 8. Juni 2021 - VII R 44/19, BFHE 272, 568, Rn. 27 f).
95
bbb) Bei der fehlenden Erlaubnis nach § 24 Abs. 2 i.V. mit § 26 EnergieStG handelt es sich um ein formelles Erfordernis (vgl. so wohl auch FG Hamburg, Urteil vom 22. Juni 2020 - 4 K 144/17, juris, Rn. 89, nicht rkr.; zur BranntwSt: FG Düsseldorf, Urteil vom 18. Mai 2022 - 4 K 892/21 VBr, ZfZ 2022, 252, Rn. 26, nicht rkr; zur StromSt: FG Hamburg, Urteil vom 21. September 2021 - 4 K 19/20, ZfZ 2022, 111, Rn. 59, nicht rkr., und FG Hamburg, Urteil vom 20. November 2018 - 4 K 168/16, StEW 2018, Heft IV, 11, Rn. 47 f, jeweils m.w.N.).
96
ccc) Nach Auffassung des Senats stünde einer Unionsrechtswidrigkeit der Versagung der Befreiung trotz Vorliegens der materiellen Befreiungsvoraussetzungen auch nicht entgegen, dass die Klägerin möglicherweise einen Entlastungsanspruch nach § 47 EnergieStG geltend machen kann (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 8. Januar 2020 - 4 K 3223/18 VSt, juris, Rn. 32, nicht rkr.).
97
Zwar steht es gemäß Art. 6 RL 2003/96 den Mitgliedstaaten frei, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen entweder direkt zu gewähren oder indem sie die entrichteten Steuern vollständig oder teilweise erstatten. Diese grundsätzlich gewährte Wahlmöglichkeit des Begünstigungsmechanismus rechtfertigt es jedoch nicht, den jeweils Begünstigten auf eine nachgelagerte Entlastungsmöglichkeit (mit ggfs. anderen formellen Voraussetzungen) zu verweisen, wenn eine direkte Begünstigung vorgesehen ist und deren materielle Voraussetzungen erfüllt sind (a.A. wohl FG Hamburg, Urteil vom 22. Juni 2020 - 4 K 144/17, juris, Rn. 91, nicht rkr.; FG Hamburg, Urteil vom 21. September 2021 - 4 K 19/20, ZfZ 2022, 111, Rn. 59, nicht rkr.; Falkenberg, ZfZ 2020, 322; vgl. auch Friedenhagen, ZfZ 2020, 287; Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski, EnergieStG/StromStG, § 9 StromStG, Rn. 53).
98
ddd) Allerdings widerspräche eine erlaubnisfreie Verwendung den Grundwertungen des Energiesteuerrechts soweit eine Steuerbefreiung in Anspruch genommen werden soll, so dass - unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch ersichtlich sind - ein Festhalten am Erlaubnisvorbehalt nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot verstößt (vgl. auch zur erlaubniswidrigen Abgabe von vergälltem Branntwein: BFH-Urteil vom 27. Februar 2019 - VII R 34/17, BFHE 264, 563, Rn. 25).
99
So dient die Erlaubnis als Maßnahme der Steueraufsicht der Überwachung des begünstigten Personenkreises. Durch den Antrag auf Erteilung einer förmlichen Verwender- oder Verteilererlaubnis erlangen die Finanzbehörden Kenntnis von denjenigen Wirtschaftsbeteiligten, die den Umgang mit unversteuerten Energieerzeugnissen begehren. Zugleich erhalten sie Gelegenheit, deren steuerliche Zuverlässigkeit zu überprüfen, die nach § 24 Abs. 5 Satz 1 EnergieStG unabdingbare Voraussetzung für die Erlaubniserteilung ist. Mit der Erteilung der Erlaubnis ist die Erwartung verbunden, der Erlaubnisinhaber werde von ihr in einer ihrem Regelungsgehalt entsprechenden Weise Gebrauch machen (BFH-Urteil vom 14. Mai 2013 - VII R 39/11, BFHE 242, 447, Rn. 8). Außerdem haben sowohl die Verwaltung als auch der Verwender ein berechtigtes Interesse, bereits vor dem Einsatz des Energieerzeugnisses verbindlich zu klären, ob die Voraussetzungen für eine steuerbegünstigte Verwendung überhaupt vorliegen. Dem dient die Erlaubnis (vgl. BFH-Beschluss vom 8. März 2004 - VII B 150/03, BFH/NV 2004, 981, Rn. 8).
100
Konkret könnte im Fall des § 26 EnergieStG ohne vorherige Erlaubnis nicht durch die Zollbehörden zeitgleich zur begünstigten Verwendung geprüft und überwacht werden, in welchem Umfang Energieerzeugnisse wiederum zur Herstellung von Energieerzeugnissen verwendet werden und damit in welchem Umfang eine begünstigte Verwendung vorliegt.
101
Insofern liegt der Fall anders als der der Entscheidung des EuGH Vakarų Baltijos laivų statykla (vom 13. Juli 2017 - C-151/16, ECLI:EU:C:2017:537, Rn. 47) zu Grunde liegende Fall, in dem entschieden wurde, dass es der Lizenz als Kraftstofflieferant nicht bedurfte. Während nämlich der EuGH dieses formelle Erfordernis deswegen für abdingbar hielt, weil es das Recht auf die Befreiung von der Erfüllung formeller Voraussetzungen abhängig mache, die nichts mit der tatsächlichen Verwendung der betreffenden Energieerzeugnisse zu tun hatten, ermöglicht hier erst der Erlaubnisantrag für eine Steuerbefreiung nach § 26 EnergieStG der Zollbehörde im Rahmen des Herstellungsprozess zu überprüfen, in welchem Umfang selbst hergestellte Energieerzeugnisse im Zusammenhang mit der weiteren Herstellung von Energieerzeugnissen verwendet werden.
102
Dass im vorliegenden Fall eine Mengenabgrenzung auch noch nachträglich möglich war, da der Produktionsprozess in den nachfolgenden Jahren vergleichbar war bzw. ausreichend Daten zur Produktion erhoben wurden, die auch eine nachträgliche Beurteilung zulassen, steht dem grundsätzlichen Erfordernis einer Kontrollmöglichkeit dadurch, dass rechtzeitig eine Erlaubnis beantragt wurde, nicht entgegen.
103
ee) Obwohl das Rechtsbehelfsverfahren bezüglich der - auch für das Streitjahr - beantragten Erlaubnis noch nicht abgeschlossen ist, bedarf es keiner Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO), denn die Erteilung der Erlaubnis nach § 24 EnergieStG stellt zwar einen eigenständigen Verwaltungsakt dar, es handelt sich jedoch nicht um einen Grundlagenbescheid. Auch andere Gründe, warum der Abschluss des Rechtsstreits über die bisher verweigerte Erlaubnis für das Streitjahr sinnvollerweise abgewartet werden sollte, sind nicht erkennbar; zumal die Beteiligten diesen Streit im Hinblick auf das vorliegende Verfahren ruhen lassen.
104
6. Bezüglich eines Steuerbefreiungsverfahrens nach § 28 EnergieStG bedarf es zwar nach § 55 i.V.m. Anlage 1 Nr. 5 EnergieStV keiner Einzelerlaubnis, aber die materiellen Steuerbefreiungsvoraussetzungen liegen nicht vor.
105
a) Nach § 28 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG dürfen Energieerzeugnisse der Position 2705 u.a. zum Verheizen steuerfrei verwendet werden. Dies gilt nach § 28 Satz 3 EnergieStG nicht, soweit die Energieerzeugnisse aus Waren der Positionen 2710 oder 2711 erzeugt worden sind.
106
b) Die energiearmen Restgase, die der Position 2705 zuzuordnen sind und verheizt werden, wurden aus Erdgas, das der Position 2711 zuzuordnen ist, im Steamreforming-Verfahren erzeugt.
107
c) Dem Einwand der Klägerin, nur die gewollte und gezielte direkte Herstellung aus Erdgas solle erfasst werden, während es sich im Streitfall um ein Abfallprodukt handele, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr stellt § 28 EnergieStG darauf ab, was Ausgangsstoff des Energieerzeugnisses ist. Handelt es sich um originäre Gase, sind diese begünstigt. Handelt es sich dagegen um Erdgas, das technisch oder chemisch umgewandelt wird, soll eine Begünstigung nicht vorliegen, wenn das Endprodukt zu Position 2705 gehört. Dies gilt auch für Nebenprodukte (vgl. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 28 EnergieStG Rn. 21).
108
Eine historische Betrachtung führt zu keinem anderen Ergebnis.
109
Zwar bestand für Deutschland gemäß Art. 18 Abs. 1 i.V.m. Anhang II Nr. 3 RL 2003/96/EG eine Ausnahmeregelung, wonach gasförmige Kohlenwasserstoffe, die als Abfallgase angefallen sind, steuerfrei als Heizstoff verwendet werden konnten. Die Geltungsdauer der Ermächtigung ist aber bereits am 21. Dezember 2006 abgelaufen und eine Verlängerung nicht erfolgt. Dementsprechend wurde die Steuerbefreiung für Abfallgase mit Änderung des § 28 EnergieStG aufgehoben (Schöer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 28 EnergieStG Rn. 16). Auch befreite zwar § 28 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG in der Fassung bis zum 31. März 2011 gasförmige Kohlenwasserstoffe aus Abfällen und solche, die aus Gründen der Luftreinhaltung und aus Sicherheitsgründen bei Verfahren der chemischen Industrie aufgefangen werden. Ausgenommen waren aber solche, die bei der Herstellung von Energieerzeugnissen aufgefangen werden. Um letztere handelt es sich bei den hier hergestellten Restgasen.
110
Der Ausschluss der aus Erdgas hergestellten Gase nach § 28 Satz 3 EnergieStG bestand außerdem unabhängig von der Begünstigung bestimmter Abfälle in allen Fassungen. Denn mit Aufnahme der Befreiungsmöglichkeit sollte lediglich ermöglicht werden, in der Roheisen- und Stahlindustrie anfallende Kuppelgase (und damit „Restgase“, die nicht aus Erdgas erzeugt werden) zu begünstigen (vgl. Jatzke in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStRL Rn. 62).
111
d) Diesem Ergebnis steht das Unionsrecht nicht entgegen. Denn gem. Art. 15 Abs. 1
112
Buchst. l RL 2003/96/EG können die Mitgliedstaaten uneingeschränkte oder eingeschränkte Steuerbefreiungen oder Steuerermäßigungen gewähren für Erzeugnisse des KN-Codes 2705, die zu Heizzwecken verwendet werden. Mithin handelt es sich um eine fakultative und keine zwingende Steuerbefreiung, die von den Mitgliedstaaten eingeschränkt ausgestaltet werden kann, wie dies durch § 28 Satz 3 EnergieStG erfolgt ist.
113
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
114
8. Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).