Titel:
Kein Anspruch eines von der Polizei verständigten Rettungsdienstunternehmens gegen unverletzte Unfallbeteiligte
Normenkette:
BGB § 133, § 157, § 683 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Anrufer, der einen Rettungswagen ruft, aber nicht Verletzter ist, wird nicht selbst Vertragspartner des Rettungsdienstunternehmens (Anschluss an AG Winsen/Luhe BeckRS 2016, 21328). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. In einem solchen Fall wird das Rettungsdienstunternehmen als Geschäftsführer ohne Auftrag im Interesse des mutmaßlichen Willens des Geschäftsherrn tätig, nämlich desjenigen, dem der Auftrag zugute kommt, zumindest dann, wenn die Verletzungen so sind, dass dafür regelmäßig ein Rettungswageneinsatz angebracht ist (vgl. AG Peine BeckRS 2002, 21603). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das als Geschäftsführer ohne Auftrag tätige Rettungsdienstunternehmen erwirbt nur dann einen zivilrechtlichen Anspruch auf Zahlung des üblichen Werk- bzw. Dienstlohnes gegenüber einem Verletzten, wenn der Rettungswageneinsatz geboten ist (Anschluss an AG Winsen/Luhe BeckRS 2016, 21328). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rettungswageneinsatz, Rettungsdienstvertrag, Geschäftsführung ohne Auftrag, mutmaßlicher Wille
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38838
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 2.242,12 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 20.09.2021.
2
Am 20.09.2021 fuhr der Kläger zu 2) gegen 11:45 Uhr mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen …, die Auffahrt der Anschlussstelle Ebersdorf bei Coburg der A 73. Die Klägerin zu 1) war Beifahrerin. Auf der linken Spur der A 73 fuhr der bei der Beklagten versicherte Pkw …. Vor den Klägern fuhr ein unbekannter weißer BMW. Dieser wechselte unvermittelt von der rechten auf die linke Fahrspur der Autobahn, weswegen das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug nur durch eine Vollbremsung einen Zusammenstoß mit dem unbekannten BMW vermeiden konnte. Hierbei verlor der Versicherungsnehmer der Beklagten die Kontrolle über sein Fahrzeug, kam nach links von der Fahrbahn ab und kollidierte mit der linken Leitplanke. Im weiteren Verlauf kam er wieder nach rechts auf die Fahrbahn und kollidierte mit dem Pkw des Klägers zu 2). Anschließend kollidierte er mit der rechten Leitplanke und schließlich mit dem Heck eines Kleintransporters.
3
Durch den Unfall wurden sämtliche Fahrzeuge nicht unerheblich beschädigt. Die Kläger blieben jedoch unverletzt.
4
Eine auf der Gegenfahrbahn befindliche Zivilstreife erkannte die Unfallsituation und meldete diese der Rettungsleitstelle. Von dort aus wurden Rettungswagen zum Unfallort geschickt. Der dann am Unfallort anwesende Notarzt konnte bei den Klägern keine Verletzungen feststellen, so dass diese weder notärztlich versorgt, noch mit dem Rettungswagen ins Klinikum verbracht werden mussten.
5
Die Kosten für den Rettungswagen und Notarzteinsatz wurden den Klägern jeweils in Höhe von 1.121,06 Euro in Rechnung gestellt.
6
Nach Aufforderung der Kläger gegenüber der Beklagten, diese Kosten auszugleichen, erfolgte keinerlei Zahlung.
7
Die Kläger sind der Ansicht, dass die Beklagte für die Kosten des Notarzteinsatzes haftet. Aufgrund der unübersichtlichen Unfallsituation sei es erforderlich gewesen, die Rettungswagen zu rufen.
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 1.146,04 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.05.2022 zu bezahlen.
2. die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 2) 1.146,06 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.05.2022 zu bezahlen.
3. die Beklagten zu verurteilen, der Klägerin zu 1) vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 220,27 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 05.02.2022 zu bezahlen.
10
Die Beklagte behauptet, eine Verständigung des Notarztes zu Gunsten der Kläger war nicht erforderlich. Die Kläger seien von Anfang an unverletzt gewesen, so dass die Beklagte meint, ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der angefallenen Kosten für den Notarzteinsatz sei deshalb unbegründet.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen …. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.09.2022 sowie den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird ausdrücklich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12
Das Amtsgericht Coburg ist zur Entscheidung zuständig.
13
Die zulässige Klage ist unbegründet.
14
Den Klägern steht kein Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten hinsichtlich der angefallenen Kosten für den Notarzteinsatz zu. Unstreitig alarmierten nicht die Kläger den Notarzt, sondern wohl eine auf der Gegenfahrbahn befindliche Zivilstreife. Die Kläger haben mithin keine unmittelbare vertragliche Beziehung zum Rettungsdienstunternehmen. Ein Anrufer, der nicht Verletzter eines Verkehrsunfalles ist, der einen Rettungswagen ruft, wird nicht selbst Vertragspartner des Rettungsdienstunternehmens, weil dieser Dritte erkennbar keinen Rettungsdienstvertrag mit dem Rettungsdienstunternehmen abschließen will und zwar weder im eigenen Namen, noch als Geschäftsführer ohne Auftrag im Sinne von § 677 ff. BGB. Dies ist dem Meldeempfänger auch bewusst (AG Winsen/Luhe, Urteil vom 22.12.2016, Az. 16 C 1092/16).
15
Vorliegend hat nun eine vorbeifahrende Zivilstreife den Rettungsdienst gerufen. Auch im Falle, dass die Polizei den Rettungsdienst ruft, ist offenkundig, dass diese den Rettungsdienstvertrag nicht unmittelbar abschließen will. Vielmehr wird das Rettungsdienstunternehmen als Geschäftsführer ohne Auftrag im Interesse des mutmaßlichen Willens des Geschäftsherrn, nämlich desjenigen, dem der Auftrag zugute kommt, tätig, zumindest dann, wenn die Verletzungen so sind, dass dafür regelmäßig ein Rettungswageneinsatz angebracht ist. Bei einem Verkehrsunfall wird das Rettungsdienstunternehmen für den Verletzten tätig (AG Peine, Urteil vom 20.03.2002, Az. 5 C 21/02).
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Das Rettungsdienstunternehmen erwirbt dadurch einen zivilrechtlichen Anspruch auf Zahlung des üblichen Werk- bzw. Dienstlohnes gegenüber dem Verletzten. Ist jedoch der Rettungswageneinsatz nicht geboten, so liegt das im Risiko des Unternehmens, weil es in einem solchen Fall einen mutmaßlichen Willen eines Geschäftsherren (vermeintlich Verletzten) gar nicht gibt (AG Winsen/Luhe, a.o.O.).
17
Nach eigenem Vortrag der Kläger waren diese unverletzt, der Notarzt konnte auch vor Ort keine Verletzungen feststellen, womit auch eine Mitnahme mit dem Rettungswagen nicht erforderlich war. Mithin besteht keinerlei vertragliche Beziehung zwischen dem Rettungsdienstunternehmen und den Klägern. Ein Anspruch des Rettungsdienstunternehmens gegenüber den Klägern auf Erstattung der Kosten ist damit nicht entstanden. Die Kläger gaben im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung an, zwar sehr aufgeregt gewesen zu sein, Verletzungen haben sie jedoch nicht gehabt. Die Untersuchung durch den Notarzt sei vielmehr routinemäßig erfolgt. Verletzungen habe man bei dieser Untersuchung nicht feststellen können. Auch eine Nachbehandlung hat vorliegend nicht stattgefunden, so dass davon ausgegangen werden muss, dass der Einsatz des Notarztes auf die Kläger nicht erforderlich war und damit auch nicht dem mutmaßlichen Willen der Kläger entsprochen hat.
18
Damit steht dem Rettungsdienstunternehmen kein Anspruch auf Erstattung der angefallenen Kosten gegenüber den Klägern zu, weswegen letztlich auch die Beklagte auch nicht für die entstandenen Kosten als Haftpflichtversicherer des Mitunfallverursachers haftet.
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Die Kläger war mithin vollumfänglich abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
21
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708, 711 ZPO.