Inhalt

VGH München, Beschluss v. 01.12.2022 – 10 CE 22.2378, 10 C 22.2379
Titel:

unbegründete Beschwerde gegen Versagung einer Duldung

Normenketten:
VwGO § 54 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
AufenthG § 5 Abs. 2 Nr. 1, § 25a Abs. 1, § 60a Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn der um gerichtlichen Rechtsschutz Nachsuchende seine Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht verbessern kann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb als für ihn nutzlos erscheinen muss. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verbundene Beschwerden, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Duldung, Verfahrensduldung, Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Hängebeschluss, Ablehnungsgesuch
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 10.11.2022 – Au 6 E 22.2118
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38923

Tenor

I. Die Verfahren 10 CE 22.2378 und 10 C 22.2379 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller hat die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CE 22.2378 wird auf 1.250,-- Euro festgesetzt.
V. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren 10 CE 22.2378 - unter Beiordnung von Rechtsanwältin F. T., B. …, … H. − wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, ein bestandskräftig abgelehnter Asylantragsteller türkischer Nationalität, verfolgt mit seinen Beschwerden gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. November 2022 seine Anträge weiter gerichtet auf Erteilung einer einstweiligen Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 VwGO sowie einer einstweiligen Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 VwGO in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bis zur Entscheidung über die gestellten Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (10 CE 22.2378) und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren (10 C 22.2379). Darüber hinaus beantragt er den Erlass eines Hängebeschlusses und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.
2
Der am ... 2004 geborene Antragsteller reiste am 15. Juni 2018 zusammen mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder aufgrund eines bis zum 19. Juni 2018 gültigen Visums in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 7. August 2018 beantragten sämtliche Mitglieder der Familie Asyl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte die Asylanträge mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. September 2018 ab, forderte den Antragsteller sowie die übrigen Mitglieder der Familie auf, innerhalb von dreißig Tagen nach unanfechtbarem Abschluss der Asylverfahren die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, und drohte bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung an.
3
Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2021 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise einer Duldung. Vom 5. Juli 2021 bis zum 31. Oktober 2022 verfügte er über eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
4
Sein am 13. September 2021 gestellter isolierter Prozesskostenhilfeantrag für eine beabsichtigte Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ihn und die übrigen Familienmitglieder, hilfsweise auf Verpflichtung des Antragsgegners, über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 31. Mai 2021 zu entscheiden, sowie für einen Eilantrag gerichtet auf die Erteilung von einstweiligen Duldungen und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage blieb erfolgslos (vgl. Au 6 K 21.1838 u. Au 6 S 21.1839 sowie 10 C 21.2544, 10 CE 21.2735 u.10 C 21.2736).
5
Die am 8. Oktober 2021 erhobene Klage des Antragstellers auf Verpflichtung des Antragsgegners, ihm und den übrigen Mitglieder der Familie eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen beziehungsweise über den Antrag vom 31. Mai 2021 zu entscheiden, sowie zugleich gestellte Eilanträge auf Erteilung einstweiliger Duldungen mitsamt Anträgen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eil- und Klageverfahren blieben ebenfalls ohne Erfolg (Au 6 E 21.2068 u. Au 6 K 21.2067 sowie 10 C 21.2544, 10 CE 21.2735 u. 10 C 21.2736 überdies Au 6 K 21.2067).
6
Mit Bescheid vom 10. Februar 2022 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Den hiergegen am 26. Februar 2022 erhobenen Eilantrag samt Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. Mai 2022 ab (Au 6 S 22.463). Die hiergegen erhobenen Beschwerden wies der Senat mit Beschluss vom 4. August 2022 zurück (10 CS 22.1343 u.a. sowie 10 C 22.1344 u.a.). Auf die zeitgleich erhobene Verpflichtungsklage des Antragstellers hin verpflichtete das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 19. Oktober 2022 den Antragsgegner unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Februar 2022, über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, und wies die Klage im Übrigen ab (Au 6 K 22.469).
7
Den am 28. Februar 2022 gestellten Asylfolgeantrag des Antragstellers lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 23. März 2022 als unzulässig ab. Den hiergegen erhobenen Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. April 2022 ab (Au 6 S 22.30384). Die ebenfalls erhobene Klage nahm der Antragsteller am 3. November 2022 zurück (Au 6 K 22.30383).
8
Am 20. Mai 2022 (§ 25 Abs. 4 AufenthG) und am 9. Oktober 2022 (§ 25a AufenthG) beantragte der Antragsteller erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Am 28. Oktober 2022 händigte der Antragsgegner ihm eine Grenzübertrittsbescheinigung mit einer Ausreisefrist bis zum 13. November 2022 aus. Am 3. November 2022 wiederholte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner sein Begehren.
9
Ebenfalls am 3. November 2022 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht beantragt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dem Antragsgegner zu untersagen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen ihn zu treffen und den Antragsgegner zu verpflichten, ihn bis zur Entscheidung über die Anträge auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vom 20. Mai 2022 und 9. Oktober 2022 weiterhin zu dulden beziehungsweise seine Duldung zu verlängern. Ferner hat er − unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten − die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
10
Mit angegriffenem Beschluss vom 10. November 2022 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag (Nr. I.) sowie den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe − unter Beiordnung der Bevollmächtigten (Nr. IV) − abgelehnt. Ein Anspruch auf Erteilung einer einstweiligen Duldung nach § 60a Abs. 2 Sätze 1 und 3 AufenthG bestehe nicht, weil der Antragsteller die Mittelschule mit dem Absolvieren der Jahrgangsstufe 9 im Sinne von § 19 MSO im Sommer 2021 abgeschlossen habe und sie im Schuljahr 2021/2022 lediglich im Sinne von § 17 MSO freiwillig wiederhole. Ein Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und § 25a Abs. 1 AufenthG scheitere daran, dass der Antragsteller mit Ablauf des 31. Oktober 2022 und damit zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über keine Duldung verfüge. Im Übrigen fehle es und habe es bereits zum Zeitpunkt der Beantragung am 20. Mai 2022 und 9. Oktober 2022 an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des Visumerfordernisses gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG gefehlt. Eine Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die Ermessensausübung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für ein Absehen hiervon sei nicht glaubhaft gemacht. Ein Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG, § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG beziehungsweise § 25 Abs. 5 AufentG sei wegen der vollziehbaren Ausreisepflicht beziehungsweise mangels Unmöglichkeit nicht gegeben.
11
Mit Schriftsatz vom 11. November 2022 hat der Antragsteller hiergegen Beschwerde eingelegt und − modifiziert durch die Schriftsätze vom 14. November 2022 und vom 18. November 2022 − beantragt, „einen sog. „Hängebeschluss“ mit folgendem Inhalt zu erlassen“:
12
1. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts wird dem Antragsgegner untersagt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Beschwerde aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller zu treffen.
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2. Der Antragsteller wird verpflichtet, den Antragsteller bis zur Entscheidung über die Anträge auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vom 20. Mai 2022, 9. Oktober 2022 sowie 3. November 2022 zu dulden beziehungsweise seine Duldung zu verlängern.
14
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens.
15
4. Dem Antragsteller wird in Abänderung des Beschlusses unter Beiordnung der Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe bewilligt.
16
5. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung der Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe bewilligt.
17
Zur Begründung rügt die Antragstellerseite die Unzuständigkeit der Mitglieder der Kammer, welche den angegriffenen Beschluss erlassen habe, da sie diese mit Ablehnungsgesuch vom 19. Oktober 2022 in dem Verfahren Au 6 K 22.469 wegen Befangenheit abgelehnt hätte und dieses auch im streitgegenständlichen Verfahren wirke, obgleich hierfür kein gesonderter Befangenheitsantrag gestellt worden sei. Der angegriffene Beschluss stehe zudem im Widerspruch zu dem Urteil der Kammer vom 19. Oktober 2022 in dem Verfahren Au 6 K 22.469, in dem diese die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bejaht habe. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer Duldung sei die Antragstellung (unter Verweis auf: BayVGH, B.v. 26.11.2018 - 19 CE 17.2453). Zu jenem Zeitpunkt sei der Antragsteller noch geduldet gewesen. Zu Unrecht gehe das Verwaltungsgericht außerdem davon aus, dass das Ermessen des Antragsgegners für das Absehen vom Visumerfordernis § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht auf Null reduziert sei. Überdies spiele das Visumerfordernis bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG keine Rolle. Schließlich rügt die Antragstellerseite die Befangenheit des für die Entscheidung über die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zuständigen Sachbearbeiters bei der zuständigen Ausländerbehörde des Antragsgegners und macht Ermessensmissbrauch geltend.
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Am 28. November 2022 hat der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerden zurückzuweisen.
20
Dazu hat er unter anderem auch den Bescheid der zuständigen Ausländerbehörde vom 21. November 2022 vorgelegt, mit dem diese die Anträge des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 20. Mai 2022, 9. Oktober 2022 sowie 3. November 2022 ablehnt.
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Im Übrigen wird hinsichtlich des Sach- und Streitstands entsprechend § 117 Abs. 3 VwGO auf den Inhalt der vorgelegten Akten verwiesen.
II.
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1. Die Verfahren 10 CE 22.2378 und 10 C 22.2379 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
23
2. Die Beschwerden des Antragstellers haben in der Sache keinen Erfolg.
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a) Im Hinblick auf die Beschwerde in dem Verfahren 10 CE 22.2378 rechtfertigen die von Antragstellerseite in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Gründe, die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, es im Ergebnis nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch im Sinne von § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht hat. Dabei ist der Eilantrag des Antragstellers, den er im Beschwerdeverfahren weiterverfolgt, bei Auslegung des Antragsbegehrens nach dem wohlverstandenen Interesse des Antragstellers entsprechend § 88 VwGO als Antrag gerichtet auf Erteilung einer einstweiligen Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 VwGO sowie einer einstweiligen Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 VwGO in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bis zur Entscheidung über die gestellten Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (10 CE 22.2378) zu interpretieren. Darüber hinaus beantragt er insoweit auch den Erlass eines Hängebeschlusses. Im Einzelnen gilt hierbei Folgendes:
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aa) Nicht zu beanstanden ist insbesondere die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer einstweiligen Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 und 3 VwGO glaubhaft gemacht hat. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO hierzu auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts (vgl. BA S. 7 f.), denen die Antragstellerseite im Übrigen nichts an Substanz entgegensetzt. Gleiches gilt im Übrigen für den geltend gemachten Anspruch auf Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 VwGO in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und § 25 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 AufenthG (vgl. BA S. 10 f.).
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bb) Auch der weiterhin geltend gemachte Anspruch auf Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 VwGO in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und § 25a Abs. 1 AufenthG verleiht der Beschwerde keinen Erfolg.
27
(1) Mit der Bekanntgabe des dem Senat mit der Beschwerdeerwiderung übermittelten Bescheides vom 21. November 2022, der nach den Angaben des Antragsgegners am selben Tag zur Post an die Antragstellerseite gegeben wurde (vgl. Senatsakte, Bl. 86 Rückseite), ist das Rechtsschutzbedürfnis für den zugrundeliegenden Eilantrag des Antragstellers entfallen. Das Rechtsschutzbedürfnis ist zu verneinen, wenn der um gerichtlichen Rechtsschutz Nachsuchende seine Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht verbessern kann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb als für ihn nutzlos erscheinen muss. So liegt der Fall hier. Der rechtsanwaltlich vertretene Antragsteller hat den Erlass einer Verfahrensduldung begehrt „bis zur Entscheidung über die Anträge auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vom 20. Mai 2022 und 9. Oktober 2022“ (s.o., vgl. BA S. 4). Das Begehren ist wegen des vorrangig in Anspruch zu nehmenden Rechtsschutzes gegen den erlassenen belastenden Verwaltungsakt auch nicht anderweitig auszulegen. Das Interim, für das der Antragsteller den Erlass einer Regelungsanordnung begehrt hat, ist damit beendet. Der Antragsteller kann mit dem Eilantrag, den er mit der Beschwerde weiterverfolgt, seinen (Rechts-)Kreis nicht erweitern.
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(2) Unabhängig davon begegnet die Auffassung des Verwaltungsgerichts (vgl. BA S. 10 ff.), dass eine - lediglich ausnahmsweise mögliche (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 - 1 C 34.18 - juris Rn. 30) − Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und § 25a Abs. 1 AufenthG im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt, keinen Bedenken. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, dass zweifelsfrei ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels besteht oder der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Sicherung des Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Ermessensausübung geboten ist oder dass keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2021 - 10 CE 21.2930 - juris Rn. 3 m.w.N.), sind im Fall des Antragstellers sämtlich nicht erfüllt.
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Der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG besteht aller Voraussicht nicht, weil − im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats − auf Tatbestandsseite die besondere Erteilungsvoraussetzung einer Duldung nicht erfüllt ist.
30
Geduldet ist ein Ausländer, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat (vgl. zum Begriff des „geduldeten Ausländers“ in § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG: BVerwG, U.v. 18.12.2019 - 1 C 34.18 - juris Rn. 24 m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2021 - 1 C 45.20 − juris Rn. 11; U.v. 17.12.2015 −1 C 31.14 − juris Rn. 9 m.w.N.). Dies beansprucht auch für eine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG Geltung. Aus dem Wortlaut der Norm ergeben sich nicht nur keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang von dem genannten allgemeinen Grundsatz abweichen wollte. Das Gegenteil ist der Fall (vgl. § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG: „Einem … geduldeten Ausländer“, „seit … geduldet“; vgl. i.Ü. zu § 25b AufenthG: BVerwG, U.v. 18.12.2019 - 1 C 34.18 - juris Rn. 22; zu § 25a AufenthG: BayVGH, B.v. 20.20.2021 - 10 ZB 21.2276 - juris 7).
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In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gilt dementsprechend ebenfalls der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung der Tatsacheninstanz (vgl. HessVGH, B.v. 4.10.2022 - 3 B 523/22 - juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 12.9.2022 - 10 CE 22.1925 - juris Rn. 6; B.v. 20.1.2022 - 19 CE 21.2437 - juris Rn 11; OVG Berlin-Bbg, B.v. 4.3.2020 - OVG 6 S 10/20 - juris Rn. 9; vgl. aus dem Schrifttum: Göbel-Zimmermann/Hupke in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, AufenthG, § 25a Rn. 6; Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Aufl., Stand: 1.10.2022, AufenthG, § 25a Rn. 4 m.w.N.; Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AufenthG, § 25a Rn. 9 m.w.N.; Röder in Decker/Bader/Kothe, Migrations- und Integrationsrecht, 13. Aufl., Stand: 15.10.2022, AufenthG, § 25a Rn. 7). Wie der Antragsgegner zutreffend ausgeführt hat, ist die von Antragstellerseite angeführte (isolierte) Entscheidung insofern als überholt anzusehen.
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Da eine Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO − im Rahmen der dargelegten Beschwerdegründe gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO − eine Prüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht eröffnet, ist im Beschwerdeverfahren der Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts maßgeblich. Der Antragsteller verfügte bereits mit Ablauf des 31. Oktober 2022 über keine Duldung mehr (s.o.). Im Übrigen ist auch kein Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Duldung glaubhaft gemacht oder anderweitig ersichtlich (s.o.). Der Senat verweist überdies hierzu auf die Gründe der den Beteiligten bekannten, vorgenannten einschlägigen gerichtlichen Entscheidungen (s.o.). Dementsprechend kann die Antragstellerseite auch nichts zu ihren Gunsten daraus herleiten, dass der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. November 2022 in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal der Duldung von dem Urteil vom 19. Oktober 2022 in dem Verfahren Au 6 K 22.469 abweicht, da dies − im Einklang mit den geschilderten Maßstäben − auf den unterschiedlichen zeitlichen Entscheidungshorizonten des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers beruht.
33
(3) Angesichts dessen kommt es auf den Einwand der Antragstellerseite gegen den Maßstab bei der Prüfung des Ermessens für ein Absehen von dem Visumerfordernis gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG nicht mehr an (vgl. BA S. 11 f.).
34
(4) Schließlich zeigt auch das Beschwerdevorbringen der Antragstellerseite, die Mitglieder der Kammer seien befangen und damit unzuständig für die Beschlussfassung gewesen, weil sie diese in einem Parallelverfahren abgelehnt hätte, nicht das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs im Sinne von § 123 Abs. 1 und 3 VwGO auf. Abgesehen davon, dass die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuches nach § 146 Abs. 2 VwGO eine der Überprüfung im Beschwerdeverfahren entzogene unanfechtbare Vorentscheidung darstellt, hat die Antragstellerseite es nach eigenem Vorbringen in dem hier streitgegenständlichen Eilverfahren, das zu dem angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts geführt hat, versäumt, ein Ablehnungsgesuch nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 41 ff. ZPO zu stellen, mithin von dem prozessualen Ablehnungsrecht gar keinen Gebrauch gemacht, dessen Verletzung sie nun rügt.
35
Nicht durchdringen kann die Antragstellerseite auch mit der Befangenheitsrüge in Bezug auf den für den Erlass des Bescheides über die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zuständigen Sachbearbeiter. Aus der behaupteten Besorgnis der Befangenheit des Amtsträgers gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 VwVfG erwächst dem Antragsteller ebenfalls kein Anordnungsanspruch im Sinne von § 123 Abs. 1 und 3 VwGO. Der Bescheid des Antragsgegners vom 21. November 2022 ist nicht - auch nicht mittelbar − Prüfungsgegenstand des streitgegenständlichen Verfahrens geworden.
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cc) Der Antrag der Antragstellerseite auf Erlass einer Zwischenverfügung in Form eines Hängebeschlusses wird durch die vorliegende Sachentscheidung gegenstandslos (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2022 - 10 CE 22.1365 - juris Rn. 18).
37
b) Die zulässige Beschwerde im Verfahren 10 C 22.2379 bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat aus den angeführten Gründen im Ergebnis den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Sinne von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine hinreichenden Erfolgsaussichten bietet. Folglich scheidet auch eine Beiordnung der Bevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 ZPO aus.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. In Bezug auf die Beschwerde 10 C 22.2379 ist festzustellen, dass das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz kostenpflichtig ist.
39
4. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 CE 22.2378 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 sowie § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.3 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 22.2379 ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr anfällt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
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5. Aus genannten Gründen kommt auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung der Bevollmächtigten nicht in Betracht.
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6. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.