Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 21.12.2022 – 7 UF 194/22
Titel:

Kindesunterhalt: unzulässiges vereinfachtes Verfahren über Minderjährigenunterhalt bei bestehendem Titel - kein Übergang in streitiges Verfahren 

Normenketten:
FamFG § 249 Abs. 2 Alt. 1, § 252 Abs. 1 S. 1, § 252 Abs. 1 S. 2, § 254, § 255, § 256
UVG § 7 Abs. 1
Leitsätze:
1. Sinn und Zweck der Regelung des § 249 Abs. 2 Alt. 1 FamFG ist es, dass eine Abänderung einer bereits erfolgten Entscheidung im vereinfachten Verfahren verhindert wird. Auf die zeitgleiche Anhängigkeit kommt es nicht an. (Rn. 26)
2. Eine Überleitung in das streitige Verfahren im Fall des § 252 Abs. 1 S. 1 FamFG kann nicht erfolgen, da die Rüge der Zulässigkeit keine Einwendung nach §§ 254, 252 Abs. 2 bis 4 FamFG ist. (Rn. 28)
1. Bei begründeten Einwendungen des Antragsgegners gegen die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens ist der Festsetzungsantrag nach § 252 Abs. 1 S. 2 FamFG zurückzuweisen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zugleich steht die Unzulässigkeit des vereinfachten Verfahrens seiner Überführung in ein streitiges Verfahren nach § 254, § 255 FamFG entgegen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Minderjährigenunterhalt, Vereinfachtes Unterhaltsverfahren, Unzulässigkeit, bestehender Vollstreckungstitel, gerichtlicher Vergleich, Titelabänderung, Anhängigkeit, Festsetzungsantrag, Antragsänderung, streitiges Verfahren
Vorinstanz:
AG Hof, Endurteil vom 19.08.2022 – 001 F 771/21
Fundstellen:
RPfleger 2023, 227
FamRZ 2023, 534
NJOZ 2023, 230
LSK 2022, 38892
BeckRS 2022, 38892

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Endbeschluss des Amtsgerichts Hof vom 19.08.2022, Az. 001 F 771/21 aufgehoben und der Antrag des Antragstellers auf Festsetzung von Kindesunterhalt im vereinfachten Verfahren zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.
3. Der Beschwerdewert wird auf 5.194,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller macht gegen den Antragsgegner, den Vater des minderjährigen Kindes J., geboren am …, Unterhaltsansprüche aus übergegangenem Recht nach § 7 Abs. 1 UVG für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.03.2021 in Höhe von insgesamt 5.447,00 Euro und fortlaufend in Höhe von 309,00 Euro monatlich im vereinfachten Unterhalsverfahren geltend. Er hat für das betroffene Kind seit 01.10.2013 Unterhaltsvorschuss gezahlt.
2
Der Antrag des Antragstellers vom 26.03.2021 wurde dem Antragsgegner nebst Hinweisen zum vereinfachten Unterhaltsverfahren am 10.04.2021 zugestellt.
3
Mit Vergleich vom 03.03.2015 vor dem Amtsgericht P. (Az. …/13) war zwischen dem Antragsgegner und seinem minderjährigen Kind, vertreten durch die Mutter, eine Vereinbarung mit unter anderem folgendem Inhalt geschlossen worden:
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Der Antragsteller zahlt, beginnend ab April 2015 in Abänderung des Beschlusses der Republik Österreich, Landgericht W. vom 18.08.2010, Aktenzeichen … einen monatlichen Unterhalt für J., geboren am …, zu Händen der gesetzlichen Vertreterin in Höhe von 70,00 Euro jeweils zum 3. des laufenden Monats.
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Zur Vergleichsgrundlage ist aufgeführt, dass die Beteiligten von einem Nettoeinkommen des Antragsgegners in Höhe von 1.080 Euro, zwei Unterhaltsverpflichtungen und der Absenkung des Selbstbehaltes wegen des Zusammenlebens mit einem anderen Partner ausgehen.
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Mit Schreiben vom 23.04.2021 hat der Antragsgegner die Unzulässigkeit des vereinfachten Verfahrens gerügt.
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Mit Schreiben vom 10.09.2021 beantragte der Antragsteller die Durchführung des streitigen Verfahrens und teilte mit Schreiben vom 22.10.2021 mit, dass zutreffend sei, dass es eine Vereinbarung gäbe, allerdings könne der Antragsgegner mehr leisten. Mit Schreiben vom 22.10.2021 beantragte der Antragsteller im Verfahren:
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Der vor dem Familiengericht P. am 03.03.2015 (Az. …/13) geschlossene Vergleich wird dahingehend abgeändert, dass der Antragsgegner für das Kind J., geboren am …, ab dem 01.11.2021 einen monatlichen jeweils im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 110% des Mindestunterhaltes gemäß § 1612 a Abs. 1 BGB, abzüglich des vollen Kindergeldes für ein erstes Kind zu bezahlen hat, derzeitiger monatlicher Zahlbetrag 309,00 Euro.
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Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Kindesunterhalt für das Kind J., für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.10.2021 in Höhe von insgesamt 6.920 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Der Antragsgegner beantragte die Zurückweisung und wendete Leistungsunfähigkeit ein.
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Am 19.08.2022 stellten die Beteiligten unstreitig, dass von Januar 2019 bis einschließlich Mai 2022 ein Betrag von 3.680,00 Euro auf den Unterhaltsanspruch gezahlt worden ist und im Juli 2022 150 Euro Unterhalt gezahlt worden sind. Seit 21.06.2022 erhält das Kind UVG in Höhe von 164 Euro im Monat.
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Der Antragsteller beantragte zuletzt,
Der vor dem Familiengericht P. am 03.03.2015 (Az. …/13) geschlossene Vergleich wird dahingehend abgeändert, dass der Antragsgegner für das Kind J., geboren am …, ab dem 01.09.2022 einen monatlichen jeweils im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 164,00 Euro zu bezahlen hat.
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Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Kindesunterhalt für das Kind J., für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.08.2022 in Höhe von 4.768 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 19.08.2022 zu bezahlen.
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Mit Endbeschluss vom 09.09.2022 hat das Amtsgericht folgende Entscheidung getroffen:
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Der vor dem Familiengericht P. am 03.03.2015 (Az. …/13) geschlossene Vergleich wird dahingehend abgeändert, dass der Antragsgegner verpflichtet wird, an den Antragsteller für das Kind J., geboren am …, ab dem 01.09.2022 einen monatlichen jeweils im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 36,00 Euro zu bezahlen.
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Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller für das Kind J., geboren am …, rückständigen Kindesunterhalt für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.08.2022 in Höhe von 4.762 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit 19.08.2022 zu bezahlen.
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Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass der Antrag zulässig sei. Der Antragsgegner sei zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet, gehe einer vollschichtigen Arbeit nach und der Selbstbehalt sei wegen des Zusammenlebens mit einer Partnerin um 10% zu reduzieren.
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Gegen die ihm am 12.09.2022 zugestellte Entscheidung hat der Antragsgegner mit einem am 12.10.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt. Das vereinfachte Verfahren sei unzulässig, weil doppelte Rechtshängigkeit bestehe. Die Durchführung des streitigen Verfahrens gemäß § 255 Abs. 1 FamFG sei nur bei Einwendungen nach § 255 Abs. 2 bis Abs. 4 FamFG möglich. Vorliegend sei eingewandt worden, dass das Verfahren wegen § 252 Abs. 1 FamFG unzulässig sei. Aufgrund dessen hätte der Festsetzungsantrag zurückgewiesen werden müssen.
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Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten. Er ist der Auffassung, dass eine Antragsänderung vorgenommen wurde, welche auch durch das Gericht genehmigt worden sei. Einwendungen hiergegen habe der Antragsgegner nicht erhoben. Am ursprünglichen Titel sei der Antragsteller zudem nicht beteiligt gewesen.
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Der Senat hat mit Beschluss vom darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Entscheidung des Amtsgerichts aufzuheben, da die Festsetzung im vereinfachten Unterhaltsverfahren vorliegend unzulässig sei. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 02.12.2022 verwiesen.
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Der Antragsteller meint, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung eine gegenläufige Entscheidung nicht vorgelegen habe. Ein anderes Verfahren sei zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr anhängig gewesen. Sinn und Zweck sei zu verhindern, dass parallele Verfahren vorliegen würden. Dies sei erkennbar nicht der Fall. Zudem bestünde auch eine Divergenz zwischen der Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (11 WF 205/12) und Oldenburg (11 WF 344/19), weshalb die Rechtsbeschwerde zuzulassen sei. Eine etwaige Unzulässigkeit sei durch die Antragsänderung geheilt.
II.
22
Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig und auch begründet. Der Antragsgegner hat begründete Einwendungen gegen die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens gemäß § 256 Satz 1 FamFG erhoben, sodass der Antrag des Antragstellers vom 26.03.2021 auf Festsetzung im vereinfachten Verfahren zurückzuweisen war (§ 252 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG). Diese Einwendung kann nach § 256 FamFG mit der Beschwerde geltend gemacht werden und auch dann, wenn diese bislang nicht (oder nicht mehr) geltend gemacht worden ist (Keidel-Griers, 20. Auflage, 2020, FamFG, § 256 Rn. 11, OLG Dresden, Beschluss vom 28. November 2018 - 18 WF 1120/18 -, Rn. 6, juris).
23
Hat der Antragsgegner zutreffend die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens gerügt (§ 252 Abs. 1 S. 1 FamFG), so hat das Gericht gemäß § 252 Abs. 1 S. 2 FamFG den Festsetzungsantrag zurückzuweisen.
24
Eine gerichtlich gebilligte Antragsänderung (auch mit Zustimmung der Gegenseite) ist erkennbar nicht möglich, da eine Überleitung in das streitige Verfahren nach § 254 FamFG nicht möglich ist. § 254 FamFG erfasst nur Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG (vgl. Dutta/Jacoby/Schwab, FamFG, 3. Auflage, 2021, § 253 Rn. 2 ff., § 254 Rn. 1; OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.07.2020, Az. 9 WF 53/20; OLG Celle, Beschluss vom 25. September 2020 - 10 UF 164/20 -, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 28. November 2018 - 18 WF 1120/18 -, Rn. 6, juris).
25
Das vereinfachte Verfahren ist nicht statthaft, wenn zum Zeitpunkt, in dem der Antrag oder eine Mitteilung über seinen Inhalt dem Antragsgegner zugestellt wird, über den Unterhaltsanspruch des Kindes bereits ein Gericht entschieden hat (§ 249 Abs. 2 Alt. 1 FamFG). Entgegen der Ansicht des Antragstellers im Schreiben vom 19.12.2022 ergibt sich dies nicht aus gerichtlichen Entscheidungen, sondern aus dem Gesetz selbst.
26
Es darf daher keine gerichtliche Entscheidung oder ein sonstiger Vollstreckungstitel (Vergleich, § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, notarielle Urkunde, § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) existieren (Bömelburg in: Prütting/Helms, FamFG, § 249 Statthaftigkeit des vereinfachten Verfahrens, Rn. 29). Die von der Unterhaltsvorschusskasse geltend gemachten Ansprüche sind Ansprüche des Kindes im Sinne des § 249 Abs. 2 FamFG (OLG Oldenburg, Beschluss vom 12. Februar 2020 - 11 WF 344/19 -, Rn. 17, juris), denn das Gesetz stellt nur auf eine bereits erfolgte Entscheidung über den Unterhaltsanspruch des Kindes ab, unabhängig davon, wer diese Entscheidung herbeigeführt hat. Das schematisierte vereinfachte Verfahren, das Einwendungen des Unterhaltsschuldners nur in eng begrenztem Umfang zulässt, ist nicht dazu geeignet, Urteile oder bestehende Unterhaltstitel zu überprüfen (Bömelburg in: Prütting/Helms, FamFG, § 249 Statthaftigkeit des vereinfachten Verfahrens, Rn. 30), sondern dient der erstmaligen Errichtung eines Titels.
27
Der Unterhaltsanspruch des Kindes war bereits zuvor Gegenstand eines Unterhaltsverfahrens vor dem Landgericht W. in Österreich und dem Amtsgericht - Familiengericht - P. Zuletzt wurde eine vergleichsweise Regelung vor dem Amtsgericht in P. getroffen. Sinn und Zweck der Regelung ist es, dass eine Abänderung einer bereits erfolgten Entscheidung im vereinfachten Verfahren verhindert wird (Zöller-Lorenz, 34. Auflage, 2022, § 249 FamFG, Rn. 8, Keidel-Giers, 20. Auflage, 2020, § 249 Rn. 14). Damit lag bereits eine Regelung über den Unterhalt des Kindes vor. Auf die zeitgleiche Anhängigkeit, wie der Antragsteller meint, kommt es erkennbar nicht an (§ 249 Abs. 2 Alt. 2 FamFG), da bereits die erste Alternative erfüllt ist (§ 249 Abs. 2 Alt. 1 FamFG, vgl. auch Bömelburg in: Prütting/Helms, FamFG, § 249 Statthaftigkeit des vereinfachten Verfahrens, Rn. 30).
28
Da ein Verfahrenshindernis bestand (§ 249 Abs. 2 FamFG, vgl. Keidel, a.a.O, § 250 Rn. 14), war der Antrag zurückzuweisen. Der Antragsgegner hat zutreffend die Unzulässigkeit geltend gemacht (§ 252 Abs. 1 FamFG). Eine Überleitung in das streitige Verfahren konnte nicht erfolgen, da die Rüge der Zulässigkeit keine Einwendung nach §§ 254, 252 Abs. 2 bis 4 FamFG ist (Keidel, a.a.O., § 254 Rn. 1, § 252 Rn. 11).
29
Nach alledem war der amtsgerichtliche Beschluss aufzuheben und der Antrag auf Festsetzung von Unterhalt im vereinfachten Verfahren zurückzuweisen.
III.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 FamFG.
31
Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 40, 51 Abs. 1 und 2 FamGKG für das Beschwerdeverfahren.
32
Der Verfahrenswert für das Verfahren der Beschwerdeinstanz beträgt daher 5.194,00 Euro [(36,00 Euro x 12) + 4.762,00 Euro].
33
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor. Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 14. September 2012 - 11 WF 205/12 -, Rn. 8, juris) hat die Frage, ob sich die Ansprüche des Leistungsträgers mit denen des Kindes decken, zum einen nicht geklärt, sondern ausdrücklich offengelassen, zum anderen erfolgte die Entscheidung hinsichtlich der Umschreibung einer Klausel. Eine Abweichung zur obergerichtlichen Rechtsprechung ergibt sich nicht. Die Beantwortung der Frage, ob sich Ansprüche des Leistungsträgers auf Titulierung zukünftiger Ansprüche nach § 7 Abs. 4 Satz 1 UVG als deckungsgleich mit dem Anspruch des Kindes auf Titulierung zukünftiger Unterhaltsansprüche gegenüber dem nicht betreuenden Elternteil erweisen, beantwortet nicht die - verfahrensrechtliche - Frage, wann über den Kindesunterhaltsanspruch des Kindes ein Verfahren als anhängig anzusehen ist. Diese ergibt sich aus dem Gesetz, welches alleine auf die Existenz eines Titels abstellt, unabhängig davon, wer diesen herbeigeführt hat.