Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 07.11.2022 – 7 UF 201/22
Titel:

Bei Unterbringung eines Kindes im Wege der einstweiligen Anordnung keine notwendige persönliche Anhörung der Eltern

Normenketten:
BGB § 1631b
FamFG § 49 Abs. 1, § 58, § 68 Abs. 3, § 158 Abs. 4, § 167 Abs. 1, § 331, § 332
Leitsatz:
Bei der einstweiligen Anordnung nach § 331 FamFG sind die Eltern (anders im Hauptsacheverfahren: § 167 Abs. 4 FamFG) nicht persönlich anzuhören, denn § 331 FamFG regelt nur die Anhörung des Betroffenen und nicht der Eltern. (Rn. 19)
Schlagworte:
einstweilige Anordnung, geschlossene Unterbringung, Anhörung, persönliche Anhörung, Beschwerde
Vorinstanz:
AG Kronach, Beschluss vom 07.10.2022 – 1 F 212/22
Fundstellen:
FamRZ 2023, 599
BeckRS 2022, 38843
LSK 2022, 38843
NZFam 2023, 456

Tenor

1. Die Beschwerde der Verfahrensbeiständin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kronach vom 07.10.2022 wird zurückgewiesen.
2. Von der Erhebung von Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren wird abgesehen, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Betroffene S. ist am … geboren. Bei ihr liegt eine Bipolare affektive Störung mit manischer Episode (F31.2) nach atypischer Anorexia nervosa (F50.1) vor.
2
S´s Eltern haben am 03.10.2022 beim Amtsgericht Kronach die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung der Jugendlichen zur Untersuchung und Heilbehandlung beantragt. Die Eltern schilderten, dass die Tochter das notwendige Medikament absetze und eine akute manische Phase vorliegen würde. S. sei der Auffassung, dass die Mutter eine Depression habe und übertrage ihr Leiden auf diese. Sie habe wahnhafte Beziehungsideen zu einem A. und teile diese ihren Schulfreundinnen mit. Sie wäre der Auffassung, dass ihre Mutter nicht ihre Mutter sei, ihr Vater ihr Onkel wäre und ihre Mutter Zwillinge zur Adoption freigegeben hätte. Eine Referendarin, welche in ihrer Schule unterrichte, führe ein Doppelleben, trage Haarteile und sei zugleich bei der … in Coburg beschäftigt. Die Aufforderung der Eltern das Mobiltelefon herauszugeben, nach dem dieses stundenlang benutzt worden sei, habe zu einem Nervenzusammenbruch geführt.
3
Das Amtsgericht hat einen Verfahrensbeistand bestellt und eine fachärztliche Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses … - Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie - eingeholt. Der für die Betroffene zuständige Arzt der Institutsambulanz hat eine Unterbringung für sechs Wochen empfohlen. Auf den Bericht wird insoweit Bezug genommen. Mit Beschluss vom 07.10.2022 wurde die Betroffene im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis längstens zum 18.11.2022 im Bezirkskrankenhaus … untergebracht und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die Anhörung der Betroffenen unterblieb zunächst wegen gesteigerter Dringlichkeit (§§ 167 Abs. 1, 332 FamFG). Die Betroffene wurde durch das Amtsgericht Bayreuth im Wege der Rechtshilfe am 17.10.2022 angehört. In der Anhörung hat die Betroffene erklärt, mit der Unterbringung einverstanden zu sein.
4
Zur Begründung führt das Familiengericht aus, im Hinblick auf die dringende stationäre Untersuchungs- bzw. Behandlungsbedürftigkeit sei die sofortige geschlossene Unterbringung zu genehmigen, da mit einem Aufschub eine erhebliche Gefahr für die Betroffene verbunden sei. Nach dem ärztlichen Zeugnis von Dr. … vom 05.10.2022 leide die Betroffene an einer manischen Episode mit psychotischen Symptomen im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung. Es bestehe die akute Gefahr, dass die Betroffene sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
5
Zu ihrem Wohl sei es notwendig, sie zum Zwecke der Heilbehandlung und Diagnostik geschlossen unterzubringen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 07.10.2022 (Bl. 18 ff d. A.) Bezug genommen.
6
Gegen diesen der Verfahrensbeiständin am 10.10.2022 zugestellten Beschluss hat diese mit Schreiben vom 24.10.2022, eingegangen am selben Tag beim Amtsgericht Kronach, Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet. Zur Begründung ist ausgeführt, der Beschluss sei aus Sicht der Betroffenen nicht erforderlich, da eine Eigen- oder Fremdgefährdung nicht vorliegen würde. Die Medikamente würden entsprechend der ärztlichen Empfehlung eingenommen. Die Betroffene sei stabil.
7
Die Klinik teilt mit fachärztlicher Stellungnahme vom 31.10.2022 mit, dass eine affektive Störung mit gegenwärtig manischer Episode (F31) vorliege. Auf die Stellungnahme wird insoweit Bezug genommen.
8
Den übrigen Beteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Jugendamt sprach sich in der Stellungnahme vom 02.11.2022 für eine sechswöchige Unterbringung aus und verwies im Wesentlichen auf die ärztlichen Berichte.
9
Die Eltern teilten mit Schreiben vom 01.11.2022 mit, dass ihr Kind nicht stabil sei, das bessere Medikament ablehne und das Medikament, welches sie akzeptiere, nicht im notwendigen Maße bisher eingenommen worden sei. Der Blutmedikamentenspiegel sei zuletzt gefallen und weise nicht den notwendigen Wert aus. Beim Aufenthalt zu Hause am 29.10.2022 sei ihr Verhalten auffällig gewesen. Sie leide weiterhin an einer manischen Episode. Sobald sich ihr Zustand bessere, werde eine Verlegung auf eine offene Station befürwortet. Dies sei aber noch nicht der Fall.
II.
10
Die gemäß §§ 57 Satz 2, 58 ff., 158 Abs. 4 Satz 5, 167 Abs. 1 FamFG zulässige, insbesondere gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG fristgerecht eingelegte Beschwerde der Verfahrensbeiständin hat in der Sache keinen Erfolg.
11
Das Amtsgericht hat zutreffend die Voraussetzung für die Genehmigung der Unterbringung S´s in einer geschlossenen Einrichtung gemäß § 1631 b BGB im Wege der einstweiligen Anordnung für die Dauer von sechs Wochen angenommen.
12
Ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden im Sinne des § 49 Abs. 1 FamFG liegt vor, nachdem die Gefahr besteht, dass die Betroffene sich aufgrund ihrer Erkrankung erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (Bl. 36ff. d.A.).
13
Die gesetzlichen Vertreter S´s haben einen Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung der geschlossenen Unterbringung ihrer Tochter gestellt. Das Amtsgericht hat nach Einholung einer Stellungnahme des behandelnden Arztes, des Leitenden Oberarztes der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Bezirkskrankenhauses …, auch zutreffend die materiellen Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung des Kindes als gegeben angesehen. Der behandelnde Arzt hat in seinem ärztlichen Zeugnis gemäß §§ 167 Abs. 1 i.V.m. 331 Satz 1 Nr. 2 FamFG erklärt, es bestehe aus fachlicher Sicht eine manische Episode mit psychotischen Symptomen im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung (F 31.2).
14
Dies wurde durch die vom Senat eingeholte Stellungnahme der Leitenden Oberärztin …vom 31.10.2022 bestätigt. Diese führte aus, dass eine affektive Störung mit gegenwärtig manischer Episode (F31) vorliege und die Medikation durch die Betroffene nicht zuverlässig genommen werde. Ein noch wirksameres Medikament lehne die Betroffene ab. Die Betroffene zeige einen sehr starken Rededrang, könne nicht zuhören und ihre Stimmung sei unangemessen gehoben. Eine Krankheitseinsicht liege nicht im erforderlichen Maße vor. Sie treffe unüberlegte und unkritische Entscheidungen. Dies führe auch zu heftigen Konflikten mit den Eltern. Auch die wahnhaften Beziehungsideen führten zu unüberlegten Entscheidungen, welche ihr selbst Schaden könnten. Die Erweiterung des Ausgangs aus der geschlossenen Abteilung habe dazu geführt, dass eine deutliche Verschlechterung eingetreten sei. Die Eltern seien heftigen Auseinandersetzungen mit Beleidigungen ausgesetzt gewesen. Die Betroffene sei in die Klinik mit beschrifteter Unterwäsche, mehreren Lagen von Kleidungsstücken und Taschen voller persönlicher Gegenstände zurückgekommen. Der Medikamentenspiegel wurde dabei durch die Klink als zu niedrig festgestellt. Die manische Symptomatik sei so stark ausgeprägt, dass eine Unterbringung weiter erforderlich sei. Die Betroffene befinde sich in einer akuten psychischen Krise, die Steuerungsfähigkeit sei beeinträchtigt. Es bestehe die Gefahr der Eigen- und Fremdgefährdung.
15
Die Patientin befindet sich daher in einem manischen Zustand und ist nicht krankheitseinsichtig. Es besteht eine Weglauftendenz, die Verkennung der Realität und die Gefahr einer Selbstschädigung.
16
Zur Abwendung der damit einhergehenden erheblichen Gefahren für das körperliche und psychische Wohl S´s kommt nur die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung in Betracht, nachdem der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann (vgl. zum Ganzen: Grüneberg/Götz, 81. Aufl. 2022, Rn. 7 ff. zu § 1631b BGB).
17
Die Betroffene wurde am 17.10.2022 im Rechtshilfeweg durch das Amtsgericht Bayreuth angehört.
18
Der Senat hat unter den gegebenen Umständen von einer erneuten persönlichen Anhörung der Beteiligten abgesehen, weil diese bereits in erster Instanz angehört wurden und keine weiteren entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten waren, § 68 Abs. 3 FamFG.
19
Bei der einstweiligen Anordnung nach § 331 FamFG sind die Eltern (anders im Hauptsacheverfahren: § 167 Abs. 4 FamFG) nicht persönlich anzuhören, denn § 331 FamFG regelt nur die Anhörung des Betroffenen und nicht der Eltern (OLG Celle, Beschluss vom 12. März 2010 - 19 UF 49/10, ZKJ 2010, 253-255, Schmid in: Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, 82. Lieferung 09.2021, Unterbringung Minderjähriger, Rn. 11, Schmid, FamRB 2011, 348, 352, Keidel-Engelhardt, 20. Auflage, § 167 Rn. 8,c, Axel Bauer in: Salgo u.a. (Hrsg.), Verfahrensbeistandschaft, 3. Aufl. 2014, V. Unterbringungsverfahren, Rn. 439, a.A. Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7. Dezember 2009 - 8 UF 207/09 -, juris).
III.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 Abs. 4, 81 Abs. 1 FamFG. Für die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gelten die allgemeinen Vorschriften. Der Senat erachtet es als sachgerecht, der Verfahrensbeiständin in Abweichung der Regelung des § 84 FamFG nicht mit Kosten zu belasten, da das Rechtsmittel ausschließlich im Interesse des Kindes eingelegt wurde.
21
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 40, 41, 42 Abs. 2 und 3 FamGKG.
22
Gemäß § 70 Abs. 4 FamFG findet die Rechtsbeschwerde nicht statt, da es sich vorliegend um einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung einer einstweiligen Anordnung handelt.